Wege nach Weimar Band 1

Wege nach Weimar Band 1 – Friedrich Lienhard

Dies ist der erste Band des sechsbändigen Gesamtwerks “Wege nach Weimar”, das von Herbst 1905 bis Herbst 1908 in Monatslieferungen erschienen ist. Der 1865 im französischen Elsass geborene Lienhard studierte auch evangelische Theologie in Straßburg, brach das Studium jedoch nach vier Semestern ab.

Wege nach Weimar Band 1

Wege nach Weimar Band 1.

Format: eBook

Wege nach Weimar Band 1.

ISBN eBook: 9783849656331.

 

Auszug aus dem Text:

 

Wir haben die Schillerfeiern allenthalben im Reich aufleuchten und verglühen sehen. Es war wie ein Glanz in der Nacht: alle Beschauer hoben die Köpfe und strafften sich höher, von der Ahnung besseren Menschentums einen Augenblick durchzuckt. Sie hat manches Gute hinterlassen, manches Wort ist haften geblieben. Und unser Wunsch ist herzlicher als je: Möchte sie eine Wende zu höherem Stil in Kunst und Lebensführung bedeuten!

Wir würden uns die Vielheit der Schöpfung verengen, wenn wir uns auf die Ästhetik eines Einzelnen festlegen wollten. Auch Schiller bedeutet uns nur einen bestimmten, starken Ton im Orchester-Ganzen des modernen Geisteslebens. Aber einen unentbehrlichen Ton.

Es gibt, nach Goethes berühmtem Wort, nicht nur “Natur von außen”, es gibt eine nicht minder wichtige Hälfte: “Natur von innen”. Statt Natur von innen sagt Goethe auch ganz einfach der Mensch. Und er, der sich in jede Medaillonsammlung und jede Silhouette so liebend versenkte, er betätigte sein Leben lang die Wahrheit, daß die reizendsten Einzelheiten sich dem Ganzen unterordnen müssen und daß im Mittelpunkt des Ganzen der schön gebildete Mensch stehe, im Menschen aber hinwiederum der Geist.

Goethe hat das in den “Sprüchen in Prosa”, und sonstwo vielfach, klassisch geprägt.

” Natur und Idee läßt sich nicht trennen, ohne daß die Kunst, so wie das Leben, zerstört werde.

“Wenn Künstler von Natur sprechen, subintelligieren sie immer die Idee, ohne sich’s deutlich bewußt zu sein.

“Erst hört man von Natur und Nachahmung derselben, dann soll es eine schöne Natur geben. Man soll wählen; doch wohl das Beste: und woran soll man’s erkennen? nach welcher Norm soll man wählen? und wo ist denn die Norm? doch wohl nicht auch in der Natur?

“Und gesetzt, der Gegenstand wäre gegeben, der schönste Baum im Walde, der in seiner Art als vollkommen auch vom Förster anerkannt würde. Nun, um den Baum in ein Bild zu verwandeln [von Goethe ein sehr glücklicher Ausdruck!], geh’ ich um ihn herum und suche mir die schönste Seite. Ich trete weit genug weg, um ihn völlig zu übersehen; ich warte ein günstiges Licht ab, und nun soll von dem Naturbaum noch viel auf das Papier übergegangen sein!

“Suchet in euch, so werdet ihr alles finden, und erfreut euch, wenn da draußen, wie ihr es immer heißen möget, eine Natur liegt, die “Ja” und “Amen” zu allem sagt, was ihr in euch selbst gefunden habt.

“Es steht manches Schöne isoliert in der Welt, doch der Geist ist es, der Verknüpfungen zu entdecken und dadurch Kunstwerke hervorzubringen hat.”

Das sagt Goethe, unser größter Bildner, der nur darum die Welt so getreu und tief widerspiegelte, weil er, bei unaufhörlichem Wechseltausch zwischen außen und innen, seinen Geist in aufmerksamer Selbstzucht läuterte und sein Herz ehrfürchtig hielt für die Buntheit der gestalteten Schöpfung.

“Natur und Idee!” Beides gehört zusammen – wie Goethe und Schiller. Beide Dichter sind einig in dem Prinzip der Weltverklärung; nur überwog bei dem einen die Naturbeschauung, bei dem andern die Ideenbewältigung.

Natur von innen gab Schiller. Schillers unermeßlich Reich war, wie es in der Huldigung der Künste heißt, der Gedanke; und das geflügelte Werkzeug des beredten Mannes war das Wort. Und so lag es ihm fern, an der Außenseite und Erscheinung der Dinge herumzuflicken, da er sofort zum “stilleren Selbst” des Menschen vordrang, aus dem sich dann die aufbauende Tätigkeit von selber ergibt.

Wie sich der Geist von innen heraus den Körper baut und von einem gesicherten Zentrum aus die andrängenden Ereignisse in Empfindungen und Entschlüsse verwandelt, so geht alle Aufgabe der Erziehung dahin, diese Zentralkraft in der Kindesseele in Tätigkeit zu versetzen. Ist dies nun durch suggestives Vorbild einer selber warmherzigen Persönlichkeit gelungen, so ist das Spiel gewonnen. Denn von innen heraus baut nun das selbstdenkende Kind den Zellenstaat seiner kleinen Welt. Ganz von selber: denn es ist in die Wärmeschwingung versetzt, in der sich der schaffende Lehrer selbst befindet. Und so arbeitet es nun mit dem Lehrer zusammen, ergänzt ihn, fliegt ihm sogar oft voraus. Der Unterricht ist fortan ein Austausch zwischen zwei lebendigen Polen.

Anders freilich ist es beim Zeichenunterricht. Und hier ist der bemerkenswerte Punkt, wo die moderne, von Malerei und Kunstgewerbe beeinflußte “ästhetische Kultur” in ihrer Art ganz recht hat. Hier ist sie auf ihrem Gebiet. Hier sind wir nicht mehr im unermeßlichen Reich der Gedanken, und unser Werkzeug ist nicht mehr das geflügelte, suggestiv und elektrisch wirkende Wort. Hier handelt es sich um Übung des Auges. Und durch das Auge hindurch um Schulung des Symmetriegefühles, des Formensinnes, des malerischen und architektonischen Geschmackes. Hier wird in der Tat “von außen nach innen” unterrichtet; doch das “Innen” sitzt nicht tief und darf nicht tief sitzen, weil bei dieser Tätigkeit wesentlich die Sinne beteiligt sind, und zwar die Sehorgane. Aber der “große Forderer ästhetischer Kultur” hat andere Dinge gefordert.

Ihm war die Poesie vor allen Dingen ein inneres Erleben. Er fing die ästhetische Kultur mit sich selber an, indem er sich nicht an die räumlichen Dinge verlor, sondern sein “innerstes Selbst” suchte und fand, unter Leitung der großen Griechen, der Geschichte und der Kant’schen Philosophie, die ihm sein eigenes Ringen klärend widerspiegelten. Dieser schwere Gedankenweg brachte ihm eine wachsende Vergeistigung und damit eine bessere Verfeinerung auch der künstlerischen Mittel, als sie das bestgeübte Auge an und für sich zu erzielen vermag, Denn dies alles erzeugt zwar nicht die poetische Begabung, gibt ihr aber eine besondere Färbung. Matthisson war Dichter und Schiller war Dichter: aber in Schillers Welt war noch etwas anderes. Und eben dies andere macht ihn zum Klassiker.

Schiller stand seinen Gestalten nicht mit kühler Beobachtung gegenüber. Er war ihnen nahe wie ein Freund dem Freund, Arm in Arm, mit heißem Herzen. Oft hatte er mit einer gewissen Hitzigkeit zu kämpfen, der später Fieberkranke, wenn er ans Gestalten ging; er fand bei seinem heißen Gedankenandrang nicht immer die nötige ruhige Entfernung, sich “gelassen” (ein Wort, das Goethe so liebte) über sein geplantes Werk zu stellen, da der Mensch Schiller selber dramatischer Kämpfer war, der im Widerstreit von Seelenglück und Sinnenfrieden lange mitteninne stand. Man kennt den berühmten Frühlingsbrief des jungen Dichters aus der Bauerbacher Gartenhütte (1783):

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter L, Lienhard-Friedrich, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.