Widerlegung aller Häresien

Widerlegung aller Häresien – Hippolytus von Rom

Die “Widerlegung aller Häresien”, auch “Elenchus” oder “Philosophumena” genannt, ist ein umfassendes christliches polemisches Werk aus dem frühen dritten Jahrhundert. Es katalogisiert sowohl heidnische Glaubensvorstellungen als auch 33 gnostische christliche Systeme, die als häretisch gelten, und ist damit eine wichtige Informationsquelle für die zeitgenössischen Gegner der katholischen Orthodoxie. Das erste Buch, eine Synopse der griechischen Philosophie, zirkulierte separat in mehreren Manuskripten und war als “Philosophoumena” bekannt, ein Titel, den einige auf das gesamte Werk ausdehnen. Die Bücher IV-X wurden 1842 in einem Manuskript auf dem Berg Athos wiedergefunden, während die Bücher II und III verloren sind. Das Werk wurde lange Zeit dem frühchristlichen Theologen Origenes zugeschrieben.

Widerlegung aller Häresien

Widerlegung aller Häresien.

Format: eBook/Taschenbuch

Widerlegung aller Häresien

ISBN eBook: 9783849660635

ISBN Taschenbuch: 9783849667672

 

Auszug aus dem Text:

Buch I.

Inhalt

Der Inhalt des ersten Buches der Widerlegung aller Häresien ist folgender:

Die Namen und die Lehren der Naturphilosophen, die der Ethiker und die der Dialektiker.

Naturphilosophen sind Thales, Pythagoras, Empedokles, Heraklitus, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Archelaos, Parmenides, Leukippos, Demokritus, Xenophanes, Elephantos und Hippo.

Ethiker sind Sokrates, der Schüler des Naturphilosophen Archelaos, und Plato, des Sokrates Schüler. Plato vereinigt die drei Fächer der Philosophie.

Dialektiker ist Aristoteles, Platos Schüler; er schuf ein System der Dialektik; Stoiker sind Chrysippos und Zeno.

Epikur arbeitete ein fast allen anderen Philosophen entgegen gesetztes Lehrsystem aus.

Der Akademiker Pyrrho; er lehrte die Unbegreiflichkeit aller Dinge.

Die Brahmanen bei den Indern, die Druiden bei den Kelten und Hesiodos.

Man darf keine von den Lehren, die bei den Griechen in Geltung sind, mißachten. Denn selbst ihre unwissenschaftlichen Anschauungen erscheinen noch wahrscheinlich, wenn man sie mit der grenzenlosen Tollheit der Häretiker vergleicht, die nur durch Verschweigung ihrer Geheimnisse sich den Ruf der Gottesfurcht erhalten. Ihre Lehrsätze haben wir schon früher1 dargelegt, sie aber, ohne in Einzelheiten einzugehen, nur obenhin widerlegt; denn wir hielten es nicht für angezeigt, ihre Geheimnisse ans Licht zu ziehen; wir hofften, sie würden sich schämen, wenn wir andeutungsweise ihre Anschauungen berührten, und würden ihre unvernünftigen Ansichten und ihr unrechtes Beginnen aufgeben aus Furcht, wir könnten ihre Geheimnisse ganz bloßlegen und sie so der Gottlosigkeit überführen. Doch sie achten meine Rücksicht nicht, noch bedenken sie, daß Gott nur darum ihre Lästerungen mit Langmut erträgt, damit sie sich schämen und bekehren oder damit sie als Verstockte ihr gerechtes Urteil erhalten. So gehe ich denn notgedrungen weiter und enthülle die Geheimnisse, die sie ihren Jüngern mit großer Überzeugungskraft anvertrauen; doch darf sie keiner inne werden, bevor sie ihn nicht lange Zeit in Spannung gehalten, zum Gotteslästerer herangebildet und sich ganz unterwürfig gemacht haben und er dann vor Neugierde nach ihren Aufschlüssen brennt. Wenn sie dann überzeugt sind, er sei in die Sünde verstrickt, eröffnen sie ihm den Abgrund der Verworfenheit, weihen ihn ein und verpflichten ihn eidlich, nichts auszusagen oder einem anderen mitzuteilen, wenn sich dieser nicht gleichfalls knechten läßt; ergibt er sich nur einmal, dann war der Eid freilich nicht nötig. Denn wer wirklich ihre tiefsten Geheimnisse über sich ergehen läßt und erlernt, der ist durch diese Tatsache selbst auf Grund seines Schuldbewußtseins gebunden, anderen gegenüber zu schweigen. Denn wenn er einem Menschen dies zügellose Treiben verriete, würde er nicht mehr zu den Menschen gerechnet werden und wert gehalten werden, das Licht zu schauen, [er stünde unter]2 dem unvernünftigen [Tier]3, das solche Frevel, von denen am einschlägigen Ort die Rede sein wird, nicht wagt. Da wir nun aus zwingenden Gründen in eine abgrundtiefe Untersuchung uns einlassen, so wollen wir nichts verschweigen, vielmehr die Lehren aller ausnahmslos darstellen. Wir wollen die Untersuchung, so lang sie auch dauern mag, nicht aufgeben. Wir können den Menschen einen guten Schutz gegen den Irrtum bieten dadurch, daß sie die geheim gehaltenen Kulthandlungen der Häretiker klar sehen, die diese wie einen Schatz hüten und nur den Eingeweihten offenbaren. Es wird sie aber niemand anderer des Irrtums überführen als der in der Kirche gespendete Hl. Geist, den zuerst die Apostel empfangen haben und den sie dann den Rechtgläubigen mitteilten. Da wir als deren Nachfolger an derselben Gnade, Hohenpriesterwürde und Lehre teilhaben und zu den Hütern der Kirche gehören, so halten wir die Augen offen und verkündigen die wahre Lehre. Wir wollen, auch wenn wir mit allen Leibes- und Seelenkräften arbeiten müssen, nicht ermüden, sondern in würdiger Weise Gott, unserm Wohltäter, zu vergelten suchen; können wir ihm doch nicht anders in geziemender Weise danken als dadurch, daß wir in der uns anvertrauten Arbeit fortfahren, die uns zugemessene Zeitspanne ausnützen und die Gaben des Hl. Geistes allen neidlos mitteilen. Wir wollen nicht nur Irriges feststellen; es soll auch all das, was die Wahrheit durch die Gnade des Vaters empfangen und den Menschen dargeboten hat, klar gemacht, aus der Schrift bewiesen und rückhaltlos verkündet werden. Wir wollen also die Gottlosigkeit der Häretiker in ihrer Denkart, ihrem Charakter und ihrer Handlungsweise aufzeigen, sowie die Quellen, aus denen sie ihre Erfindungen schöpften. Sie sind ans Erfinden gegangen ohne Anlehnung an die Hl. Schrift, und ohne sich auf einen Heiligen berufen zu können; ihre Lehren stammen aus der Griechenweisheit, aus philosophischen Anschauungen, aus Mysterien4 und aus der Irrwege gehenden Astrologie. Wir legen also zuerst die Lehren der griechischen Philosophen dar und werden unsern Lesern beweisen, daß diese Lehren älter und Gottes würdiger sind als die der Häretiker; dann wollen wir die einzelnen Sekten miteinander vergleichen und sehen, wie sich die Sektenstifter über die griechische Philosophie hermachten, deren Grundlagen für sich verwerteten und immer tiefer sinkend ihre Lehre zusammenschmiedeten. Freilich ist dies Beginnen mühevoll und bedarf eingehender Forschung; doch wollen wir nicht nachlassen; später wird es uns Befriedigung gewähren, wie dem Wettringer der mühsam errungene Kranz, dem Kaufmann der trotz gewaltiger Seenot erzielte Gewinn, dem Landmann die mit vielem Schweiße eingeheimsten Früchte oder wie dem Seher die Erfüllung seiner Weissagungen nach erlittener Schmähung und Mißhandlung.

Wir stellen nunmehr die Frage, wer bei den Griechen zuerst Naturphilosophie gelehrt hat. Denn gerade von den Naturphilosophen haben die Sektengründer ihre Lehren gestohlen, wie wir durch Vergleichung feststellen werden. Dadurch, daß wir jedem sein geistiges Eigentum zuteilen, werden wir die Häresiarchen in ihrer schamlosen Nacktheit an den Pranger stellen.

1.

Thales aus Milet, einer der sieben Weisen, soll sich zuerst mit Naturwissenschaft befaßt haben. Er behauptete, Ursprung und Ende des Alls sei das Wasser; denn aus Wasser, sei es in festem, sei es in flüssigem Zustande, bestehe das Universum, und es schwebe auf dem Wasser; hievon kämen auch die Erdbeben, die Wechsel der Winde und die Bewegungen der Gestirne; alles sei in der Schwebe und im Flusse, wie es die Natur der ersten Werdensursache mit sich bringe; das, was weder Anfang noch Ende habe, sei Gott. Thales widmete sich auch der Lehre und der Forschung über die Gestirne und ist so für die Griechen der erste Begründer der diesbezüglichen Wissenschaft. Da er eines Tages zum Himmel hinaufschaute, um die Dinge oben genau beobachten zu können, wie er sagte, fiel er in einen Brunnen. Eine Magd, namens Thratta, lachte ihn aus und sagte: „Da er die Dinge am Himmel sehen will, übersieht er, was vor seinen Füßen ist.“ Thales lebte zur Zeit des Krösus.

2.

Ungefähr um dieselbe Zeit begründete Pythagoras, der Samier, wie ihn einige nennen, eine andere philosophische Schule. Man nannte sie die Italische, weil Pythagoras auf der Flucht vor dem Tyrannen von Samos, Polykrates, sich in einer Stadt Italiens niederließ und dort sein Leben beschloß. Seine Schüler blieben im allgemeinen bei seinen Anschauungen. Auch er forschte über naturwissenschaftliche Fragen und verband Astronomie, Geometrie, Musik und Zahlenkunde. Er bezeichnete die Einheit (Monas) als Gott, und auf Grund seiner Forschungen über das Wesen der Zahl behauptete er, der Kosmos gebe Klänge von sich und beruhe auf Harmonie; als erster schrieb er die Bewegung der sieben Gestirne dem Rhythmus und der Musik zu. Er wollte, daß seine Schüler aus Ehrfurcht vor der Weltordnung im Anfang Stillschweigen übten, da sie zur Welt gekommen seien, um sich in die Geheimnisse des Alls einweihen zu lassen. Wenn sie dann anscheinend hinreichend Unterricht genossen hatten und mit Sachkenntnis über die Gestirne und die Natur Forschungen anstellten, so erklärte er sie für rein und gestattete ihnen zu reden. Er teilte seine Schüler in zwei Klassen und nannte die einen Esoteriker, die andern Exoteriker. Erstere führte er in die vollkommenere Wissenschaft ein, letztere in die gewöhnliche. Er soll auch Magie getrieben haben und erfand die Physiognomik.

Indem er Zahl und Maß zugrunde legte, behauptete er, das Prinzip der Arithmetik begreife die Philosophie synthetisch folgendermaßen in sich: Prinzip ist die Urzahl, das Unbegrenzte nämlich und Unfaßliche; sie begreift alle Zahlenfülle in sich, die bis zum Unendlichen fortschreiten kann. Die erste Einheit ist wesenhaft das Prinzip der Zahlen; sie ist männlich und erzeugt nach Vaterart alle anderen Zahlen. Dann kommt die Zweiheit, eine weibliche Zahl, die von den Zahlenkundigen auch gerade genannt wird. Hierauf folgt die Dreiheit, eine männliche Zahl, die bei den Zahlenkundigen auch eine ungerade heißt. Zu all diesen kommt die Vierzahl, eine weibliche Zahl, die wiederum als weibliche gerade genannt wird.

Die sämtlichen Zahlen, nach ihrem Genus genommen — die Urzahl ist ihrem Genus nach unbestimmt — sind also vier; aus ihnen besteht die vollkommene Zahl, die Zehnzahl; denn eins, zwei, drei und vier ergeben addiert zehn, wenn jede Zahl ihren eigenen wesenhaften Namen (Wert) behält. Diese heilige Vierzahl, sagt Pythagoras, ist „die Quelle, die die Wurzeln der ewigen Natur“ in sich „enthält“, und diese Zahl ist das Prinzip aller Zahlen; denn die Zahlen elf und zwölf usw. hätten ihr Daseinsprinzip aus der Zehnzahl. Die vier Bestandteile der Zehnzahl, der vollkommenen Zahl, heißen: Zahl, Einheit, Quadrat, Kubus. Durch deren Verbindungen erfolgt Vermehrung und wird in der Natur die zeugungskräftige Zahl gebildet. Denn wenn das Quadrat mit sich selbst multipliziert wird, wird es Quadrat im Quadrat; wenn das Quadrat mit dem Kubus, wird es Kubus im Quadrat; wenn aber der Kubus mit dem Kubus, so gibt es Kubus im Kubus. So entstehen alle sieben Zahlen, aus denen das Werden quillt: Zahl, Einheit, Quadrat, Kubus, Quadrat-Quadrat, Kubus-Quadrat, Kubus-Kubus.

Pythagoras lehrte auch die Unsterblichkeit der Seele und die Seelenwanderung; dementsprechend sagte er von sich, er sei vor der trojanischen Zeit Äthalides gewesen, in der trojanischen Zeit Euphorbus, hierauf Hermotimos aus Samos, dann Pyrrhus aus Delos und an fünfter Stelle Pythagoras. Diodoros aus Eretria und der Musiker Aristoxenos berichten, Pythagoras habe den Chaldäer Zaratas5 aufgesucht; dieser habe ihm dargelegt, das Seiende habe von Anbeginn zwei Ursachen, Vater und Mutter; der Vater sei das Licht, die Mutter die Finsternis, die Teile des Lichtes seien das Heiße, das Trockene, das Leichte und das Schnelle, die Teile der Finsternis das Kalte, das Flüssige, das Schwere und das Träge; daraus bestehe die ganze Welt, aus Weib und Mann. Die Welt sei wesenhaft musikalische Harmonie, deshalb vollführe auch die Sonne ihre Umdrehung nach harmonischen Gesetzen. Bezüglich der Erden- und Weltdinge soll Zaratas gelehrt haben, es gebe zwei Gottheiten, eine himmlische und eine irdische; die irdische verursache das Wachstum aus der Erde; sie sei das Wasser; die himmlische sei das Feuer; es sei mit der Luft verbunden, Warmes mit Kaltem6. Somit beflecke oder vernichte keines dieser Dinge die Seele; denn sie seien das Wesen aller Dinge. Pythagoras hat, wie berichtet wird, verboten, Bohnen zu essen auf Grund des Ausspruches des Zaratas, daß die Bohne zu allererst, bei der Vermengung aller Dinge, beim Gerinnen und Zusammengären der Erde entstanden sei. Zum Beweise führt er an, daß, wenn man die Bohne mit den Zähnen enthülst und eine Zeitlang an die Sonne legt — diese übe dann gleich ihre Wirkung aus —, sie den Geruch menschlichen Samens von sich gebe. Ein anderer Beweis sei noch überzeugender, meint er; wenn man eine Bohnenblüte7 nimmt, in einen Topf legt und diesen verpicht in den Boden vergräbt und nach einigen Tagen öffnet, so sieht man, wie sie auf den ersten Blick die Gestalt etwa einer weiblichen Scham hat; bei genauerem Zusehen zeigt sich die eines frisch gebildeten Kinderkopfes.

Pythagoras starb den Feuertod zu Kroton in Italien zugleich mit seinen Schülern. Bei ihm war es Brauch, daß, wer zu ihm kam, um sein Schüler zu werden, sein Hab und Gut verkaufte und das Geld versiegelt bei ihm hinterlegte. Ein solcher hatte dann bald drei, bald fünf Jahre Stillschweigen zu halten und zu lernen. Nach Ablauf dieser Probezeit durfte er entweder weiterhin Schüler bleiben, an der Gesellschaft der anderen und am gemeinsamen Tisch teilnehmen, oder aber er erhielt sein Eigentum zurück und wurde entlassen. Die Esoteriker hießen Pythagoreer, die anderen (die Exoteriker) Pythagoristen. Aus dem Brande entkamen des Pythagoras Schüler Lysis und Archippos sowie sein Diener Zamolxis, der die keltischen Druiden die pythagoreische Philosophie gelehrt haben soll. Die Kenntnis der Zahlen und der Maße soll Pythagoras von den Ägyptern gehabt haben. Er empfing von der gut begründeten, blendenden und schwer zugänglichen Weisheit der ägyptischen Priester einen tiefen Eindruck, führte nach ihrem Vorgang Stillschweigen bei seinen Schülern ein und ließ sie in unterirdischen Räumen ein zurückgezogenes Leben führen.

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