Vor der Ehe

Vor der Ehe – Ida Boy-Ed

Ida Boy-Ed war berühmt für ihre teils sozialkritischen Frauenromane, zu denen auch das Werk “Vor der Ehe” zählt. Die Schriftstellerin verfasste über siebzig Romane und Erzählbände.

Vor der Ehe

Vor der Ehe.

Format: eBook.

Vor der Ehe.

ISBN eBook: 9783849654917

 

 

Auszug aus dem Text:

Die Tagesarbeit war abgeschlossen. Nun saß Frau Sophie an ihrem Teetisch und zögerte noch, sich mit der Post zu beschäftigen. Es tat so wohl, den Nerven eine kurze Schonung zu gönnen. Es war so notwendig, sich diesem Zustand hinzugeben, der Erschöpfung nach großer geistiger Anstrengung zu sein schien. Sophie kannte das aber wohl, wie sich gerade in dieser Ruhe die noch undeutlichen Anregungen aus den letzten Arbeitsstunden zu klaren Erkenntnissen für das Schaffen des nächsten Tages gestalten konnten.

Gerade über ihrem Kopf, im vierten Stockwerk, wußte sie ihr Atelier. Es lag nun verlassen, vom Abend des früh geendeten Novembertages erfüllt, auskältend und kahl. Es war streng eingerichtet, nur für den Arbeitszweck. Und in ihrer Phantasie sah Sophie von der Staffelei her das altersbleiche Gesicht und die klugen, milden Augen der fürstlichen Greisin, deren Bildnis sie eben malte, gleich einem blassen, schwach erkennbaren helleren Fleck im Dunkel des Raumes. Sie malte in ihren Gedanken immer noch daran weiter. Nichts störte sie in dieser rückblickenden Vertiefung. Um sie war eine so behütete Stille, daß sich die Nerven davon geliebkost fühlten. Und wie angenehm war die sanfte Beleuchtung für die Augen, die den ganzen Tag ihren Beruf, zu schauen, mit der größten Anspannung erfüllt hatten.

Sophie seufzte tief auf, in einer ganz einfachen, unbeschreiblichen Zufriedenheit. Aus allen Ecken und Winkeln des Zimmers schien die Ruhe auf sie zuzukommen und sie in ihre Arme zu nehmen. Und sie dachte: das ist nun auch einer von den Genüssen, die die Jungen und die Berufslosen nicht kennen, diese Hingegebenheit an den Augenblick, der einmal nichts von einem fordert!

Freilich, da lag ein Brief von ihrem Aeltesten. Und sie wußte vorweg: er schrieb nicht einfach. Seine Worte hatten Gehalt, oft schwerer Art.

Aber erst kam der Tee. Der duftete ihr fein entgegen. Er war ihr Lebenstrank, ihr Anreger, ihr Erretter aus jeder Abspannung, ihr »Laster«, wie sie scherzend zu sagen pflegte. Und der Eine, dem ihr Dasein kostbar war, der schalt wohl gelegentlich über die vielen Tassen Tee, die sie sich nach arbeitshartem Tag gern gönnte. Wie beglückend war der Gedanke an diese Strafpredigten. Mit einem seligen Lächeln genoß sie diese Erinnerung an seine Fürsorge; und das Lächeln wurde beinahe zum deutlichen Lachen, als sie nach Frauenart den Vermahnungen zuwiderhandelte und sich die dritte Tasse eingoß. Um mich für Allerts Brief zu rüsten, dachte sie entschuldigend. Und fühlte sich nun auch so frisch, um die schwierigsten Debatten gegen den Brief des Sohnes auszufechten. Denn seine Briefe waren wie ein wichtiger Mensch, mit dem man sich sehr genau über alle Fragen auseinandersetzen will und muß, koste es noch so viele Mühe des Herzens und Verstandes.

Er kämpfte ja einen prachtvollen, harten Arbeitskampf, von dem man noch nicht wußte, wie er ausgehen würde. Aber Sophie glaubte: gut! Sie dachte: eiserner Wille, starkes Können! Das gibt Sieg. Freilich mit Kapital war er beengt. Das machte es so schwer.

Könnte ich ihm geben – könnte ich doch! wünschte sie. Aber wo sollte sie es hernehmen? Solche Summen? Kleine taten es ja nicht. Allert schrieb:

»Liebe Mutter!

Es freut mich außerordentlich, daß Du die alte Durchlaucht malen darfst. Das fünfte Porträt dieses Jahr. Und immer feine Köpfe, angesehene, ja erste Persönlichkeiten. Du kannst also, so nahe dem Abschluß des Jahres, wieder einmal auf künstlerisch und finanziell lohnende Resultate zurücksehen. Die ersteren sind freilich wohl wieder stärker als die letzteren. Es erbittert mich immer neu, wenn ich erfahre, daß Deine männlichen Kollegen, mögen sie Dir auch künstlerisch nachstehen, doch höhere Honorare erhalten. Aber Du behauptest Dich in der Front der Schaffenden. Und das ist die Hauptsache. Raspe und ich sind stolz auf Dich. Wenn ich bedenke, wie spät erst Du Dir Deines Talentes recht bewußt wurdest, wie Du in der Sorgenzeit nach Vaters Tod den Mut hattest, Deine Begabung auszubilden und zum Beruf zu wählen, so kann dies meine Bewunderung für Deine Erfolge nur steigern.

Damit hast Du uns viel gegeben, gibst uns jeden Tag. Wir sehen Dich von der eigenen Kraft jeden Tag, unabhängig von Stimmungen und körperlichen Beeinträchtigungen, das Aeußerste fordern! Wie mir das hilft – wenn mir unmutige Augenblicke kommen wollen! Ja, Mutter, dann hilft es mir, an Dich zu denken. Und darum muß es Dich nicht bedrücken, daß Du mir nicht mit Kapital beistehen kannst und sollst. Denn das bißchen, was Du Maßvolle von Deinen Einkünften nicht brauchst und zurücklegst, muß zur Sicherung Deines Alters dienen. In die Industrie darfst Du es nicht hineingeben.

Sorge Dich, bitte, nicht. Ich hege die Hoffnung, einen Kommanditisten zu finden. Die Einblicke, die ich einem Geldgeber – sei es ein Privatmann oder eine Bank – gewähren kann, sind ff. Wer die Dinge zu beurteilen vermag, muß erkennen, daß mein Unternehmen blühen will – blühen wird, falls man es nur mit etwas mehr Kapital beweglicher macht. Es wird sich finden. Sei ruhig.

An Onkel Just will ich nicht herantreten. Er gab mir vor vier Jahren das erste Geld. Das war schön von ihm, wenn er’s auch mit borstigem Wesen gab. War ja voll Aergernis und Gegenmeinung, weil ein Hellbingsdorf Fabrikant und Kaufmann geworden war und bleiben wollte. Komisch: daß durch ganz Danzig seine hellblauen Milchwagen fahren mit der Aufschrift: Hellbingsdorfer Meierei, Vollmilch, Magermilch, Fettkäse usw., findet er ganz selbstverständlich. Das vereinbart sich mit dem feudalen Charakter eines landwirtschaftlichen Betriebes. Aber Blechbüchsen mit dem Aufdruck: Farbwerke Allert von Hellbingsdorf, sind ihm ein greulicher Anblick, und die Lackfarben dieses Werkes könnten noch so vorzüglich sein – er möchte nicht, daß in seiner Remise ein Leder damit gelackt würde!

Er gibt nicht zu, daß zwischen den Produkten der Scholle und denen der Industrie nur ein Art-, kein Rangunterschied sei. Jawohl, solche Anschauungen kommen immer noch vor. Und es ist um so putziger, als doch die Maschine auch in der Landwirtschaft triumphiert.

Er begreift immer noch nicht, daß der Adel, teils durch eigene Schuld, teils gedrängt, heute in eine Stellung gekommen ist, wo er sich verteidigen muß, um sich zu behaupten. Das einzige, modernste und erfolgreichste Verteidigungsmittel ist aber doch Arbeit!

Ich bin ein Edelmann und denke es zu bleiben und finde es zeitgemäß, daß auch ein solcher sich am industriellen und kaufmännischen Kampf beteiligt und sich dann durchzufechten versucht. Früher focht man mit Lanze und Schwert. Die Waffen haben gewechselt. Das ist alles.

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