Das Vaterunser – Das Gebet des Herrn

Das Vaterunser – Das Gebet des Herrn – Emil Frommel

Emil Frommel (1828-1896), geboren in Karlsruhe, war ein deutscher Pfarrer und Schriftsteller. Er studierte in Halle an der Saale, Erlangen und Heidelberg, hatte mehrere Pfarrstellen inne, diente im Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871 als Militärseelsorger und wurde 1872 zum Hofprediger in Berlin und zum Pfarrer der dortigen Garnison ernannt. In diesem Band finden sich seine thmatisch am Vaterunser orientierten Predigten und Gedanken.

Das Vaterunser - Das Gebet des Herrn

Das Vaterunser – Das Gebet des Herrn.

Format: Paperback, eBook

Das Vaterunser – Das Gebet des Herrn.

ISBN: 9783849665074 (Paperback)
ISBN: 9783849663339  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Allgemeines zum Vaterunser

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: Lucä Kap. 11, Vers 1 – 5.

In Christo geliebte Gemeinde! Am kurpfälzischen Hof gab sich zur Zeit (es war bald nach 1555), als das Land von den Feinden gefährlich bedroht war, über der Tafel die Rede, wie sich wohl ein jeder durchzubringen gedächte, wenn der Kurfürst von Land und Leuten sollte vertrieben werden. Darauf gab’s allerhand Antwort. Da sagte der Eine: „Ich kann fechten,“ ein Anderer: „Ich kann Netze stricken,“ ein Anderer: „Ich kann die Laute spielen“ und wieder Einer: „Ich kann Dreherarbeit.“ Als die Reihe an den frommen Junker Otto von Grünrad kam, sagte er: „Und ich kann beten. Und von dieser Stund‘ an will ich solches Handwerk, nämlich das Gebet, bei dem treuen Gott anwenden, er wolle uns behüten, daß wir all der vorangedeuteten andern Handwerke nicht bedürfen.“

Wer von Allen das beste Handwerk gekonnt, das mögt ihr leicht sehen. „Eines Christen bestes Handwerk ist Beten“ sagt Luther. Das ist das einzige, das einen ächt goldenen Boden hat. Denn wo bei einem Handwerk das Beten fehlt, da hat der goldene Boden ein Loch, zu dem Alles wieder hinaus rinnt. Darum sagen wir mit dem Liede:

Wer ist ein Mann?

Der beten kann.

„Ich kann beten“ hat also der Junker gesagt. Kannst du’s auch mein Christ? Du brauchst es so nothwendig als er. Die Zeiten sind noch böser. „Beten“, sagst du, „das kann ich; ich lese meinen Morgen- und Abendsegen alle Tage.“ Das will ich glauben. Aber damit kannst du noch nicht beten. Das tiefste Gebet muß ein eigenes sein, das aus dem Herzen frisch hervorquillt. Das muß aber gelernt sein, wie man jede Kunst lernen muß. – Zu welchem Lehrmeister wollen wir da in die Schule und Lehre gehen? Ich meine zu dem Herrn, der gebetet hat, wie nie ein Mensch gebetet, dem kein Gebet fehlgeschlagen; zu Dem, der in den Tagen seines Fleisches Thränen und Gebet und starkes Geschrei geopfert hat dem, der ihm konnte vom Tode aushelfen. Dieser Meister im Gebet ist unser Herr Jesus. Er hat seine Jünger einst beten gelehrt, und ein theures Vermächtniß hinterlassen, daraus alle Geschlechter nehmen sollen. Ein Vermächtniß, das bis in das Ende der Tage reicht, an dem sich das letzte Menschenkind noch erquicken wird. Das ist das heilige Vaterunser. Alle wahren und rechten Gebete fließen aus ihm heraus und stießen wieder da hinein. Es ist gleichsam die Weise und Melodie nach der alle Gebete gehen sollen, wenn auch nicht immer dieselben Worte gebraucht werden. Diese goldene Regel aller Betkunst möchte ich Euch in diesen Stunden ans Herz legen und Euch in den Reichthum derselben in aller Schwachheit einführen.

Für’s Erste lasset mich Euch heute das Vaterunser lieb machen, indem ich Euch den vollen Werth desselben zeige; und dann wollen wir in den nächsten Stunden die uns geschenkt werden, daraus recht beten lernen, auf daß wir beten können in der bösen Zeit und einst aufgenommen werden in die selige Beterschar dort oben an seinem Throne.

Sein hoher Werth wird uns aber recht offenbar werden, wenn wir schauen:

1.       Wer es gemacht hat.

2.       Wies darin gesagt und

3.       Wie Alles darinnen geordnet ist.

Herr Jesu! du großer und gewaltiger Beter, der du in den Tagen deines Fleisches gerungen und gebetet, und jetzt für uns betest auf dem Throne deiner Majestät! – Nimm du uns mit auf den Berg, da du deine Jünger beten lehrtest. Ach lege du auch uns die Bitte auf die Lippen: „Herr lehre uns beten!“ Falte du unsre Hände, hebe du unsre müden Augen auf zu den Bergen, von dannen uns Hülfe kommt! Mache aus unserer Gemeinde ein Heldengeschlecht von Betern, das dir Alles abbeten und abglauben kann! Wer nicht beten kann, den lehre Du es; wer nicht beten will, dem beuge seine Kniee in dieser Zeit, auf daß du sie ihm nicht brechen müssest am Tage deiner Wiederkunft! Wer da beten kann, den lehre Du recht beten! Dazu salbe meinen Mund, sende deinen Seraph mit der glühenden Kohle, der meine unreinen Lippen entsündige, und gib, daß ich dein heiliges Gebet nicht auslege nach armer Menschenweisheit! Segne dein Wort, daß an jedem Orte wieder heilige Hände aufgehoben werden und heilige Lippen dich preisen; hier in Schwachheit und in mancherlei Trauer, dort aber in großer Kraft und mit unaussprechlicher Freude! Amen.

1. Wer hat’s gemacht?

Zweimal hat der Herr das Vaterunser gebetet. Es ist, als ob Er es uns damit recht fest hätte einbinden wollen. Einmal in der Bergpredigt, wo dies einfache Gebet neben dem vielen Plappern der Heiden steht; und das andere Mal, da ein Jünger den Herrn bittet um ein Gebet – um ein besseres als Johannes der Täufer die Seinen gelehrt, die mit ihm auf der Schwelle des neuen Bundes standen, – also um ein neutestamentliches Reichsgebet. Der Heiland willfährt, nachdem er zuvor über die rechte Art des Gebetes geredet und spricht zu ihm: Wenn ihr betet, so sprechet: Vater unser rc. Also der Herr Jesus ist es, der es gemacht hat, und daraus magst du schon seinen Werth erkennen. Die Welt und ihre Kinder fragen bei einem bedeutsamen Worte zuerst, wer’s gesagt hat, noch ehe sie nur recht geprüft haben was gesagt worden ist; ist’s einer ihrer Helden gewesen, da muß es wahr sein und schön; ist’s einer ihrer Reichen, da muß es wie der Psalm sagt: „vom Himmel herab geredet sein“. „Er hat’s gesagt,“ so sprachen einst die Schüler eines heidnischen Weltweisen und das war ihnen Beweises genug, daß es recht und wahr sei, was gesagt war. Das sollst du nicht thun, aber bei deinem Heiland darfst du’s thun und kühnlich sprechen: „Er hat’s gesagt“ und darum ist’s vom Himmel herab geredet, ist’s wahr und gut. Es ist ja des Vaters eingeborenes Kind, das da redet, das allein Gott gesehen und in seinem Schooße saß, das allein auch den Abgrund des väterlichen Herzens kennt. Er that darum den rechten Griff in’s Vaterherz und weiß, wie man’s fassen und zu sich neigen kann. Wie wäre es, (vielleicht ist dir’s in deinem Leben schon einmal vorgekommen) wenn du an einen hochgestellten Herrn eine rechte Bitte hättest, wüßtest aber nicht, wie du ihm beikommen könntest und es träte das Kind jenes Herrn zu dir und sagte: „Komm, ich will dir zeigen, wie du meinem Vater die Bitte vortragen mußt und sein Herz bewegen kannst, ich kenne ihn;“ ja, setzte dir selber deine Bitte auf, und der Vater erkännte die Schrift und den Sinn seines lieben Kindes – meinest du nicht, daß du würdest gut damit fahren? Nun siehe; ist’s hier nicht ebenso? ist nicht das, daß des Vaters einig Kind dich beten lehrt eine sichere Bürgschaft, daß du erhöret wirst? „Denn das ist ja die Freudigkeit, daß so wir etwas bitten nach seinem Willen, so erhört er uns.“ So sagt schon der Märtyrer Cyprian: „Dies Gebet hat der gemacht, deß Worte Geist und Leben sind, der uns den Geist des Gebets hat verdienen müssen, sollten seine Worte nicht die Kraft haben, daß über den Beter der Geist der Gnade reichlich herabkomme? Dies Gebet hat der gemacht, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit.“ Sollte nun Er, der kein Mensch ist, daß Er lüge. Etwas sagen und nicht thun? Sollte der Etwas reden und nicht halten? Sollte Gott nicht solches Gebet hören was aus der Wahrheit kommt, Er, der wahrhaftige Gott? Wie kann Gott eher gewonnen werden, als wenn Er seine eigenen Worte sieht? Was kann einem Vater eher das Herz brechen, als wenn er die Bittschrift sieht, die sein Kind mit eigenen Fingern geschrieben hat?“ und Augustinus setzt dazu: „Wie sollten wir nicht Hoffnung haben, unsere Sache zu gewinnen, da ein solcher Rechtsgelehrter uns die Supplik an die Hand gegeben?“ Er selber, das Kind aus des Vaters Hause, gibt uns die Schlüssel zum Vaterherzen und zu allen Schatzkammern. Ein Kind kennt die Schlüssel im Hause, und seine Schlüssel täuschen nicht!

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