Aus meinem Bühnenleben

Aus meinem Bühnenleben – Karoline Bauer

Die 1807 in Heidelberg und 1877 in der Nähe von Zürich verstorbene Karoline Bauer gehörte zu den erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen der Biedermeierzeit. Nach ersten Gastspielen in Karlsruhe, wo sie schnell zum Publikumsliebling avancierte, ging sie nach Berlin, wo sie an der Hofbühne auftrat. Es folgten Engagements in St. Petersburg, Wien, Budapest, Leipzig und vielen anderen Städten. Dies ist ihre Biografie. Der Text des Originals aus dem Jahre 1871 wurde insofern überarbeitet, dass die wichtigsten Begriffe und Wörter der aktuellen Rechtschreibung entsprechen.

Aus meinem Bühnenleben

Aus meinem Bühnenleben.

Format: Taschenbuch/eBook

Aus meinem Bühnenleben

ISBN Taschenbuch: 9783849666408

ISBN eBook: 9783849661540

 

Auszug aus dem Text:

 

I. Die erste Gage.

Ich hatte das Glück, eine engelsmilde, vortreffliche Mutter zu besitzen. Sie liebte mich und meine drei Geschwister zärtlichst und hätte ihr Leben freudig für uns geopfert, — aber sie konnte auch streng und energisch verfahren.

Mit 23 Jahren Witwe geworden — mein Vater blieb in der Schlacht bei Aspern, als ich noch nicht zwei Jahre zählte — schön, anmutig, geistreich, wies sie jeden Heiratsantrag zurück, um sich ganz ihren Kindern widmen zu können und das Andenken des Seligen treu zu bewahren. Es war keine leichte Aufgabe für eine so junge Witwe: ohne bedeutendes Vermögen vier Kinder zu erziehen, fern vom heimatlichen freundlichen Coburg und den Verwandten, — ohne jede andere Stütze, als die allgemeine Achtung der Menschen und ihr unerschütterliches Vertrauen zu Gott! — So steuerte sie mutig vorwärts und überwand das Schwerste.

Meine ältere Schwester war ein wunderbar begabtes Wesen, hold und lieblich; sie starb am Nervenfieber, erst zwölf Jahre alt. Die Brüder waren gutmütig, geistig aufgeweckt, aber wild und unbändig, wie die meisten Knaben in unserem Wohnorte Bruchsal im Großherzogtum Baden. Die fast ununterbrochenen Truppendurchmärsche 1813—1814, die Einquartierungen störten die Hausordnung der Familien und die gequälten Eltern vermochten ihre Kinder nicht vom Umgang mit den Soldaten zurückzuhalten. Da hatte auch unsere Mutter ihre liebe Not. Sie strafte zwar sehr streng, sperrte nicht selten die Brüder bei schmaler Kost ein, — doch das half nur auf kurze Zeit.

Auch ich drohte zu verwildern, denn ich liebte die Brüder über Alles und begleitete sie nur zu gern, wenn Kosaken oder Mameluken zu sehen waren. Ich jauchzte dann lustig mit: Hurra! oder: Vive l’Empereur!! —

Bis zu meinem sechsten Jahre kleidete die Mutter mich als Knabe, weil ich zu unschön als Mädchen aussähe. Die starken Züge, die große Nase passten eher zum gelockten Tituskopf, und ein leichter Gang und Mobilität in allen Bewegungen ließen mich im Knabenkostüm hübscher erscheinen. Ich war auch nicht wenig stolz auf meinen Sonntagsanzug von dunkelblauem Tuch mit Spitzenkragen und hellgelben Saffianstiefelchen. Ich hatte zwei Titel: »Großnase« und »kleine Komödiantin«. Der erste demütigte mich gar nicht, der zweite erfüllte mich mit Stolz. Ich bildete mir nicht wenig darauf ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchsal einige Vorstellungen gegeben, nachahmen zu können, so auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angesehen. Wenn Trübsinn im Hause herrschte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Komödiantin, spiele uns etwas vor!« — und die kleine Komödiantin gab sich alle Mühe, die Traurigen zu erheitern. Wenn bei Kaffeevisiten die Unterhaltung stockte, hieß es: »Linchen, tanze!« und freudestrahlend tat ich mein Bestes. Einen Stock als Balancierstange nach Art der Seiltänzer haltend, stellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pseudo-Seil mit den zierlichsten Pas. Eine alte Dame, die einst diese Seiltänzersprünge sah, hielt mich für — behext — und schlug das Kreuz vor mir. Erst meine der Kammerjungfer abgelauschten Lieder: »In einem Thal bei armen Hirten«, und »Willst Dich, Hektor, ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend gesungen haben soll, vermochten sie etwas zu beruhigen. — Einst mussten viele Knaben Bruchsals ins Gefängnis wandern, so auch meine Brüder als Hauptschuldige — als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen — und verbrannten sich dabei nebst einigen Scheunen. Die Brüder saßen im Nord- und Südturm. Da war es wenigstens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südturm. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufsprechen und Obst und Brot für sie abliefern. Da stand ich denn zuerst am Nordturm: »Louis! wie geht’s Dir da oben?« — Ein blasses, feines Gesicht sah zum kleinen Fenster heraus: »Ganz gut, Linchen!« — »Hast Du Hunger?« — »Nein! gib es dem Karl, der hat immer Hunger; lebe wohl! grüß’ die Mutter.« — Dann eilte ich nach dem Südturm: »Karl, wie geht’s Dir in Deinem Krähennest?« — Das runde, sonst so übermütig lustige Gesicht meines ältesten Bruders sah wehmütig nieder. »Nicht gut, Lina.« — »Willst Du Obst und Brot?« — »Gewiss! ich habe Hunger,« und der Wärter trug ihm meine Schätze hinauf …

Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine Pension, um sich zum Kaufmann auszubilden, Karl in die Junkerschule, um Offizier zu werden. Die Mutter trennte sich ungern von Bruchsal, sie hatte mit unserm Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot stand, dort glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen ging sie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward beseitigt; und ich erschien schon weniger hässlich als Mädchen; die Nase hielt glücklicherweise im Wachstum inne und mich schmückte blühendste Gesundheit.

In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf — und vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes »Komödiantin«, nachdem ich im großherzoglichen Theater einige Vorstellungen gesehen hatte. Nichts vermochte mich so zu beseligen, als wenn ich das Theater besuchen durfte; mit nichts wurde mein Fleiß mehr angespornt, als durch das Versprechen: »Du darfst dann auch morgen ins Theater gehen!« Als die Händel-Schütz »lebende Bilder« stellte, stand ich mit den der Mutter abgebettelten 24 Kreuzern schon zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung an der Eingangstür des Museumssaales. Aber nachdem ich diese in der Tat lebensvollsten Bilder gesehen, wurde es der Mutter mit mir fast zu bunt. Was einem Vorhang, Shawl, einer Draperie glich, wurde zusammengeschleppt und benutzt, um die Händel-Schütz nachzuahmen, bis endlich das mütterliche Machtgebot dem Treiben ein Ende machte. Ja, die »kleine Komödiantin« durfte nur selten noch das Theater besuchen. Meine Mutter eiferte mich stets zum größten Fleiße an: »Benutze die kostbare Zeit!« Sie erlaubte auch nie, dass ich mich bedienen ließ. Ich musste mich ohne Hilfe frisieren, mich selbst ankleiden, das Zimmer aufräumen, meine Kleider und Wäsche in Ordnung halten … und auf rebellische Fragen: »Aber, Mama, wozu ist denn die Kammerjungfer da?« gab’s die ernste Antwort: »Kind, Du wirst es mir später noch danken! — Je mehr Du lernst, Dir selber zu helfen, desto unabhängiger wirst Du sein und jede schwierige Lage leichter ertragen!«

Ich lernte eifrig und wurde bald die Erste in der Klasse. Auf dem Klavier übte ich mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit. Die Mutter hielt mir den besten und teuersten Klavierlehrer, Marx. Noch nicht 13 Jahre alt, spielte ich das D-moll-Konzert von Mozart mit Orchesterbegleitung in einem Dilettantenkonzert im Museumssaal. Gern hätte ich mich ganz der Musik gewidmet. —

Einige Wochen später, als ich das Mozartsche Concert gespielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem Siegel an. »Poststempel Eisenach?« sagte die Mutter, »dort kenne ich Niemand, als meine Stiefschwester.« — Als sie den Inhalt überflogen, sank sie totenblass aufs Sofa … Die Stiefschwester hatte eine gerichtliche Klage wegen der Erbschaft vom seligen Großvater angestrengt. Sie beanspruchte die Hälfte von Allem, was meine Großmutter zurzeit erhalten.

Verlor die Mutter den Prozess und musste herauszahlen, so blieb ihr nur die mäßige Pension als Rittmeisterswitwe. Unsere Erziehung und die Kriegsjahre hatten große Opfer gefordert. — Der berühmteste Advokat wusste auch keinen besseren Trost: »Im schlimmsten Falle müssen Sie das Geld erst nach einem Jahr herauszahlen.«

Sogleich war mein Entschluss gefasst. Als wir allein waren und die Mutter blass und angegriffen ihr Herz durch Tränen erleichterte, fiel ich ihr um den Hals — und fröhlich, zuversichtlich rief ich aus: »Sei ruhig! — in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen ab! Mutter, lass die kleine Komödiantin Schauspielerin werden — ich fühle: es soll so sein — gewiss, ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrat Kazner mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu sprechen, mich von sechzig vornehmeren, reicheren und begabteren Mädchen! — Weshalb? — — Weil er voraussetzte, dass ich es am besten vortragen würde … Und hat man nicht in der großen Kirche jedes Wort verstanden? Weinten nicht Viele und sagten nachher, ich hätte sie durch meine gefühlvolle Rede zu Tränen gerührt? Oh, ich will mich übermenschlich anstrengen, um vor dem vierzehnten Jahre auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich die erste Gage ein.« Die Mutter umarmte mich, sagte aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte und Freunde wurden zu Rat gezogen, es wurde dafür und dagegen gesprochen. Die Mutter schrieb nach Kassel an den Bruder des seligen Vaters, den General Bauer, allein dieser riet zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt der Familie in Coburg sollte entscheiden, der Neffe der Mutter, der nachher so berühmt gewordene Baron Stockmar. Wir reisten nach Coburg, die Verwandten lernten mich kennen, und — — der kluge, prächtige Vetter sagte in seiner humoristischen, herzigen Weise zur Mutter: »Tante Christiane! — Bis jetzt ist unsere Familie mit Talenten nicht gesegnet gewesen, es soll mich freuen, eine Künstlerin Cousine nennen zu können; aber das bitte ich mir aus, Lina, dass Du eine wahre, edle, tüchtige Künstlerin wirst.«

Ich hatte also gesiegt! — und mit Riesenschritten ging es dem ersten Versuch entgegen.

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