Der Dunkelgraf

Der Dunkelgraf – Ludwig Bechstein

Der in literarischen Kreisen äußerst beliebte Verfasser nahm sich ein unlösbar scheinendes Rätsel zum Stoff dieses Romans – ein Rätsel, an dessen Klarstellung selbst die damalige Tagespresse alle Kräfte versuchte, ohne jedoch zu einem Resultat gekommen zu sein. Es ist jene so viel Aufsehen erregende Geschichte von dem “unbekannten Grafen”, der eines Tages nach Eishausen, einem Dorf in der Nähe von Hildburghausen, kam, und dort ein wenn zwar Aufsehen erregendes doch einsames Leben führte. Niemand wusste woher er, noch seine Begleiterin, eine immer tief verschleierte Dame, kam, noch kannte man seinen Namen. In Folge seines höchst abenteuerlichen Lebens und Treibens bildeten sich bald die wunderlichsten Sagen im Volksmund. Die einen wollten in ihm einen Sonderling, einen reichen Holländer, die anderen einen Narren oder einen der Strafe entflohenen Verbrecher erblicken. Daneben standen jedoch reichliche Wohltaten, die er der verarmten Umgebung zufließen ließ, und so erklärt sich auch die Tatsache, dass man ihm, da er sonst ein unbescholtenes Leben führte, mit Rücksicht begegnete, und nicht weiter in diese rätselhafte Erscheinung von Seiten der Behörde drang. Das ganze Bild eines so abenteuerlichen Mannes hat nun Bechstein nach den Andeutungen der ihm zu Gebote stehenden Quellen auf das gelungenste gezeichnet und das Rätsel gelöst . Die Erzählung führt uns zudem in die höchsten Kreise und greift in die bedeutendsten politischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts ein .

Der Dunkelgraf

Der Dunkelgraf.

Format: eBook/Taschenbuch.

Der Dunkelgraf.

ISBN eBook: 9783849661557

ISBN Taschenbuch: 9783849666415

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Geheimnißvoll murmeln die Wellen und schlagen nur leise an die Ufer des friedlichen Busens, in welchen das Flüßchen Jahde, vorüber rinnend an den einzelnen Häusern des friesischen Dorfes gleichen Namens und der Jahdekirche, sich geräuschlos einsenkt, um dann als breite Stromfläche aus dem zur Fluthzeit fast gerundet erscheinenden Becken mit dem Weserausstrome sich zu vereinen und in die Nordsee sich zu ergießen. Nur wenige größere Fahrzeuge liegen an der Rhede von Färhuk vor Anker, mit Kaufmannsgütern befrachtet, oder auf Einschiffung solcher harrend; es sind Schmakschiffe, die mit vierzig bis fünfzig Lasten die Erzeugnisse des Landes Oldenburg dem Verkehr der nachbarlichen Seehäfen zuführen, und außer ihnen ungleich mehr Barken und Kähne für die Vermittelung des nächstnahen Handelsbetriebes der ausgedehnten Marschlande. Tief in das Land eingebettet, mehr einem großen Binnensee ähnlich, als einem eigentlichen Meerbusen, vor Stürmen geschützt, wie vor heftiger Brandung selbst bei höchster Fluth, ruht dieses Gewässer, und dabei befahrbar von den größten Schiffen, von Klippen frei wie von Treibeis, an jeder Stelle trefflichen Ankergrund darbietend.

Es ist derselbe Jahdebusen, auf welchen in der Gegenwart sich hoffnung- und freudevoll die Blicke zahlreicher deutscher Vaterlandsfreunde richten; auf dem die schwarz-weiße Flagge Preußens von stolzen Kriegsschiffen, die hier ihren Hafen fanden, wehen, und diesem Winkel zwischen Land und Meer dereinst vielleicht eine hohe geschichtliche Bedeutung verleihen wird. Sechs Jahrzehnte zurück! Eine dunkle Frühlingsnacht und dichter Märznebel schleiern all’ die Wellen und Wogen, die Geesten und Sielen ein; kaum erreicht die dämmernde Helle der in den Häusern des Dorfes Jahde brennenden Lichter den Deichdamm, der das Jahder Watt umgrenzt. Ueber das erstorbene flüsternde Schilf und Riethgras des vorigen Jahres in den mit zahlreichen Wassergräben durchzogenen Sumpfstrecken um die Dörfchen Jurgengrave und Moorhusen tanzen lustige Irrwische. Dort liegt das Städtchen Varel mit seinem stattlichen Herrenschloß und seiner ummauerten Kirche; dunkel ragen durch den Nebel die Werke des Forts Christiansburg und zwischen diesem und dem Ort spreitzen sich wie ein riesiges Nachtgeisterpaar zwei Windmühlen von bedeutender Größe. Aber die gewaltigen Flügel rasten und ruhen wie eingeschlafen; Stille schwebt über den Wassern, Stille weht mit Geisterhauchen über das trostlos flache Gefilde. Nur ein ferner Ruderschlag plätschert noch, dem Ufer näher kommend, durch das tiefe Schweigen.

An diesem Lenzabende des Jahres 1794, an welchem das verjüngte Leben der Natur noch nicht zum freudigen Erwachen gelangt war, schritt ein noch junger, gutgekleideter Mann in Jägertracht und mit Jagdgeschoß wohlversehen, begleitet von einem Diener und einem braunen Hühnerhunde, durch den Vareler Busch dem Städtchen zu. Der Jüngling mochte das neunzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben; der Diener war nur einige Jahre älter und ein Sohn des Ortes, eine kräftige friesische Gestalt, mehr stämmig als schlank, von munterem Blick und einem Ausdruck von biederherziger Treue. Er trug die Jagdbeute, mehrere Schnepfenarten, Rallen und Bekkasinen. Sein ihm schweigsam voranschreitender Gebieter war eine zarte, schlanke Gestalt, die noch größeren Wuchs verhieß. Die Gedanken des Jünglings schweiften zur Ferne, aber nach einer unbestimmten. Ein Lenzgefühl zog durch die junge Brust voll Hoffnungsfreudigkeit und Thatendrang; wie sich’s geheimnißvoll regte im mütterlichen Schooße der Erde, wie das junge Grün mächtig und unaufhaltsam zum Lichte der verjüngten Sonne drängte – wie jene Vögel, von deren Jagd der junge Weidmann heimkehrte, schon wieder nordwärts strichen, dem allmächtigen Wandertriebe folgend, ebenso jene Kranichzüge, die er am Tage erblickt, und jene Güüsvögel und Himmelsziegen, deren gräuliche Stimmen den nächtlichen Wanderer schrecken – und die alle nur dem einen unumstößlichen Naturgesetze gehorsamten – so zog es auch den Jüngling fort aus diesen einförmigen Gefilden, aus einem Kreise einförmiger Thätigkeiten; er sehnte sich zu lernen, zu leben.

Während der junge Mann mit seinem Begleiter durch die gutgepflegten Gehölze und dann durch reizende ausgedehnte Parkanlagen dem Schlosse zuschritt, hatte sich dem Ufer in der Schloßnähe, soweit als möglich, eine Jacht mit niederländischer Flagge genähert, und mehrere Männer waren im Gefolge von Dienerschaft, die sich mit Reisegepäck belud, aus dem Schiffe in einem Boote nach dem Vareler Siel gefahren und hatten das Land betreten.

Im Herrenschlosse war eine Reihe von Zimmern lichterhellt, so daß der Schimmer, der heraus auf den dichten Nebel fiel, fast meteorisch erschien. Es war dies eine ungewöhnliche Erscheinung, denn meist stand das Schloß unbewohnt, nur in treuer Hut eines alten, redlichen Kastellans. Das hohe Geschlecht, welchem Amt und Vogtei oder die edle Herrschaft Varel eigen war, besaß der Schlösser und Güter viele, und die Glieder dieser berühmten Familie wohnten zerstreut, zumal ihrem Verbande jenes einigende schönste Band mangelte, welches Liebe heißt.

Im Schlosse hastete Dienerschaft geschäftig umher. Der Erbherr war angekommen, mit Räthen und Schreibern, nicht in bester Stimmung, wie es schien, und nach einer durch Frühlingsstürme widerwärtigen Wasser-Reise. Sein fester Sporntritt erschütterte Fußboden und Fenster des Zimmers, in welchem er unruhevoll auf- und abging. Es war ein noch junger Herr, erst zweiunddreißig Jahre zählend, aber sein Gesicht zeigte männliche Reife, sein Bart und seine Tracht ließen in ihm den Krieger hohen Ranges erkennen.

An einem Tische, auf welchem zwei silberne Armleuchter brannten, saßen zwei Männer, bemüht, zahlreiche Papiere und Briefschaften, die einem Reisekoffer entnommen wurden, sorglich in einer gewissen Reihe und Ordnung auf den Tisch vor sich hin zu legen; es waren augenscheinlich Documente, denn von mehreren hingen an schwarzgelben oder rothweißen Seidenschnüren große Kapseln, und die Farben dieser Schnüre ließen erkennen, daß es Lehenbriefe römischer Kaiser einestheils, anderntheils der Könige Dänemarks seien, und daß jene Kapseln die Siegel umschlossen, welche den Pergamenten, an denen sie befestigt waren, ihre volle Gültigkeit gaben.

Ein Diener riß die Thüre auf, und rief herein: Der Herr Haushofmeister Ihrer Excellenz der Frau Reichsgräfin Wittwe!

Warten! antwortete kurz und rasch der Graf, und murmelte halblaut durch die Zähne: Hat es sehr eilig, das ancien régime! – Dann sagte er laut: Nehmen Sie, Herr Hofrath Brünings, ein wenig Akt von dem, was der Großbotschafter der chère grand Mère auszurichten und vorzubringen hat, und Sie, Herr Secretär Wippermann, thun, als haben Sie eine Schreiberei vor, und schreiben ein wenig nach, denn in unsern Angelegenheiten darf kein Wort auf die Erde fallen und verloren gehen. Es ist die höchste Zeit für uns, wenn wir nicht als Kirchenmäuse aus unsern Herrschaften davon ziehen wollen, die Neigungen der Frau Großmama anzunehmen und zu sammeln, wenn auch nicht eben antike Münzen.

Nach diesen Worten, welche offenbar eine gereizte Stimmung des Gebieters kund gaben, klingelte der junge Reichsgraf und Erbherr und der Diener öffnete dem Haushofmeister der alten Gräfin die Zimmerthüre. Der Angemeldete trat mit tiefem ehrerbietigem Gruße ein; ein Mann von mittler Größe, würdiger Haltung, bereits ergrautem Haar, von Gesichtsfarbe blaß und angegriffen aussehend, und äußerst fein gekleidet. Der Graf erwiederte die ehrfurchtsvolle Begrüßung des Dieners nur mit einer leichten Fingerbewegung nach dem Haupt, die Herren am Tische, welche bei seinem Eintritt aufgestanden waren, grüßten ebenfalls ziemlich flüchtig, und warfen stechende, lauernde Blicke auf den Haushofmeister.

Nun – Herr Windt – guten Abend! Was bringen Sie? nahm der Gebieter das Wort.

Zuvörderst, Excellenz! unterthänigsten Willkommengruß im edlen Herrenhause Varel Namens gesammter Dienerschaft des Schlosses und gesammter Einwohnerschaft des Ortes, versetzte der Haushofmeister in gebückter Haltung; dann sich aufrichtend, sprach er weiter: Ihre Excellenz, die verwittwete Frau Reichsgräfin lassen Höchstihnen durch mich Hochdero Freude ausdrücken und Dank sagen, daß Excellenz auf Hochderen Ersuchen hierher gekommen sind, und hoffen, es werde nun Alles, was bisher verwirrt und gespalten war, durch dieses persönliche Begegnen sich friedlich lösen und einen lassen.

Hofft die Großmutter das? fragte der Graf. Wie gern hofft’ ich es auch, müßte ich nur nicht das Gegentheil fürchten!

Wollen Excellenz die hohe Gnade haben, mir zu erlauben, Denenselben gleich jetzt das mir Befohlene unterthänigst vorzutragen, oder befehlen Sie eine andere Stunde?

Tragen Sie vor, werther Herr Windt, tragen Sie immerhin vor! versetzte der Graf im vornehm spöttischen Tone. Jedenfalls wird es besser sein, Sie tragen vor, ehe das Essen aufgetragen wird. Ich hoffe ja mit Zuversicht, Sie werden mir nicht gleich den Appetit ganz verderben. Auch dauert es hoffentlich nicht allzulange?

Wie im Scherz zog der Graf seine Uhr, blickte darauf und fuhr fort: Ich gönne Ihnen eine volle Viertelstunde, allein setzen wir uns, setzen wir uns alle, meine Herren; als gesetzte Männer werden wir ohne Zweifel den Vortrag des Herrn Haushofmeisters, General-Intendanten, Geheimen Rathes und Factotums unserer geliebtesten Frau Großmutter um so standhafter anhören. Nehmen auch Sie sich einen Sessel, Herr Windt, und eröffnen wir somit gleich die erste der uns leider sicherlich hier bevorstehenden vielen Sitzungen.

Der Haushofmeister achtete nicht auf den spöttischen stichelnden Ton des jungen Erbherrn, er schrieb ihn dessen Mangel an Schicklichkeitsgefühl im Benehmen gegen ältere Personen zu und dem Verdruß, durch ihn im Auftrag seiner Gebieterin hierher bemüht worden zu sein, gerade zu einer Zeit, wo einerseits der Graf, der jetzt in Holland wohnte, als persönlicher Freund des Erbstatthalters der Niederlande und dessen Sohnes, des Erbprinzen von Oranien, vollauf mit der Bewaffnung der Niederlande gegen Frankreich beschäftigt war, anderseits die politischen Ereignisse in Frankreich fast alle andern und selbst persönliche Angelegenheiten einzelner Familien zurückdrängten und in Schatten treten ließen.

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