Ausgewählte Reden

Ausgewählte Reden – Johannes Chrysostomos

Der Erfolg der Predigten des Chrysostomos beruht vor allem auf seiner großen natürlichen Redegewandtheit, die selbst für Griechen außergewöhnlich war, auf der Fülle seiner Gedanken sowie der leicht begreiflichen Art, sie darzulegen und zu veranschaulichen, und nicht zuletzt auf dem rückhaltlosen Ernst und der Überzeugung, mit der er die Botschaft verkündete, die ihm seiner Meinung nach aufgetragen worden war. Spekulative Erklärungen zogen seinen Geist nicht an, noch hätten sie dem Geschmack seiner Zuhörer entsprochen. Er bevorzugte gewöhnlich moralische Themen und folgte in seinen Predigten nicht nur sehr selten einem regelmäßigen Plan, noch legte er großen Wert darauf, Abschweifungen zu vermeiden, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. In dieser Hinsicht ist er keineswegs ein Vorbild für unsere modernen, thematischen Predigten, die, so sehr wir es auch bedauern mögen, die alte homiletische Methode in hohem Maße verdrängt hat. Aber die häufigen Beifallsausbrüche in seiner Gemeinde mögen Chrysostomuos verraten haben, dass er auf dem richtigen Weg war. Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten Reden.

Ausgewählte Reden

Ausgewählte Reden.

Format: eBook/Taschenbuch

Ausgewählte Reden

ISBN eBook: 9783849660222

ISBN Taschenbuch: 9783849668105

 

Auszug aus dem Text:

 

Auf die Neujahrskalenden (In kalendas)

Vorbemerkungen.

 Bei Montfoucon I, 697 ff.

In der Einleitung bedauert der heilige Chrysostomus die Abwesenheit des Bischofs. Daraus erhellt, daß er die vorliegende Predigt vor seiner Erhebung auf den Patriarchenstuhl in Konstantinopel, als Presbyter in Antiochien gehalten hat.

Gleicher Weise ist aus innern Gründen der Tag, an dem sie gehalten wurde, mit Sicherheit zu bestimmen. Es war der erste Januar; denn an diesem Tage wurde nach dem Zeugnisse des Libanius1 der Anfang des neuen Jahres durch jene Unordnungen und Ausschweifungen gefeiert, die hier so kräftig gerügt werden. Heiden und Christen pflegten bei dieser Gelegenheit nicht bloß ihre Häuser zu bekränzen und zu illuminiren, sondern auch in ausgelassener Fröhlichkeit, in wüsten Gast und Trinkgelagen gleichsam eine Gewähr für den glücklichen Verlauf des neuen Jahres zu suchen. Dieser Unfug und der zu Grunde liegende Aberglaube wird hier mit großem Nachdruck bekämpft.  wodurch sich der Christ das Glück dieses und des zukünftigen Lebens sichern soll, wird dann ebenso einfach als praktisch dargelegt in der ausführlichen Erklärung der Worte des Apostels: „Thuet Alles zur Ehre Gottes!“2

 

Inhalt.

Obgleich dem Leibe nach abwesend, ist der Bischof durch das Band der Liebe innigst mit uns vereinigt. Auf sein Gebet vertrauend will ich gegen die am heutigen Tage von sehr vielen Antiochenern begangenen Sünden zu Felde ziehen, gegen die abergläubische Feier der Kalenden durch Unmäßigkeit und Ausschweifungen.

I. Es ist ein thörichter Aberglaube und ein großes Unrecht gegen Gott, wenn man gewisse Tage des Jahres an und für sich als glückliche oder unglückliche bezeichnet. Jeder Tag ist für uns ein Tag des Glücks oder des Unglücks, je nachdem wir uns an dem betreffenden Tage der Tugend befleissigen oder der Sünde hingeben. Was der Christ beim Jahreswechsel bedenken soll.

II. Um allezeit glücklich zu sein, müssen wir Alles zur Ehre Gottes thun. Erklärung der Worte des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes! Diese Vorschrift wird an einer Reihe von Beispielen erläutert: die Ehre Gottes sollen wir im Auge behalten, wenn wir essen und trinken, daheimbleiben oder ausgehen, loben, tadeln und schelten, Freundschaften schließen und Freundschaften aufgeben, reden und schweigen u. s. w. Was nicht zur Ehre Gottes ist, sollen wir auch nicht thun.

Text

1.

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Predigt des Heiligen [Chrysostomus] auf den Tag der Kalenden, da Flavianus, der Bischof von Antiochien nicht erschienen war. Er tadelt die Christen, welche die Neumonde [in abergläubischer Weise] feierten und Tänze in der Stadt aufführten. Über das Wort des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes!

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 Wie der Chor seinen Meister, die Schiffsmannschaft ihren Steuermann, nicht minder wünscht auch diese Priesterschaar heute ihren gemeinsamen Vater, ihren Bischof bei sich zu sehen. Während aber ein Chor und ein Schiff durch die Abwesenheit seines Oberhauptes an Sicherheit und Ordnung oft nicht wenig verliert, ist Das bei uns ganz anders. Denn unser Bischof ist, wenn auch nicht dem Leibe nach, doch im Geiste bei uns gegenwärtig; er ist in dieser Stunde hier in unserer Mitte, ob er gleich zu Hause bleiben muß, so wie auch wir bei ihm sind, ob wir gleich hier stehen. Das bewirkt die Macht der Liebe. Ihr ist es eigen, die Liebenden zusammenzuführen, zu vereinigen, auch wenn diese durch weite Entfernung von einander getrennt bleiben. Denn wenn einer von unsern Lieben in einem fernen Lande weilt und durch das weite Meer von uns geschieden ist, dann sehen wir ihn trotzdem alle Tage mit den Augen des Geistes; und umgekehrt, wenn ein Mensch, der uns zuwider ist, ganz nahe bei uns steht, sehen wir ihn nicht, — so scheint es wenigstens oft. Die räumliche Entfernung kann also nicht schaden, wenn nur die Liebe nicht fehlt; im andern Falle kann aber auch die räumliche Nähe Nichts helfen. Als wir gestern den heiligen Paulus priesen, da habt ihr euch dermaßen gefreut, als hättet ihr ihn hier in unserer Versammlung gesehen; und doch ruht sein Leib in der Kaiserstadt Rom und seine Seele in den Händen Gottes; denn „die Seelen der Gerechten sind in der Hand des Herrn, und die Qual berührt sie nicht.“3 Gleich  wohl hat die Macht der Liebe ihn vor eure Augen gestellt. Ich hatte nun zwar vor, auch heute wieder denselben Gegenstand [Lob des heiligen Paulus]4 zu behandeln; allein ich finde es dringend nothwendig, daß ich eilends zu einem andern übergehe, daß ich nämlich über die Sünden rede, die heute von der ganzen Stadt begangen worden. Denn wer das Lob des heiligen Paulus hören will, der muß zuvor Nacheiferer seiner Tugenden und muß solcher Predigten werth sein. — Da nun unser Vater nicht anwesend ist, wohlan, so will ich auf sein Gebet vertrauen und in diesem Vertrauen die Unterweisung beginnen. Wie er für uns betet, so hat einst Moses während einer Schlacht betend die Arme ausgestreckt und eben dadurch den Seinigen Hilfe geleistet und den Feinden Schrecken eingejagt. Durch sein Gebet hat er nicht weniger, ja noch mehr als die kämpfenden Krieger [durch ihre Tapferkeit] zur Entscheidung der Schlacht beigetragen, obgleich er nicht bei ihnen war dem Leibe nach. Wie nämlich die Macht der Liebe, so wird auch die Wirksamkeit des Gebetes durch räumliche Entfernung nicht gehemmt, und wie die Liebe die Getrennten vereinigt, so vermag auch das Gebet aus der Ferne sehr großen Nutzen zu stiften. Gehen wir daher muthig in den Kampf! Denn auch bei uns wüthet ein Krieg. Es sind nicht die Amalekiter, wie in jener Zeit, die einen Angriff unternommen, es sind überhaupt keine Barbaren, die uns überfallen haben, — Teufel sind es, die auf dem Markte ihren Aufzug halten. Denn diese nächtlichen Teufelsfeste, diese Schande und Lästerreden, diese nächtlichen Tänze, diese ganze lächerliche Komödie, das sind die Feinde, die unsere Stadt belagert  und besetzt halten, und sie sind schlimmer als irgend ein anderer Feind. Deßwegen wäre es geboten, sich zu demüthigen, sich zu betrüben, sich zu schämen; und Das müßten sowohl die Schuldigen selbst —nämlich wegen ihrer Sünden, als auch die Unschuldigen — nämlich wegen der Schamlosigkeit, die sie heute an ihren Brüdern sehen. Aber in Wirklichkeit ist es anders: unsere Stadt ist ganz ausnehmend fröhlich, ist herrlich geschmückt und bekränzt, und der Marktplatz hat sich heute prunkvoll geziert wie ein putzsüchtiges, verschwenderisches Weib, ist mit goldenem Geschmeide behangen, mit kostbaren Kleidern und Schuhen und andern dergleichen Sachen ausgestattet, und unter den Handwerkern und Künstlern sucht jeder Einzelne durch Schaustellung seiner Arbeiten die Genossen zu überflügeln. Doch ist dieser Wetteifer, wenn er auch von einem kindischen Unverstand einer niedrigen, kleinlich denkenden Seele zeugt, gleichwohl ohne allzu schlimme Folgen; es sind eben nur unnütze Bemühungen, die Nichts als Spott und Gelächter einbringen. Denn wenn du schmücken willst, dann schmücke nicht deinen Laden, sondern deine Seele, nicht den Markt, sondern das Herz, damit die Engel dich bewundern die Erzengel deine Bemühungen mit Wohlgefallen betrachten und der Herr der Engel dir mit seinen Gütern und Gnaden vergelte. Diese Schaustellung aber, deren man sich jetzt befleissigt, bewirkt nur, daß man von den Einen verlacht, von den Andern beneidet wird: verlacht von Denen, die auf Höheres denken, heftig beneidet von Denen, die an derselben Schwachheit leiden.

2.

Doch, wie gesagt, dieser Wetteifer ist so sehr nicht zu tadeln. Aber Das, was heute von so Vielen in den Weinschenken um die Wette getrieben wird, Das betrübt mich am meisten; denn da werden Ausschweifungen und auch Sünden gegen den Glauben in großer Menge verübt. Da sündigt man gegen Glaube und Religion, indem man Tagwählerei5 und Zeichendeuterei treibt und der Meinung  ist, wenn man den Anfang dieses Monats unter Freuden und Vergnügungen hinbringe, dann werde es auch das ganze Jahr so gehen. Da wird durch Ausschweifung gesündigt, indem gegen Morgen Weiber und Männer in der ausgelassensten Weise volle Becher ungemischten Weines leeren. Solche Dinge sind eures christlichen Glaubens unwürdig, sei es, daß ihr sie selber thut, oder daß ihr sie Andern, euren Knechten, Freunden und Nachbarn hingehen laßt. Hast du nie gehört, was Paulus sagt?6 „Tage nehmt ihr in Acht und Monde und Zeiten und Jahre! Ich bin in Sorge, daß ich nicht etwa vergeblich gearbeitet habe für euch!“ Übrigens ist es auch eine Thorheit sonder Gleichen, wenn ihr darum von dem ganzen Jahre Glück und Heil erwartet, weil ein einziger Tag glücklich verlaufen ist; und nicht bloß höchst thöricht, sondern auch eine Wirkung des Teufels ist dieses Urtheil, welches uns verleitet, daß wir unser Schicksal nicht von der eigenen Thätigkeit, von dem eigenen guten Willen, sondern von dem Verlaufe bestimmter Jahrestage abhängig wähnen. Das Jahr wird von Anfang bis zu Ende ein glückliches für dich sein, nicht wenn du am Neumondstage der Trunkenheit fröhnst, sondern wenn du an diesem Tage und an jedem andern thust, was Gott wohlgefällt. Ein Tag unterscheidet sich nicht vom andern; jeder Tag ist ein guter oder ein böser nicht seiner Natur nach, sondern je nach unserm Eifer oder unserer Nachläßigkeit im Guten. Wenn du Gerechtigkeit übest, ist dir der Tag zum Heile; wenn du Sünde thust, ist es  für dich ein böser Tag, ein Tag der Strafe. Wenn du so denkst und gesinnt bist und dich also jeden Tag des Gebetes und der Wohlthätigkeit befleissigst, dann wird das ganze Jahr für dich ein glückliches sein; wenn du aber die Übung der Tugend vernachläßigst, und dafür dein Wohlergehen den Anfängen der Monate und den Nummern der Tage anvertraust, dann wird dir Alles fehlen, was dir wahrhaft gut ist. Das hat der Teufel sehr wohl gewußt, und um uns nun von dem mühevollen Streben nach Tugend abzubringen, um den guten Willen in unsern Herzen zu ertödten, hat er diesen Wahn aufgebracht, daß man Glück und Unglück der natürlichen Beschaffenheit der Tage zuschreibt. Denn wer sich überredet hat, daß für ihn der eine Tag ein böser, der andere ein guter sei, der wird sich weder am bösen noch am guten Tage guter Werke befleissen. Am bösen Tage wird er denken, wegen des Verhängnisses, das auf diesem Tage liege, sei Alles nutzlos und vergeblich, und am guten Tage, wegen des Glückes, das dieser Tag bringe, werde ihm seine Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit keinen Schaden bringen. So wird er jedes Mal sein Seelenheil preisgeben und wird in seiner Trägheit und Sündhaftigkeit verharren, um sich nicht an dem einen Tage vergeblich, an dem andern überflüssiger Weise abzumühen. Da ihr Das nun wißt, sollt ihr euch den Ränken des Teufels entziehen, sollt dieses verkehrte Urtheil aufgeben, keine Tagwählerei treiben, nicht den einen Tag hassen und den andern lieben. Denn nicht bloß um uns in Gleichgiltigkeit zu versenken, sondern auch um den Werken Gottes eine Makel anzuheften, hat der böse Feind diese List in’s Werk gesetzt, und so sucht er uns in den Abgrund der Gottlosigkeit und zugleich der Nachlässigkeit herabzuziehen. Wir aber müssen vor ihm fliehen und wohl wissen, daß es nichts Böses gibt als nur die Sünde, und nichts Gutes als nur die Tugend und das Streben, Gott in allen Dingen wohlgefällig zu sein. Nicht Trunkenheit, sondern Herzensgebet macht fröhlich, nicht der Wein, sondern die erbauende Rede. Jener bewirkt stürmische Aufregung, diese bringt heitere  Ruhe; jener erzeugt Verwirrung, diese vertreibt die Unruhe; jener umnachtet den Geist, diese hellt den verfinsterten auf; jener bringt neuen Verdruß, diese treibt den vorhandenen aus.

Denn es gibt Nichts, was in so hohem Grade Zufriedenheit und Fröhlichkeit zu erzeugen pflegt, als die Grundsätze des Christenthums, die Verachtung der gegenwärtigen und das angestrengte Streben nach den zukünftigen Gütern, dann die Überzeugung von dem Unbestande alles Irdischen: des Reichthums, der weltlichen Gewalt, der Ehrenstellen, des stattlichen Gefolges. Wenn du dich zu dieser Gesinnung zu erheben vermagst, dann kannst du die Reichen sehen, ohne von Neid gequält zu werden, kannst selbst in Armuth gerathen, ohne dich durch die äusserste Dürftigkeit niedergedrückt zu fühlen. Dann wird jeder Tag für dich ein Fest sein. Denn der Christ soll nicht bloß in gewissen Monaten, nicht bloß an Neumondstagen oder an Sonntagen feiern, sondern während seines ganzen Lebens so feiern, wie es sich für ihn geziemt. Und was ist Das für eine Feier? Hören wir den heiligen Paulus! „Lasset uns festfeiern, nicht im alten Sauerteig und nicht im Sauerteig der Bosheit und Argheit, sondern im Ungesäuerten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.“7 Wenn du also ein reines Gewissen hast, dann ist dir jeder Tag ein Fest; denn allezeit erquicken dich die seligsten Hoffnungen und erfreut dich die Erwartung der zukünftigen Herrlichkeit. Und umgekehrt: wenn du keine herzliche Freundschaft mit Gott dem Herrn unterhältst, wenn du dich vieler Sünden schuldig gemacht hast, dann wirst du trotz zahlloser Feste und Festaufzüge um Nichts besser daran sein, als wer in tiefer Trauer ist. Denn was hilft mir der Glanz eines festlichen Tages, wenn meine Seele durch die Nacht des bösen Gewissens  verfinstert ist? — Also wenn du von den Neumondstagen einen wahren Nutzen erzielen willst, dann mache es so: Sieh auf das verflossene Jahr, und danke dem Herrn, daß er dich diese Reihe von Jahren hat erleben lassen. Dann erwecke in deiner Seele einen heftigen Schmerz, indem du der entschwundenen Lebenszeit gedenkest und zu dir selber sagst: Die Tage verrinnen und eilen vorüber, die Jahre endigen eins um das andere, einen großen Theil des Lebensweges haben wir schon zurückgelegt. Was haben wir nun Gutes gethan? Werden wir nicht von aller Gerechtigkeit entblößt, alles Guten baar sein, wenn wir von hinnen scheiden müssen? Das Gericht steht vor der Thür, zum Greisenalter eilt schon raschen Schrittes unser Leben.

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