Paidagogos

Paidagogos – Clemens von Alexandria

Der Titel dieses Werkes, der mit “Tutor” oder “Lehrer” übersetzt werden kann, bezieht sich auf Christus als den Lehrer aller Menschen. Obwohl es eine ausgedehnte Metapher von Christen als Kindern enthält, ist es nicht einfach nur erzieherisch gedacht: Clemens will zeigen, wie ein Christ authentisch auf die Liebe Gottes reagieren soll. In Anlehnung an Platon unterteilt er das Leben in drei Elemente: Charakter, Handlungen und Leidenschaften. Nachdem das erste Element im “Protrepticus” behandelt wurde, widmet Clemens den Paidagogos Überlegungen zur Rolle Christi, der die Menschen lehrt, moralisch zu handeln und ihre Leidenschaften zu beherrschen. Trotz seines explizit christlichen Charakters stützt sich Clemens’ Werk auf die stoische Philosophie und heidnische Literatur; allein Homer wird in dem Werk mehr als sechzig Mal zitiert.

Paidagogos

Paidagogos.

Format: eBook/Taschenbuch

Paidagogos

ISBN eBook: 9783849660239

ISBN Taschenbuch: 9783849668112

 

Auszug aus dem Text:

 

Erstes Buch

I. Kapitel. Was der Erzieher verspricht.

1.

  1. Gelegt ist, ihr Kinder, der Grund der Wahrheit für uns selbst, das unerschütterliche Fundament der Erkenntnis des heiligen Tempels des großen Gottes, eine herrliche Ermahnung, ein Streben nach ewigem Leben durch vernunftgemäßen Gehorsam, auf geistigem Boden errichtet. Da sich nun bei dem Menschen diese drei finden, Gesinnungen, Handlungen, Gemütsbewegungen, so hat das ermahnende1Wort die Gesinnungen des Menschen als sein Arbeitsfeld zugeteilt erhalten, als ein Führer zur Gottesfurcht; wie ein Schiffskiel bildet es die Unterlage für den Bau des Glaubens; in großer Freude über dieses Wort sagen wir uns feierlich von dem alten Wahn los und werden jung für das Heil, indem wir in das Loblied des Propheten einstimmen: „Wie gütig ist Gott gegen Israel, gegen die, welche geraden Herzens sind!“2
  2. Die Leitung aller Handlungen aber hat das beratende, und die Gemütsbewegungen heilt das tröstende Wort. Es ist aber dies alles nur ein und dasselbe Wort, das den Menschen aus der ihm von Jugend an vertrauten weltlichen Gewohnheit herausreißt und ihn zu dem einzigartigen Heile des Glaubens an Gott erzieht.
  3. Der Führer zum Himmel, das Wort, hieß, solange es zum Heile einlud, ermahnend (in besonderem Sinne ist es das Wort, das wegen eines Teils seiner Tätigkeit überhaupt ermunternd genannt wird; denn ermahnend  ist die ganze Frömmigkeit, insofern sie in dem angeborenen Denkvermögen das Verlangen nach dem jetzigen und dem zukünftigen Leben erzeugt).
  4. Jetzt aber ist es beides zugleich, sowohl heilend als beratend, indem auf die eine seiner Wirkungen die andere folgt; deshalb gibt es dem, der die Ermahnungen gehört hat, guten Rat und, was die Hauptsache ist, es verspricht die Heilung der in uns vorhandenen Leidenschaften. Wir wollen es aber mit einem einzigen, ihm angemessenen Namen „Erzieher“ nennen, da es ihm ja darauf ankommt, zum Handeln hinzuführen, nicht grundsätzliche Erwägungen anzustellen, wie es ja auch sein Ziel ist, die Seele besser, nicht sie klüger zu machen und zu einem sittsamen, nicht zu einem gelehrten Leben den Weg zu weisen.

2.

  1. Freilich hat das gleiche Wort auch die Aufgabe zu lehren, aber nicht jetzt; denn das belehrende Wort hat die Aufgabe, bei der Behandlung der Glaubenssätze zu erklären und zu offenbaren; der Erzieher dagegen, der auf das Handeln gerichtet ist, trieb zuerst zur Bildung eines sittlichen Charakters an; jetzt aber mahnt er auch zur Erfüllung unserer Pflichten, indem er uns die lautersten sittlichen Weisungen gibt und das Beispiel derer, die früher in die Irre gingen, den Späteren vor Augen führt.
  2. Beides ist vom größten Nutzen, das eine, nämlich die Art, gute Ermahnungen zu geben, mit Rücksicht auf den Gehorsam; das andere, daß man etwas als Beispiel anführt, hat auch seinerseits, ähnlich wie das soeben genannte Paar, einen doppelten Zweck: erstens daß wir das Gute annehmen und nachahmen und zweitens daß wir das andere von uns weisen und ihm aus dem Wege gehen.3

3.

  1. Heilung der Leidenschaften ist die Folge davon, daß der Erzieher durch die ermutigenden Beispiele die Seelen kräftigt und mit liebevollen Ratschlägen wie mit  „lindernden Heilmitteln“4die Kranken zu einem anderen Leben, zu der völligen Erkenntnis der Wahrheit, führt. Gesundheit und Erkenntnis sind aber nicht gleichbedeutend, vielmehr entsteht die eine durch Unterweisung, die andere durch Heilung.
  2. Ein Kranker kann also nicht früher etwas von den Lehrstoffen gründlich erlernen, bevor er nicht völlig genesen ist. Es wird auch nicht immer jede Lehre in der gleichen Weise den Lernenden und den Kranken vorgetragen, sondern bei den einen zum Zweck der Erkenntnis, bei den andern zum Zweck der Heilung.
  3. Wie also die körperlich Kranken einen Arzt brauchen, so haben die seelisch Leidenden einen Erzieher nötig, damit er unsere Leidenschaften heile und uns dann in die Schule des Lehrers führe, indem er die Seele reinigt und für die Erkenntnis empfänglich macht, so daß sie die Offenbarung des Logos in sich aufnehmen kann. Da er aber bestrebt ist, uns in heilsamem, stufenweisem Fortschreiten zur Vollkommenheit zu führen, verwendet der in jeder Hinsicht liebreiche Logos die vortreffliche und für eine wirksame Ausbildung zweckmäßige Erziehungsweise, indem er zuerst ermahnt, dann erzieht und zuletzt lehrt.

 

II. Kapitel. Daß der Erzieher unserer Sünden wegen die Leitung hat.

4.

  1. Unser Erzieher, meine Kinder, gleicht Gott, seinem Vater, dessen Sohn er ist; er ist sündlos, ohne Tadel und ohne Leidenschaften der Seele, ein unbefleckter Gott in der Gestalt eines Menschen, dem väterlichen Willen dienstbar, der Logos Gott, der in dem Vater ist,5der zur Rechten des Vaters ist,6der Gott ist auch in Menschengestalt.
  2. Er ist für uns das fleckenlose Vorbild;  ihm unsere Seele ähnlich zu machen, müssen wir mit aller Kraft versuchen.7Aber er ist von menschlichen Leidenschaften völlig unberührt; deshalb ist er ja auch allein Richter, weil er allein sündlos ist. Wir aber wollen, soweit es in unserer Macht steht, versuchen, so wenig wie möglich zu sündigen.8Nichts ist so dringend nötig wie, daß wir uns zuerst von den Leidenschaften und Krankheiten der Seele befreien und sodann es vermeiden, leichtfertig in die Gewohnheit der Sünden zu verfallen.

3.9 Das beste ist, überhaupt nicht zu sündigen, in gar keiner Weise, was, wie wir wissen, Gottes Sache ist; das zweite ist, sich nie mit irgendeiner absichtlichen Übeltat zu befassen, was Eigenart des Weisen ist; das dritte ist, nicht in gar zu viele unfreiwillige Verfehlungen zu geraten, was denen zu eigen ist, die gut erzogen wurden; an letzter Stelle soll genannt sein, daß man nicht allzu lange bei seinen Fehlern verharrt; aber auch dieses bedeutet für die zur Buße Gerufenen eine heilbringende Wiederaufnahme des Kampfes.

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