Mahnrede an die Heiden (Protrepticus)

Mahnrede an die Heiden (Protrepticus) – Clemens von Alexandria

Der Protrepticus ist, wie der deutsche Titel schon aussagt, eine Mahnrede an die Heiden Griechenlands, das Christentum anzunehmen. Darin demonstriert Clemens sein umfangreiches Wissen über die heidnische Mythologie und Theologie. Das Werk ist vor allem wegen Clemens’ Darstellung der Religion als anthropologisches Phänomen von Bedeutung. Nach einer kurzen philosophischen Diskussion erzählt er die Geschichte der griechischen Religion in sieben Stufen. Clemens deutet an, dass die Menschen anfangs fälschlicherweise die Sonne, den Mond und andere Himmelskörper für Gottheiten hielten. Die nächste Entwicklungsstufe war die Verehrung der Produkte der Landwirtschaft, aus der seiner Meinung nach die Kulte der Demeter und des Dionysos hervorgingen. Dann verehrten die Menschen die Rache und vergötterten unter anderem die menschlichen Gefühle der Liebe und der Angst. In der folgenden Phase versuchten die Dichter Hesiod und Homer, die Gottheiten aufzuzählen; Hesiods Theogonie gibt die Zahl von zwölf an. Schließlich erreichten die Menschen ein Stadium, in dem sie andere, wie z. B. Asklepios und Herakles, als Gottheiten proklamierten. In Bezug auf den Götzendienst behauptet Clemens, dass die Objekte der primitiven Religion ungeformtes Holz und Stein waren und Götzen daher entstanden, als solche natürlichen Gegenstände geschnitzt wurden. In Anlehnung an Platon steht Clement allen Formen der bildenden Kunst kritisch gegenüber und meint, dass Kunstwerke nur Illusionen und “tödliches Spielzeug” seien.

Mahnrede an die Heiden (Protrepticus)

Mahnrede an die Heiden (Protrepticus).

Format: eBook/Taschenbuch

Mahnrede an die Heiden (Protrepticus)

ISBN eBook: 9783849660246

ISBN Taschenbuch: 9783849668129

 

Auszug aus dem Text:

 

1. Kapitel

1.

 1. Amphion aus Theben und Arion aus Methymna waren beide Sänger [aber beide sind Sage; und noch jetzt wird das Lied von ihnen in griechischem Chor gesungen]; mit Musik lockte der eine von ihnen einen Fisch herbei,1mit Musik erbaute der andere die Mauern von Theben.2Und ein anderer Künstler, ein Thraker3[das ist eine andere griechische Sage], zähmte durch bloßen Gesang die wilden Tiere; ja sogar die Bäume, die Eichen, verpflanzte er durch seine Musik.

2. Ich kann dir auch noch einen anderen, diesen verwandten Mythus und Sänger anführen, den Lokrer Eunomos und die pythische Zikade. Ein griechisches Fest wurde zu Ehren des toten Drachen in Pytho [Delphi] gefeiert, und Eunomos sang das Grablied des Lindwurms; ob der Gesang ein Preis- oder Trauerlied auf die Schlange war, weiß ich nicht zu sagen; doch es war ein Wettkampf, und es spielte Eunomos die Zither zur Zeit der Sommerhitze, wo die Zikaden im Gebirge an der Sonne sich wärmten und unter den Blättern zirpten. Sicher aber sangen sie nicht dem toten Drachen von Pytho, sondern dem allweisen Gott zu Ehren ihr Lied nach eigener Weise, besser als des Eunomos Weisen. Da reißt dem Lokrer eine Saite; die Zikade fliegt auf den Steg der Leier und zirpt auf dem Instrument wie auf einem Zweige; und indem sich der Sänger dem Gesang der Zikade anpaßte, ergänzte er die fehlende Saite.

3. Also nicht durch das Spiel des Eunomos wird  die Zikade herbeigelockt, wie die Sage will, die in Pytho den Eunomos samt seiner Leier und seine Gehilfin im Wettkampf in Erz aufstellen ließ. Vielmehr fliegt sie aus freien Stücken herbei und singt aus freien Stücken; die Griechen aber glauben, daß sie bei der musikalischen Aufführung mitgewirkt habe.

 

2.

1. Wie kommt es denn, daß ihr so nichtigen Sagen Glauben geschenkt habt und annehmt, daß durch Musik die Tiere bezaubert werden, während ihr der Wahrheit glänzendes Antlitz allein, wie es scheint, für geschminkt haltet und mit ungläubigen Augen betrachtet? Der Kithairon und der Helikon4 und die odrysischen5 und thrakischen Berge, Weihestätten des Trugs, sind wegen ihrer Mysterien für heilig gehalten und in Hymnen gefeiert.

2. Mir ist es, wenn es auch nur Sagen sind, unerträglich, daß so viele Unfälle zu Tragödien ausgestaltet werden; euch aber sind die Erzählungen von Unglücksfällen zu Dramen geworden, und die Darsteller dieser Dramen bieten euch ein herzerquickendes Schauspiel. Doch wir wollen einmal die Dramen und die schwärmenden6 Dichter, die bereits völlig trunkenen, mit Epheu bekränzten, die in bakchischer Raserei gänzlich von Sinnen gekommen sind, samt den Satyrn und dem rasenden Schwarm und zusammen mit der übrigen Schar der Dämonen in Helikon und Kithairon einsperren, die selbst alt geworden sind; dagegen wollen wir von oben aus dem Himmel herabführen die Wahrheit zusammen mit leuchtender Weisheit7 auf den heiligen Berg Gottes8 und dazu die heilige Schar der Propheten.

3. Die Wahrheit aber, die ein über alle Maßen glänzendes Licht ausstrahlen läßt, erleuchte allenthalben die, welche in Dunkelheit sich wälzen, und erlöse die Menschen vom Irrtum, indem sie  ihnen ihre starke Rechte, d. i. die Erkenntnis, zum Heile hinstrecke! Sie aber mögen ihre Augen erheben und emporblicken und den Helikon und Kithairon verlassen und Zion bewohnen; „denn von Zion wird ausgehen das Gesetz und das Wort des Herrn von Jerusalem“,9 das himmlische Wort, der wahre Streiter im Wettkampf, der auf dem Theater der ganzen Welt den Siegeskranz erhält.

4. Mein Eunomos singt freilich nicht die Weise10 des Terpandros11 und nicht die des Kapion,12 auch keine phrygische oder lydische oder dorische Tonart, sondern der neuen Harmonie ewige Melodie, die von Gott ihren Namen hat, das neue Lied,13 das Lied der Leviten; ein süßes und wirksames Mittel gegen Leid, „Lindernd den Schmerz und den Groll, das vergessen macht jegliches Leiden“,14 ist diesem Liede beigemischt.

 

3.

1. Nach meiner Ansicht waren jener Thraker15 und der Thebaner16 und der Methymnäer,17 Männer, nicht würdig dieses Namens, in Wahrheit Betrüger, die unter dem Deckmantel der Musik Unheil über das Menschenleben brachten und, selbst von kunstvoller Zauberei wie von einem Dämon zum Verderben besessen, Freveltaten in ihren Orgien feierten, menschliches Leid zum Gegenstand göttlicher Verehrung machten und so zuerst die Menschen zum Götzendienst verführten, ja in der Tat mit Stein und Holz, d. i. mit Statuen und Bildern, die Verkehrtheit heidnischer Religion aufbauten und jene wahrlich herrliche Freiheit derer, die unter dem Himmel als freie Bürger lebten,18 durch ihre Lieder und Zaubergesänge unter das Joch der äußersten Sklaverei spannten.

 2. Aber nicht so ist mein Sänger; er ist gekommen, um binnen kurzem die bittere Knechtschaft der tyrannischen Dämonen zu zerstören; und indem er uns zu dem sanften und menschenfreundlichen Joche19 der Frömmigkeit hinführt, ruft er die auf die Erde Geschleuderten zum Himmel zurück.

 

4.

1. Er allein unter allen, die je lebten, zähmte die wildesten Tiere, die Menschen,20 sowohl Vögel, das sind die Leichtfertigen, als kriechende Tiere, das sind die Betrüger, und Löwen, das sind die Jähzornigen, und Schweine, das sind die Wollüstigen, und Wölfe, das sind die Raubgierigen. Stein und Holz aber sind die Unvernünftigen; ja noch gefühlloser als Stein ist ein Mensch, der in Torheit versunken ist.

2. Als Zeugen wollen wir aufrufen das Prophetenwort, das, übereinstimmend mit der Wahrheit, die beklagt, die in Torheit und Unverstand zermürbt sind: „denn Gott vermag aus diesen Steinen Abraham Kinder zu erwecken„.21 Er erbarmte sich der großen Unwissenheit und Herzenshärtigkeit derer, die gegen die Wahrheit versteinert waren, und erweckte aus jenen Steinen, aus den an Steine glaubenden Heiden, einen Samen der Frömmigkeit, empfänglich für die Tugend.

3. Hinwiederum hat er einige giftige und heimtückische Heuchler, die der Gerechtigkeit auflauerten, einmal „Otterngezücht“22 genannt; aber auch wenn von diesen als Schlangen Bezeichneten einer aus freien Stücken Buße tut und dem Logos folgt, wird er ein „Mensch Gottes„.23 Wieder andere nennt er mit einem bildlichen Ausdruck „Wölfe, die in Schaffelle gekleidet sind“,24 womit er die Raubtiere in Menschengestalt meint. Alle diese wilden Tiere aber und die harten Steine verwandelte das himmlische Lied selbst in sanfte Menschen.

4. „Denn auch wir, auch wir waren ehedem unverständig, ungehorsam, verirrt, den Lüsten und mancherlei  Begierden dienend, und wandelten in Bosheit und Neid, waren verhaßt und haßten einander“, wie das Apostelwort sagt; „als aber die Güte und Freundlichkeit Gottes unseres Heilandes erschien, rettete er uns nicht auf Grund von Werken der Gerechtigkeit, die wir getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit“.25 Sieh, was das neue Lied vollbrachte: Menschen hat es aus Steinen, Menschen aus Tieren gemacht. Und die sonst wie tot waren und keinen Anteil am wahren Leben hatten, sie wurden wieder lebendig, sobald sie nur Hörer des Gesanges geworden waren.

 

5.

1. Dieser gab auch dem All eine harmonische Ordnung und stimmte den Mißklang der Elemente zu geordnetem Wohlklang, damit die ganze Welt ihm zur Harmonie werde;26 und das Meer ließ er ungefesselt, verbot ihm aber, das Land zu überfluten; und wiederum legte er die Erde, die frei umhertrieb, vor festen Anker und machte sie zur starken Grenze des Meeres;27 ja auch des Feuers Ungestüm milderte er durch Luft, indem er gleichsam dorische und lydische Melodie vermischte; und die rauhe Kälte der Luft linderte er durch die Beifügung des Feuers, indem er so diese äußersten Töne des Alls harmonisch verband.

2. Und dieses reine Lied, die feste Grundlage des Alls28 und die Harmonie der Welt, die sich von der Mitte bis an die Enden und von den äußersten Grenzen bis in die Mitte erstreckt, hat dieses All harmonisch gemacht, nicht nach Art der Musik des Thrakers, die der des Jubal29 ähnlich ist, sondern nach dem väterlichen Willen Gottes, den David zu erfüllen bestrebt war.

3. Der göttliche Logos aber, der von David stammt und doch vor ihm war, verschmähte Lyra und Harfe, die leblosen Instrumente, erfüllte durch den Heiligen Geist diese Welt und dazu auch die Welt im Kleinen, den Menschen,30 seine Seele und seinen Leib, mit  Harmonie und preist Gott mit diesem vielstimmigen Instrument und singt zu dem Instrument, dem Menschen. „Denn du bist mir Harfe und Flöte und Tempel“,31 Harfe wegen der Harmonie, Flöte wegen des Geistes, Tempel wegen des Logos, damit die Harmonie die Harfe schlage, der Geist die Flöte blase, der Tempel den Herrn aufnehme.

4. Ja, der König David, der Harfenspieler, den wir soeben erwähnten, ermahnte zur Wahrheit, mahnte ab vom Götzendienst und war weit davon entfernt, die Dämonen zu besingen, die er vielmehr durch wahre Musik verscheuchte, wie er auch allein durch seinen Gesang den Saul heilte,32 als er von jenen besessen war. Zu einem schönen, von Geist erfüllten Instrument hat der Herr den Menschen gemacht nach seinem Bilde;33 denn auch er selbst ist ein melodisches und heiliges Instrument Gottes voll Harmonie, überweltliche Weisheit, himmlischer Logos.

 

6.

1. Was will nun dieses Instrument, der göttliche Logos, der Herr und das neue Lied? Die Augen der Blinden öffnen und die Ohren der Tauben auftun und die Hinkenden und Verirrten zur Gerechtigkeit führen,34 den unverständigen Menschen Gott zeigen, dem Verderben ein Ende machen, den Tod besiegen, ungehorsame Söhne mit dem Vater aussöhnen.

2. Menschenfreundlich ist das göttliche Instrument; der Herr zeigt Erbarmen, erzieht, ermahnt, warnt, rettet, bewahrt; und zum Lohn dafür, daß wir seine Jünger werden, verheißt er uns noch zum Überfluß das Himmelreich, indem er nichts von uns haben will als unsere Rettung.35 Denn die Bosheit nährt sich vom Verderben der Menschen; die Wahrheit aber richtet wie die Biene nirgends Schaden an und freut sich allein am Heil der Menschen.

3. Du hast also die  Verheißung, du siehst die Güte; ergreife die Gnade! Und mein heilbringendes Lied halte nicht in dem Sinn für neu wie ein neues Gefäß oder ein neues Haus! Denn „vor dem Morgenstern“36 war es, und „im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“.37 Aber als alt erscheint der Irrtum, als etwas Neues die Wahrheit.

4. Mögen nun die Phryger durch die Ziegen, von denen die Sage erzählt, als uralt bekundet werden38 oder die Arkader durch die Dichter, die dies Volk „älter als der Mond“ nennen,39 oder wieder die Ägypter durch die, welche sich einbilden, daß deren Land zuerst Götter und Menschen erzeugt habe,40 so war doch sicherlich von allen diesen kein einziger vor dieser Welt da; wir aber waren vor der Grundlegung der Welt,41 wir, die wir, weil wir in ihm zu sein bestimmt waren, für Gott schon zuvor geschaffen waren, wir, des göttlichen Logos vernünftige Geschöpfe, die wir durch ihn uralt sind; denn „im Anfang war das Wort“.42

5. Weil aber der Logos von Anfang an war, war und ist er der göttliche Anfang aller Dinge. Weil er aber jetzt den von alters her geheiligten und seiner Macht würdigen Namen Christus angenommen hat, habe ich ihn das neue Lied genannt.

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