Das Phantom – Hermann Bahr
Der 1934 in München verstorbene österreichische Schriftsteller Hermann Bahr gehört nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch zu den produktivsten Autoren seines Heimatlandes und vertritt viele verschiedene Strömungen. “Das Phantom”, eine Komödie in drei Akten, gehört zu seinen späten Bühnenwerken und wurde kurz vor Weihnachten 1913 am Deutschen Volkstheater uraufgeführt. Der Text des Werkes wurde insofern überarbeitet, dass die wichtigsten Worte und Begriffe der heute aktuellen Rechtschreibung entsprechen.
Format: eBook/Taschenbuch.
Das Phantom.
ISBN eBook: 9783849661458
ISBN Taschenbuch: 9783849666729
Auszug aus dem Text:
Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernst wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch-aus modern, an Schinkel erinnert.
Links ganz vorne ein sehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenster mit Vorhängen aus weißer Seide. Dann die Sofaecke: mattgraue Wand mit blass abgetöntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug, ein runder Tisch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Über dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan für elektrisches Licht. Weiter links ein zweites sehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenster mit Vorhängen aus weißer Seide. Dann in der abgeschrägten Wand ein eingebauter Glasschrank mit altem Porzellan; darüber blass abgetöntes Medaillon.
Rechts vorne, dem Fenster gegenüber, Türe zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tisch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreibzeug, Rauchzeug und Zeitschriften, zwei großen Lehnstühlen an den beiden schmalen Seiten, einem ebensolchen Lehnstuhl an der langen Seite des Tisches und, mit der Lehne an diesen dritten Lehnstuhl gerückt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter solcher Lehnstuhl in dunkelrotem Mahagoni. Über dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stillleben von Cezanne: mehrere grüne Äpfel, ein rötlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Messer und ein Glas auf zerknülltem weißem Tischtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Landschaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan für elektrisches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fenster gegenüber, Türe zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr.
Dann, in der abgeschrägten Wand, eingebauter Glasschrank mit modernem Porzellan.
Hinten in der Mitte Glasschrank mit Kunstgläsern von Tiffany, Olbrich, Moser. Links davon Türe zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Türe zu den anderen Wohnräumen.
Boden mit ockergelbem Teppich bespannt. Plafond hellgrau mit gemaltem Velum. An den Türen Vorhänge aus weißer Seide wie an den Fenstern.
Winter. Trüber Tag. Gegen Abend.
Justine (zweiundfünfzig Jahre, ihre altmodische Tracht lässt sie älter aussehen, aber wenn sie spricht und das misstrauische Gesicht allmählich öffnet, scheint sie zuweilen auf einmal wieder ganz jung zu sein; klein, mit hohen Schultern und einem großen Kopf, klugen, blinzelnden Augen, einer kurzen, breiten, fleischigen Nase und einem großen, weitgeschlitzten Mund; das gelbe Gesicht und ihre starre Haltung machen sie zuweilen fast einer Wachsfigur gleich; sie trägt die dünnen grauen Haare glatt gescheitelt, einen altmodischen, unscheinbaren Hut, ein verschossenes Taftkleid, um den Hals eine goldene Kette mit einem schwarzen Kreuz und in der Hand ein Täschchen; sie pflegt leise zu sprechen, kurz und scharf, wie jemand, der gewohnt ist, dass man auf ihn hört; wenn sie sich ereifert, fängt ihre Stimme zu krähen an, sie hat den Klang der rheinischen Mundart; vom Flur durch die Türe links vom Glasschrank, die ihr Fräulein Therese öffnet, eintretend, während ihr das Fräulein den langen grauen Reisemantel abnimmt). Ich verstehe das nicht! … Lassen Sie bitte meine Sachen gleich ins — (Tritt ein, nimmt ihren Hut ab und gibt ihn dem Fräulein Therese.)
Therese (dreißig Jahre; Hausfräulein, still, bescheiden, ängstlich, leicht nervös; sehr einfach gekleidet). Wollen gnädige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?
Justine (mit Grimasse). Nicht den Salon! Seit der Kerl dort hängt — wie heißt er? Dieser — Hodl!
Therese. Hodler.
Justine. Hodl oder Hodler … scheußlich! Nein. Ins blaue.
Therese (winkt dem Diener und gibt ihm den Reisemantel und den Hut).
Diener (kommt durch die Türe links vom Glasschrank, bringt einen verschlissenen alten Handkoffer, nimmt den Reisemantel und den Hut, geht durch die Türe rechts vom Glasschrank ab, kehrt gleich wieder zurück und geht durch die Türe links vom Glasschrank in den Flur ab).
Justine (geht zum runden Tisch links). Ich verstehe das gar nicht. Hat sie denn meine Depesche nicht gekriegt?
Therese. Eine Depesche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor schon fort, im Auto.
Justine (ärgerlich). Wohin denn?
Therese. Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor gestern telegraphiert hat, dass er heute kommt, denk ich mir, dass sie vielleicht, um ihn in einer Zwischenstation abzuholen … (achselzuckend) aber freilich, sicher —
Justine (ihr ins Wort fallend, kurz). Nein, sicher weiß man bei ihr nie was. (Setzt sich auf die Sitzbank links, aber mit dem Rücken zum runden Tisch.) Wie lange war denn mein Schwiegersohn fort?
Therese. Morgen genau drei Wochen.
Justine (mit einer leise verächtlichen Betonung). Wieder droben, in seiner Hütte?
Therese (nickt bestätigend). Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber schon am anderen Tag zurück. Eigentlich sollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrschaften nach Dalmatien gehen.
Justine (nach einer kleinen Pause). Und? Warum?
Therese (verlegen, fast etwas traurig). Ich weiß nicht. (Tritt näher; leise, zögernd.) Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geschrieben. Bis er gestern telegraphierte, dass er heute kommt. (Achselzuckend, traurig, ganz leise.) Ich weiß aber wirklich nicht.
Justine (trocken). Ich habe Sie schon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragisch zu nehmen. Sie wünscht sich das, aber man soll es nicht.
Therese (beflissen). Ich bemühe mich gewiss —
Justine (ihr ins Wort fallend). Jedes Haus hat ja seine … gewissermaßen seine Achillesferse, dieses aber besteht aus lauter Achillesfersen. Es muss für Sie nicht leicht sein.
Therese (rasch, beteuernd). Die Frau Doktor ist ja so herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!
Justine (trocken). Dadurch erschweren Sie sich’s ja noch mehr.
Therese (fast erschreckt). Wodurch?
Justine. Sie möchten’ s meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegersohn auch.
Therese (eifrig). Das ist doch aber dasselbe!
Justine (mit einem scharfen Blick auf Therese; kurz). So? Noch immer? — Mir recht!
Therese (beteuernd). Gnädige Frau, ich —
Justine (aufstehend; kurz). Ich habe Sie nicht gefragt. (Geht nach rechts vorne. Nach einer kleinen Pause.) Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herrlichen Mann sie hat, und mein Schwiegersohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter ist, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menschen die beiden sind. Ich habe gewusst, dass das ein böses Ende nehmen muss. Nun scheint’ s, sind wir ja so weit.
Therese (entsetzt). Um Gottes willen, was ist denn geschehen?
Justine (kurz). Das weiß ich nicht. (Sieht sie fragend an)
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