Der Irrgeist des Schlosses

Der Irrgeist des Schlosses – Nataly von Eschstruth

Eine Spukgeschichte aus den 1890er Jahren. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Der Irrgeist des Schlosses

Der Irrgeist des Schlosses.

Format: eBook

Der Irrgeist des Schlosses.

ISBN eBook: 9783849657222.

 

Auszug aus dem Text:

Es war im Juni. Blendende Sonnenglut lag auf dem weit gedehnten Häuserkomplex der Kadettenanstalt, flimmernd, wie ein unabsehbares Strahlennetz, welches mit tausend feinen Goldmaschen Himmel und Erde umsponnen hält. Die jungen Gartenanlagen standen matt und welk, einzelne Schmetterlinge hingen an den Blumen, und die Fliegen blitzten wie übermüthige Gedanken durch die Luft, ebenso bunt und schillernd wie der Sonnenstaub, in welchem sie sich tummelten. Hinter dem Hauptgebäude dehnte sich der Reitplatz aus, da war Schatten.

»Durch die Mitte der Bahn changirt!« klang die Summe des unterrichtenden Kavallerieoffiziers. Er ließ die Reitpeitsche sinken, stemmte die Arme in beide Seiten und ließ die erhitzten Pferde an sich vorüber defiliren. Mit glühendem Gesicht führten die jungen Reiter das Manöver aus, mit fast peinlicher Genauigkeit, und dennoch war kein einziger bei der Sache. Zur Seite des Platzes nämlich, dicht an der Barrière, stand ein kleiner Kreis sehr eleganter Zuschauer; die hohe, imposante Gestalt eines Herrn mit dem Band des eisernen Kreuzes im Knopfloch, mit weißem Schnurrbart und hellen Handschuhen, und ihm zur Seite die Frau Majorin, seine Gemahlin, klein, korpulent, mit der Lorgnette vor den Augen.

»Dagmar!« wandte sie sich plötzlich mit strengem Blick zur Seite, »geh’ von dem Geländer herunter! Du bist nicht allein hier!«

Dagmar war ein Backfischchen, graziös, kokett, von Kopf bis zu Füßen rosa. Die kleine Nase mit ihrem kecken, aufwärts strebenden Spitzchen wandte sich halb zur Seite. »Da unten sehe ich nichts, Tante!« rief sie mit leicht gefaltetem Mündchen, »und Frieda und Herr von Sangers stehen ja vor mir!« Und ohne nur die mindeste Notiz von dem mißbilligenden Gesicht der Majorin zu nehmen, rückte sie sich noch übermüthiger auf ihrem Sitz zurecht und warf die wilden Kraushaare in den Nacken zurück.

»Sagen Sie mir doch, Herr von Sangers, wer ist jener entsetzlich häßliche Mensch dort auf dem Schimmel!« lachte sie plötzlich laut auf, ihre tiefdunkeln Augen zu dem jungen Kürassieroffizier hebend, welcher lächelnd mit dem Blick der Richtung folgte, die ihm die kleine Hand ungenirt angab, »nein, das ist ja haarsträubend! Wie eine Leiche sieht er aus und hängt auf dem Pferde wie ein Hampelmann! Hahaha! Fritz!« Und sie wandte sich jäh zu einem rothwangigen, zehnjährigen Knaben zurück, welcher dicht hinter ihr stand: »Daß Du mir niemals solch einen Ritter von der traurigen Gestalt abgiebst, sonst verleugne ich Dich bei Gott vor aller Welt!«

»Da kannst Du ruhig sein, Dagmar!« schüttelte Fritz mit wegwerfendem Naserümpfen den Kopf, »ich glaube, wir Beide reiten jetzt schon besser wie all’ die Kerls da zusammen!«

»Aber Kinder, bitte, menagirt Euch!« wandte sich die Majorin mit strafendem Blicke um, und auch Frieda schüttelte ganz verlegen ihr achtzehnjähriges Blondköpfchen und sagte in entschuldigendem Flüsterton zu Herrn von Sangers: »Die beiden Kleinen sind gar zu wild, das kommt von dem ewigen Landaufenthalt bei uns; ich bin recht bange, wie Fritz sich hier einleben wird!«

Der schöne Offizier strich lächelnd seinen glänzenden Schnurrbart. »Unbesorgt, mein gnädiges Fräulein, lassen Sie den kleinen Vetter erst ein paar Monate bei uns sein, und Sie werden Ihre Freude erleben, welche Wunder das Kadettenkorps bewirkt. – Wie befahlen Sie, Fräulein Dagmar?«

»Ich befahl, daß Sie mir nun endlich sagen, wer jenes junge Scheusal auf dem Schimmel ist!« klang es mit grausamer Betonung von den frischen Lippen und Dagmar zupfte kokett an der dunkelrothen Rose, welche, weithin leuchtend, in ihrem Knopfloch stak, »jetzt kommt er eben hier angeritten, der dritte – heiliger Laurentius, wenn er doch einmal herunterfiele!« Und mit hellem Gelächter strich sie das schwere Haar aus der Stirn und hämmerte ausgelassen mit dem spitzen Stiefelhacken gegen die hölzerne Barrière.

»Bitte, nicht so laut, Fräulein Dagmar!« raunte ihr Sangers mit leichtgefalteter Stirn zu, »Graf Echtersloh ist unser zukünftiger Moltke, klug, strebsam, sehr brav und tüchtig.«

»Aber häßlich! Häßlich über alle Begriffe!« Laut und scharf klang die Stimme Dagmars über den Platz, ein spöttischer Ausdruck umspielte ihre rothen Lippen, fest und groß hafteten ihre Augen auf dem Gesicht des Kadetten, ein fast herausfordernd trotzig moquanter Blick, welcher jedoch den Zauber des pikanten Gesichts eher erhöhte als vernichtete.

Wie von einem Dolch getroffen schrak Graf Echtersloh empor, momentan ruhte Auge in Auge, jeder Blutstropfen wich aus seinen an und für sich schon sehr bleichen, großgeschnittenen Zügen, starr wie das Antlitz eines Todten schaute er zu ihr herüber.

»In abgekürztem Tempo Galopp – Marsch!« klang das Kommando des Offiziers dicht neben ihm. Der Schimmel zuckt auf, mit jäher Bewegung setzt er sich in das rasche Tempo seiner Vorgänger, und Graf Echtersloh, überrascht, verwirrt, wie aus tiefem Traum erwachend, sucht schwankend die Balance zu halten – umsonst, mit schneller Wendung kündigt der Schimmel den Gehorsam und sein Reiter fliegt vornüber in schwerem Sturz aus dem Sattel.

»Nun haben Sie ja Ihren Willen gehabt, Fräulein Dagmar,« flüsterte Sangers zwischen den Zähnen, und ein fast finsterer Blick streift die Kleine, welche momentan leicht erbleichend auf das herrenlos dahintrabende Pferd starrt. »Das hätte leicht recht schlimm ablaufen können. Aber Gott sei Dank, unser braver Selektaner scheint sich nicht erheblich verletzt zu haben! Sie scheinen sehr viel Gewicht auf das Aeußere zu legen, Fräulein von der Ropp, für Sie existirt nur die Schönheit?«

»Natürlich!« Dagmar warf ihr reizendes Köpfchen in den Nacken: »Es giebt drei Dinge auf der Welt, welche mir verhaßt sind: Kälte, Dunkelheit und häßliche Gesichter, und wenn Ihr Graf Echtersloh auch ein wahrer Ausbund von Klugheit und Geist wäre, er ist für meine Begriffe ein Monstrum von Häßlichkeit, und das genügt, um ihn für mich aus dem Register der Existirenden zu streichen!«

»Du übertreibst, Dagmar,« warf Frieda mild ein, »es ist nur seine auffallend bleiche Gesichtsfarbe, welche ihn auf den ersten Blick unschön erscheinen läßt, seine einzelnen Züge sind nicht häßlich, im Gegentheil, sie sind fast zu regelmäßig ausgeprägt für das hagere Gesicht!«

»Gesicht! Wie kann man einen solchen Todtenkopf nur Gesicht nennen!« zuckte die Kleine geringschätzend die Achseln, »wenn nicht seine zwei großen Räderaugen darin flammten, wäre es eine Wachsmaske, puh, und diese Augen, ich finde sie schrecklich, seht doch, wie er jetzt wieder hierher starrt, als ob er mich verschlingen wollte!«

»Ist Graf Echtersloh leidend?« fragte Frieda teilnehmend.

»Nein, mein gnädiges Fräulein, aber zu übertrieben fleißig,« nickte Sangers mit freundlichem Blick auf den Genannten, »die jungen Leute präpariren sich für das Offiziersexamen, und ich hoffe, daß die unermüdlichen Studien Echterslohs alsdann ihre glänzenden Früchte tragen!« –

Major von der Ropp besichtigte mit viel Interesse die innere Einrichtung der gewaltigen. Gebäude; er schritt an der Seite des Kommandanten, und es drehte sich die Unterhaltung der Herren hauptsächlich um den angemeldeten Kadetten Fritz, welcher heute von seinem Vormund mit dem zukünftigen Aufenthalt bekannt gemacht wurde.

….

 

 

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