Gänseliesel

Gänseliesel – Nataly von Eschstruth

Eine Hofgeschichte und einer der größten kommerziellen Erfolge der Autorin. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Gänseliesel

Gänseliesel.

Format: eBook

Gänseliesel.

ISBN eBook: 9783849657215.

 

Auszug aus dem Text:

Weite, wogende Kornfelder, rotblühendes Haideland und bräunliche Steppe, begrenzt und durchschnitten von endloser Kiefernwaldung, ebenso melancholisch wie der Himmel, welcher sich in einförmigem Regengrau, oder in wolkenlos strahlender Sommerbläue, mit fern, fern verschwimmendem Horizonte darüber spannt, wer kennt sie nicht, diese eigenartig nordische Landschaft, so arm an bunter und reizvoller Abwechslung, und dennoch eine zaubervolle, thränenlächelnde Poesie? Keine Bergkuppe, kein malerisches Felsenhaupt strebt zum Himmel, meilenweit schweift der Blick über die Ebene, flach und einsam hingestreckt, ausdruckslos wie ein schlafend Angesicht. Aber dort, weit hin am Waldessaum, da leuchtet und blitzt es plötzlich auf wie ein zitterndes Silberband, da dehnt sich hellkräuselnde Flut breiter und breiter vor unserm Blick, ein schilfumkränzter See ist es, der tief verborgen zwischen Wald und Haide sein träumerisches Lied von der Sehnsucht rauscht. – – –

Juni war es, die Rosen blühten. Die Luft schien zu zittern, so heiß und klar war sie, und versuchte es der Wind, die träge Schwinge zu rühren, so trug er nur schwüle Duftwogen herzu, deren süßer Atem ihm selber den Sinn berauschte, darum sank er kraftlos hernieder in die Lindenblüten und regte sich nicht mehr.

Am kleinen Bach entlang, mitten durch breite Kleefelder und Kartoffeläcker, schritt ein junges Mädchen. Ein grobgeflochtener Gartenhut, eine verblichene Bandschleife als einzigen, ungraziösen Schmuck tragend, hüllte Stirn und Augen in Schatten und saß recht nachlässig auf dem schlanken Köpfchen, von welchem zwei köstlich dicke, goldblonde Flechten etwas wirr und zerzaust über den Rücken hingen. Ein schlichtes Kattunkleid rauschte steifgestärkt um die zierliche Figur, auf zwei große, derblederne Schuhe niederfallend, welche ihre wuchtigen Nägelspuren tief in dem lockeren Sandboden zurückließen. Die sonnverbrannte Hand führte ein umfangreiches Butterbrot zum Munde, langsam und behaglich, abwechselnd mit den köstlichen Herzkirschen, welche auf breitem Kohlblatt, wohlgehütet auf dem gebogenen Arm lagen. Zeitweise blieb die junge Dame stehen, blickte sinnend auf den Klee und bog mit der plumpen Schuhspitze die grünen Blätter auseinander, lange vergeblich. Endlich beugte sie sich hastig vor, so eifrig, daß die Kirschen über die Hand in den Wegsand rollten, und so interessirt, daß sie die Flüchtlinge gar nicht bemerkte. »Ein Vierblatt! Endlich!« klang es jubelnd von den Lippen, »na, Monsieur Friedel, jetzt mach’ die Augen auf! Bin ich immer noch ein Pechvogel? Hier hab’ ich’s ja, das Glück, und wenn ich’s Dir gezeigt habe, esse ich’s auf. Grete sagt, das müsse man, wenn’s wirklich Gutes bringen soll!«

Das Butterbrot zwischen den Zähnen haltend, griff die Sprecherin vorsichtig in die dickabstehende Kleidertasche, warf einen schnellen Blick hinter sich auf den Weg und zog alsdann ein kleines, altmodisch gebundenes Büchlein hervor, einen Augenblick hielt sie es nachdenklich zwischen den Fingern. »Hm, ich will aufschlagen, welch ein Glück mir dieses Kleeblatt bringt,« überlegte sie mit reizend wichtigem Zug um den kleinen Mund, klappte langsam das Buch auseinander und schaute atemlos auf das Gedruckte unter ihrem Daumen. »Sah ein Knab’ ein Röslein stehn, Röslein auf der Haiden,« las sie feierlich, mit einer Stimme und Betonung, welche Hamlets Geist alle Ehre gemacht haben würde, las pflichtgetreu bis zu Ende und seufzte tief auf, »half ihm doch kein Weh und Ach! Ich danke für solch ein Glück! Unsinn mit diesem Gedicht, von wem ist es denn eigentlich? Aha, Goethe, also doch etwas Schönes, – – ich verstehe es vielleicht nur nicht recht!« so preßte es sich murmelnd zwischen Zähnen und Butterbrot hervor, und die junge Dame legte das Vierblatt behutsam zwischen die Blätter in Goethes Gedichte und versenkte das Bändchen wieder in die gewaltige Tiefe der Kleidertasche.

In beschleunigtem Tempo schritt sie weiter, brach sich eine schlanke Weidenrute vom Bachufer und köpfte mutwillig die weißen Schafgarbdolden, welche überhoch am Feldsaum wucherten; die roten Lippen spitzten sich, in vergeblichem Versuch »Gaudeamus igitur« zu pfeifen, dieweil ihre Gedanken wieder bei Pastors Friedel weilten, und dieser Herr Studiosus und besagtes Lied ein unzertrennlicher Begriff waren. Der Weg lenkte jetzt von dem Bache seitwärts auf eine große Wiese, durchduftet von dem köstlichen Heu, welches in hohen Haufen darin aufgetürmt lag, und durchschnitten von der sandigen Fahrstraße, welche auf der anderen Seite bereits von hochstämmiger Kiefernwaldung begrenzt wurde.

An dem flachen Grasrain dieser Straße saß Bärbel, die kleine Gänsehirtin. Die Sonne schien golden auf ihr nußbraunes Haar, welches in abstehendem Knötchen auf dem Kopfwirbel aufgebunden war, schien auf den gebräunten Nacken und die hartgearbeiteten Hände, in welchen sich das Angesicht barg, um dicke, bittere Thränen durch die Finger zu weinen.

»Ei, Bärbel, was heulst Du denn?« klang es plötzlich neben ihr, und ein leichter Gertenklapps auf das gesenkte Haupt ließ die Kleine erschrocken aufschauen. »Hat Dir Jemand ‘was gethan?«

Mit blödem Blick starrte Bärbel aus den rotgeweinten Augen, seufzte tief auf und schüttelte wehmütig den Kopf: »Ach nä, gnä’ Frölen, mir hät Keen’s wat to Leed dohn! äwerst rohren möt ick doch!«

»Dömlich Dirn, wo kannst’ Di for nix so hevven!« klang es voll wohlgemeinten Trostes zurück; »wist’ unsen leeven Herrgot int’ Rägenwetter pfuschen? Gliek seggst mi, wat di ankommen is.«

Bärbel wischte krampfhaft mit dem Handrücken über das thränenüberströmte Gesicht. »Ach, gnä’ Frölen, min’ oarm Mudding – –«

»Man tau! was is mit se?«

»Se is sitn’ poar Dagen all krank und tau Bed, un’ het Fever seggt de Doctor – – und min lütt Swestern un de Brauder sin nu ganz ohn’ Upsicht, un Keens do, wat min Modder waarten kan!« rang es sich schluchzend von Bärbels Lippen. »Ach lever God, ick mächt woll giern do sin!«

»Oll Döskopp! worüm gehst denn nich, un sitzt all dar?« war die unzweideutige, hastig hervorgestoßene Antwort; »gliek gehst to Hus!«

»Ach, ik ging so giern – äwerst de Gös!!« Und Bärbel warf einen verzweifelten Blick über ihre schnatternden Unterthanen. »Ik möt jo bi dat Deivelsviech blieven, Frölen Josephining!«

Das gnädige Fräulein sah ebenfalls betroffen drein.

»Do hest recht, wat is dabi tau maken? Hast nich Eenen, de för di hin könnt?«

Bärbel schüttelte trostlos den Kopf. »Is keen Menschenseel nich!« Und abermals stürzten die Thränen aus ihren Augen. »Ach, wenn ik nur för’n Ogenblick nach’r seihn könnt?«

Da richtete sich Fräulein Josephine resolut in die Höhe, klatschte Bärbel mit der Weidenrute auf den Rücken, um die Rührung zu verbergen, und sagte kurz: »Sput di, oll’ Rohrdirn, un’ kiek een’s vör tu Hus, ik hevv twei Stunn’ Tid, ik bliev bi de Gös!«

….

 

 

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