Der verlorene Sohn

Der verlorene Sohn – Nataly von Eschstruth

Von Eschstruths Unterhaltungswerke waren zu Ende des 19. Jahrhunderts beliebte Vertreter der Trivialiteratur. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Der verlorene Sohn

Der verlorene Sohn.

Format: eBook

Der verlorene Sohn.

ISBN eBook: 9783849657208.

 

Auszug aus dem Text:

Man nannte sie einen wunderlichen Charakter. – Viele behaupteten, sie sei unliebenswürdig und kaltherzig, wenige nahmen sie in Schutz und versicherten, hinter ihrem kühlen, schroffen Wesen berge sich ein tiefes Gefühl, ein warmes und großes Empfinden, welches jedoch ängstlich versteckt werde, wie ein Licht unter dem Scheffel.

Wer in seinem Elternhause nur militärische Präzision, Kommandos und soldatischen Drill gewöhnt sei, müsse ja jede weichere und zärtlichere Regung des Herzens als Gefühlsduselei und lächerliche Sentimentalität erachten.

Fräulein Malwine von Ries sei das Ebenbild des Vaters, ein Soldat in Mädchenkleidern. Was Pflichtgefühl, Ehre, Rechtschaffenheit bedeute, sei ihr voll bewußt, aber die Passionen ihrer Altersgenossinnen, ein lyrisches Gedicht zu lesen, abends an dem geöffneten Fenster in Lenzesduft und Mondenschein hinaus zu schwärmen, ein Ballkleid entzückend und ein totes Vögelchen zum Herzbrechen traurig zu finden, diese schwärmerischen Anwandlungen seien ihr geradezu unverständlich und wohl auch in tiefster Seele zuwider.

Ob Fräulein Malwine sich wohl jemals verlieben könne und werde?

Man lächelte bei diesem Gedanken ebenso ungläubig wie bei dem phantastischen Plan eines Sternforschers, zwischen Mars und Erde einen regelrechten Meinungsaustausch zu bewerkstelligen.

Fräulein Malwine als Braut! – welch eine Ironie auf all die lieblichen Traditionen, welche sich mit diesem Worte verknüpfen!

Wenn man das große, breitschulterige Mädchen mit der strammen Haltung, den knappen, wohlgedrillten Bewegungen, dem etwas großen Kopf mit dem frischwangigen Gesicht, aus welchem die Grauaugen so unsagbar nüchtern und tief ernst blickten, – wenn man dieses Mädchen voll eisernen Fleißes wirtschaften und zwischen Kochtöpfen, Besen und Waschwanne hantieren sah, dann kam es selbst dem phantasiebegabtesten Menschen nicht in den Sinn, sich Fräulein von Ries als kosende, wonnig blickende, innig anschmiegende Herzliebste zu denken!

Wie hätte der so herbe und resignierte Mund wohl Worte der Liebe und Zärtlichkeit finden, wie hätte er sich wohl voll bebenden Entzückens in süßem Kusse hingeben können! Wie hätten diese, wohl schön und edel geformten, aber doch so fest und rücksichtslos zugreifenden Hände in holder Tändelei durch eines Jünglings Locken streichen, seine Rechte voll lieblicher Bangigkeit schutzheischend umschließen können!

Solch eine Idee war einfach lächerlich, und darum kam sie auch keinem Menschen, obwohl einmal ein ganz junger Leutnant bei dem Anblick der hohen, imponierend stattlichen Erscheinung in dem bleifarbenen Seidenkleid jählings ausgerufen hatte: “Donnerwetter! Die wäre eigentlich eine Frau für einen kommandierenden General! Wenn die einen so von oben bis unten mustert, fährt einem schon ganz unwillkürlich der Daumen an die Hosennaht!”

“Hm – so übel nicht!” nickte sein Nachbar lächelnd, “sie würde ihre Divisionen sicher ebenso gut im Zuge haben, wie daheim ihren Haushalt! Fräulein Malwine ist fraglos ein Edelstein – aber doch ein etwas ungeschliffener, ebenso wie ihr Vater, der hünenhafte Pensionär dort, mit dem blauroten Gesicht, dem forschen weißen Schnauzbart und der dröhnenden Baßstimme! So uranständig, vornehm denkend und vortrefflich der Mann zeitlebens gewesen ist, – eine gewisse Härte und Schroffheit hat er nie überwunden, und ebenso ergeht es der Tochter! Ein famoser Charakter, – man kann Häuser auf sie bauen, aber kühl bis ans Herz hinan – und im Kommandieren sehr viel leistungsfähiger als im Kosen!”

So hatte man schon über sie geurteilt, als sie noch ein ganz junges Mädchen war und ihre ersten Bälle besuchte.

Sie sprach wenig, kurz angebunden und anscheinend sehr gleichgültig, dabei sah sie den Betreffenden mit den klaren, kalten Augen an, als erteile sie ihm einen strengen Tadel.

Es sah aus, als tanze sie nur aus Pflichtgefühl, weil es ein Ball nun mal so mit sich bringe. Wenn sie einmal nicht tanzte, war es ihr ebenfalls gleichgültig. Sie stand dann hoch und stolz aufgerichtet und blickte über die lustig wirbelnde Menge hinweg, als wollte sie sagen: “Ihr scheint sämtlich verrückt zu sein! Was für einen moralischen Zweck und Sinn hat dieses einfältige Im-Kreise-Herumdrehen?”

Und dann setzte sie sich in die Nähe ihrer Mutter, einer wortkargen, blassen Frau, welche unheilbar an tiefer Erbitterung krankte, weil ihr Gatte es nicht zum Exzellenzentitel gebracht, und unterhielt sich mit den alten Damen sehr unterrichtet und sehr ehrbar über Marktpreise, schlechte Dienstboten und erprobte Kochrezepte, sehr unbekümmert, ob sie darüber die schönsten Tänze versäumte und die Kotillonsträußchen im Stiche ließ.

“Sie ist die geborene alte Jungfer!” schüttelte selbst Frau von Ries den Kopf, und nur der Vater zog die Brauen noch struppiger zusammen und sprach grob: “Blödsinn! – Malwine ist das einzige Frauenzimmer, welches sich anständig benimmt und nicht nach den Männern angelt! Darum wird sie die einzige sein, welche mal eine gute Heirat tut!”

“Das wäre!” hohnlächelte die Frau Oberst und sah verbitterter und sauertöpfischer drein als sonst. “Von nichts – wird nichts. Aus Liebe nimmt sie keiner und um des Geldes willen auch nicht! Meine arme Malwine müßte eben nicht mein Kind sein, wenn sie Glück haben sollte! – Das ist nie bei uns zu Hause gewesen, das hat uns ewig stiefmütterlich behandelt! Wenn ich allein bedenke, wie sie dir damals den Abschied ins Haus geschickt haben! Ohne allen Grund! Ohne jede Veranlassung! Dein Regiment war das beste im ganzen Korps … sie mußten dich zum General machen, wenn es noch Gerechtigkeit im militärischen Leben gäbe …”

Herr von Ries hob mit drohendem Blick das graue Haupt. “Himmelkreuzdonnerwetter! Schon wieder die alte Litanei! Ich sage dir, daß ich absolut kein Stratege bin, daß ich im Manöver die Brigade ganz niederträchtig, ganz unter aller Kritik geführt habe! Potz Wetter noch eins, ich hätte mich selber zum Teufel gejagt! – Eins schickt sich eben nicht für alle, ich habe nie Talent zum Soldaten gehabt! Jäger hätte ich werden sollen, Forstmann – aber der Vater steckte mich ins Korps. Habe mir redlich Mühe gegeben, durch Fleiß und Eifer das Fehlende zu ersetzen, – aber wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren! Danken muß ich, daß sie mir noch ein Regiment gegeben haben! Und das tue ich auch, Alte, und bin zufrieden mit meinem Los, und – Potzbombenelement! – du sollst das auch sein und das ewige Räsonnieren lassen! Verstanden?” – und damit warf er die Tür krachend hinter sich zu und schritt davon.

Frau von Ries aber kniff die schmalen Lippen noch schmaler zusammen, neigte sich stumm über ihre Flickarbeit und sah noch um einen Schein blässer und hagerer aus als sonst.

Malwine stand unterdessen in der Plättstube, tadelte in ihrer ruhigen, gelassenen Weise das Mädchen, welches Schmutzstreifchen in die Vorhemdchen des gnädigen Herrn geplättet hatte, und steckte voll kühler Gewissenhaftigkeit die unsauberen Stücke in den Waschkessel zurück, mochte die Dore das Gesicht noch so weinerlich und übellaunig verziehen, dann aber griff sie stumm zu dem Bolzen, trat an das Bügelbrett und nahm der gescholtenen Magd gutwillig die Hälfte der Arbeit ab.

Sie streifte die Ärmel an den vollen, kräftigen Armen empor, griff in den Korb und sprengte die Wäsche ein, und dabei flog kein Tropfen auf die große, weißleinene Hausschürze, und an dem schlichtgescheitelten Haar verschob sich kein Strähnchen, das Bild ruhigen, tadellosen Fleißes stand sie inmitten der Arbeit, so ernst und still, als existiere kein anderes Glück in der Welt als das Waschen, Scheuern und Plätten.

Und doch klopfte ein Herz in ihrer Brust, so bang und unruhig, wie noch nie zuvor im Leben, und die kühlen Augensterne, welche anscheinend nur ihre Arbeit sahen, hoben sich verstohlen mit beinah schüchternem Blick zum Fenster, wenn ein schneller Schritt vor dem Souterrain ertönte.

Und dann ging es plötzlich wie ein lichter Schein über das strenge Mädchengesicht, die Lippen öffneten sich wie bei einer Dürstenden, und durch die Hände, welche so emsig schafften, ging ein seines, kaum merkliches Beben.

….

 

 

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