Der Jude

Der Jude – Karl Spindler

Ein Sittengemälde aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Eine umfassende treue Schilderung des mittelalterlichen Lebens und Seins, wie des Judentums jener Zeit, voller überraschender Situationen und Charaktere.

Der Jude

Der Jude.

Format: eBook

Der Jude.

ISBN eBook: 9783849657130.

 

Auszug aus dem Text:

Der zwölfte November des Jahrs Eintausend vierhundert und vierzehn nach des Erlösers Geburt, sah mit kaltem und duftigem Morgenantlitz in die Fensterscheiben der Herberge zum Rebstock in der Reichsstadt Worms. Der Winter hatte dem Spätherbst tälpisch und zierlich zugleich in’s Amt gegriffen; denn, während alles knisterte und knarrte, vor der früh eingebrochnen ungestümen Kälte, hatten die entlaubten Bäume weiße Wollelöckchen angesetzt, und niedliche Eisblümlein sich angewachsen am Glas und Gestein. Zwar leckte der Sonnenstrahl gierig an den über Nacht aufgeschossenen Gewächsen, aber seine Zunge war nicht mehr feurig genug, sie aufzuzehren. Im untern Geschoße des Rebstocks kam man der matten Sonnenflamme mit glühendem Ofen zu Hülfe, allein im Oberstocke glimmte kein Funke, und der mächtige Kachelofen der hübschesten Stube des Hauses, die nach einem über der Thüre angemalten buntfarbigen Blumenstrauß »die Maienstube« genannt wurde, war eiskalt, obschon ein stattlicher Gast das Gemach bewohnte. Die Attribute der Ritterschaft: Schwert, Handschuhe, bespornte Stifel und Federhut lagen unordentlich hin und her auf dem Boden zerstreut. Der Besitzer dieser Herrlichkeiten lag aber völlig angezogen zu Bette, beschäftigt, den verwichenen Martinsabend auszuschlafen, der ihm nicht am zuträglichsten gewesen zu seyn schien. Neben ihm ruhte, in einen Reitermantel gewickelt, ein gar holder Knabe, dessen still lächelndes Gesicht, vom sanftesten Schlummer befangen, sehr gegen das aufgedunsene, von Trunkenheit und wüsten Träumen entstellte Antlitz des Nebenschläfers abstach. Der Letztere reckte sich endlich, fuhr mit der breiten Hand über Stirne und Augen, und den bereiften Bart und erwachte. Verwundert betrachtete er die Stube und seine eigene Gestalt; seine Verwunderung wurde Erstaunen, da er seinen Bettnachbar gewahrte, und er sprang bei dessen Anblick auf, gleich als ob ihn eine Schlange gestochen. Unverständliche Worte vor sich hinbrummend, und vor Kälte zitternd fuhr er in die Stiefel, und stampfte dreimal gewaltig den Boden, daß der schlafende Knabe erschrocken aufschrie, alsobald jedoch wieder in Müdigkeit und Schlummer versank. Ein langer hagrer Mensch, in der etwas zerlumpten Kleidung eines Herrenknechts, kam zur Thüre herein, und fragte mit winterblauen Lippen nach dem Befehl des gestrengen Herrn.

»Sag an, Vollbrecht!« fragte der Letztere: »Wie gieng es denn zu, daß ich in Wamms und Krause zu Bett gekommen?« – »Euer demüthiger Knecht hat Euch selbst hineingebracht;« erwiederte Vollbrecht mit ängstlichem Bückling: »Ihr littet gestern stark am Gebreste des heil. Martin, und so geschah es denn …«

– »Still!« befahl der Herr. – »Wie komme ich aber zu dem Kind?« fuhr er kleinlaut fort.

»Der gestrenge Junker wolle sich nur gütig erinnern,« – sprach Vollbrecht, ein paar Schritte ausweichend, – »wie ich Euch gestern aus der Trinkstube zum Rosengarten heimleuchtete mit dem Kienspan, den mir die rothbäckige Dorothea aufgedrungen, und wie wir im Scheibengäßlein unfern von dem Eckstein, an dem das Muttergottesbild aufgerichtet, den Knaben gefunden, der da eingeschlafen war.«

– »Ganz recht; ich besinne mich nun auf Alles;« erwiederte der Junker, und rieb sich die erstarrenden Hände: »Was treibt aber unser Wirth, daß nicht einmal Feuer angemacht wird, bei der grimmen Kälte? Sollen wir hier erfrieren?«

»Erfrieren;« bestätigte Vollbrecht, die Thürblinke zur Hand nehmend: »Erfrieren, oder uns von dannen machen; denn der Wirth will nicht länger borgen, und verlangt Zahlung unsrer Zeche.«

»Nichts Billigers als das;« antwortete der Herr: »aber Verlangen ist Eins; Zahlen hingegen ein Anderes. Ich habe keinen Weißpfennig mehr in der Tasche. Alles gieng gestern drauf in Wein, Imbis und Brettspiel. Der alte Narr muß warten.«

Vollbrecht schüttelte den Kopf. »Ich zweifle, Herr,« sprach er hierauf, vorsichtig die Thüre öffnend. – »Der Mensch sagte mir erst vorhin, er werde nach Pferd und Zaum greifen, wenn nicht noch heute Morgen alles getilgt würde, was darauf gegangen ist in dieser Woche.«

»Kreuz! Stein und Dorn!« brach der Junker los, nach der Klinge fahrend, daß Vollbrecht, – solcher Auftritte nicht ungewohnt, – sich hinter der Thüre barg: »was bildet er sich ein, der Wormser Lump? Streckt er eine Kralle nach meinem Gaul aus, so haue ich sie ihm ab. Gleich soll er kommen, – gleich, und auf der Stelle; ohne Säumen!«

Vollbrecht sprang die Treppe hinab. Der Junker stülpte trotzig den Hut auf den Kopf, und schritt, eine Anrede an den Herrn des Rebstocks im Sinne ordnend, ungeduldig auf und nieder. Bald erschien auch der Gerufene, das verhängnißvolle Kerbholz tragend, aus dem die ziemlich beträchtliche Schuldsumme des Gastes eingeschnitten zu sehen war.

»Wie viel beträgt meine Zeche?« fragte der Letztere barsch, als strotzten seine Taschen von Golde.

»Zwanzig Turnosen, drei Pfenninge für den Herrn, den Knecht und das Pferd;« antwortete der Wirth vom Rebstock sehr freundlich.

»Ein Bettelgeld,« prahlte der Fremde: »obgleich die Zeche übertrieben theuer. Aber wie gesagt, ein Bettelgeld, wegen dessen Du mir keine Umstände machen wirst, guter Freund. Nicht wahr?«

»Nicht die Geringsten,« erwiederte der Wirth: »Ihr habt nur zu bezahlen, und meine schlechte Schenke ist wieder ganz zu Euern Diensten.«

»Du bist harthörig, mein Freund!« sprach der Gast mit vornehmem Augenzwinkern: »Ich hatte gestern Unglück im Spiel, und der Martinschmauß hat mich viel gekostet. Heut kann ich Dich nicht befriedigen, aber sobald ich wiederkehre von Costnitz, soll Dein seyn, was Dir gehört.«

Der Wirth sah den Sprecher einen Augenblick an, .. zuckte die Achseln und gieng nach der Thüre. – »Wohin gehst Du?« fragte ihn der Andere.

»Ich gehe, den Stall zuzusperren;« versetzte der Bürger kalt: »Müßt Ihr gen Costnitz, mögt Ihr zu Fuße gehen. Euer Pferd bleibt hier zurück, bis mein ist, was mir gehört.«

»Wie?« fuhr der Gast auf: »Du ungeschliffener Wirth! weißt Du, mit wem Du also sprichst? Ich bin der Edelknecht Gerhard von Hülshofen, und darum nicht zu Schild und Helm geboren, um mir von einem elenden Reichsstädter Schmachreden ins Angesicht sagen zu lassen.«

»Ich kenne Euch wohl;« erwiederte der Wirth: »Wer sollte den verwegensten Gesellen am Rheinstrome nicht kennen, den der wohlweise Rath von Frankfurt als seinen Kämpfer und Turnierfechter gedungen; der zwar keinen Gegner unbezwungen läßt, aber auch keinen Becher ungeleert, keine Dirne ungeneckt, und keinen Herberger ungeprellt. Darum eben nehme ich Euren Gaul.«

»Das Pferd gehört meinen Herren von Frankfurt,« rief der Edelknecht patzig.

»So mögen Eure Herren von Frankfurt es auch auslösen;« versetzte der Gläubiger gleichgültig. »Der ehrsame Rath wird einen Reichsbürger nicht schädig gen lassen an seinem Gut durch einen Dienstmann.«

»Ich bin ein Edelmann, Bursche;« brauste der Junker; und wenn ich Spießbürgern diene, so geschieht es aus gutem Willen, und nicht …

»Lieber Herr;« erwiederte der Wirth: »Ich vermag eines Adlichen Thun und Lassen nicht zu schätzen; allein ich wollte, Ihr hättet Euern Martinstag wo anders zugebracht. Ich hab Euch nicht geladen, und will folglich Eure Zehrkosten nicht aus eignem Seckel bestreiten. Darum nehme ich Euern Gaul und damit genug.«

»Unterstehe Dich!« rief Gerhard: »Plumper Wicht! Glaubst Du, meine Freunde werden mich verlassen?«

….

 

 

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