Der Jesuit

Der Jesuit – Karl Spindler

Ein spannendes, aber auch romantisches Charaktergemälde aus dem ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, angesiedelt im damaligen südamerikanischen Jesuitenstaat Paraguay.

Der Jesuit

Der Jesuit.

Format: eBook

Der Jesuit.

ISBN eBook: 9783849657123.

 

Auszug aus dem Text:

Schön ist es, über eine Schwelle zu schreiten, jenseits welcher der Fleiß und die geschäftige Betriebsamkeit ihren Thron erbaut haben, sobald man sieht, daß all das ewige Treiben das Wohlsein des Lebens begründen soll, und nicht bloß einen glatten Gipsmarmor um die trockne, dürre Säule von Holz. Der Hausvater ist ein ehrwürdiger, geliebter Mann, wendet er seiner unermüdlichen Tätigkeit Zinsen dazu an, daß die Seinen sich fröhlich daheim finden in dem traulichen Hause; daß er selbst – der Schöpfer des Wohlstandes – behaglich ruhe in seinem Eigentume. Die heitere Wohnung wird ein Paradies für den Besitzer, ein Ort des Friedens den Freunden, den Bedrängten ein Asyl. Keucht aber im Erdgeschosse die besoldete Mühe im eisernen Dienstjoche, während im obern Stockwerke die Langeweile, die Verdrossenheit, auf einsamen Polstern, hinter kaltem Stein und vornehmen Goldwänden gähnt – dann, Wanderer, meide die stolze Pforte, wenn auch noch so einladend das »Salve« von ihrer Schwelle spricht. In dem Steinhaufen gebietet kein fühlendes Gemüt, und vor dem starren Reichtum floh die Zufriedenheit! – Wer im Jahre 1720 gelebt, und das Innere des Hauses gesehen hätte, welches der Senator Müssinger in der deutschen Reichs- und Handelsstadt, die der Aufzeichner dieser Begebenheiten meint, aber nicht nennt, dazumal bewohnte, müßte dem einleitenden Spruche Beifall geben. Das stattliche Gebäude war von Uranbeginn zum Denkmale des Hochmuts bestimmt gewesen. Ein Spekulant, der in den ersten Jahren des spanischen Erbfolgekriegs durch Lieferungen für die alliierten Heere ungeheure Summen gewonnen hatte, legte das Fundament zu dem palastähnlichen Hause. Die Vollendung desselben sollte er nicht sehen. Mancher Schurkereien überwiesen, sollte ihm, kurze Zeit nach der Schlacht bei Hochstädt, der Prozeß gemacht werden: er entging der Schande jedoch durch einen kühnen Pistolenschuß. Die leere, unausgebaute Prachtwohnung des verunglückten Lieferanten kaufte bald der vom Glücke begünstigte Senator Müssinger. Der unternehmende Handelsherr, der mit Ost- und Westindien verkehrte, fand sich zu enge in dem kleinen Vaterhause, zog über in das neue, große; und Fortuna, die bereitwillig in dem bescheidenen Spezereikrame des Kaufmanns Platz genommen hatte, siedelte mit in das neue, geräumige Kontor. Müssingers Firma war die erste auf dem Markte, und florierte weit und breit im Aus- wie im Inlande; trieb Jahr für Jahr die schönsten Blüten und Früchte. Die Mehrzahl seiner Mitbürger beneidete den glücklichen Senator: sie bewies aber durch diesen Neid – entweder ihre Unbekanntschaft mit Müssingers anderweitigen Verhältnissen, oder einen Gelddurst, der alles schnöde übersieht, was das Herz berührt, und nicht allein den Kurszettel im Gehirn. Trieb des Kaufmanns Geschäft auch Blüten, der Hausvater sammelte keine aus seinem Familienleben. Seine Frau, seit achtzehn Jahren mit ihm vermählt, hatte ihm viele Geldsäcke, keine Neigung zugebracht, und die Zeit nichts getan, die vom Berechnungsgeist der Väter verbundnen Ehegatten im Gemüte zu vereinen. Unfriede herrschte gerade nicht; der Friede aber, der da versöhnt und duldet und vergibt, wahrlich auch nicht. Der Senator, ein lebendiger Mann, an den Fünfzigen stehend, cholerischen Temperaments, dem beim geringsten Anlaß zu heiß unter der Stirn, die Halsbinde zu enge wurde, stellte das schneidendste Widerspiel seiner Ehefrau dar, die mit beleidigendem Uebermut, welcher seine Quelle in fehlerhafter Erziehung gefunden, eine Kälte und Trägheit vereinigte, wie sie sonst nur im höchsten Norden, oder im sengendsten Süden vorkommen mag. Frau Jakobine, im Ueberflusse aufgehätschelt, kannte nicht Sorge, nicht Mühe, nicht einmal das bequeme Streben einer vornehmen Hausfrau. Kam der Tag, so verlebte sie ihn, und er mußte ebenso prunkend einhertreten, wie seine Vorgänger; Geld in Hülle und Fülle für jedes, auch noch so eingebildete Bedürfnis spenden, reichen Schmaus für Lippe und Gaumen, und eine lange Plaudersitzung im Kreise der geschwätzigsten Muhmen. Währenddessen schaffte und plackte der Senator, bald wie der ärmste Knecht, bald wie der härteste Fron, im Bezirk seines Handelsgetriebes, und gönnte sich kaum, vor sprudelnder Tätigkeit und mutwillig gehäufter Arbeits- und Spekulationslast, die nötigen Ruhestunden. Doch feierte er diese wenigen nicht im Schoße der Seinen. Weder beim Frühstück, wo man den braunen westindischen Trank aus japanischen Gefäßen schlürfte, und dabei so steif saß, wie die blassen Figuren auf diesen Tassen, noch beim Mittagsmahl, wo die leckerste Kost entweder mit gieriger Hast, oder mit vitellischer Trägheit verschlungen wurde, war ihm froh zu Sinne. Bald verdrießlich keifend mit dem verdrießlich langweiligen Weibe, bald seine überseeischen Hoffnungen und Handelsoperationen nicht loslassend in stummer Grübelei, floh ihn die Heiterkeit innerhalb seiner Mauern; und auswärts, auf einem Klub, wo er wieder von nichts, als von Geschäften reden hörte, eine Pfeife Tabak rauchte, um sich zu betäuben, Karte spielte, um sich zu zerstreuen – verträumte er seine Abende. Nicht er, nicht sein Weib, das mit schnödem Geschwätze, oder abgeschmackter Frömmelei den verlangweilten Tag beschloß, ahnten die Quelle von Genuß und Freudigkeit, die ihnen in der Tochter, dem einzigen Sprößling dieser übelpassenden Ehe, aufgehen hätte können. Die Natur hatte in diesem lieblichen Geschöpfe die glücklichste Verschmelzung widerstrebender Gemütsrichtung zustande gebracht. Des Vaters Heftigkeit herrschte zwar vor, allein mäßigende Ruhe stellte bald das Gleichgewicht wieder her. Das Mädchen hatte seinen eigenen Kopf und Willen; es war ja das einzige Kind, und nicht beschränkt von den Eltern. Allein, der Leidenschaftlichkeit, dem heftigen Zorn sogar, folgte schnell die Besinnung, die Teilnahme, die zarte Reue, die gefühlvollste Vergeltung. Der Liebreiz des so wunderlich herangebildeten Mädchens war in diesen Versöhnungsmomenten so groß, daß Freundinnen und Gesinde gern den Sturm auflodernder Hitze ertrugen, um doppelt in der Milde zu schwelgen, die unmittelbar darauf das Engelherz der Zürnenden betätigte. Der Vater war nicht so; denn, tat ihm die jähe Härte manchmal selber weh, so verschloß er, seinem Stolze nichts zu vergeben, das Gefühl in sich. Die Mutter glich ebensowenig ihrem Kinde; sie liebte zwar niemanden auf der weiten Erde, aber sie haßte aus Gewohnheit; sie verachtete mit jener stumpfen Stetigkeit, an der sich, hat sie einmal ein Ziel des Widerwillens ersehen, vergebens Belehrung, Erfahrung und Pflichtgebot verschwendet. Justine, ein siebzehnjähriges Mädchen, früh entfaltet in Gestalt und Verstand, fühlte wohl dunkel und unbehaglich, daß sie zwischen den getrennten Eltern ihren eigenen Weg wandle. Die Jugend aber, jene herrliche Zeit, in welcher man sich nur selbst, wenn gleich oft allzuviel, vertraut, ungeduldig ins Freie, in die Zukunft blickt, sie setzt sich über das Peinliche in naher Umgebung hinweg; schafft sich ihre eigne Welt, und flieht die Mürrischen, um sich an Freundliche zu schließen. So kam es, daß Justine bald wie ein fremder Gast im Vaterhause wohnte, und größtenteils nur in dem Zirkel ihrer Jugendgefährtinnen lebte. Seit der Konfirmation war es jedoch ein bißchen anders mit Justinen geworden. Nie hatte sie noch ihren Vater so bewegt gesehen, als in dem Augenblicke, wo sie, von der heiligen Handlung kommend, in seinem Schreibstübchen vor ihm auf die Kniee sank, ihn bittend, seinen Segen mit dem des Himmels zu vereinen. Des Senators Stimme hatte gewankt, als er den Segen aussprach; ans Herz hatte er die Tochter gedrückt, und, wie mit einem leisen Vorwurf gegen sich selbst, hinzugesetzt: Glaube nur um Gottes willen, mein Kind, daß ich dich liebe, herzlich, wie es einem christlichen Vater zusteht. Aber ich muß an mich halten mit dieser Zuneigung, sonst bricht mir das Herz vollends, wenn du aus dem Hause gehst, nimmer wiederkehrst, und ich dann in ganz Europa keinen Menschen mehr weiß, der mir näher am Herzen liegt, als der kalte Tressenrock. Du bist alt genug, Justine, um zu wissen, daß eine Heirat die Bestimmung eines jeden Mädchens ist, folglich auch die deine. Du bist bereits verlobt: zu Neuyork in Amerika wohnt dein Bräutigam, der junge Kaufmann Birsher, und, wie mir sein Vater neulich schrieb, werden wohl nicht anderthalb Jahre vorübergehen, so kömmt der designierte Schwiegersohn selbst, um dich abzuholen. Dein Bestreben gehe also jetzt vornehmlich dahin, der englischen Sprache mächtig zu werden, zu welchem Endzweck ich für eine Lehrerin sorgen will.

Justine verließ den Vater mit sichtlichem Behagen. Ausgezeichnet vor all ihren Gespielinnen nach Amerika zu ziehen, in das junge Land, das sich europäische Imagination damals nur als ein Paradies, unerschöpflich in Genuß und Reichtum, vorstellte; … als Frau, an der Seite eines jungen Krösus, dahin zu ziehen, das schmeichelte der jugendlichen Eitelkeit gar sehr. Des Vaters Erklärung hatte vollendet, was die Konfirmation begonnen; das Mädchen war rasch zur Jungfrau, zur Braut geworden. Justine zog sich nun auch wähliger von dem Haufen ihrer Freundinnen zurück, verkehrte nur mit den wenigen, die, gleich ihr, nicht fern vom Hochzeitsfeste zu stehen vermeinten, und beschäftigte sich mehr als sonst, in Einsamkeit und Stille, mit Arbeit und wißbegierigem Forschen. Mit der englischen Sprache allein wollte es bei dem fleißigen Mädchen nicht so fort. Die Zisch- und Gaumenlaute waren der Schülerin zuwider, und eine Lehrerin nach der andern wich dem Ungestüm Justinens, die auf jener Nachlässigkeit den eignen Fehler schob. Die Zahl der, mit dem englischen Idiom vertrauten Frauen war in jener Stadt nicht groß; daher hatte Justine bald die Reihe durchgemacht. Die männlichen Lehrer ließen keinen bessern Erfolg hoffen. Der eine derselben, ein grämlicher Alter, mit wunderlichen Launen, hatte schon nach der zweiten Lehrstunde all seine Autorität eingebüßt; den zweiten, einen allbekannten Wüstling, noch in rüstigen Jahren, trug der Vater billig Bedenken, bei der Tochter einzuführen. Der Zufall schlug sich ins Mittel. An einem Tage saurer Geschäfte hantierte und ordnete der Senator in eigner Person an dem Krahnhause der Stadt. Beträchtliche Warensendungen in Ballen und Kisten waren für ihn angekommen; nicht minder beträchtliche Ladungen wollte er dem dienstfertigen Flusse anvertrauen. Seine rüstigsten Handelsdiener, zwei junge und gewandte Leute aus guter Familie zur Seite, ging er am Ufer auf und nieder, befahl hier den ausladenden Bootsknechten, dort den herbeischaffenden Kärrnern, Ner eine Kommis, Berndt, revidierte, die Frachtbriefe und Geleitzettel in Händen; der andere, Nothhaft, machte Zeichen und Zahlen auf die Frachtstücke; um und um bewegten sich rührige, geschäftige Leute, und ein Treiben beseelte die vielen am Ufer, vom zentnerschleppenden Lastträger bis zu dem kleinen Buben herab, der die Teerpfanne hielt. Ein einziger lehnte unbeschäftigt, mit verschränkten Armen an dem Krahnengebäude. Der einzige mußte unter dem Getümmel dem Senator auffallen, als dieser gerade an ihm vorüberkam. Der eifrige Mann blieb unwillkürlich vor dem jungen Menschen stehen, dessen Kleidung, obgleich nicht allzuwohl erhalten, auf einen Lehrling oder Diener der Kaufmannsgilde schließen ließ. – »He, junger Mensch!« redete der Senator ihn an; »he! warum so müßig? Die Sonnenstrahlen machen nicht satt; wohl aber eine Schüssel, die man im Schweiße seines Angesichts verdient hat. Trägheit in der Jugend macht alte Spitalleute. Hat Er hier nichts weiter zu schaffen, so geh’ Er wieder hinter Sein Pult, statt Maulaffen feil zu haben, und stehle Er Seinem Prinzipal nicht das Brot ab, das Er ißt!«

Nicht die Flamme, die der gerechte Tadel auf dem Angesichte des Gescholtenen entzündet, sondern die Röte eines unschuldig gekränkten Gefühls stieg auf die Stirne des Fremden, der in ausländisch betontem Deutsch nicht mit der Antwort säumte. – »Seht zuvor, mit wem Ihr sprecht, Herr!« sagte er etwas bitter, »niemand würde lieber arbeiten, denn ich, wenn mir nur jemand Arbeit gäbe.« – »Kann’s hier daran fehlen?« fragte Müssinger verwundert. – »Ich bin ein Fremder.« – »Woher?« – »Ein Engländer. Mein Name ist James White. Mein Vater war Baronet und Tory. Sein Schicksal wollte, daß sein Wappen, die blutige Hand von Ulster, sich an ihm erwahre. Für den Prätendenten bewaffnete er seine Faust. Georgs Henker schlug sie ihm ab, und hierauf das Haupt. Vor fünfthalb Jahren floh meine Mutter mit mir nach Deutschland herüber. Seit einem Jahre hat sie hier ihr Grab gefunden. Sie starb, bevor der Mangel zu uns trat. Ihr Hinscheiden raffte aber alle Hilfsmittel weg. Die Armut trieb mich ins Werbhaus; die Barmherzigkeit eines alten Mannes, der mir wohl will, rettete mich vom Soldatenstande. Aber noch lebe ich von seinen Wohltaten, und ich schäme mich dessen.« – »Das ist recht; Wohltaten erzeigen, ist wacker, aber edler, sie nicht zu mißbrauchen. Versteht Ihr etwas vom Handel, junger Herr?« – »Nein; ich sollte Theologie studieren; verstehe Latein, Rhetorik, Philosophie, ein bißchen Spanisch, und aus dem Grunde meine Muttersprache.« – »So? Verdorbner Theolog also? Doch Protestant, will ich hoffen?«

Der junge Mann bückte sich schweigend.

»Könnt und wollt Ihr Unterricht im Englischen geben?« fragte Müssinger weiter. – »Ich kann’s, und schäme mich dessen nicht.«

»Kommt mit. Versucht’s mit meiner Tochter. Freie Station, wie meine Kontordiener, die Wohnung ausgenommen, und ein billiges Salär nach Euern Fähigkeiten verspreche ich Euch. Beliebt’s?« – »Gern; doch muß ich’s meinem Versorger melden.« – »Gut; wer ist der Mann?« – »Ein Doktor der Rechte, heißt Leupold, ist von Herkunft ein Fremder, lebt zu seinem Vergnügen seit anderthalb Jahren ungefähr in hiesiger Stadt, und beschäftigt sich ausschließlich mit seinen Studien.« – »Ein Bücherwurm und Rechtsverdreher also?« murmelte der Senator zwischen den Zähnen. »Bin nicht neugierig auf die Bekanntschaft. Mögt indessen sein Gutachten einholen, junger Herr. Er wird wohl nichts dagegen haben, denn ich bin der Senator Müssinger!«

Der stolze Kaufmann ging von dem unglücklichen jungen Baronet weg, und vergaß denselben im Gewühl seiner Geschäfte bald darauf. Der finstere und einsilbige Buchhalter trat ihm in der großen Schreibstube mit einem Paket Briefen entgegen, die er alsobald, wie gewohnt, erbrach und durchlas. Er begleitete jedoch diese alltägliche Verrichtung mit so vielen heftigen Bewegungen und schlecht unterdrückten Zornworten, daß die Kontorgehilfen aufmerksam wurden, und manchen neugierigen Blick durch die Gitterrahmen in das Kabinett des Prinzipals sandten. Endlich, nachdem der ganze Briefpack durchflogen, stürmte der Senator wie ein Pfeil vom Sessel auf, warf Schubladen und Schlösser zu, und tobte durch die Nebentür in das Innere des Hauses.

»Der himmlische Vater erbarme sich!« seufzte Berndt mit andächtigem Blicke und Händefalten, denn er gehörte zur philadelphischen Gesellschaft, »was wird es heute wieder in dem Hause geben?« – Der andre Diener, Nothhaft, ein ziemlich lockrer Geselle, lachte indessen wie ein Schelm vor sich hin, und summte die Worte eines damals beliebten Liedes:

»Nach dem Brunnen geht der Krug
Oft genug;
Und am End’ bekömmt er doch
Welch ein Loch!«

….

 

 

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