Der Vogelhändler von Imst

Der Vogelhändler von Imst – Karl Spindler

Ein historischer Volksroman um die Tiroler Vogelhändler, angesiedelt in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Spindler produzierte Unmengen von Werken und gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts zu den produktivsten deutschen Schriftstellern.

Der Vogelhändler von Imst

Der Vogelhändler von Imst.

Format: eBook

Der Vogelhändler von Imst.

ISBN eBook: 9783849657116.

 

Auszug aus dem Text:

Der unregelmäßige Platz im Dorfe Burgeis, im Ober-Vintschgau, bot ein ungewöhnliches, ein kriegerisches Schauspiel dar. Unter dem Dache, das, wunderlich genug, über die Halbschied des Platzes, von einem Wirthshause zum andern, gezogen war, um die zur Weide treibenden Heerden oder die heimkehrenden, die Fuhrleute, die da gingen und kamen, oder die Tänze und Komödien der Bauern vor Sonnenglut und Witterungsunbill zu beschirmen, lagerte eine starke Abtheilung von dem kaiserlichen Regimente Lichtenstein-Dragoner, mit Pferden, Waffen und Bagage.

Die Soldaten kamen aus Italien, woselbst es dazumal – im Jahre 1735 – mit dem Kriegsglück des Kaisers übel aussah. Den durch Tirol retirirenden Truppen wurde nur hie und da eine kurze Rast gegönnt, obgleich Mantua noch wacker Stand hielt, und die italienischen Confinen hinlänglich durch die zurückgebliebenen Infanteriemassen gegen den Feind gedeckt waren. In Mals, einem großen Markte und Hauptort des Vintschgau’s zum Beispiel, und im benachbarten Burgeis hatten die Dragoner heute nur ein paar Stunden zu verweilen.

Ihr plötzliches Erscheinen, die tausenderlei Gerüchte, die sich mit ihrem Einmarsch im Lande verbreiteten, ihr abenteuerliches Aussehen, das von ihren Strapazen genugsam Zeugniß ablegte, erregten natürlich die Neugier des Volks in hohem Grade. Männer und Weiber verließen ihre Geschäfte, um die Soldaten gleich Wunderthieren zu begaffen. Eine zahlreiche Zuschauerschaft hatte sich um den sogenannten Tanzplatz versammelt. Aus der Schranke, die einen Theil des unter Dach gestellten Raums umgab, ritt eine Schaar von fürwitzigen Kindern beiderlei Geschlechts, die nicht müde wurden, die fressenden Pferde, die schmausenden und auf ihren Tornistern ausruhenden Soldaten zu mustern. Unter den fürwitzigen Buben zeichneten sich zweie durch besonders glückliche Gesichtszüge aus. Ihre Kleidung war überaus dürftig, aber die unbefangene und Geist verrathende Rührigkeit des Einen, so wie der besonnene Ernst des Andern machten sie leicht bemerkbar, weit vor der übrigen besser gekleideten Jugend. Der erstere der Knaben hatte dunkle Haare und Augen, eine robuste Gestalt, und viele Worte auf der flinken Zunge; der zweite, ein bedächtiger Junge mit hellbraunen Locken, schmächtig, obschon gutgewachsen, sprach nicht gar viel, betrachtete aber, was ihn umgab, mit verständiger Aufmerksamkeit. Endlich umschlang er mit dem rechten Arm seinen beweglichen Schaugefährten und sagte zu ihm: »Hast Du heute einen Feiertag, Walt?« – Worauf der Andere: »Mein Bauer hat mir geschafft, die Geißen in Stall zu thun, daß die Soldaten keine derwischen.« – »Just so hab’ ich’s mit den Gansel’n machen müssen,« versetzte der Bedächtige; »die Soldaten, sagt der Grödner, stehlen so viel gern, was sie auf der Straße finden.« – »Wie geht’s zu Haus, Seraphin?« – »Ach Gott, das Schwesterl ist halt gestorben.« – »Das ist schade, Seraphin. Weißt Du was? Ich will Dir eins von meinen Geschwistern schenken?« – »Schönen Dank. Du hast ihrer freilich genug, aber meine Mutter hat’s schon hart, um sich und mir durchzuhelfen. Du hast noch Deinen Vater; da geht Alles gut. Aber der meinige . . . .« dem armen Seraphin trat das Wasser in die Augen. – »Habt ihr gar nichts mehr von euerm Vater erfahren können?«– »Gar nichts; seit zwei Jahren, glaube ich, nicht einen Buchstab, lieber Walt. Die Mutter steht mit Seufzen auf, und legt sich mit Weinen nieder.«

Ein Unteroffizier von den Dragonern trat aus dem Wirthshause zum »weißen Kreuz,« das in jener Zeit noch dem Benediktinerkloster Marienberg gehörte. Der Mann hatte ein trübes Gesicht und einen schlosweißen Schnauzbart. Er kramte in einer alten Brieftasche die an einem Riemen um seine Schulter hing und fragte den Wirth, der ihm gefolgt war: »Nicht wahr, ich bin doch recht? Das Dorf heißt Burgeis?« – »Zu dienen, Herr Korporal.« – »Ich habe hier eine kleine Verrichtung, die ich abthun kann, bevor wir abmaschiren. Kennt Ihr eine Frau, mit Namen Crescenz Plaschur? sie soll hier ansäßig seyn?« – »Ja freilich. Die nemliche, deren Mann vor ein paar Jahren auf und davon gegangen?« – »Richtig; la stessa. Wo bleibt sie?« – »Beim Schuster in der Hudergasse.« – »Seyd so gut, und gebt mir Jemand, der mich geschwinde hinführt?« – Der Wirth sah sich im Kreise um: »Da ist just ihr Bub. Seraphin, komm herab; geschwinde, sag’ ich. Führ’ den Herrn zu Deiner Mutter.«

Seraphin, wenn gleich stutzig über den vornehmen Besuch, der seiner Mutter zugedacht war, gehorchte unverdrossen, sprang von der Schranke, nickte dem Walt zu, und lief vor dem Korporal her. Dieser folgte, so gut und langsam, als seine schweren Stiefel und steifen Beine es zuließen. Er stand manchmal still und redete ein paar Worte in den Bart. Dem Knaben kam des Dragoners Betragen seltsam vor; er belauerte schüchtern, verstohlen umschauend oder seitwärts schielend seinen Mann, dessen Unruhe stieg, je näher sie dem Ziele kamen. Seraphin hätte sich beinahe vor dem Fremden gefürchtet, weil dessen Blicke nicht mit besonderm Wohlgefallen an dem kleinen Führer hafteten, wenn sie sich überhaupt um ihn bekümmerten.

In der bezeichneten Gasse angelangt, wies Seraphin auf das elende Häuschen, das seine Mutter bewohnte. Diesmal stand der Korporal viel länger still als früher, und athmete schwer, wie Einer, der einen Berg zur Hälfte erstiegen, und bis zum Gipfel noch weit hat. »Ihr seyd wohl recht arm?« fragte er mit unsichrer Stimme. – »Freilich sind wir nicht reich, aber wir können nichts dafür,« erwiederte Seraphin trotzig; »doch geh’n wir nicht betteln, und der Herr Pfarrer hat erst am Sonntag in seiner Predigt gesagt, daß die Armuth keine Schande sey.« – »Das wohl nicht, das nicht,« entgegnete der Dragoner mürrisch, »aber ein Unglück, ein leidiges Unglück!«

Seraphin zuckte unwillig die Achseln über das kränkende Wort und stieg die paar verfallnen Stufen vor dem Hause in die Höhe. Neben dem engen Eingang befand sich eine ziemlich geräumige, rußdunkle Küche, mit zertrümmerten Steinplatten gepflastert. Gegenüber lag die arme Wohnstube, worinnen unter Tags nicht weniger als drei Haushaltungen ihr Wesen zu treiben pflegten: der Schuster mit seinem Weibe, denen die Hütte gehörte, zwei alte Jungfern, die zur Miethe wohnten und endlich die Frau Plaschur mit ihren beiden Kindern. Die Miethsleute hatten ihre Schlafkammern unter dem Dache; der Schuster als Hausherr behauptete die Wohnstube zur Nachtzeit. Für jetzo hatte er indessen eine Aenderung getroffen, und auf ein paar Tage eine Kammer bezogen, weil das Töchterlein der Plaschur gestorben, und, dem Herkommen gemäß, in der geräumigen Stube ausgesetzt worden war. Da lag das kaum dreijährige Mädchen auf seinem schmalen Bette. Bei seinen Lebzeiten hatte es die Blöße kaum bedecken können, aber seine Leiche war von der Mildthätigkeit der Nachbarinnen in ein weißes Gewand gehüllt worden. Ein schöner Kranz saß auf dem Kopfe. Nach dem Gebrauch des Landes hatten die frommen Weiber das blasse Gesicht der Todten roth angestrichen und den Körper, wie das Lager, mit Feldblumen von allerlei Gattungen verziert. Statt der vier Trauerkerzen, die neben der sterblichen Hülle wohlhabender Erblasser auf silbernen Leuchtern zu brennen pflegen, flackerte zu Häupten der stillen Kleinen nur ein einzig Licht auf thönerner Handhebe, die düstere Fackel der Armuth.

Die Mutter saß auf einem niedrigen Schemel neben ihrem blassen Engel, still betend, von Zeit zu Zeit ein paar Tropfen aus der Weihwasserschaale auf die Leiche und ihre Blumen werfend. Die Trauernde vergeudete nicht in Thränen den Mutterschmerz. – Das Geräusch an der Thüre war ihr unwillkommen. Sie fürchtete den schweren Tritt eines neugierigen Nachbars, eines leidigen Trösters, eines schadenfrohen Mitleidheuchlers zu vernehmen. Kaum daß sie die Augen aufschlug; aber es wandelte sich natürlich die Gleichgültigkeit in Befremden, als sie die Gestalt des Dragoners auf ihrer Schwelle erblickte. Sie verharrte zwar in ihrer Stellung, aber ihr Auge ging hin und her vom Soldaten auf den Sohn, vom Sohn auf den Soldaten. »Wen bringst Du da?« lautete ihre Anrede: »Seraphin, wer ist der Mann? Was will er bei uns? hier ist nichts zu holen.«

Der Korporal hatte ehrfurchtsvoll vor der Leiche sein Haupt entblößt, vor Stirn und Mund und Brust ein Kreuz gemacht, und die Hände gefaltet wie zum Gebete. Auf einmal jedoch knetete er den Hut zwischen seinen Fingern derb zusammen, strich sich den Bart und sprach die verwunderte Frau an: »Grüß’ Euch Gott, meine Liebe. Ich komme zwar nicht eben gelegen, aber ich habe nicht Zeit, lang krumm und grad zu machen. Die Frau wird mich nicht mehr kennen; ich bin vor den Jahren grau geworden . . . . doch« – hier gewann ein tiefes Gefühl die Oberhand in dem Soldaten – »doch ist’s halt noch immer der alte Domenico, der vor Dir steht, liebe Creszenz.«

Die überraschte Frau hob die Arme hoch auf und ein leiser Anflug wie von Freude beschlich ihr kummervolles Antlitz. Sie redete nicht. Das Herz war ihr zu voll. Sie zeigte jedoch auf das verblichene Kind, und auf die kurze Freude folgte in ihrem Gesicht das Zucken, das dem heftigen Weinen vorangeht.

Der Korporal bemerkte dieses, und verhinderte den Thränenausbruch, schon um seiner selbst willen, da ihn die Wehmuth nicht minder überkam. Zu dem Ende sagte er frisch und munter heraus: »Nimm Dieb zusammen, arme Cenzi. Der kleine Erdenwurm ist gut aufgehoben. Spare Deine Zähren. Schau, ich hätte Dir gern was Gutes mitgebracht, denn ich habe Dich immerdar gern gehabt . . . .«

»Das weiß ich, Domenico,« erwiederte Crescenz mit Freundlichkeit: »Wenn ich damals, als ich in Botzen war, geahnt hätte, was mir begegnen würde . . . .«

….

 

 

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