Der Kaiser von Utopia

Der Kaiser von Utopia – Paul Scheerbart

Ein utopischer Volksroman. Der 1915 in Berlin verstorbene Paul Carl Wilhelm Scheerbart gehört zu den Pionieren deutscher phantastischer Literatur und war auch als Zeichner berühmt.

Der Kaiser von Utopia

Der Kaiser von Utopia.

Format: eBook

Der Kaiser von Utopia.

ISBN eBook: 9783849657048.

 

Auszug aus dem Text:

Die Sonne war untergegangen.

Und es regnete.

Und Herr Moritz Wiedewitt, der Oberbürgermeister von Schilda, saß vor seinem Schreibtisch und grübelte; die Lampe brannte trübe.

Frau Lotte Wiedewitt, die Gemahlin des Oberbürgermeisters von Schilda, saß auf dem Diwan – und ihre Augen funkelten.

Moritz hüstelte und sagte beklommen:

»Es ging heute mal wieder Alles schief.«

Da rief die Lotte gellend:

»Das halte der Deiwel aus. Mein Wirtschaftsgeld langt nicht. Ein solches Hundeleben ertrage ich nicht länger. Das muß jetzt anders werden.«

»Schrei blos nicht so!« sagte der Oberbürgermeister sanft.

Aber da schrie die Frau Lotte erst recht, daß die Wände dröhnten.

Und ihr Gemahl ward ebenfalls wütend.

Und da schrieen sie alle Beide.

Die Schildbürger, die auf der Straße vorübergingen, krauten sich hinter den Ohren und kamen auch in schlechte Stimmung.

»Wer weiß, wie das noch enden wird!« sagten sie mit Mienen voll echter Verzweiflung.

»Das haben wir nun davon«, rief die Lotte, »von der großen Emanzipation! Dazu haben wir uns also vom Volksgeiste emanzipiert! Hunger und Elend haben wir davon – und weiter garnichts. Ein neues Inlett für die Betten muß auch angeschafft werden. Ich ertrags so nicht länger. Ich schweige jetzt nicht mehr.«

»Du hast nie geschwiegen!« rief der Oberbürgermeister, und ein Lächeln erhellte sein Angesicht.

»Warte nur, es wird sich schon machen lassen!«

Also fuhr er fort.

Aber die Lotte rannte zum Zimmer hinaus und schmiß die Türe hinter sich zu, daß Alles krachte.

Die Lampe brannte wieder ganz trübe.

Und es regnete in Schilda.

2. Ulaleipu

Philander der Siebente, der Kaiser von Utopia, saß vor seinem großen Fenster und blickte hinaus.

Drüben wurden die Schneezacken der himmelhohen Berge feuerrot und bekamen goldene Ränder. Es wurde Morgen.

Und der Kaiser sah seine Schneezacken heftiger glühen, und seine Augen schmerzten, sodaß sie bald die unteren Teile der Berge suchten, auf denen Ulaleipu, die Residenz des Kaiserreichs Utopia, erbaut war.

Ulaleipu war eine große Felsenstadt; sie umkränzte die Ufer des schwarzen Sees in Hufeisenform.

Der schwarze See in der Tiefe hatte auch Hufeisenform. Dort, wo das Hufeisen offen ist, reckte sich der Kaiserpalast aus den schwarzen Wassern heraus; der Palast war auf vielen steilen Felsenkegeln erbaut und zumeist so, daß die Felsen als solche nicht mehr zur Geltung kamen; die Architektur verdeckte die Felsen fast überall.

Und so wie sich der Kaiserpalast an die Felsen anschmiegte, so taten dies auch die andern Paläste der Residenz Ulaleipu, sodaß von den unteren Teilen der Berge, die auch den schwarzen See in Hufeisenform umkränzten, nicht viel zu sehen blieb; fast überall ward das Gestein verdeckt von der Architektur. Und da es nun allmählich immer heller wurde, sah sich der Kaiser von seinem großen Fenster aus seine gewaltige Felsresidenz an und freute sich über ihre Hufeisenform; viele Kettenbrücken und andere Brücken verbanden die einzelnen Stadtteile, und Alles war sehr reich und prächtig; Türme und Fahrstühle, weitüberkragende Erker und zurückgehende Terrassen, Tunnel und Spiralstraßen, Plätze mit vielen Hallen darunter – und tiefe Schluchten mit Säulengängen rechts und links – und wirklich hängende Gärten und ganz steile Parkanlagen mit Wasserfällen und Springbrunnen – so was gabs da alles in schwerer Menge, daß das Auge sich nicht satt sehen konnte an all der fabelhaften Pracht.

Unten im schwarzen See spiegelten sich die roten und goldenen Schneezacken der hohen Gebirge, und auch der dunkelblaue Himmel spiegelte sich im schwarzen See.

Und dann ging die Sonne hinter den Bergen auf, und es wurde ganz hell in Ulaleipu, wenn auch die Sonne vorläufig noch unsichtbar blieb.

Der Kaiser öffnete sein großes Fenster, langsam gingen die Spiegelscheiben runter, sodaß die frische Morgenluft des Kaisers Stirne kühlte.

Und die Residenzler ringsum auf den Bergabhängen öffneten auch ihre Fenster.

Alle ließen die frische Morgenluft in ihr Haus hinein.

3. Das Frühlingsfest

Die Zylinderwagen und die Fahrstühle sausen bergauf und bergab, durch die Tunnel und über die Kettenbrücken flitzen die langen Packetwagen, und dazwischen drehen sich die langen Züge der Spiralbahnen hinunter und in die Höhe – ganz Ulaleipu ist in Bewegung – und Alles glitzert dabei – und die glitzernde Bewegung kann der Kaiser vom großen Fenster aus sehen und sich darüber freuen; seine Residenz feiert heute das große Frühlingsfest – der Tag ist so lang wie die Nacht – in frühster Morgenstunde beginnt es – und am nächsten Tage in den späteren Morgenstunden hört es erst auf.

In den Fremdenpalästen geht es am lebhaftesten zu – nur für geladene Gäste aus den Provinzen hat heute die Residenz ein offenes Tor – die andern Fremden müssen hinter den Bergen bleiben, denn die Stadt Ulaleipu kann sich nicht so leicht nach oben und unten hin ausdehnen – die Bautätigkeit ist beinahe zu Ende.

Auf den Terrassen und in den Gärten gibts jetzt das berühmte Frühlingsfrühstück und dazu ein Frühkonzert von fünfzig Kapellen, die an fünfzig verschiedenen Stellen mit Benutzung der Echos teils zusammen teils vereinzelt – aber immer einander ergänzend – das Meisterwerk eines utopianischen Komponisten vortragen.

Aus allen Fenstern sind jetzt bunte Stickereien herausgehängt, und aus den Türmen ragen unzählige lange Stangen heraus, die sich immerzu um sich selber drehen, was einen Glanzeffekt erster Güte erzeugt, da die Stangen sämtlich von oben bis unten mit bunten, zum Teil prismatisch geschliffenen Gläsern verziert sind.

Die Frühlingsmusik rauscht über den schwarzen See hinweg in das große Fenster des Kaisers hinein – und dann klingt es bald da – und bald dort – bald oben in den Bergen – und bald unten im See.

Und Ulaleipu frühstückt dabei – aber ganz vorsichtig ißt man – klappert nicht mit Messer und Gabel – kein Kind darf ein lautes Wort sagen. Und auch die kleinen Jungen mit den Festschriften auf den Bahnstationen reichen vorsichtig das Papier hin, daß es nicht knistert. Wer noch gehen muß, geht auf den Zehen und langsam.

Der Kaiser sieht seine Stadt an – sieht, wie die Stangen auf den Türmen unaufhörlich glitzern und farbig funkeln – und wie die bunten Stickereien die ganze Stadt ganz bunt machen. Und das Frühkonzert der fünfzig Kapellen tönt harmonisch in das Frühlingsfest hinein, sodaß der Kaiser doch lächeln muß.

Unten auf dem schwarzen See stehen auch die Ruderboote und die Motorboote ganz still, damit kein Mißton hineinklinge in das Frühkonzert der fünfzig Kapellen.

….

 

 

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