Der Steinbruch

Der Steinbruch – Georges Ohnet

“Der Steinbruch” ist eine hochdramatische Geschichte die vom Leben in der Normandie erzählt. In La Neuville, einem kleinen Ort, gibt es seit Generationen Streit zwischen zwei Fraktionen. Hintergrund ist eine sehr alte Liebesgeschichte. Und jetzt kocht die Stimmung höher und höher …

Der Steinbruch

Der Steinbruch.

Format: eBook

Der Steinbruch.

ISBN eBook: 9783849656751.

 

Auszug aus dem Text:

Durch einen jener schattigen Hohlwege, wie sie in der Normandie zwischen Erddämmen sich hinziehen, die mit ihren dichten Baumanpflanzungen die Gehöfte mit einem für Wind und Sonne undurchdringlichen Walle umschließen, ritt an einem schönen Sommermorgen eine junge Dame auf einem Pferde von ziemlich gewöhnlichem Schlage im Schritte dahin. Träumerisch, die milde, vom Dufte des blühenden Klees gesättigte Luft genießend, ließ sie die Zügel schlaff niederhängen. Sie war eine gar stolze Erscheinung unter dem schwarzen Filzhut, den ein weißer Gazeschleier umgab, und in dem langen Reitkleid von stahlgrauem Tuche. Man hatte sie für eine der mutigen großen Damen halten können, die zur Zeit der Vendeer-Anführer Stofflet und Cathelineau in den Wäldern des Bocage dem royalistischen Heere beherzt folgten und mit ihrem Lächeln die düstere vendeesche Epopöe erhellten. Voll Anmut überließ die schöne Amazone ihre schlanke Gestalt der Gangart der Stute, während sie zerstreut mit der Reitpeitsche nach den grünen Ginsterstengeln schlug. Ein schottischer Windhund mit rauhem, rötlichem Fell begleitete sie, indem er seinen behenden Schritt mit der lässigen Weise des Pferdes in Einklang zu bringen suchte und von Zeit zu Zeit den spitzen Kopf, aus dem zwei schwarze Augen unter buschigen Brauen hervorblitzten, zu seiner Herrin emporhob. Das kurze, saftige Gras, das unter dem dunkeln Laubdach der Buchen sich üppig ausbreitete, bot der Reiterin einen samtweichen Teppich. Auf den Weideplätzen witterten die trägen Kühe die frische Luft des Weges und streckten ihr von Mücken arg belästigtes Maul begehrlich nach der Kühlung aus. Nicht der leiseste Windhauchs bewegte die Blätter. Unter der Sonnenglut zitterte die erhitzte Luft, und eine drückende Schwüle lag auf der Erde.

Die junge Dame schien in Nachdenken versunken und, den Kopf auf die Brust geneigt, völlig gleichgültig gegen die Reize des schattigen, stillen Landweges. Plötzlich that ihr Pferd einen Seitensprung, spitzte die Ohren, und heftig schnaubend war es nahe daran, sich zu überschlagen, während der Windhund mit wütendem Gebell vorwärts stürzte und einem Manne, der eben in den Hohlweg hinabgesprungen war, knurrend eine doppelte Reihe spitzer Zähne wies. Die schöne Amazone, die so jäh aus ihrem Sinnen aufgeschreckt wurde, faßte die Zügel fester, warf ihr Pferd zurück, und sich im Sattel festsetzend, heftete sie auf den Urheber dieser Störung einen mehr erstaunten als unzufriedenen Blick.

»Ich bitte sehr um Entschuldigung, gnädige Frau,« sagte der Fremde mit voller, wohlklingender Stimme … »Ich bin Ihnen in höchst ungeschickter Weise in den Weg gesprungen … Ich hörte Ihr Kommen nicht … Seit mehr als einer Stunde schon irre ich auf diesen Weideplätzen umher, ohne einen Ausgang finden zu können … Alle Gatterthüren sind verschlossen, und die Hecken sind zu hoch, als daß man über sie setzen könnte… Endlich erblickte ich diesen zwischen den Bäumen versteckten Nebenweg und mein Hinabsteigen mag wohl Ihr Pferd derart erschreckt haben, daß es Sie fast abgeworfen hätte.«

Die junge Dame lächelte ein wenig, was ihren edlen, feinen Gesichtszügen einen heitern, lieblichen Ausdruck verlieh: »Beruhigen Sie sich, mein Herr,« gab sie zur Antwort, »Sie sind nicht sehr strafbar, auch falle ich nicht so leicht vom Pferde, als Sie es anzunehmen scheinen.« Und als der Windhund noch immer drohend knurrte, rief sie: »Still, Fox, gib Frieden!«

Der Hund kehrte um, und sich auf den Hinterfüßen emporrichtend, streckte er die zierliche Schnauze seiner Herrin entgegen, die ihn liebkosend streichelte, während sie ihren Widerpart musterte. Dieser war ein Mann von etwa dreißig Jahren, von hohem Wuchse, mit energischem Gesichte, das ein dichter, brauner Bart umrahmte. Seine rasierte Oberlippe und der gebräunte Teint gaben ihm das Aussehen eines Matrosen. Er trug einen Anzug von meliertem Tuche, auf dem Kopfe einen weichen Filzhut, und in der Hand hielt er einen derben Stock, der mehr zur Waffe als zur Stütze geeignet schien.

»Sie sind nicht aus dieser Gegend?« fragte sodann die junge Dame.

»Ich bin erst seit gestern hier,« sagte der Fremde, der ihm gestellten Frage ausweichend. »Ich hatte heute morgen die Idee, einen Ausflug zu machen, und habe mich dabei verirrt, obwohl ich sonst gewohnt bin, mich zurechtzufinden … Aber diese kleinen Teufelswege, die nirgends hinführen, bilden ein unentwirrbares Labyrinth…«

»Wohin wünschen Sie zu gehen?«

»Nach Neuville…«

»Sehr gut! Sie drehen ihm den Rücken zu… Wenn Sie mir einige Augenblicke folgen wollen, so werde ich Sie auf eine Straße bringen, wo Sie nicht mehr Gefahr laufen, fehlzugehen…«

»Sehr gern, gnädige Frau… Aber ich will hoffen, daß Sie dies nicht von Ihrer Richtung ablenkt…«

Sie schüttelte ernsthaft den Kopf und sagte: »Nein, auch nicht um einen Schritt.«

Der Fremde machte ein Zeichen der Zustimmung, und von der jungen Frau durch den Windhund getrennt, der seinen Unwillen noch nicht verwunden hatte und mit dumpfem Knurren dahintrabte, folgte er, ohne zu sprechen, dem grünen kühlen Pfad, während er im Stillen die strahlende Schönheit seiner Führerin bewunderte. Zuweilen, wenn tief niederhängende Baumzweige sie nötigten, den Kopf zu neigen, um ihnen auszuweichen, kam ihr schneeiger Nacken, auf dem sich Haarlöckchen in dichter Fülle kräuselten, zum Vorschein, und ihr reines Profil hob sich wirkungsvoll von dem Hintergrunde des dunkeln Laubes ab. Leicht und geschmeidig war diese Bewegung, und mit vornehmer, einfacher Anmut richtete sie sich wieder empor; sie schien nicht zu ahnen, daß sie bewundert werde. War es Stolz oder Sorglosigkeit, sie schenkte dem Gefährten, den ihr der Zufall gegeben, keine weitere Beachtung. In dieser Ruhe drückte ihr Antlitz einen wehmütigen Ernst aus, als ob sie unter dem Drucke einer steten Traurigkeit lebe. Welchen Kummer mochte wohl dies junge, schöne Wesen haben, das doch nur geschaffen schien, zu herrschen, geliebt und angebetet zu werden? Hat ein ungerechtes Geschick sie, die zur Freude bestimmt war, mit Unglück bedacht? Sie schien reich zu sein. Ihr Leid konnte demnach bloß moralischer Art sein.

Als der Fremde zu diesen Schlußfolgerungen gelangt war, fragte er sich weiter, ob seine Gefährtin Frau oder Mädchen sei. Ihre volle Figur, die runden Schultern, deren harmonische Fülle durch die Feinheit der Taille noch mehr hervorgehoben wurde, waren die einer Frau, doch der zarte Schmelz ihrer Wangen, die reine Frische der Augen verrieten das junge Mädchen. Ihr rosiges Ohrläppchen war nicht durchstochen, und auch sonst trug sie keinerlei Schmuck, weder am Halse, noch an den Armen.

Nach einer Viertelstunde ungefähr kamen sie an ein weites Heideland, bedeckt mit blühendem Ginstergesträuch, welches lichtgelbe Schmetterlinge umgaukelten. Am Rande einer Wiese, deren spärliche Gräser von der Sonne versengt waren, weideten Schafe unter der Aufsicht eines schwarzen Hundes, der beim Anblick des Windspiels freudig zu bellen begann. Die beiden mußten gute Kameraden sein, denn augenblicklich jagten sie mitsammen in rasendem Galopp davon; das Windspiel flog leicht und rasch dahin wie ein Pfeil, den schwarzen Hund mit den Ringen seines kreisförmigen, närrischen Laufes umzingelnd. Da ließ die junge Frau einen schrillen Pfiff ertönen, und das Windspiel hielt sofort noch zitternd vom Laufe still, blickte seine Herrin an und kehrte dann, von dem schwarzen Hunde gefolgt, ruhig und demütig zurück.

»Wo mag denn der Rotkopf sein?« murmelte die Amazone. »Sind die Schafe und der Hund heute allein hier?«

Kaum hatte sie diese Worte beendigt, als ein helles Gelächter aus einem kleinen Birkengehölze sich vernehmen ließ. Am Ufer eines Weihers wurde ein schönes Mädchen mit entblößten Armen, an denen noch der Seifenschaum in der Sonne glitzerte, sichtbar, das, mit Waschen beschäftigt und umgeben von Wäschebündeln, auf einem mit Stroh bedeckten Holzgestelle kniete, während ein junger, drolliger, rothaariger Bursche in grauleinenem Bauernkittel und den breiten Strohhut im Nacken, sich damit unterhielt, die Wäscherin zu necken, Er hatte sie an der Schulter gefaßt, ihren Kopf zurückgebogen und kitzelte ihren runden frischen Hals mit einem Getreidehalm. Halb ärgerlich, halb belustigt, wehrte sich das Mädchen, und zwischen schallendem Gelächter hindurch rief sie: »Wirst du Ruh’ geben, du böser Rotkopf… warte, gleich werde ich dich mit meinem Klöpfel karessieren…«

Doch der Schäfer gab seine Beute nicht frei, er hielt das Mädchen mit seinen stämmigen, seltsam behaarten Armen nur um so fester. Seine Augen funkelten tückisch, ein wildes Grinsen verzerrte die Lippen des breiten Mundes und entblößte kreuzgestellte Zähne wie die eines Wolfes. Er sprach nichts, nur ein tierisches Grunzen entstieg seiner Kehle. Schließlich war es ihm gelungen, die Wäscherin in das Röhricht zu werfen, und nun wollte er sie gegen das Wasser stoßen. Auch sie lachte nicht mehr und begann Furcht zu bekommen, aber ihr Geschrei störte den Burschen nicht, der in einem fort wie ein Unsinniger lachte. Er preßte seine Lippen auf die Schulter des jungen Mädchens mit einer Roheit, daß man nicht zu sagen vermocht hätte, ob er sie beißen oder küssen wolle.

Verwundert über diesen Anblick waren die Reiterin und der Fremde stehen geblieben. Beide empfanden das gleiche Gefühl einer unbestimmten Unruhe, als sie die halb zärtliche, halb leidenschaftliche Belustigung der beiden jungen Leute gewahr wurden.

»Das ist ein schlimmer Zeitvertreib,« sagte der Fremde… Und mit lauter Stimme rief er: »Du Taugenichts, willst du aufhören, oder muß ich dir erst die Ohren schütteln?«

….

 

 

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