Unnützer Reichtum

Unnützer Reichtum – Georges Ohnet

Der Franzose Ohnet eroberte mit vielen seiner Werke die Herzen seiner Leser, wurde aber gleichzeitig von vielen Literaturkritikern in die Schublade der Trivialliteratur gesteckt.

Unnützer Reichtum

Unnützer Reichtum.

Format: eBook

Unnützer Reichtum.

ISBN eBook: 9783849656768.

 

Auszug aus dem Text:

Frau Mößler saß auf einem niedrigen Stuhl in ihrem Boudoir, dessen Wände mit chinesischem Seidenstoff bespannt waren. Der Raum befand sich dicht neben ihrem Schlafgemache; aufmerksam lauschte sie dem Berichte, welchen Herr Eliphas Clément ihr über die Wohltätigkeitsspenden erstattete, die er im Laufe der verflossenen Woche in ihrem Namen verausgabt hatte. Die “Goldkönigin”, wie man Frau Mößler in der Pariser Welt nannte, trug ein dunkles Seidenkleid; sie mochte etwa sechzig Jahre zählen, hatte eine auffallend bleiche Gesichtsfarbe und scharf blickende braune Augen; das weiße Haar puderte sie sogar ein klein wenig, um da und dort eine noch dunkle Locke zu verbergen. In den kleinen wohlgeformten Händen hielt sie ein Papiermesser, mit welchem sie spielte, während sie der Aufzählung jener namhaften Beträge lauschte, die ihr “Wohltätigkeits-Minister”, wie sie Herrn Eliphas Clément zu nennen pflegte, in ihrem Namen verausgaben wollte; zuweilen neigte sie zustimmend das Haupt. Ihr Bevollmächtigter, eine hagere, etwas vornübergebeugte Gestalt, mit einem sanften, ein klein wenig leidenden Gesichtsausdruck, erstattete mit dumpfer, etwas verschleierter Stimme genauen Bericht von den zahlreichen Wohltätigkeitsanstalten und Gesuchen, welche, nachdem er eingehende Erkundigungen eingezogen, berücksichtigt werden sollten, oder zum Teile auch schon berücksichtigt worden waren. Zuweilen wies irgendeine in seinem Notizbuche verzeichnete Bemerkung auf die Vergeblichkeit der getanen Schritte, auf die Unrichtigkeit der erhaltenen Auskünfte hin.

“Ich habe in Mont-Rouge die erforderlichen Erkundigungen bezüglich des Heims für moralisch verwahrloste Kinder eingezogen; das Unternehmen ist des Interesses wert, seine Stellung bis jetzt aber noch eine sehr ungesicherte; ich ließ dem Institut folglich fünftausend Francs anweisen.”

“Für ein Semester!” warf Frau Mößler ein. “In sechs Monaten werden Sie diese Spende wiederholen!”

Eliphas griff nach seinen Notizen und fuhr fort:

“Die Frau aus der Rue d’Antin, welche um fünfzehnhundert Francs gebeten hat, wohnt nicht mehr in dem bezeichneten Hause; die Portierin erhielt den Auftrag, ihr die an sie einlaufenden Briefe nachzusenden; sie selbst lebt in Batignolles bei einem Haarkünstler, welcher vermutlich das Gesuch für sie verfaßt und vielleicht auch überreicht hat. Den Leuten ist nicht zu helfen. Die Genossenschaft der Weißen Brüder erhielt ihre monatliche Unterstützung von tausend Francs.”

“Ist das auch genug? Sie wissen, Eliphas, daß alles, was mit Afrika in Zusammenhang steht, mich ganz besonders interessiert! Ich gebe jenem Lande gerne einen Teil von dem, was ich selbst dort gewonnen!”

“Es genügt, gnädigste Frau! Wenn wir eine Veranlassung haben sollten, die Spende zu erhöhen, so werde ich Sie rechtzeitig davon in Kenntnis setzen.”

“Gut, fahren Sie fort!”

“Marius Bouscares, welcher um ein Darlehen von hunderttausend Francs gebeten hat, um eine Gesellschaft für elektrische Beleuchtung zu gründen, hat bereits in Nimes falliert und steckt hier in Paris tief in Schulden! Er ist ein Industrieritter; als Entschuldigung für ihn läßt sich vielleicht nur anführen, daß er eine große Familie besitzt.”

“Auch kleine Kinder?”

“Ja, fünf! Seine Frau ist eine brave Person.”

“Werfen Sie ihr zweihundert Francs monatlich aus, mit dem Manne hingegen muß man versuchen, vernünftig zu reden; lassen Sie ihn kommen.”

“Er ist täglich um 10 Uhr morgens hier und bittet, daß man ihn zu Ihnen gelangen lasse.”

“Wenn Sie heute mit Ihrem Berichte fertig sind, will ich mit ihm reden.”

Eliphas wagte keine Einwendung, er kannte die ruhige, aber entschlossene Art Frau Mößlers und fuhr fort:

“Das Blatt “Die Stimme der Wahrheit”, welches eine Subvention erbat, um für die Angelegenheiten in Transvaal hinreichend Propaganda machen zu können, ist ein vollständig untergeordnetes Organ, welches eigentlich nur literarische Gaunerei betreibt; es läßt sich nichts tun, als höchstens dessen Erpressungsversuche der Behörde zur Anzeige zu bringen.”

“Nein, man muß derlei Unglückliche vergessen; es lohnt sich kaum der Mühe, Vorsichtsmaßregeln gegen ihre Unkorrektheiten in Anwendung zu bringen.”

“Vielleicht wäre es aber angebracht, ein Exempel zu statuieren; es gibt ganze Legionen derartiger Unternehmungen.”

“Mein Gott, die Menschen müssen leben, und der Kampf mit dem Dasein ist zuweilen recht hart.”

“Sie sind zu nachsichtig gegen die Gauner!” brummte Eliphas.

Frau Mößler lächelte, und ihre Stimme klang ruhig, als sie erwiderte:

“Ich kenne eben gar viele ehrliche Leute, welche nichts weiter sind als Gauner, deren Streben von Erfolg gekrönt war.”

Eliphas errötete vor Entrüstung.

“Fürwahr, wenn man Sie reden hört, könnte man sich versucht fühlen, Sie nicht für die edle Frau zu halten, welche Sie tatsächlich sind.”

“Wer weiß, ob ich es in allen Lagen geblieben wäre!”

“Sie verleumden sich selbst aus Wohltätigkeitssinn, und das nenne ich denn doch zu weit gehen.”

“Lieber Freund,” entgegnete Frau Mößler, ohne ihre Stimme auch nur im geringsten zu erheben, “wer weiß, was aus meinem Gatten geworden wäre, wäre er nicht vor vierzig Jahren, als wir uns in drückender Notlage befanden, auf den glücklichen Einfall geraten, nach dem Kap auszuwandern, um sich dort in heißem Kampfe ein Vermögen zu erwerben. Man darf sich selbst nicht zu hoch schätzen und nie davon durchdrungen sein, daß man ganz besondere Tugenden besitzt. Mößler war ein ehrlicher Charakter, von seltener Güte, aber glauben Sie, daß er in Afrika auch nur ein einziges Mal gezögert hat, wenn es galt, einen Schuß abzufeuern, um sein Leben zu retten? Man mußte kämpfen, um sein Gold und seine Juwelen vor den Piraten der Wüste zu schützen. Wer sagt Ihnen, daß er in Europa im Kampfe mit der Not, nicht die gleiche Gewalttat an den Tag gelegt hätte? Wenn man das Abenteurerleben durchgemacht hat, welches ich kennen lernte, wird man unendlich nachsichtig.”

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