Deutscher Novellenschatz, Band 7
Der “Deutsche Novellenschatz” ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 7 von 24. Enthalten sind die Novellen: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich.
Format: eBook/Taschenbuch
Deutscher Novellenschatz, Band 7.
ISBN eBook: 9783849661106
ISBN Taschenbuch: 9783849667450
Auszug aus dem Text:
Kleine Städtchen sind in der Regel ganz allerliebst. Gewöhnlich liegen sie an einem Bache, dem es so wohl im Städtchen ist, dass man nicht weiß, läuft er nach Westen oder nach Osten; sie sind statt mit Wällen und Graben mit kleinen Scheuern und großen Düngerhausen umgeben, wenn man es nicht vorzieht, dieselben mitten im eigenen Schosse, d. h. im Städtchen selbst zu behalten. Die Menschen darin sind allerliebst, nicht über eine Form geschliffen, sondern jeder trägt sein eigen Gepräge; allgemein ist bloß, dass die Mädchen zumeist zärtlich sind und guten Herzens, die jungen Herren aber etwas hölzern und nicht fein gehobelt, haben aber auch schrecklich viel Liebe im Leibe, heiraten daher gewöhnlich sehr jung; tun sie es nicht, so müssen sie von morgens früh bis abends spät schrecklich viel Flüssiges in den Leib gießen, um nicht zu verbrennen. Manchmal gießen sie als Ehemänner die doppelte Portion sich ein, wahrscheinlich, damit die Frau an ihrer Liebe nicht verbrenne. Das Städtchen, von welchem wir reden wollen, lag aber nicht an einem Bache, sondern an einem Fluss, aber die Mädchen waren deswegen nicht weniger zärtlich, die Herren nicht gehobelter und weniger durstig. Das Städtchen hatte eine wunderschöne Lage, mancher Düngerhaufen hatte einem schönen Hause Platz machen müssen, auf die schönen Häuser tat man sich viel zu gut, der Natur daneben frug man wenig nach, ausgenommen, wenn sie sich essen und trinken ließ oder sonst was eintrug. Ganz herrliche Spaziergänge fanden sich ums Städtchen, waren allerdings auch sehr gesucht und geschätzt. Bekanntlich gehen zärtliche Mädchen gern mit jungen Herren spazieren, da werden auch die Hölzernsten warm, der Liebe Gold wird flüssig, und wie manches zärtliche Herz wurde glücklich im Freien an der Sonne, wo das Holz Feuer fing. Alte Leute gehen auch gern spazieren in der Natur, wenn es nicht weit geht, ein guter Kaffee und delikate Fische oder sonst was Gutes in Aussicht steht.
In diesem Städtchen lebte ein Mädchen, Namens Luise. Nicht weniger zärtlich als die andern war die gute Luise, nicht weniger liebte sie die Natur zum Spazierengehen; aber wie hölzern Einer auch war, Feuer fangen wollte Keiner, flüssig ward nie die Liebe, wie heiß die Sonne auch schien, wie sehr der junge Herr auch schwitzte. Ach, dem schönen Herzen voll Liebe entsprach Luises Äußeres nicht. Sie war nicht klein, glich nicht auffallend einem Bohnenstecken, noch einer Kegelkugel, ihr Gesicht war weder rot wie eine Klapperrose, noch blass wie geronnene Milch vom Mond beleuchtet, aber sie war eben eigentlich gar nichts; sie war eben eins von den unglücklichen Wesen, deren Äußeres gar nichts Bemerkbares hat, weder was Hässliches noch was Liebliches; die man wieder vergisst, wie oft man sie sieht, die gar keinen Widerhaken haben, welchen sie einschlagen können in ein anderes Herz und daran sich festhalten, wie Flößer ihre Haken in Bäume oder Ufer, an denen sie vorbei fahren. Nicht einmal die Stimme hatte etwas Angreifliches, sie floss akkurat wie ein Bächlein in einem kleinen Städtchen, welches verlegen ist, soll es zum oberen oder zum untern Tore hinaus. Zudem redete Luise noch leise, dass, wer nicht haarscharf hörte, die Hände hinter die Ohren halten musste, wenn er mit ihr konversieren wollte, eine Haltung, welche der Liebe nichts weniger als förderlich sein soll. Das gute Kind war schüchtern, hatte gar keine Ursache, zum Selbstbewusstsein zu kommen, wusste nicht, wenn sie was sagte, war es dumm oder war’s gescheit; im ersten Fall war es also besser, man verstand es nicht; zudem war es ihr oft, als müsste sie weinen, wenn sie lauter rede und den Mund weiter aufmache. Luise war keine Bürgerin des Städtchens, sondern eine sogenannte Hintersässin, hatte also keine Bürgernutzung, weder Holz aus dem Wald, noch eine Pflanzstelle auf der Allmend, was begreiflich ihr Ansehen auch nicht vermehrte. Sie lebte bei einer Tante, der Frau Spendvögtin; diese hatte Holz, Platz zum Kohl, ein eigen Gärtchen, sonst wenig Vermögen, aber Viele, welche darauf warteten. Von Luises Vermögen war nichts bekannt, man nahm also an, sie hätte keins; wenn sie welches hätte, würde sie es schon sagen. Der Schluss ist ziemlich bündig und wurde noch bestätigt durch Luises sehr einfache Kleidung und das Versäumen, zu gehöriger Zeit ändern zu lassen, was nicht mehr in Mode war. So z. B. trug sie noch wenigstens drei Monate lang weite Ärmel, als kein einziger im ganzen Städtchen zu finden war, so dass die Mägde bei dem Brunnen aufmerksam wurden und die arme Luise zur Zielscheibe ihres Witzes machten.
Die Tante war eine rechte Bürgerin, kümmerte sich wenig um Luise, war aber sehr stolz auf ihren Mann selig, den Spendvogt. Wenn die andern Frauen, die Allmend-, Spital- und Seivögtinnen ihre Kindbetten erzählten, so gab sie zum Besten, wie ihr Mann Spendvogt geworden und sie Spendvögtin.
Luise hatte viele Freundinnen, sie war keiner im Wege, und wenn eine was anzuvertrauen hatte, so ward Luise die Vertraute. Sie missbrauchte das Vertrauen nie, machte keinen Geliebten abspenstig, entweder aus bloßer Bosheit oder weil sie ihn selbst fangen wollte. Eine solche Freundin ist unbezahlbar, sie sind aber auch selten. Daran gedachte aber keine, welche bittere Qualen die arme Luise erlitt, wenn wieder und wieder eine Freundin kam und ihr das Glück der Liebe verkündete, zu ihr sprach: O Gute, ich habe gefunden! — Jedes Kind weiß, wie es der Eva ging, als sie die Schlange in den Apfel beißen sah, dass es sie nicht leben ließ, bis sie ebenfalls hineingebissen; jedes Kind erfährt, wie es ihm im Munde so wunderlich wird, wenn es andere was essen sieht, und es hat selbst nichts, und wie es nicht ruht, bis es selbst auch zu etwas gekommen. Ja, unsere humanen Juristen, welchen Diebe und Mörder weit lieber sind als ehrliche Leute, sintemalen sie von Dieben und Mördern leben und umso besser, je mehr deren sie pflanzen, beweisen ja, dass nichts ansteckender sei und lasterpflanzender, als wenn man jemand hänge oder köpfe. Da wandle männiglich, statt abgeschreckt zu werden, die Lust an, geköpft und gehängt zu werden, daher auch nie mehr Laster begangen würden, als gerade an einem Hinrichtungstage. Die guten Juristen treiben es wohl gut, wenn sie es dahin bringen mit angeblicher Humanität, dass am Ende nichts überbleibt als Diebe, Mörder und — Juristen; — so nimmt es uns Wunder, was die für Augen machen und den Dieben und Mördern vordemonstrieren und plädieren werden? Wird man nun nach den Juristen unter einem Galgen galgensüchtig, was meint man, was muss erst an einer Hochzeit die ledige Mannschaft werden? Factum ist auch, dass bei einer Hochzeit andere Hochzeiten sich machen, blasierte Hagestolze zu schmachten anfangen, Spröde aufschauen, Unbefangene zu überlegen beginnen. Aber noch viel angreiflicher ist es, absonders für ein Mädchenherz, wenn eine Freundin kommt, — gewöhnlich kommt sie auf den Fußspitzen und schlägt die Augen nieder — und was erzählen will und nicht weiß wo anfangen, und wenn sie angefangen, reuig wird und lieber nicht fortführe, und am Ende doch erzählt, wie sie spazieren gegangen, und was er gesagt, und was sie gesagt, und wie es dann weiter gegangen, und wie sie jetzt einen Geliebten hätte, einer, wie keiner noch gewesen, und wie sie jetzt glücklich sei wie im Himmel, und dazu sich die Augen wischt, vielleicht der Freundin noch um den Hals fällt und spricht: Ach Gott! wie glücklich, wenn du nur wüsstest wie! — Ach Gott! wie gerne wüsste ich es! denkt die um den Hals Gefallene und kann fast die Tränen nicht verdrücken, wenn sie herausstottert: So, so, he nun, es freut mich für dich, wenn du glücklich bist. Per se kennst du ihn besser, er wird nicht sein wie die Andern! Ach ja. Aber was mich dauert, ist, dass ich wieder eine Freundin weniger habe, denn wer Mann und Kinder hat, denkt weiter an nichts mehr. Zuletzt bleibt man ganz isoliert, alleine in der Welt! — Dann weint sie ganz bitterlich, aller Trost ist umsonst, wie die Freundin auch zuspricht, sie solle sich doch nicht desolieren, sie bleibe da, und ihre Freundschaft solle die gleiche bleiben ewiglich, alle Tage wollten sie sich sehen; es wäre doch sonderbar, wenn man wegen dem Mann keine Freundin mehr haben sollte, ein so eng Herz hätte sie doch wahrlich nicht. Begreiflich hatte die Freundin schon Erfahrungen über die Weite ihres Herzens gemacht und meinte nicht bloß a priori, sondern wusste a posteriori, dass mehr als eine Person darin Platz hätten. Es gibt ja Herzen, in denen die Menschen nicht bloß Compagnien-, sondern Regimenterweise Platz haben. Habe erst eine Anekdote der Art von einem alten Pferde gelesen. Ist ein Rossherz so weit, wie weit muss erst ein menschlich Herz sein, und zwar ein junges, welches noch elastisch, nicht verknöchert ist! Aber die Freundin tröstet umsonst, Luise weint immer bitterlicher, bis endlich die Freundin recht verlegen wird und sagt, sie müsse gehen, sie habe ein Rendezvous mit dem Geliebten. Ach, da weint Luise noch bitterlicher, ihr Lebtag hat sie noch nie ein Rendezvous gehabt, als etwa mit ihrer Tante, der Frau Spendvögtin, wenn sie in verschiedener Gesellschaft waren im Winter und doch nur mit einem Laternchen heimgehen wollten. Ach, das Luise ist doch herzensgut, sagt die Freundin, ich wusste gar nicht, wie lieb ich ihm war. Du glaubst gar nicht, wie das arme Geschöpf weinte, als ich ihm sagte, ich sei versprochen, es hat mich recht können erbarmen. Es hätte dann niemand mehr auf der Welt, wenn ich ihn verlasse, hat es gejammert. Es ist wahr, verheiraten wird es sich per se nicht, Geschwister hat es keine, und wenn einmal die alte Spendvögtin weg ist, so wird es wirklich nicht wissen wohin.
Aber Luise dachte weder an die Freundin, nach an die Spendvögtin, und darum weinte sie nicht, weil sie nicht in Ewigkeit ihr Haupt in ihren Schoss legen konnte; aber anders wohin hätte sie dasselbe für ihr Leben gerne gelegt, und weil sie dieses nicht konnte, darum weinte sie bitterlich. Ach, will mich denn niemand lieben, und meinte ich es doch so gut; ach, und wie wollte ich einen glücklich machen, o anders als die Andern alle, welche Egoistinnen sind. An mich denkt Keiner! Eine nach der Andern findet Einen, ich Keinen, ich muss allein bleiben, niemand hat mich lieb Ai, ai! So jammert Luise, hält die Hand aufs Herz, denn dort pocht es gewaltig, als ob es gesprungen sein müsste. Und doch wurde Luise nicht neidisch, stellte sich nicht vor den Spiegel, verglich sich nicht mit der Glücklichen, fand sich nicht zehnmal hübscher als sie und unbegreiflich, wo der Schlingel, der sie auserwählt, seine Augen gehabt, rupfte auch nicht der Freundin alle ihre Sünden auf, stellte die eigenen Tugenden daneben, sagte nicht: He nun so dann, wenn sie nicht mehr Verstand haben, so ist es ihnen zu gönnen, wenn sie so recht getäuscht werden! — lief ebenfalls nicht bei den Freundinnen herum, zählte an den Fingern die Laster der Freundin her und schloss weinerlich: wie doch der arme Mensch sie daure, der meine, er kriege einen Tugendspiegel und habe die schrecklichste Sündenbüchse auf Erden. Wenn sie nur jemand wüsste, sie ließe ihn im Vertrauen warnen, es sei doch nicht recht, wenn man seinen Nächsten ins Unglück rennen sehe und gebe ihm keinen Wink. Von diesem Allem sagte Luise nichts, sie dachte nur: Will mich denn keiner lieben? und wenn sie unter die Leute kam, so schien sie noch farbloser, redete noch leiser, und wie gesagt, Worte, welche man mit den Händen hinter den Ohren auffangen muss, sind eben nicht förderlich Liebe zu wecken und anzubrennen. Endlich hatte sie nur noch eine Freundin, denn, wie gesagt, die Mädchen in dem Städtchen waren berühmt wegen der Zärtlichkeit, und eine herrlichere Aussicht auf Erden kannten sie nicht, als die Aussicht, Spendvögtin, Seimeisterin, Seckelmeisterin oder gar Frau Ratsherrin zu werden. Für diese Aussichten schwärmten sie förmlich, während sie die Aussicht auf dem Riesen sehr fade fanden, dieweil kein Wirtshaus dort sich findet. Auf dem Faulhorn ist ein Wirtshaus, die Aussicht aber dumm; man sehe ja nur Berge, die könnten sie vom Haus aus auch sehen, und eigentlich wüssten sie nicht, was man an den Bergen sehe. Genau besehen, sei ein Berg wie der andere. Da gefalle ihnen eine schöne Promenade, auf welcher Herren und Damen spazieren gingen, viel besser. Wegen den Herren wollten sie nun nichts sagen, aber wo viele Damen und Töchter spazierten, absonderlich, wenn Fremde da seien, sehe man alleweil was Neues, neue Häubchen, neue Hüte, neuen Zeug, kurz immer was, das einem zu denken gebe, erstlich, wie man wohlfeil dazu kommen könnte, und zweitens, wie schön es einem stehen müsste, so kalkulierten sie. Die letzte der Freundinnen hatte den Wahlspruch der alten Garde: die Garde stirbt, ergibt sich nicht, nicht zu dem ihren gemacht, sie hatte von je für die Aussicht, Vögtin oder gar Meisterin über irgendwelchen Zweig der bürgerlichen Verwaltung zu werden, stark geschwärmt, aber fruchtlos, war indessen nicht in Verzweiflung darüber geraten, denn Julie war ein zäh Ding, hielt sich am Vers: Wenn Hoffnung nicht wär’, ich lebte nicht mehr! Diese Hoffnung ließ sie auch nicht zu Schanden werden. Endlich auf einem Spaziergange im vergangenen Jahre, an einem schönen Sonntagnachmittag — in den Hundstagen war es — ging an ihrer Seite ein hölzernes Subjekt in Feuer auf. Es war ein Schreiber auf dem Amte mit großen Aussichten. Julie schrie begreiflich nicht Fürio, sie ließ brennen was brennen wollte, ihr Herz und des Subjekts Herz, beide zusammen gaben eine artige Flamme. In diesen Flammen wurden beide eins, d. h. glücklich und rätig, Mann und Frau zu werden. Schon montags in der Früh kam Julie zu Luise, ihr zu verkünden, wessen ihr Herz voll war. Wie da Luise weinte und trostlos war, kann man sich denken. Ihr Elend ging Julie zu Herzen, fast hätte sie mit geweint, sie zeigte die herzlichste Teilnahme, las in den hintersten Winkeln die Trostgründe zusammen. Zwischendurch entrannen ihr Bruchstücke ihrer Aussichten und Gedanken, ob sie sich am Hochzeitstage schwarz oder weiß kleiden solle, mit einem Häubchen oder ohne Häubchen, den Blumenstrauß in der Hand oder angeheftet? Endlich schloss Julie, da alle Trostgründe bei Luise nicht anschlagen wollten: Du musst dabei sein, denn ich bin gekommen, dich zu bitten, meine Brautführerin zu sein. Mein Fritz hat mir gesagt, es müsste glänzend zugehen an unsrer Hochzeit, drei oder gar vier Fuhrwerke müssten es sein. Näheres haben wir noch nichts abgeredet. Es hat gestern sich nicht alles ergeben mögen, und immer kam jemand dazwischen, hing sich an uns, wenn unsere Herzen im besten Zuge waren, und heute habe ich ihn noch nicht gesehen, meinen Fritz, den Spitzbuben! — das hölzerne Subjekt.
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