Die Armen

Die Armen – Heinrich Mann

Heinrich Manns “Die Armen” zeigt Kapital und Arbeit im natürlichen Widerstreit. Den Kapitalisten gibt der Papierfabrikant Heßling, den Arbeiter ein kräftiges und waches Individuum namens Balrich. Normale Kampfstimmung. Balrich will sich und seine Angehörigen dorthin setzen, wo Heßling sitzt – unerreichbar auf Villa ” Höhe”. Aufruhr und Gewalt vermeidend, dringt er zum Abitur vor, vervollständigt seine Bildung, seinen Intellekt, dreht seine Weltanschauung nach dem Wind, der von dorther bläst, wohin er möchte. Aber bis er reif geworden ist, um mit behandschuhter Löwentatze auszuholen, hat er die verloren, die er mit seinem Erlösungswerk emporbringen wollte: mehr denn je türmen sich Schmutz und niedere Gesinnung um seine fortschreitende Lauterkeit. Nun wird der Revolutionär zum Zweifler und Kritiker seiner eigenen Forderungen . Mit dem Geist sog er das Gift der Verneinung in sich und jetzt schlägt ihn die Waffe, mit der er dem Jahrhundert an den Leib wollte. Die Erkenntnis, dass Oben und Unten einander würdig ergänzen und sich vom Aufschwung und von der Opferung einer Menschenseele nicht um ihr Gleichmaß würden bringen lassen, macht Balrich überdrüssig seines Spiels. Mit der ihm innewohnenden Entschlossenheit kehrt er in den Schoss einer verlassenen Geliebten zurück und belastet sich neuerdings mit einer Armut. die ihn ehedem als aufgezwungene Lebensform bedrückte, jetzt als freigewählter Schmerzensweg verklärt. Das Kapital hat gesiegt – äußerlich. Die Arbeit hat gesiegt – innerlich , geistig .

Die Armen

Die Armen.

Format: Taschenbuch/eBook.

Die Armen.

ISBN Taschenbuch: 9783849668440

ISBN eBook: 9783849660116

 

Auszug aus dem Text:

 

Die Kinder schrien tosend vor dem großen Arbeiterhaus von Gausenfeld; hunderte von Kindern, hervorgequollen aus dem überfüllten Haus, worin sie alle geboren waren, rannten, zappelten, prügelten sich auf der grauen Wiese. Alte Männer, die nicht mehr arbeiteten, standen, wenn sie besonnt war, an der Mauer und sahen ihnen zu. Die Kleinsten fielen unaufhörlich in den Graben, der die Wiese von der Landstraße trennte, immer eilten Mütter oder Schwestern zum Retten herbei. Die Größeren sprangen hinüber, am liebsten auf der Seite, wo der Graben neben dem Weg zum Friedhof lief; und drüben warfen sie einander gegen den wackligen Zaun der Villa Klinkorum. Brach ein Brett heraus, dann rasch hinein und Äpfel holen. Der Besitzer hörte mit Zorn und Entsetzen das Knacken der Zweige, die sie mitrissen, aber auf seinen steifen Beinen kam er immer zu spät, sie waren schon draußen und zeigten ihm aus einiger Entfernung das unreife Obst, es sei auf der Straße gelegen. Dann hielt er ihnen eine Rede über das Eigentum und die Bildung, immer dieselbe Rede, denn niemals merkte er, dass er es mit denselben Jungen zu tun hatte. Klinkorum war Schullehrer gewesen, aber einer für die Reichen; und weil ihm schon die Zähne ausgefallen waren, wollte er nun hier sich mausig machen. Kaum war er fort, polterten alle gegen seinen Zaun, und irgendeiner kroch hinein und setzte ihm etwas auf den Gartenweg. Der alte Malermeister, der unten im Haus wohnte, durfte es sehen, er lachte, wenn er auch schalt. Nur den kleinen Mädchen war es von ihren Müttern streng verboten, ihm zu nahe zu kommen.

Dies war nicht alles, was Professor Klinkorum zu erdulden hatte. Kehrte er aus der Stadt heim, zuweilen schon ganz nahe bei seinem Grundstück überholte ihn, wie er auch hastete, das Heßlingsche Automobil und bedeckte ihn mit Staub oder Schmutz. Generaldirektor Geheimer Kommerzienrat Dr. Heßling in seinem Staubmantel blickte unerbittlich geradeaus, und Klinkorum, von außen gegen seinen eigenen Zaun gedrängt, äugte mit ohnmächtigem Hass, bis er, ganz in einer stinkenden Wolke befangen, die Augen schloss. Innerlich hielt er in solchen Minuten seine zweite Rede über das Eigentum, die Rede dagegen, — wenn es nämlich schrankenlos und überheblich war. Die Bildung war das Erste und musste es bleiben.

Damit ging er hinauf in sein Studierzimmer. Von hier übersah er ganz Gausenfeld, hinter den Arbeiterhäusern das wüste Gelände, bis zum Wald, bis zur Fabrik. Es ward Nacht, an der Friedhofsmauer die Lampe leuchtete nahe, und weit dort hinten die gereihten Lichter der Fabrik.

Aus der Fabrik kehrten die Arbeiter heim; ihr Massenschritt dröhnte, von ferne fühlbar, bis in das Studierzimmer; und Klinkorum dachte nicht ohne Achtung an den Herrn der Massen, ihn, Heßling, Besitzer Gausenfelds, großen Reichtums und mancher Würden. Wie hatte er es dahin gebracht, als Chemiker und Papierfabrikant? Durch Machenschaften und Kunstgriffe geschäftlicher wie politischer Art, über die es auch nach sechzehn Jahren in der Stadt noch nicht still war. Der selbstgemachte Mann freilich blieb zu achten. Er wieder aber achte noch höhere Rechte! Klinkorum hatte gespart, bis er weit draußen an der Landstraße dies einsame kleine Haus erstehen konnte, die Freude seines letzten Lebensdrittels. Gepflegt und lauschig, ein Sitz der Muse, ruhte es im Grünen, unaufgestört von Weihelosen; denn nur langsame Bauernwagen zogen, mit Ochsen, breitstirnigen, schwerausschreitenden bespannt, vorüber, und Gausenfeld, das einzige größere Anwesen in der Weite, diese Stätte der Papierfabrikation lag jenseits von Feldern und Wald, man sah, hörte und roch sie nicht. Da aber, was geschah? Der neue Herr von Gausenfeld vergrößerte seine Fabrikanlagen. Er legte den Wald so weit nieder, als er jene unedlen Baulichkeiten dem Blick entzogen hatte. Die Arbeiter-Familienhäuser wuchsen über das Feld heran, immer nach Westen, immer auf Klinkorum zu. Auch kam es dahin, dass gleich hinter seinem Zaun dies Volk sich begraben ließ. Und dem Friedhof, als vorletztem Streich, folgten die Kasernen der Proletarier, Ungeheuer von Häusern, hin schattend über Klinkorum und seinen bescheidenen Ruhesitz, ihn mit Gerüchen bedrängend, in Ruß verschüttend so Garten wie Haus und um es her eine Zone breitend des Gestampfes, Geschreis, Totschlages und der bildungsfeindlichen Rohheit!

Nun waren die Lichter ausgelöscht in der Fabrik und entzündet in den Kasernen, in der Kantine an ihrem Flügel. Dorther kam Lärm. Der Arbeiter Karl Balrich aber, still in seinem Zimmer 101 des Arbeiterhauses B, stand am Fenster, sah vor sich dasselbe wie der Besitzer der Villa Klinkorum und dachte nach, auch er, über die Welt, die ihn umgab. Freilich, die vielen Geräusche des Hauses selbst, von rechts, links, oben, unten übertönten bei weitem seine Gedanken an das Fernere. Er hörte um sich her, des Sonntags, wenn er ruhte und jetzt am Abend, bevor er schlief, Streit, Küsse, Gespräche über Geld und Essen, die Prügel für die Kinder, hörte durch das hallende und zitternde Haus alles was vorging, was das Leben der Menschen war und was es schon nicht mehr war: ihr letztes Wimmern, ihr Abschiedsgestöhn. Aber öfter als Sterben hörte er Gebären. Er sagte sich dann, je nachdem ihm an dem Abend zu Sinn war: „Wieder ein Mann für die Arbeiterbataillone“ oder: „Heßling kann lachen; wieder ein Dummer.“

Denn der Arbeiter Balrich sah, wie die Dinge lagen, in der Person des Generaldirektors Heßling den höchsten Zweck und das letzte Ergebnis des ihn umgebenden Lebens, aller dieser Mühen, Aufregungen und Schmerzen — und nicht nur dieser hier. Von Gausenfeld zu schweigen, die Stadt, wie sie war, arbeitete für den Reichen und fristete sich nur durch ihn. Das Land selbst drehte sich wahrscheinlich nur um seinesgleichen. Ihm zuliebe das Militär; und der König sogar eigentlich sein Narr. Den hielt er sich aus, er aber verdiente. Auf das Geld kam es an.

„Wenn es auf das Geld ankäme,“ sagte an seinem Fenster der Professor, „dann würde dieser Heßling mit Recht die Umstände meines Lebens auf jene Stufe hinabdrücken, wo seine Lohnsklaven schmachten, — indes er selbst —.“ Hinter dem Wald wohnte er selbst. Über dem von ihm bebauten Tal der Armut und des Unrates, aber bewahrt vor seinem Duft und Anblick hinter eigenem Wald auf grünem Hügel, in seiner hellen und blumenumleuchteten „Villa Höhe“ hauste leichten Herzens mit den hochgemuten Seinen der Eigentümer, Anstifter und Nutznießer dieser ganzen sozialen Schmutzerei. Das Wort fiel. Zwei Freunde traten ein bei Klinkorum, und sowohl der Arzt Dr. Heuteufel wie der Konsistorialrat Zillich wiederholten das Wort. Je höher die Bildung, um so entwickelter der soziale Sinn — und mit ihm das Feingefühl für die Herausforderungen des Kapitals, dies Hinbreiten des ausschweifendsten Luxus gleich neben dem Schauspiel des Elends, dieses Autojagen an den Enterbten vorbei, dies Hupengeheul.

Die Schwester des Arbeiters Balrich bekam droben von Dinkl, ihrem Mann, eine Ohrfeige, die bis her schallte, und sie selbst hieb die Kinder. Als alle genug geschrien und die Nachbarn genug gelacht hatten, machte sie sich plärrend an das Nachtgebet. Karl Balrich dachte noch immer: „Auf das Geld kommt es an.“ Da zog links drunten der Herbesdörfer, seine Harmonika lang aus, und Balrich merkte es nun, dass er mit dem Denken nicht vorwärts kam. Schwer war es, von dem wirklichen Gang der Welt, ihren Zusammenhängen und Gesetzen etwas Deutliches zu erfahren. Die Redner in den Versammlungen redeten von weit her; um sie anders zu verstehen als bloß mit unserem Hassgefühl, mussten wir uns bis dahin durchschlagen, wo sie zumeist von Geburt schon standen. Und wie jetzt noch zu so viel Bildung kommen?

Die Herren im Studierzimmer murrten: „Den Bau der elektrischen Bahn nach Gausenfeld hat er hintertrieben. Er scheut den Verkehr der Welt mit seinem Jammertal, er wünscht keine Einblicke und ist gegen einen häufig wiederholten Besuch seiner Leute in der Stadt, bei ihren Genossen, auf den Versammlungen. Am Sonntag will er sie in seine Kantine zwingen. Wie in einem Ghetto sollen sie sich fortpflanzen und nichts von allem was sie sind und leisten, ihm verlorengehen. Die Folgen ermesse man! Was mich betrifft, ist es mir bekannt, dass die Gausenfelder Körperverletzungen um viele Prozent unsere sonstigen übersteigen. Niemand wundere sich, wenn ich, Klinkorum, eines Morgens in einer Blutlache aufgefunden werde! Wäre ich nicht der Ordnungsmann, der ich bin, ich wüsste die Stelle zu finden, wo die Öffentlichkeit sich packen ließe.“ — Ja, die murrenden Gebildeten warfen bei einer neuen Flasche Wein sogar die Frage auf, ob ein Mann von mittlerem Einkommen, aber einer gewissen geistigen Höhe, mit seinem Glück und Dasein denn wirklich gebunden sei an den Bestand der jetzigen Dinge. Als die Flasche leer war, sahen sie das Schlimmste voraus, eine Katastrophe, ein Weltenende. „Ich sehe es,“ rief Klinkorum, vom Geist berührt. „Ich sehe, dass einer aufstehen wird und mich rächen!“ — wobei er sich fester in die Ecke setzte.

Der Arbeiter sagte, drüben im Hofzimmer, seinen beiden jungen Brüdern gute Nacht; und bevor er sein Fenster schloss, stand er dann im Wind, quer über die breite Stirn liefen ihm die zusammengewachsenen Brauen, er machte Fäuste, stemmte die Schultern hinauf, als höbe er eine Last, — und dachte mühselig weiter, tastete sich im Dunkeln ein Stück an seinem Schicksal hin, wie es denn aussehe, wohin es denn verlaufe mit den anderen in der Welt. Ihm schien es dunkel und windig, wie das öde Feld, auf das er hinaussah und das endete mit dem Friedhof. Zwischen sich und dem Friedhof fand er nichts als Ungerechtigkeit und Hass.

Beim Abschied lenkten die Studierten ein. Die reichen Leute hatten natürlich ihre unermessliche soziale Nützlichkeit. Und nach außen verbürgten sie unser Ansehen, unsere Schlagkraft, die Erweiterung unserer Grenzen. Übrigens waren nicht alle reichen Leute wie Heßling, — und selbst Heßling, war seine Tüchtigkeit denn zu verachten? Im Gegenteil zog ganz Netzig Nutzen aus ihr. Die wenigen Gausenfelder Aktien, die er damals bei seiner großen Operation, als er Generaldirektor wurde, in fremden Händen gelassen hatte, waren seltene Kostbarkeiten geworden, sie vererbten sich vom Vater auf den Sohn. Jeder der drei Herren vermutete von den anderen, dass sie welche hätten, und da sie es nicht gestanden, gestand auch er es nicht. Beim Abschied fragte jeder, mit unbeteiligtem Gehaben: „Wie stehen sie denn jetzt?“

Der Hass! fühlte der Arbeiter Balrich. Mit ihm gehst du schlafen und stehst wieder auf mit ihm. Vor sechs, den Rockkragen hinauf und los, den fröstelnden grauen Weg nach der Fabrik, zu Hunderten schweigend und trabend, Trab hinter sich, vor sich, in sich, Trab wie Maschinenlauf. Alle verschrieben der Ungerechtigkeit, alle unter dem unablässigen Druck des Hasses, gewohnt wie schlechte Luft und Lärm von Maschinen. Und dabei, welcher war der ärgere Feind? Heßling, für den man sich krumm rackerte, oder dieser Simon Jauner, der es auch tat, — aber seit heute stand er bei der Papiermaschine am Platze Balrichs, unten, wo die fertigen Bogen ankamen und wo man von der Tür her Luft hatte. Den besten Platz hergeben müssen, an einen, der früher einmal etwas gehabt hatte mit der Frau des Maschinenmeisters Polster! Noch dazu war sie die Schwester seines Schwagers Dinkl. Balrich schwitzte den ganzen Morgen mehr von Wut als von der Hitze. Als aber der Inspektor vorüberkam und ihn fragte wieso, biss er die Zähne zusammen. Das war unsere Sache und nichts für die Herren oben! Der Inspektor freilich wusste Bescheid, denn mit der Frau des Maschinenmeisters hatte er jetzt selbst etwas. Daher meldete er sich auch bei dem Herrn Oberinspektor, und beide gingen, als es Mittag läutete, sogar zum Generaldirektor hinein. Dann ward der Maschinenmeister hineingerufen und kam sogleich wieder herausgeflogen, der dicke Hahnrei, rot bis auf die Glatze. Und dann hatte Balrich seinen Platz zurück, Heßling war gerecht gewesen.

Darüber sprachen alle auf dem Weg zum Essen. Kam ein Beamter vorbei, sagten manche recht laut, Heßling sei gerecht gewesen, — auch Jauner sagte es, denn so war er. Balrich, an den sich viele von ihnen heranmachten heute, dachte den ganzen Tag über die Sache nach, denn Heßling war gerecht gewesen, und das ging nicht. Erst am Abend, vor seinem Fenster, hatte er es. Gewiss hatte auch Heßling von den Liebesgeschichten der Polster etwas erfahren und ihm lag nur an der Ordnung, seinem eigenen Vorteil. Umso schlimmer, dann konnte er gerecht sein, weil es sein Vorteil war, und die Reichen wurden reicher sogar durch ihre Tugend. … So stand es, dachte er gleich am Morgen wieder, denn es war Sonntag. Da begann aber schon, droben in der Ferne, das Gebetplärren seiner Schwester Malli, und kaum, dass es aus war, ein großes Gekeif.

Diesmal hörte er auch Leni, seine jüngere Schwester, mitschreien, weshalb er schnell hinging um nachzusehen. Es gab einen ganzen Kübel voll Dreck. Malli wollte Dinkl ertappt haben bei Leni hinter dem Bretterverschlag; und hinweg über ihren großen Bauch, woran drei Kinder sich festhielten, schrie sie ihm zu, er solle sich nichts einbilden, er sei nicht der einzige, — indes Leni aufheulte und Dinkl aus Verlegenheit seine komischen Gesichter schnitt.

„Schäm’ dich!“ sagte Balrich zu der verheirateten Schwester. „Ich weiß ganz genau, dass das wieder nur ein Schwindel von dir ist.“ Und er zog Leni an seine Schulter. Denn obwohl er gar nichts wusste, war es unmöglich, dass sie so etwas tat. Er hatte sie lieb. Er hatte sie so viel lieber als Malli, dass er ein schlechtes Gewissen fühlte und nichts mehr sagen mochte. Leni durfte noch hübsch, leicht und sauber sein, Malli, die ärmste, ward es nie wieder. „Und ich, wenn ich erst verheiratet bin, werde aussehen wie Dinkl.“ Malli hatte früher nicht gelogen. Jetzt ward nach dem Aufstehen gebetet, und dann sofort eine Klatschgeschichte, die das ganze Haus durcheinander brachte. Alle hier waren gute Leute, und handelten infolge ihrer Armut als seien sie böse Leute, — indes Reiche, die nicht gut waren, sogar gerecht sein durften.

Schön, jetzt trat die Polster auf und behauptete, Dinkls hätten ihr Milch gestohlen. Neuer Krach, neue Tränen, und durch die Aufregung kamen bei Malli die Wehen. Die Polster half ihr sofort wie eine wahre Schwester, zog sie aus, bettete sie, versprach ihrem Bruder Dinkl sein Essen und nahm die drei Kinder mit sich. Sie selbst hatte keine, darum konnten Polsters sich zwei schöne Zimmer halten. In dem einen standen Plüschmöbel, Blattpflanzen und ein Phonograph, es kam wohl auch von den Freundschaften der Frau. Aber wenn man das hätte genau nehmen wollen! Dinkl hatte noch die besondere Freude, dass das Familienereignis auf den Sonntag fiel und Malli voraussichtlich nicht mehr als zwei Arbeitstage verlor. Nachmittags, gerade als Balrich wieder nachfragte, kam hoher Besuch, Frau Generaldirektor Heßling und ihre Schwägerin Buck. In der Tür blieben sie stehen, sie machten Gesichter, als ob es ihnen an die Gurgel ginge. Wahrscheinlich wirkte die Luft hier so, wenn du sie nicht gewöhnt warst. Sie aber schienen sich deswegen zu genieren und fingen an, auf Malli einzureden wie auf einen kranken Kanarienvogel. Mit der Hebamme flüsterten sie und zogen die Brauen hoch. Balrich sah sich so lange und genau die Buck an, bis die Heßling es merkte und halblaut: „Emmi!“ rief, wobei sie sie streng am Arm packte. Dabei ließ die Buck ihre Tasche fallen und Balrich, mit einem Sprung, hob sie auf. Als er sie ihr hinhielt, zog sie zuerst die Hand zurück, dann erst unter dem Blick ihrer Schwägerin griff sie zu. Inzwischen beroch er sie, denn sie roch nach Veilchen. Sie war noch hübsch, die Figur war, wie unsere Mädchen sie nur bis zwanzig haben. Auch Leni hatte so goldblondes Haar, aber das der Buck war nicht verstaubt. Endlich, während sie die Tasche nahm, sah sie ihn sogar an und lächelte, etwas schüchtern und sozusagen besänftigend. Vor seinen zusammengewachsenen Brauen machte ihr Lächeln aber sogleich kehrt. Darauf trat Balrich hinter den Bretterverschlag Lenis.

Dinkl kam zu ihm, stieß ihn in die Seite und wisperte, warum er sich verkrieche. Die eine sei scharf auf ihn, da habe er einen schönen Posten in Aussicht. Dinkl machte Witze, weil es ihn nichts anging. Balrich, den es anging, hatte ein Gefühl in der Brust, wie er es einmal gehabt hatte, als er entlassen worden war. Die Buck hatte ihn behandelt wie ein Tier, — man fürchtet es und nimmt es doch nicht ernst; nicht aber wie einen Mann.

Nun gingen sie, Dinkl, scharwenzelnd, brachte sie hinaus, da geschah ein Unglück. Aus seinem tiefen Bückling war Dinkl noch nicht wieder aufgekommen, als sie es schon hatten und auf der Treppe lagen, die Heßling verlor den Hut samt der Hälfte ihrer weißen Haare. Über dem Geländer hoch droben wälzten die Dinklschen Kinder sich vor Lachen, — worauf der Vater zu begreifen anfing. Mit geschwungener Faust verjagte er die Kinder und half dann den Damen. Zum Glück nahte von unten der Herbesdörfer, so brachte man sie bald wieder auf die Füße. „Mein Gott, was war denn das!“ riefen sie, auf einmal mit ungezwungenen Stimmen. „Ist hier auf den Stufen nicht Seife?“ Dinkl wollte es leugnen oder unbegreiflich finden, Herbesdörfer erhob seine eingerostete Stimme nur zu einem „Achtung!“ und breitete die starken Arme aus, für alle Fälle. Sie aber baten die beiden Arbeiter, nachzusehen, wie es rückwärts um sie stehe, und als Dinkl durchaus keine Seife an ihnen fand, fanden sie selbst sie.

„Was jetzt! Wir müssen doch zum Tee in die Stadt. Noch einmal nach Hause und uns umkleiden?“

Dinkl riet hierzu, sie wieder meinten: „Das kostet eine halbe Stunde, und was sagt die Generalin!“

Angelegentlich wandten sie sich an Herbesdörfer, um auch seine Ansicht zu erfahren, freilich ohne Erfolg, er machte ein barsches Gesicht. Die Polster kam herzu, schlug die Hände zusammen und erbot sich, von den Kleidern alles abzuwaschen, — worauf eine technische Verhandlung folgte. Sie blieb ohne Ergebnis; so drang Dinkl durch, mit seinem Hinweis auf die besondere Leistungsfähigkeit des Heßlingschen Autos.

„Das muss wahr sein,“ sagte Frau Generaldirektor Heßling, „es ist ein Charron.“

Dinkl gab zu bedenken, ob nicht die deutsche Industrie den Vorzug verdiene, selbst wenn sie nicht ganz so leistungsfähig sein sollte. Ernste Meinungsverschiedenheiten erwuchsen hieraus nicht, unter dem Entgegenkommen beider Teile setzte die Unterhaltung sich fort bis vor das Haus. Erst beim Anblick ihres Chauffeurs ging durch die Damen ein sichtbarer Ruck, und als sie gar im Auto saßen, erwiderten sie den Gruß der Arbeiter nur noch aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu rühren.

Dinkl fand sich damit ab, er stand, als das Auto fort war, und lachte, dass sein Gerüst wackelte. Die Kinder, die nachgeschlichen waren, bekamen vom Vater ihre Ohrfeigen, aber er lachte dabei, und alle mit, die Polster samt den Nachbarinnen.

Als die Bande wieder hinaufstürmte, würde sie den Karl Balrich überrannt haben. Er stand auf dem Treppenabsatz und schien vertieft in den Seifenfleck. Er machte ihnen Platz, lachte aber nicht wie sie, sondern faltete die Brauen … Sein Schwager klopfte ihn auf die Schulter und nahm ihn mit in die Kantine; der Malli seien sie doch bloß lästig in ihrem Betrieb.

Die Kantine war voll, von allen Tischen wurden Fragen geschrien wegen des hohen Besuches und der Seife. Der Vorfall mit der Seife beschäftigte alle. Seife war das Stichwort für Witze, die sich alle ähnlich sahen, und jeder erregte das gleiche Gebrüll.

Zu Balrich, Dinkl und Herbesdörfer setzte sich stumm der alte Malermeister, der seit kurzem im Keller bei Klinkorum wohnte. Er war umhergezogen und hatte sich eben durchgeschlagen, ein unruhiger Taugenichts, bis er es gut fand, seine altgewordenen Knochen an den Ort zu tragen, wo er Heimatsrecht und Verwandte hatte. Er und Balrich sagten nichts, — bis Herbesdörfer sie etwas fragte. Er hatte eine Aussprache wie ein Wilder und äußerte sich so angestrengt, als verlernte er das Sprechen von Tag zu Tag. Er fragte: was den reichen Weibern denn einfalle, dass sie ungebeten eine Arbeiterin in den Wehen zu begaffen kämen, wie eine Kuh. Dinkl stieß ihn heimlich an, und unter dem Tisch zeigte er ihm das Zwanzigmarkstück, das die Besucherinnen dagelassen hatten. Laut sagte er: „Sie haben Langeweile gehabt. Das Teewasser bei der Generalin hat noch nicht gekocht.“

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