Die Bären von Hohen-Esp – Nataly von Eschstruth
Ein Roman aus den Hof- und Adelskreisen des 19. Jahrhunderts. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.
Format: eBook
Die Bären von Hohen-Esp.
ISBN eBook: 9783849657178.
Auszug aus dem Text:
“Wenn ein Mädchen einen reichen Mann bekommt, ist es immer glücklich verheiratet”, hatte der alte Kammerherr von Wahnfried gesagt und dabei die weißbuschigen Augenbrauen noch grimmiger zusammengezogen als sonst. “Gundula kann Gott danken, daß der Bär von Hohen-Esp sie zum Weib begehrt! Ist wohl kein Nest so weich gepolstert wie das seine, und wenn man den Grafen ansieht, lacht selbst solch altem Kerl wie mir das Herz im Leibe, wieviel mehr meiner jungen Tochter.”
Die alte Dame, die dem Sprecher gegenübersaß, richtete sich noch straffer empor und legte die großen, kräftigen, schneeweißen und ungeschmückten Hände im Schoß zusammen.
Ihre klaren, durchdringend ernsten Augen hefteten sich ruhig auf die hünenhafte Gestalt des Bruders, der, auf seinen Krückstock gestützt, vor ihr stand und sie herausfordernd anblickte.
“Jung, schön und reich”, sagte sie langsam, “ja, das ist er, aber er ist noch mehr! Graf Friedrich Carl ist leichtsinnig. Er ist durch und durch Lebemann; die große Welt, in welcher er, der Frühverwaiste, so jung schon selbständig ward, droht sein Verderben zu werden.”
“So! Inwiefern, wenn man fragen darf?”
“Weil er sich ruiniert, weil er über seine Verhältnisse lebt.”
Der Kammerherr lachte hart auf.
“Ein Hohen-Esp sich ruinieren! Ein Hohen-Esp über seine Verhältnisse leben! Ahnst du, wie reich der Mann ist?”
“Man kann in einer einzigen Nacht Hunderttausende verspielen! Der Graf ist ein leidenschaftlicher Spieler. Möglicherweise hat er bis jetzt Glück am grünen Tisch gehabt; wenn das aber einmal aufhört, wird er sich und die Seinen rücksichtslos an den Bettelstab bringen!”
“Lächerlich! Verlangst du etwa, daß ich ihm einen Korb geben soll, lediglich, weil er mal in fideler Gesellschaft ein Spielchen macht?” Herr von Wahnfried nahm seine Promenade durch den Salon wieder auf, daß der Krückstock auf dem Parkett dröhnte. “Das wäre mir freilich das liebste, denn das ganze Lebensglück unseres Lieblings einem Spieler anvertrauen …”
“Blödsinn! Infamer Blödsinn! Du bist eifersüchtig, du willst das Mädel überhaupt nicht fortgeben …”
“Einem Mann, der mir eine glückselige, sorgenfreie Zukunft garantiert – sofort! Aber dem Grafen von Hohen-Esp? Nein! Wenn du mich fragst, sage ich tausendmal nein, denn ich weiß, daß sie einem namenlosen Elend entgegengeht!”
“Sieh mal an – namenloses Elend! Nette Zukunftsmusik! Haha! Na, und was sagt Gundula selbst dazu?”
Da seufzte die große resolute Frau zum erstenmal schwer auf, und über das ernste Gesicht zog es wie tiefe Schatten.
“Gundula ist verblendet”, sagte sie leise, “sie ist ebenso wie alle anderen von der Schönheit und Liebenswürdigkeit dieses glänzendsten aller Kavaliere eingenommen!”
“Gut! Warum also diesen schönen Wahn zerreißen?”
“Weil es nicht immer bei einer Flitterwochenliebe bleibt! Wenn sie ihr Unglück erst insieht und begreifen lernt, ist es zu spät.”
“Hast du dich von all dem Unglück, welches dich im Leben getroffen hat, zu Boden schlagen lassen?”
“Nein, ebensowenig wie du; aber Gundula …”
“…ist unser Fleisch und Blut, ist eine Wahnfried reinster Rasse. Komm einmal her, sieh mal da hinab! Na, gäbe es wohl auf der ganzen Welt eine bessere Bärin von Hohen-Esp, die mit stolzen, wehrhaften Pranken um ihr Glück kämpfen wird?”
Tante Agathe hatte sich erhoben und war hinter den Bruder getreten; ihr Blick flog hinab in den großen Hof, in dessen Mitte sich ihren Augen ein Bild zeigte, wahrlich dazu angetan, ihr besorgtes Herz zu beruhigen.
Baronesse Gundula kehrte vom Reiten heim. Sie hatte ihrem kleinen Groom die Zügel zugeworfen und verabschiedete sich eben noch von dem Rittmeister von Hammer und dessen Gattin, welche sie begleitet hatten, als eine hohe Leiter, welche seitlich an dem Hausflügel lehnte, ins Wanken geriet und mit lautem Krach neben dem Pferd niederschmetterte.
Der Goldfuchs stieg kerzengerade empor und brach in jähem Schreck wild aus, das Hoftor zu erreichen; machtlos hing der Groom am Zügel und ließ sich schleifen, während er voll verzweifelter Angst nach dem Kutscher schrie.
Schon aber war Gundula dem erregten Tier entgegengeeilt. Mit kraftvoller Hand griff sie zu und drängte den schnaufenden Fuchs zurück. Ihre hohe, wundervolle Gestalt, von dem knappen Reitkleid eng umschlossen, schien aus Stahl und Eisen; energisch, sicher und doch bei aller Kraft voll schmiegsamer Grazie stand Gundula neben dem Durchgänger und zwang ihn zum Gehorsam. Leuchtend rot stieg das Blut in ihre Wangen, die großen, stahlgrauen Augen blitzten einen stummen Befehl, und das Pferd schäumte ins Gebiß und fügte sich gehorsam der Gebieterin.
“Bravo, mein gnädiges Fräulein!” applaudierte der Rittmeister, und Gundula lachte ihm heiter zu und rief ein paar siegesfrohe Worte.
Wie sie so dastand in dem hellen Sonnenlicht, zeigte es sich besonders auffallend, wie ähnlich sie in Gestalt und Wesen ihrem Vater und ihrer Tante Agathe war, von welchen die Welt sagte, daß sie energisch bis zur Starrköpfigkeit, klug und zielbewußt bis zur Rücksichtslosigkeit seien.
“Und die sollte nicht ihren Weg gehen und sich von ein paar Kartenblättern um Glück und Existenz bringen lassen?” Wieder lachte der Kammerherr sein dröhnend tiefes Lachen. “Unbesorgt, Agathe! Ich frage jetzt das Mädel; will sie ihn, so bekommt sie ihn!”
“Ein wildes Pferd zu bändigen, ist wohl leichter, als einen leichtsinnigen Menschen im Zügel zu behalten! Wenn ein Weib liebt, so ist es schwach und ohnmächtig – und Gundula wird ihren Gatten lieben! Sie wird auch an seiner Seite so selbstlos und uneigennützig sein, wie sie es jetzt ist, und das öffnet dem Bankrott Tür und Tor.”
….