Hofluft

Hofluft – Nataly von Eschstruth

Von Eschstruths Romane erzählen vom Leben am Hofe zur wilhelminischen Zeit. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Hofluft

Hofluft.

Format: eBook

Hofluft.

ISBN eBook: 9783849657161.

 

Auszug aus dem Text:

Es war Frühling geworden. Lange Zeit hatte die Newa geduldig den Nacken unter das Joch des Winters gebeugt, hatte den eisglitzernden Panzer getragen, welcher ihre stolz wogende Flut schmal und starr zusammenpreßte, und wie die Wagen der Triumphatoren ehemals über den Leib des besiegten Feindes stürmten, so rollten die Lastfuhren, klingelten die Schlitten und sausten die dreispännigen Chariots voll kecken Übermuts über die gefesselte Nixe, die Beherrscherin der alten Zarenstadt. Wohl hatte die klare Wintersonne am Himmel gestanden und mit blendend grellem Lichte Milliarden von bläulichen Funken aus den weiten Eis- und Schneeflächen geweckt, aber ihr Kuß war matt und kühl und verklärte nur die Ketten der gefangenen Freundin, ohne sie brechen zu können. – Als aber das bunte Getreibe der Petersburger immer herausfordernder wurde, und die gewaltige Kristallbrücke der Newa gar zu viel des rastlosen Lebens ertragen mußte, da erglühte das Tagesgestirn voll Zorn hinter den Schneewolken, trieb sie auseinander wie Nebelgebilde und forderte mit goldnen Pfeilen den Winter zum Kampf. Und nicht lange währte es, da trieb eine imposante Wasserfläche ihre blauen Wogen zwischen den Steinwällen des Kais und den Granitwänden der Festung hindurch, an den Gärten des fürstlich Sobolefskoischen Palais vorüber.

Ein uralter, prächtig aufgeführter Bau, lag dasselbe etwas erhöht über dem terrassenartigen Park und gewährte aus seinen hohen, durch eine einzige Scheibe geschlossenen Fenstern einen köstlichen Ausblick über die Stadt. Durch das zarte Maigrün der Bäume sah man auf eine weite, platzartige Ebene hinab, auf die etwas entfernteren Straßen und Dächer, aus welchen in gedrängter Fülle Kuppeln und Kirchtürme mit goldblitzenden Pfeilen, kolossale, kasernenartige Gebäude und über denselben die finsteren Festungsmauern emporragten.

Die Balkontür zu einem der Mittelsalons stand geöffnet, und die Sonnenstrahlen, welche das Zimmer durch die fast bis zum Parkett reichenden Fenster wahrhaft überfluteten, verrieten jetzt erst völlig die pomphafte Pracht, welche der Winter solange hinter seinen Dämmerungsschleiern versteckt hatte. Wenn der alte Ausspruch: “von der Einrichtung eines Zimmers läßt sich auf den Charakter des Bewohners schließen”, sich stets bewahrheitet, so mußte dieses Boudoir im Palais Sobolefskoi entschieden von der elegantesten, penibelst modernen, zartesten und anmutigsten Frau bewohnt werden. In geschmackvollster Weise waren die einzelnen Stücke des Ameublements zusammengestellt; mit Vorliebe schienen lichte Farben, himmelblau und abricot, verwandt zu sein, hier und da überhangen von duftigen Spitzen, durch zierliche Goldbronzen gestützt und umweht von süßem Blumenduft, welchen überreiche Jardinieren spendeten. Unzählige kleine Kostbarkeiten lagen auf Tischen und Konsolen ausgebreitet, rosa Schleier verhüllten die Lampen, weiche Atlaskissen bildeten trauliche Eckchen, und wo man auch hinblicken mochte, überall schien eine ideale, weiche und unendlich verwöhnte Frauenhand zu walten. Dennoch beherbergte das Palais Sobolefskoi keine Dame, und in dem entzückendsten aller Gemächer, vor dem unter zartesten Nippes fast zusammenbrechenden Schreibtisch saß die schlanke, etwas krankhaft hagere Gestalt eines Herrn, um dessen Schläfen sich das Haar, wenn auch mit peinlichster Sorgfalt jugendlich frisiert, so doch schon grau und spärlich lockte.

Fürst Gregor Sobolefskoi, der Kammerherr des Zaren.

An seiner wie durchsichtig weißen Hand sprüht ein Diamant von seltenster Schönheit, das Ehrengeschenk eines Großfürsten, welches derselbe dem erprobten Freund des Kaiserhauses bei seinem fünfzigjährigen Dienstjubiläum an den Finger gestreift hat.

Fünfzig Jahre im Dienst des Hofes! Fürst Sobolefskoi hatte als zehnjähriger Knabe ersten Pagendienst getan und als achtzehnjähriger Jüngling als Kammerherr seinen Dienst bei einem der kaiserlichen Prinzen offiziell angetreten, nachdem er seit seinen ersten Lebensjahren bereits ein ständiger Gast in der Kinderstube des Winterpalais und des Gatschinaer Schlosses gewesen. Fünfzig Jahre! Wie sich eine Pflanze mit tausend feinen und unlöslichen Wurzelfasern festsaugt und anklammert an den Boden, welcher ihr zur Heimat geworden ist, so ist auch Gregor Sobolefskoi mit dem höfischen Parkett verwachsen, so ist auch er mit unzähligen Banden an den Schlüssel gekettet, welcher für ihn jedes Sein und Existieren erschließt. Das Vermögen

des Fürsten ist ungeheuer, er besitzt Ländergebiete, welche er nie in ihrer ganzen Ausdehnung geschaut, er hat Reichtümer bei in- und ausländischen Banken angehäuft, welche er kaum der Zahl nach anzugeben vermag, er könnte selbst einen Hofstaat halten und wie ein kleiner König sein Gebiet regieren, und dennoch beugt er voll fanatischen Eifers sein Haupt im Dienste des Zaren, dessen kleine Winke und Befehle für ihn zum Inbegriff des Lebens geworden sind. Fünfzig Jahre am Hof!

Alle Fäden der harmlosen und nicht harmlosen Intrigen, wie sie das tägliche Leben in Fürstenschlössern so selbstverständlich umspielen und seine Luft erfüllen, wie der gelbe Staub der Kätzchen einen blühenden Weidenbaum umwirbelt, waren entweder durch die Hände Sobolefskois gelaufen oder doch voll brennenden Interesses von ihm beobachtet worden, und ohne diesen kleinen Klatsch, welcher jedesmal für ihn die Wichtigkeit einer “Krise” annahm, deuchte ihn das Leben unerträglich langweilig und so geschmacklos wie ungesäuertes Brot! Fürst Sobolefskoi kannte alle Elemente der Gesellschaft und war von allen gekannt, es gereichte zu seiner hohen Befriedigung, überall mit ein paar vertraulichen Worten die Hand zu schütteln und mit distinguierten Leuten intim zu sein und höchst wichtigen Gesichts mit irgendeinem Würdenträger zu tuscheln und zu flüstern, wenn ein Publikum dazu anwesend war.

Als Kammerherr ward ihm in späterer Zeit meistens das Ehrenamt, den Hof bei Feierlichkeiten in auswärtigen Residenzen zu vertreten, und alsdann sonnte er sich in dem Glanz der Fürstenkronen, welche ihm jedesmal einen Strahl in Form eines Ordens gegen die kreuz- und sterngepanzerte Brust warfen. Der Jubel des Volkes, Ovationen und Kundgebungen, waren ihm äußerst sympathisch und berührten ihn, der so völlig mit dem Hofe verwachsen war, genau so angenehm, wie den hohen Herrn, dem sie gegolten.

Ja, er krankte wahrhaft an Sehnsucht, wenn er sie längere Zeit entbehren mußte, und fühlte sich geradezu unglücklich, wenn ihn eine Erkältung an das Zimmer fesselte, und ihn hinderte, im Schlosse anwesend zu sein. Tage, an welchen er keine Hofluft atmen konnte, zählte er zu den verlorenen, und der Gedanke, sich durch irgendeine Unvorsichtigkeit die Huld des Zaren zu verscherzen und dadurch seiner Stellung verlustig zu gehen, hatte ihn fünfzig Jahre lang wie ein Gespenst verfolgt. Fünfzig Jahre lang! Und heute saß Gregor Sobolefskoi vor seinem Schreibtisch und wollte die kleine spitzige Feder am goldenen Halter zu scharfem Schwert machen, welches mit einem einzigen Schlag all die Bande, Fäden und Wurzeln zerschlagen sollte, welche den Fürst mit dem kaiserlichen Hof verbanden. Ein großer, weißer Bogen, zur Hälfte gebrochen, lag auf der goldeingelegten Ebenholzplatte, ein zweiter, das Konzept des Schreibens enthaltend, war gegen eine edelsteinbesetzte Stutzuhr aufgestellt, und während die Feder des alten Höflings voll nervöser Hast über das Papier tanzte, klirrten die Orden auf der Brust leise zusammen, als wollten sie die Stimmen wehklagend über solch unerhörtes Beginnen erheben.

Fürst Gregor Sobolefskoi erbat von dem Zaren die Gnade, ihn aus seinem langjährigen Dienst als Kammerherr zu entlassen.

Das Sonnenlicht flimmerte über das ergraute Haupt, und der Schreiber zog sein duftendes Taschentuch, um es mit all jener Grazie, welche ihm zur zweiten Natur geworden, über die hohe Stirn zu führen.

Dann entzündete er eine Wachskerze, kuvertierte das Schreiben und drückte mit umständlicher Genauigkeit das Siegel darauf. Einen Augenblick starrte er regungslos auf den inhaltsschweren Brief nieder, dann stieß er den zierlichen, mit bunten Blumenbuketts gestickten Atlassessel zurück und erhob sich tief aufatmend, um an die offene Balkontür zu treten. Eine jede Bewegung des alten Herrn war von seltener Elastizität und der wohlbemessenen Eleganz, welche zwischen dem Geckenhaften und Formvollen stets scharf die Grenze hält. Der Fürst wurde sehr oft für einen Franzosen gehalten, sowohl seinem Wesen wie seinem Äußeren nach, wozu der schwarz gefärbte, etwas aufgestutzte Bart im Kontrast zu dem weißgrauen Haupthaar eine wohlbegründete Berechtigung gab.

Das Antlitz war schmal und scharf geschnitten, die Augen in tiefdunkler Umrahmung so lebhaft und ausdrucksvoll, daß man die öfters in Anwendung gebrachte Lorgnette lediglich als ein Requisit aus der Rüstkammer der Höflingsmoden ansehen konnte.

Seine Kleidung war stets das Ergebnis peinlichster Sorgfalt, und obwohl über der ganzen Erscheinung Sobolefskois eine etwas weichliche, beinahe weibische Suavität lag, war der Fürst dennoch ein anerkannt geistvoller Mann, welcher nicht allein auf dem Parkett, sondern auch auf manchem Feld der Wissenschaft zu Hause war.

Es genügte ihm durchaus nicht, in leicht tändelnder Konversation von einer schönen Blume des Hofes zur anderen zu flattern,

und in dem oberflächlichen Getriebe von Klatsch und Skandal, welche ihn allerdings der Gewohnheit gemäß hochgradig interessierten, fand er durchaus nicht volles Genüge. Der Kammerherr war überall dabei, und gerade dieses rastlose und vielseitige Lavieren in hoher Flut war sein Element.

Und nun wollte er alles aufgeben, was ihm von Kindesbeinen an zur Unentbehrlichkeit geworden war, alles, was bisher sein Leben ausgefüllt hatte, und alles, woran sein Herz und Verstand mit tausend Banden hingen! Sein Herz! nein, eben dieses Herz hing nicht mehr an jener purpurfarbenen Pracht, welche ihn voll starrer Unerbittlichkeit von seiner Liebe trennte.

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter E, Eschstruth-Nataly von, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.