Frühlingsstürme

Frühlingsstürme – Nataly von Eschstruth

Ein romantischer, aber auch trivialer Roman aus dem Jahre 1899. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Frühlingsstürme

Frühlingsstürme.

Format: eBook

Frühlingsstürme.

ISBN eBook: 9783849657154.

 

Auszug aus dem Text:

Die Sonntagsglocken läuteten.

Tiefe Stille lag über den Straßen der Hauptstadt, aber nicht die friedliche, erquickende Feiertagsruhe, wie sie voll heiliger Klarheit über Wald und Flur ausgebreitet liegt, sondern eine dumpfe Regungslosigkeit, ein Schweigen, wie dasjenige schwerster Erschöpfung, wie eine Todmüdigkeit, welche mit halboffenen Augen in bleiernen Schlaf sinkt. –

Glühend heiß brütete die Mittagssonne auf dem Häusermeer, – jeder Mauerquader schien unerträgliche Hitze auszuströmen, kein Hauch, – höchstens eine schwüle Duftwoge von Brand- und Gasgeruch, von all dem widerlichen Gemisch ungesunder Ausdünstungen, welche im Umkreis die Großstadtluft schwängern.

Die Droschkenpferde stehen mit tief geneigten Köpfen regungslos im Schatten, selbst der Futterbeutel hängt schlaff und noch halbgefüllt an den Mäulern, sie träumen melancholisch vor sich hin, und nur dann hebt sich müde lauschend ein Ohr am Kopfe, wenn der Kutscher das gewaltige Bierglas mit beiden Händen hebt und einen langen, gierigen Zug thut. –

Blasse, mattäugige Gestalten schleichen von Thür zu Thür, – an den Kellertreppen liegen und kauern elende Kinder, welche selbst zum spielen zu müde sind und mit zwinkerndem Blick an den Hausriesen emporstarren, deren grellbestrahlte Mauern mit den verhängten Fensterreihen die Augen blenden, daß sie schmerzen. –

Und hier ist noch ein besseres Stadtviertel, die elegantere Gegend, wo die Fabrikschornsteine noch nicht aufragen, wo Plätze mit bestaubten Anlagen die einförmigen Häuserreihen unterbrechen und kleine Vorgärten sich hier und da als wohlthuende Abwechslung zu dem schier schmelzenden Asphalt vorschieben.

Es ist eine gute Gegend, aber doch nicht das “Geheimratsviertel”, wo prunkende Villen den Stadtpark säumen und luxuriöse Gärten hinter hohen Goldgittern eine Idylle inmitten der Prosa endloser Steinwüste zaubern! –

Und dennoch stehen auch sie jetzt leer und verlassen, lediglich ein Erholungsplätzchen der Portiers und daheimgebliebenen Dienerschaft, deren reiche Gebieter sich an den Strand der See oder in die Waldesschatten des Hochgebirges flüchteten, um in elegantem Bad zu vergessen, daß zu Hause in der Residenz das Thermometer von Tag zu Tag höher steigt, so hoch, daß die Wirtschafterin in ihrem Wochenbericht mit der verzweifelten Klage schließt: “Es ist kaum zu ertragen!” –

Wer dem Molochrachen dieses Häusermeeres entrinnen kann, der enteilt, und manch seufzender Familienvater bringt schwere Opfer, um Weib und Kind während der Ferienzeit in Licht und Luft hinaus zu retten. Da bleibt kaum noch eine Familie zurück, – selbst für die Ärmsten gibt es Ferienkolonien, wo Waldesschatten und Seeluft Leib und Seele erquicken. Wohl dem, welcher reisen kann, welchen weder Pflicht noch Armut unter diese Bleidächer bannt! –

Langsam, den Kopf nachdenklich gesenkt, schritt ein halbwüchsiger Knabe durch die sengende Glut der Straße. Groß und schlank aufgeschossen, ein wenig vornüber geneigt, wie ein junger Stamm, welchem noch die Kraft fehlt, sich markig aufzurecken, die Glieder eckig und etwas unbeholfen in der Bewegung, zeigte er dennoch in seinem ganzen Äußern und Wesen die gute Kinderstube, in welcher er groß geworden.

Der Anzug war einfach, aber tadellos, und gutsitzende Handschuhe bewiesen, daß ihr junger Träger es gewohnt war, äußeren Formen zu genügen.

Seine Augen, groß und tiefblau, von dunkeln Wimpern beschattet und sehr energisch gezeichneten Brauen überwölbt, blickten ernst, beinahe kummervoll aus dem blassen, großgeschnittenen Gesicht, welches trotz seines jugendlichen Aussehens dennoch den Eindruck eines ernstdenkenden, gereiften Mannes machte.

Es lag ein feiner Leidenszug um die Lippen, welchen nur die Erfahrung und der volle Ernst des Lebens in junge Gesichter schneiden kann.

Mehr denn je trat er in dem farblosen Antlitz hervor, als der Sekundaner tief aufatmend in den hochgewölbten, mit der modernen Eleganz der Großstadt ausgestatteten Hausflur trat, an dessen Decke reicher Stuck seine vergoldeten Muster zeigte, und Ölgemälde an den Wänden auf zierliche Blattpflanzenarrangements niederblickten.

Hier war es kühl! Hier konnnte man etwas aufatmen, und wenn die Luft auch noch immer erstickend auf die Lungen fiel und durch die verschlossenen Entreethüren ein häßlicher Geruch von Kampher und Naphthalin drang, es war doch nicht die nervenmordende Glut, welche die Straßen und südlich gelegenen Zimmer unerträglich machte!

Der junge Mann seufzte tief auf, nahm das kleine Gebetbuch aus der rechten in die linke Hand, und fuhr mit dem einfachen, weißen Taschentuch, in dessen Ecke jedoch ein elegantes Monogramm unter siebenzackiger Krone von fleißigen Händen erzählte, über die feuchtperlende Stirn. – Es lag etwas Gemessenes, beinahe Pedantisches in seinem Wesen, etwas Umständliches, was ihn älter erscheinen ließ, als er war. Müde, mit beinahe schleppenden Schritten stieg er die teppichbelegten Stufen empor – eine Treppe – noch eine – und abermals eine. – Mechanisch schweifte sein Blick über die Thürschilder, an welchen er vorbeischritt. – Meist gute Namen – ein Oberst a. D. – ein Baumeister – ein Sanitätsrat – ein Hauptmann – glückliche Menschen, – sie sind alle fortgereist! – Hinaus in die schöne, – sommerliche, – herrliche Gotteswelt voll Harzduft und Vogelfang, voll Wellenrauschen und Seewind – ach, daß auch er die Arme ausbreiten und mit vollen Lungen einmal durchatmen könnte! – So wie früher in jenen besseren Zeiten, wo auch bei ihnen alljährlich die Koffer gepackt wurden, wo er auf die Berge steigen und im Dünensand wühlen konnte! O selige Erinnerung! Was gäbe er darum, könnte sie noch einmal wiederkommen, noch einmal Wahrheit werden!

Mit wehmütigem Lächeln bleibt er stehen und ruht einen Augenblick aus. Ja, auch für ihn wäre es eine Wohlthat! Aber wie gerne würde er dennoch darauf verzichten, könnte er nur für sein so heißgeliebtes, herziges Mütterchen solch’ eine Erholung schaffen! – Für ihn wäre es nur eine Erquickung. Aber für sie wäre es neuer Lebensodem, für sie ist es eine Notwendigkeit! –

Mit beinahe bitterem Ausdruck mustert er das elegante Treppenhaus. Warum müssen sie in der teuren Wohnung wohnen? Warum ihr Geld für Dinge ausgeben, von welchen sie so gar nichts haben? Ware es nicht besser, anstatt all dieser Äußerlichkeiten lieber nützlichere und notwendigere Dinge zu bedenken? Wie erschreckt über sich selber schüttelt der junge Mensch den Kopf. Welch ketzerische Gedanken kommen ihm so plötzlich! Hat er ganz und gar die Grundsätze vergessen, in welchen er erzogen ist? – Noblesse oblige! – Dieses Wort ist ihm sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, er hat an seiner schier heiligen Kompetenz nie zu rühren gewagt, er hat es anerkannt und respektiert, wie man sich die zehn Gebote ohne zu mangeln und zu handeln zum Gesetz macht. –

Noblesse oblige! – Seit er den Klang dieses Wortes kennen lernte, hat er es als Pflicht erachten müssen, als eine ernste, heilige Pflicht, als Vermächtnis seines Vaters und der Vorväter, welche diesem aristokratischen Begriff wohl noch andere Opfer brachten, als wie eine Badereise!

Und gleichsam, als müsse er jede Spur solcher frevelnden Gedanken fortwischen, strich er noch einmal hastig mit der Hand über die Stirn und trat mit energischem Schritt vor die eichengeschnitzte Entreethür des dritten Stockes, an welcher auf weißem Porzellanschild der Name der Bewohner zu lesen stand: “Generalleutnant Freiherr von Torisdorff.”

Die blauen Augen leuchteten unwillkürlich auf, als ihr Blick diese Worte traf, und gleichsam als ginge eine wunderbare, geheimnisvolle Kraft, welche Mark und Bein stählt, von ihnen aus, richtete und reckte sich die hagere Gestalt des Knaben, stolz und selbstbewußt hob sich das Haupt in den Nacken, und um die schmalen Lippen spielte ein Lächeln, welches auch ohne Worte zu sagen schien: “Ja, Noblesse oblige! – Der Name Torisdorff darf nicht auf dem Thürschild einer Mietskaserne stehen, er gehört in diese Umgebung und soll in derselben verbleiben! Die Sommerhitze bleibt nicht ewig, der Winter entschädigt uns für unsere jetzigen Leiden, aber der gute Klang unseres Namens muß beide überdauern!”

Der Glockenton schrillte auf dem Vorplatz, – ein paar Minuten vergingen, dann rasselte die Sicherheitsräte und ein sauberes Stubenmädchen in weißer Schürze und Hamburger Häubchen öffnete.

“Mama zu Hause?” – klang es ihr hastig entgegen. Das Mädchen knixte mit besorgtem Blick. “Ach, wie gut, daß Sie kommen, junger Herr! – Excellenz befinden sich heute wieder schlecht, – der Herr Doktor ist im Salon, und flüsterte mir zu, daß er nachher Herrn Josef gern ein paar Minuten sprechen möchte!” –

Ein jähes Erschrecken ging über die Züge des Sekundaners, sein Gesicht sah noch bleicher aus wie sonst, er preßte die Lippen wie unter physischem Schmerz.

….

 

 

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