Die Erlkönigin

Die Erlkönigin – Nataly von Eschstruth

Ein Roman aus der wilhelminischen Zeit in Deutschland. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Die Erlkönigin

Die Erlkönigin.

Format: eBook

Die Erlkönigin.

ISBN eBook: 9783849657147.

 

Auszug aus dem Text:

Das Mondlicht glänzt auf der Großmutter weißem Scheitel. Droben in den Lindenzweigen duftet’s und blüht’s, surrt’s und summt’s, und streift die Blumensterne herab auf die lauschenden Blondköpfchen. Großmütterchen aber erzählt:

“Es war einmal ein Königssohn, der wußte nicht, was die Liebe war. Er lehnte an dem Marmorfenster seines Nordlandschlosses und blickte hinaus in die tanzenden Schneeflocken und fragte sie um Rat, aber die schüttelten die weißen Gesichtchen und stoben davon. Darauf blickte er empor zu den Wolken, die mit mächtigen Flügeln über die Schloßtürme flogen, seufzte tief auf und rief: ›Ihr Kinder des Sturmwinds, wißt ihr vielleicht, wo ich die Liebe finde?‹ Aber die Wolken waren düster und stumm, und zogen in wilder Hast zu ihrem Mutterhaus, dem klüftigen Gebirg, dessen Scheitel die Pfosten des Himmels trägt. ›Ich weiß, wo die Liebe ist!‹ sagte ein schüchterner Sonnenstrahl, sich durch das Gewölk stehlend, ›hier oben ist es zu kalt und einsam, hier wohnt nur die Melancholie mit ihren thränenfeuchten Wangen, und der Sturm entblättert die Rose, ehe sich ihr voller Kelch erschloß, die Liebe aber will Glut und Blüten, die Liebe will Licht und Zauberpracht. Komm! Folge mir zur Wiege der Poesie, atme den Duft der flüsternden Musenhaine, bekränze Dein Haupt mit ihrem Lorbeer, und küsse die Lippen, deren Seele ein Lied glühendsten Empfindens ist, blicke empor zu dem leuchtenden Himmelsdom, versinke in dem Auge, dessen Rätselnacht das Geheimnis des Glückes birgt, und Du hast die Liebe gefunden, die Liebe im Glanze des Lichts!‹ Da faßte Sehnsucht das Herz des nordischen Prinzen, er stürmte davon durch Schnee und Eis, und wanderte ohne Rast und Ruh, bis er das Land der Sonne fand! Aber die Glut blendete sein Auge, der Blütenduft betäubte ihn, und der Klang der Mandoline trieb ihm Thränen unverstandenen Wehes in die Augen, der Himmel blitzte und funkelte wie ein stolzes Auge, das kein Mitleid kennt, und die Lippen mit ihrem Hauch der Leidenschaft vergifteten sein Herzblut, wähnte er. Da lag er inmitten der paradiesischen Pracht, unter blühendem Gezweig und jubelnder Vogelschar wie ein Verschmachtender, welcher die Hände gegen die Brust preßt und seufzt: ›nur einen Hauch der frischen Nordlandsluft!‹ Heimweh quälte ihn und trieb ihn aus dem Land des Glückes, in welchem er vergeblich nach Liebe gesucht! Da brauste von neuem der Sturm der Heimat um des Jünglings aufatmende Brust, da schäumte und donnerte das Meer um die einsamen Klippen, und dennoch sproßte an den Zweigen das erste teure Eichengrün! Aufjubelnd schlang der Königssohn die Arme um den deutschen Baum und breitete sich nach dem mächtigen Turmbau seines Vaterhauses aus, und wie er dann vorwärtsstürmend die knospenden Zweige auseinander biegt, da steht er plötzlich wie gebannt vor der schlanken Maid, welche ihm lautlosen Schrittes entgegentritt. Von ihrem Scheitel fließt eitel Sonnengold, ihr weißer Nacken leuchtet wie die Myrthenblüte des Südens und in den Augen strahlte ein tiefblauer Himmel lächelnder Unschuld. Der Königssohn aber fühlt es wie einen Schauer süßer Andacht durch seine Seele wehen, und wie er klopfenden Herzens näher tritt, tief und glückselig in dieses treue Auge schaut, da jubelt er voll wonnigen Entzückens: ›Ja, das bist Du, o Liebe!‹”

Großmutter schwieg. Mit glänzendem Blick lauschte die Enkelin, aber das kleine Blondköpfchen auf dem Schoß der Alten war leise herabgesunken, die seidenen Wimpern malten lange Schatten auf die rosigen Wangen und lautlos erhob sich die Erzählerin, um den kleinen Schläfer drinnen im Forsthaus auf weiche Kissen zu betten.

Im Schatten der Linde stand Norbert und blickte noch unverwandt nach der mondhellen Front des Försterhauses, in dessen Thür Großmutter soeben eintrat. “Ja, das bist Du, o Liebe!” klang es vor seinen Ohren, und er strich langsam mit der Hand die vollen Haarlocken aus der Stirn. Er hatte sie also gefunden!

“Norbert!” flüsterte ein frisches Stimmchen neben ihm, “gehst Du noch nicht mit uns herein? es ist schon spät, Vater wird gleich nach Hause kommen, und dann müssen wir Alle im Bettchen liegen.”

“Du bist auch noch ein kleines Mädchen, das zeitig zur Ruhe muß!” entgegnete der junge Mann mit dem Stolz eines Primaners, “ich bleibe noch auf und werde dem Onkel durch den Wald entgegen gehen; gute Nacht, Ännchen!”

Ännchen stellte sich auf die Fußspitzen und reichte mit den kleinen Armen in die Höhe, um sie zärtlich um seinen Hals zu schlingen, “Gute Nacht, Norbert”, und ein herzhafter Kuß krönt den Abschied, “mußt mich aber morgen früh gewiß aufwecken, wenn Du fort willst! – ja?”

“Ei versteht sich!” nickt der Vetter, sich wieder zu voller Höhe empor richtend, “und wenn ich dann von meinen Reisen zurückkomme, bringe ich Dir schöne Muscheln und einen Papagei mit!”

Ännchen jauchzte leise auf, und huschte hierauf wie ein heller Mondstrahl über den Kiesplatz in das Försterhaus. – Norbert aber überlegte noch einen Augenblick, dann schritt er gedankenvoll in den stillen Wald hinein.

“… und siehst Du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?”

Die Buchenzweige flüsterten ganz leise, als sprächen sie im Traum. Der Waldweg war breit und moosig, malerisches Gestein baute sich hier und da zur Seite auf, umnickt von schlanken Farrenblättern, oder überwuchert von großblättrigen Brombeerranken, welche sich in dichtem Gewirr an den Abhängen hinzogen. Die Heckenrosen blühten und der Duft versteckter Waldblumen wehte süß und schmeichlerisch durch die laue Sommernacht; ein Flöten, Zirpen und Rascheln ging durch die Laubholzwipfel, und fern im Thal lockte noch eine Nachtigall in den Haselnußstauden.

Norbert schritt langsam bergab; “Unsinn mit den Märchen!” dachte er und pfiff kopfschüttelnd eine unklare Melodie vor sich hin, “Liebe! bah, was geht mich Liebe an!” und er stimmte mit seiner vollen Baritonstimme an: “Liebchen ade! scheiden thut weh, morgen da geht’s in die wogende See!”

Das Mondlicht flimmerte wie Nebelduft um die dunkeln Tannenhäupter, ein Nachtschmetterling strich mit schwerfälligem Flügel quer über den Weg, und aus dem Thal kam frischer Windzug, welcher die Gräser der Halde wie Seewellen auf- und niederwogen ließ. Der Wald ward licht und hörte mit rauschender Eichenfront plötzlich auf. Ein enges Thal zog sich am Fuß der Anhöhe hin, durchschnitten von den sprudelnden Wellen eines Gewässers, der Niederkleen, deren ausgespülte Wiesenufer von silbernen Erlen und Weiden beschattet wurden. Man sah die Stämme wie dunkle Gestalten aus dem grauen Nebelmeer tauchen, abenteuerlich und seltsam, wie kleine, bucklige Gnomen, oder tanzende Riesenleiber, deren dürre Glieder haltlos zu wilder Umarmung in einander greifen.

Norbert blieb stehen und blickte unentschlossen in den düsteren Kleengrund hinab. Zwei Käuzchen flogen schreiend an ihm vorüber und verschwanden im Dunkel, klagende Unkenstimmen riefen von dem Wasser zu ihm herauf. Da plötzlich blitzte es hell durch den Nebel, dicht unter den Ellern tauchte ein Flämmchen auf, husch, tanzte es unter den Zweigen hin, und dann war es wieder verschwunden wie ein Blitzstrahl!

“Ein Irrlicht!” jauchzte Norbert auf, “halt, kleiner Gesell, Dich will ich in der Nähe sehen!” und wie der Sturm setzte er den Hügel hinab über die Wiese.

“Irrwisch!” rief er: “Halt ein!”

Da stand das Flämmchen auch wirklich still, und je näher Norbert kam, desto größer und deutlicher ward es, endlich konnte er es ganz genau sehen und – doch was war das? So sieht kein Irrlicht aus! Das war ja ein brennendes Kerzenlicht, welches sich in einem Glase spiegelt.

“Wer ist denn da?” fragte eine herrische Kinderstimme plötzlich, “macht, daß Ihr ins Schloß zurückkommt und versucht nicht, mich von hier weg zu holen! Ihr habt mir gar nichts zu befehlen, ich thue was ich will, ich bin die Herrin von Altingen!”

Die letzten Worte klangen laut und heftig, das Licht kam schnell ein paar Schritte näher, und nun sah Norbert eine kleine, zierliche Mädchengestalt vor sich, im langen, gestickten weißen Nachtkleidchen, welches unachtsam in die Höhe gerafft war und einen nackten Kinderfuß sehen ließ.

“Wer bist Du denn?” klang es erstaunt weiter, als der Lichtschein auf Norberts schönes Gesicht fiel, “ich kenne Dich ja gar nicht, was willst Du hier?”

“Ich glaubte – ich – ich dachte – es sei ein Irrlicht!” stotterte der junge Mann verwirrt, “ich ahnte nicht, daß um diese Zeit noch eine lebende Seele hier sei.”

….

 

 

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