Die Geschichte des Eisens, Band 9: Das 19. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss, Teil 1

Die Geschichte des Eisens, Band 9: Das 19. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss, Teil 1 – Ludwig Beck

Während nur zu viele Bücher erscheinen, die das nicht wirklich bieten, was der Titel erwarten lässt, haben wir es hier mit einem Werke zu tun, welches unendlich viel mehr gibt, als sein Name verspricht. Wird auch aus der “Geschichte des Eisens ” keine allgemeine Kulturgeschichte, so veranlasst doch die Bedeutung und vielseitige Verwendung dieses Metalls den Verfasser zu einer Darstellung, die alle Teile der materiellen Kultur umfasst oder wenigstens berührt. Der allgemeine Wert des Gesamtwerkes ist vielleicht noch viel mehr ein historischer als ein technischer. Der Verfasser ist zwar von Hause aus Techniker und weist in seiner Einleitung mit Bescheidenheit darauf hin, dass man von ihm nicht das erwarten dürfe, was der Geschichtsforscher leiste, er zeigt aber bald darauf durch eine treffliche Bemerkung, dass ihm zum Historiker nichts fehlt, als vielleicht die akademische Qualifikation, und dass viele Männer vom Fach von ihm noch lernen können. Einen bedeutungsvollen Satz, den Beck durch das ganze Werk hindurch mit seltener Belesenheit, großem Fleiß und geschickter Kombinationsgabe befolgt und durchführt, kann man hier wörtlich anführen: “Es will uns vielmehr bedünken, als ob bei unserer Geschichtsschreibung dem biographischen Element gemeiniglich eine zu große Bedeutung eingeräumt würde, während die mechanischen Bedingungen der menschlichen Entwicklung, unter denen die Fortschritte der Technik, vor allem die der Eisentechnik eine hervorragende Rolle einnehmen, zu wenig Berücksichtigung fänden. ” Dieser Gedanke wird sich ja wohl bei der wachsenden kulturgeschichtlichen Forschung immer mehr Bahnbrechen, und Beck hat jedenfalls das Verdienst, in seiner Geschichte des Eisens gezeigt zu haben, wie dankbar und erfolgreich das Betreten dieses Weges ist, wenn sich mit sachlicher, hier technischer, Kenntnis historischer Sinn und fleißiges Quellenstudium vereinigen. Die Schwierigkeiten, die sich einer solchen ersten Arbeit, denn eine Geschichte des Eisens hat es bis
jetzt nicht gegeben, entgegenstellen, hat Beck in überraschender Weise überwunden. Die zerstreuten Quellen historischen, philologischen, archäologischen, auch poetischen Charakters, sind mit staunenswertem Fleiß gesammelt und gut verwertet. Dies ist Band neun von zehn und behandelt das 19. Jahrhundert ab 1860 (Teil 1). Der Band ist durchgängig illustriert und wurde so überarbeitet, dass die wichtigsten Begriffe und Wörter der heutigen Rechtschreibung entsprechen.

Die Geschichte des Eisens, Band 9: Das 19. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss, Teil 1

Die Geschichte des Eisens, Band 9: Das 19. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss, Teil 1.

Format: Paperback, eBook

Die Geschichte des Eisens, Band 9: Das 19. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss, Teil 1.

ISBN: 9783849666002 (Paperback)
ISBN: 9783849662035  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Die Eisenindustrie nahm in dem Jahrzehnt von 1861 bis 1870 einen mächtigen Aufschwung. Die wichtigen Erfindungen, welche in dem vorhergegangenen Jahrzehnt gemacht worden waren, kamen in diesem Zeitabschnitte zur Geltung, Anwendung und vollen Entfaltung. Es waren dies namentlich der Bessemerprozess und Siemens Regenerativfeuerung. Hierzu traten zahlreiche neue Erfindungen, welche in dieser Zeit gemacht wurden. Waren dieselben auch nicht so originell und grundlegend, wie die genannten, so hat doch eine derselben, der Martinprozess, obgleich eigentlich nur eine glückliche Anwendung von Siemens’ Regenerativfeuerung, in ihrer weiteren Ausgestaltung eine große praktische Bedeutung erlangt.

Alle diese wichtigen Erfindungen dienten in erster Linie der Stahlbereitung. Um die Darstellung, Verarbeitung und Verwendung des Stahls drehte sich in dieser Zeit das Hauptinteresse. Die Verbilligung des Stahls vermehrte seine Anwendung von Jahr zu Jahr.

Die technischen Fortschritte waren es aber nicht allein, die den Aufschwung der Eisenindustrie in diesem Jahrzehnt bewirkten. Äußere Umstände wirkten dazu mit, und zwar nicht nur Werke des Friedens, sondern in hervorragender Weise auch Werke des Krieges, die des Eisens bedurften und die Eisenindustrie in ausgedehntem Masse beschäftigten. Die uralte Doppelnatur des Eisens, die zerstörende und die schaffende, trat in diesem kriegerischen Jahrzehnt wieder einmal in neue grelle Beleuchtung. In ihm vollzog sich die Umwälzung der Waffentechnik, welche hauptsächlich durch die Fortschritte der Eisenindustrie und durch die Verbilligung des Stahls veranlasst war. Der Umschwung in der Bewaffnung und die Massenerzeugung übten wieder ihre Rückwirkung auf die Entwicklung dieser Industrie aus.

Betrachten wir in Kürze die kriegerischen Ereignisse, welche hierzu beitrugen. In Europa hatte Napoleon III. die Erbschaft seines großen Oheims angetreten und wurde unter der heuchlerischen Maske eines Vorkämpfers der Zivilisation der Störenfried Europas. Seine hervorragenden Kenntnisse des Artillerie- und Bewaffnungswesens verwendete er zur Neuorganisation der Ausrüstung der französischen Armee. Er erkannte insbesondere die hohe Wichtigkeit der gezogenen Feuerwaffen und dehnte dieses Prinzip auch auf die Geschütze aus. In dem Feldzuge gegen Österreich im Jahre 1859, dem „Italienischen Kriege“, traten Napoleons gezogene Vierpfünder zum ersten Mal in Aktion und bewiesen ihre Überlegenheit über die glatten Geschütze der Österreicher. Diese Überlegenheit der Feldartillerie trug wesentlich zu den Siegen der Franzosen bei. Es waren dies aber noch Bronzegeschütze und die Erfolge, welche Napoleon mit denselben errungen, waren die Veranlassung, dass er den Versuchen, die Bronze durch Gussstahl zu ersetzen, welche Preußen auf Alfred Krupps unermüdliches Betreiben hin aufgenommen hatte, nicht die Aufmerksamkeit schenkte, die sie verdienten. Dagegen würdigte er eine andere neue Verwendung des Eisens für die Kriegsausrüstung in vollem Masse, die der Eisenpanzerung der Schiffe.

Die ersten Versuche auf diesem Gebiete waren in Amerika gemacht worden. Der berühmte schwedische Ingenieur Ericsson hatte seine große Erfindungsgabe dieser Aufgabe gewidmet. Auf Napoleon hatte aber besonders die Vernichtung der türkischen Flotte bei Sinope am 30. November 1853, welche die Wehrlosigkeit der Holzschiffe gegen moderne Artillerie deutlich bewiesen hatte, tiefen Eindruck gemacht und er ließ deshalb schon 1854 schwimmende Batterien mit starker Eisenpanzerung bauen. Von diesen Verteidigungsschiffen ging man zu gepanzerten Schlachtschiffen über und nun begann jener für die Entwicklung der Eisenindustrie so wichtige Wettkampf zwischen Panzer und Geschütz, welcher von da an ununterbrochen fortgeführt wurde. Die Panzerplatten übertrafen bei weitem an Dicke die stärksten Blechplatten, die man bis dahin hergestellt hatte. Zu ihrer Anfertigung waren deshalb viel schwerere Hämmer und stärkere Walzwerke notwendig, als man vordem gebaut hatte. Die eisernen Platten von 5 und 6 engl. Zoll Dicke vermochten indes nicht lange den immer stärker konstruierten Geschützen und den immer härteren Geschossen, die man aus Stahl und Hartguss anfertigte, zu widerstehen. Man war deshalb gezwungen, auch die Panzerplatten aus Stahl herzustellen, wozu aber wieder viel stärkere Bearbeitungsmaschinen erforderlich wurden.

Ihre Feuertaufe empfingen die Panzerschiffe da, wo sie zuerst entstanden waren, in Amerika, in dem großen Bürgerkriege bei dem berühmten Kampfe des Monitor gegen den Merrimac an der Mündung des St. James-Flusses am 9. März 1862. Ersterer, ein von John Ericsson erbautes, stark gepanzertes Turmschiff von unscheinbarer Gestalt und Größe, vernichtete durch sein riesiges Geschütz das viel größere, aber schwächer gepanzerte Schlachtschiff der Südstaaten, das mit einem kräftigen Eisensporn zum Angriff ausgerüstet war. Dadurch war der Wert einer starken Panzerung und die Überlegenheit der Turmschiffe gegenüber den Batterieschiffen erwiesen. England beeilte sich deshalb, dieses System einzuführen, und ließ noch in demselben Jahre das große gepanzerte Linienschiff „Royal Sovereign“ umbauen und mit vier Panzertürmen versehen.

In der weiteren Entwicklung kam man zu zwei Türmen oder gar nur zu einem drehbaren, mit Stahlplatten gepanzerten Turm, den man mit immer mächtigeren Geschützen ausrüstete. In England war es Oberst Coles, der sich hervorragende Verdienste um die Konstruktion dieser gepanzerten Drehtürme erwarb. Der Umbau der sämtlichen Kriegsschiffe in Panzerschiffe eröffnete der Eisenindustrie ein neues, großartiges Arbeitsfeld, dessen technische Bedeutung wir später noch kennen lernen werden.

In dem deutsch-dänischen Krieg, der 1864 ausbrach, kamen die Kruppschen Gussstahlgeschütze zum ersten Mal in Aktion und bewährten sich glänzend, namentlich bei Düppel. Dies veranlasste Preußen, auf dem eingeschlagenen Wege fortzufahren. Dagegen schienen die Erfolge nicht augenfällig genug, oder wurden nicht genügend gewürdigt, um auch die anderen Staaten, namentlich Österreich und Frankreich zu bewegen, von ihrem Bronzegeschütz, für welches eine ausgesprochene Vorliebe bestand, abzugehen. In dem Kriege zwischen Preußen und Österreich im Jahre 1866 hatte die preußische Artillerie wenig Gelegenheit, ihre Überlegenheit zu beweisen. Der heldenmütige Kampf der österreichischen Artillerie bei Königgrätz mit gezogenen Bronzegeschützen und der Umstand, dass mehrere der neuen 8 cm Gussstahlröhren mit Keilverschluss ohne vorherige Anzeichen und ohne nachweisbare Fehler des Materials zersprangen, schien zu Gunsten der Anhänger der Bronzegeschütze zu sprechen.

Dagegen bewährte sich das preußische Zündnadelgewehr gegenüber den österreichischen Vorderladern so glänzend, dass man der Überlegenheit der preußischen Infanteriewaffe einen großen Teil der glänzenden Erfolge in diesem Feldzuge zuschrieb. Die Wirkung davon war, dass alle Staaten sich beeilten, ihre Infanteriegewehre in Hinterlader umzuwandeln, und dass ein neuer Wettkampf in Bezug auf die besten Hinterladegewehre entstand. Die Umwandlung der Bewaffnung der ganzen Infanterie setzte die Waffenfabriken in fieberhafte Tätigkeit und förderte nicht wenig die Eisenindustrie.

Preußens große Erfolge schienen die Hegemonie Frankreichs, welche sich dieses unter dem napoleonischen Kaisertum angemaßt hatte, zu gefährden und es war nur eine Frage der Zeit, wann dieser Wettstreit zum Austrag kommen würde. Beide Teile rüsteten sich zu diesem Kampfe. Die Waffenfabriken und Geschützgießereien kamen nicht zur Ruhe.

Im Juli 1870 brach denn auch der große deutsch-französische Krieg aus, und jetzt erwies sich die Überlegenheit der Kruppschen Gussstahlkanonen in glänzender Weise. Die französischen Bronzekanonen waren denselben in keiner Weise gewachsen und die Tätigkeit der weittragenden Kruppschen Geschütze war umso wichtiger, weil sich bald zeigte, dass das französische Chassepotgewehr dem preußischen Zündnadelgewehr bedeutend überlegen war, namentlich weil es eine viel längere Flugbahn hatte. Die deutsche Artillerie mit ihren Kruppschen Gussstahlkanonen kam besonders bei der entscheidenden Schlacht von Sedan zur Geltung, die hauptsächlich durch diese so glänzend gewonnen wurde, und es ist eine eigene Ironie des Schicksals, dass Napoleon gerade durch die Waffe geschlagen, gefangen und vom Throne gestürzt wurde, die seine Spezialwaffe war und deren Geschichte er so eifrig studiert und so vortrefflich geschrieben hatte.

Übte der Krieg in diesem Jahrzehnt einen großen Einfluss auf die Eisenindustrie aus und war diese eifrig mit der Herstellung immer vollkommenerer und furchtbarerer Vernichtungswerkzeuge beschäftigt, so bildete diese Tätigkeit doch nur den kleineren Teil ihres Schaffens, das in viel höherem Masse von den Werken des Friedens in Anspruch genommen wurde. Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegraphen und namentlich auch Maschinen, die mit der wachsenden Industrie fortwährend an Kraft und Größe wuchsen, gaben mit der zunehmenden Eisenverwendung im Bauwesen einen immer umfangreicheren Absatz. Wie mannigfaltig und umfassend diese Verwendung war, das zeigte sich besonders auf den beiden großen Weltausstellungen, der zu London 1862 und der zu Paris 1867, welche in diesen Zeitraum fielen.

Mit Recht nannte ein Schriftsteller jener Zeit (Kohn) die Weltausstellungen die Marksteine für die Entwicklung der Eisenindustrie. Dies kann besonders von der Londoner Ausstellung von 1862 gelten. Auf ihr zeigte sich der Triumph des Stahls; auf ihr bewies der Bessemerprozess zuerst seine Lebensfähigkeit. Die mannigfaltigen Gegenstände aus Bessemerstahl gefertigt, welche der Erfinder selbst, John Brown von Sheffield, und die schwedischen Stahlfabrikanten ausstellten, bezeugten seine Verwendbarkeit und dass das neue Verfahren aus dem Versuchsstadium herausgetreten war.

Großartig erschien die Entfaltung des Gussstahls. Der obenerwähnte Schriftsteller bezeichnet deshalb die zweite Weltausstellung und das Jahr 1862 als den Beginn des „stählernen Zeitalters“. Derjenige, der aber dieser Vorführung des Gussstahls in London ihren Glanz verlieh, dessen Leistungen alle anderen weit übertrafen, war nicht ein Engländer, sondern der Deutsche Alfred Krupp, dessen Ausstellung die englischen Eisenindustriellen geradezu verblüffte. Welche Fortschritte in den elf Jahren seit der ersten Londoner Ausstellung zeigten sich da! Hatte im Jahre 1851 Krupps Gussstahlblock von 2,25 Tonnen Gewicht die allgemeine Bewunderung erregt, so war diesmal ein Block von 20 Tonnen oder 40000 Pfund Gewicht ausgestellt. Derselbe war aus 600 Tiegeln gegossen und mit dem größten Dampfhammer der Welt, Krupps 1000 Ztr.-Hammer, in der Mitte zerbrochen worden. Der Bruch war fehlerlos und von gleichem, feinem Korn. Nach solcher Leistung erklärten Sachverständige: Krupp sei nichts mehr unmöglich. Wenn aber auch die Stahlindustrie die Palme des Sieges davontrug, so betätigten doch auch die übrigen Zweige der Eisenindustrie bemerkenswerte Fortschritte. Wir wollen dieselben hier nicht aufzählen, um Wiederholungen zu vermeiden, da wir bei den Einzelschilderungen ihrer doch gedenken müssen. Erwähnt muss nur werden, dass außer dem Fortschritt in der Stahlbereitung ganz besonders die Fortschritte in der Bearbeitung von Stahl und Eisen hervorragend in die Augen fielen. Das Gewicht, die Größe und Vollendung der Schmiede- und Walzstücke erregten gerechtes Erstaunen.

Die Fortschritte in der Formgebung seit der ersten Londoner Ausstellung waren überraschend. Auch hier traten wieder vor allen anderen die Leistungen Krupps hervor, besonders durch seine Stahlkanonen. Krupp konnte mit seinem 1000 Ztr.-Hammer die größten Stahlblöcke verschmieden. Ein geschmiedeter Gussstahlblock 30 × 17 Zoll im Querschnitt, von 15 Tonnen Gewicht war in vier Stücke zerbrochen und zeigte überall dieselben gleichmäßigen, fehlerlosen Bruchflächen.

Eine gewaltige Schiffsachse mit zwei Kurbeln für einen Dampfer des Norddeutschen Lloyd in einem Stück geschmiedet wog 22000 Pfund (11 Tonnen). Zu seinen tadellosen Eisenbahn-Radreifen, ohne Schweißung aus Gussstahl gewalzt, konnte er bemerken, dass davon über 40000 Stück von ihm geliefert worden seien, von denen viele schon seit Jahren liefen. Von den Kanonenrohren wog eins mit spiegelreiner Seele von 9 engl. Zoll Durchmesser 18000 Pfund und eine gehärtete, polierte Walze von 10 Zoll Durchmesser und 16 Zoll Länge glänzte heller als ein Spiegel.

Neben diesen Leistungen Krupps waren es zunächst die Panzerplatten der Engländer, welche besonderes Interesse erregten. Davon hatten die Mersey-Eisen- und Stahlwerke bei Liverpool geschmiedete von 30 Fuß Länge, 6 Fuß Breite und 5½ Zoll Dicke ausgestellt, während die von John Brown in Sheffield ausgestellten gewalzt waren. Die vorgenannten Mersey-Stahlwerke zeichneten sich überhaupt durch riesige Schmiedestücke aus; eine von ihnen ausgestellte Kurbelwelle wog 24½ Tonnen.

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