Die große Revolution

Die große Revolution – Paul Scheerbart

Ein Roman vom Leben auf dem Mond. Allerdings leben dort nicht etwa Menschen, sondern echte Mondleute, die auch schon immer dort waren und das Treiben auf der Erde beobachten …

Die große Revolution

Die große Revolution.

Format: eBook

Die große Revolution

ISBN eBook: 9783849656997.

 

Auszug aus dem Text:

Auf dem Monde wars Nacht.

Und die dicke Luft war ganz still.

Und die Goldkäfer saßen auf den dunklen Moosfeldern und leuchteten – so wie die Sterne am schwarzen Himmel leuchteten.

Von der Erde war nur ein Viertel als Halbkreis zu sehen.

Und fünf Mondmänner schwebten über den Moosfeldern und leuchteten auch – aber so wie Kugeln von Phosphor.

Und der Mondmann, der voranflog, wurde plötzlich so rot wie eine feurige Kohle, und da flogen die vier anderen Mondmänner an seine Seite und wurden ganz allmählich ebenfalls so rot.

Durch dieses Rotwerden sagten sich die Mondleute, daß sie bereit wären, miteinander zu sprechen.

Und der Mondmann, der zuerst rot wurde, sprach jetzt langsam und nachdenklich:

»Der Stern, mit dem wir leben, unser guter Mond, will ein großes Auge haben – und wenns möglich wäre – schließlich ein großes Auge sein – bloß noch ein einziges Auge sein – ganz Auge sein.«

Die Mondleute hatten, wenn sie in der Luft schwebten, unten Kugelgestalt, und aus der ragte oben ein kleiner Brustrumpf mit einem Rübenkopf und zwei Armen heraus.

Und mit den siebenfingrigen Händen, die unten an den Armen hingen, klatschte jetzt jeder der fünf Mondmänner auf seinen Ballonbauch, daß es dumpf dröhnte – wie von Pauken.

Mit diesen Tönen tat die Mondbevölkerung ihr Wohlbehagen und ihre Heiterkeit kund.

Rasibéff, der Mondmann, der seiner feurigen Gesinnung wegen seit Jahrhunderten bekannt war, rief nun hell in die Nachtluft:

»Was der große Mafikâsu soeben gesagt hat- das gibt unserm Streben das Rückgrat. Wir wollen, was unser Stern will. Und wenn unser Wille der Wille unsres Sterns ist, so muß dieser Wille alle Mondvölker mitreißen – und wir müssen in unserm Monde ein Fernrohr bauen, wies der Mond nicht größer haben kann – ein Fernrohr von der Größe des Monddurchmessers.«

Wenn die Mondleute ihren Rumpf vorbeugten und über ihren Ballonbauch rüber nach unten blickten, so kam ihnen das Bild der dunklen Mondoberfläche fast ebenso wie das Bild des Himmels mit den Sternen vor, da die Goldkäfer unten auch so still leuchteten wie oben die großen Weltgestalten im unendlichen Raum.

Die fünf Mondmänner beugten sich jetzt sämtlich vorne über und flogen danach viel schneller als bisher mit dem Rübenkopfe voran dem nächsten Krater zu.

Die Rübenköpfe hatten oben einen Kranz von Fühlhörnern, die sich beim Fliegen nach allen Richtungen vorreckten und dadurch kronenartig wirkten; die Fühlhörner witterten wie feine Geruchsorgane alle Dinge, an denen man sich stoßen kann.

Da sprach Zikáll, der Mann der Wissenschaft:

»Jedenfalls bezweifle ich, daß der Mond seinen Willen mit unsrer Beihilfe durchsetzen möchte. Wenn der Mond wirklich auf der anderen Seite ein Organ haben will, das unsrem Auge entspricht, so braucht er dazu nicht die Beihilfe der kleinen Mondleute. Wissenschaftlich nicht zu begründende Aussprüche wie die vom Mondauge sollten bei der Agitation nicht gebraucht werden. Wenn wir sagen, daß wir ein großes Fernrohr haben wollen, dessen Länge die des Monddurchmessers erreichen soll, so haben wir damit nach meiner Meinung genug gesagt. Die großen Worte haben immer einen kleinen Spaßgehalt in sich. Die großen Worte sind der Tatenlust zuwider.«

Die Sterne des Himmels funkelten jetzt, und die beiden hellblauen Augen des großen Mafikâsu, der zuerst gesprochen hatte, funkelten ebenfalls, und er sagte nun, während er langsamer flog:

»Jedenfalls freue ich mich, daß der große Zikáll die Herstellung des großen Fernrohrs, das so lang wie der Monddurchmesser werden soll, nicht für eine Unmöglichkeit erklärt. Und da Zikáll nicht will, daß ich das Wort Mondauge gebrauche, so will ich das Wort vermeiden, obschon ich doch bemerken muß, daß die Sterne öfters grade die kleinsten Lebewesen zur Durchführung ihrer großen astralen Absichten benutzen.« Hierauf sagte der Zikáll sehr rasch:

»Es fragt sich übrigens, ob unser Stern, der Mond selber, durch das große Fernrohr sieht – wenn wir, die Mondmänner, da durchsehen.«

»Das«, versetzte Mafikâsu, »fragt sich wohl. Aber wir wollen nicht vergessen, daß wir das große Fernrohr nur dann durchdringen werden, wenns unserm Monde nicht unbequem ist. Wir wollen nicht den Respekt vor dem Ganzen vergessen.«

Nach diesen Worten hatten die fünf den Krater, dem sie zuflogen, erreicht und ließen sich nun oben am Rande des Kraters auf fünf freien Natursäulen nieder; die Mondmänner setzten sich auf die Säulen, indem sie ihren Ballonbauch zusammenzogen und daraus eine Art Raupenfuß machten; die dicke gummiartige Hautmasse des Bauches umschloß muskulös den ganzen Kopf der Säule, so daß das Sitzen recht bequem war und auch so aussah.

Die Mondmänner glühten immer noch wie rote Kohlen, nur die Rübenköpfe und die Hände phosphorescierten silberartig, und die zehn Augen flimmerten in hellblauen Farbtönen.

Nun ergriff der weitsichtige Loso das Wort:

»Ja!« rief er, »wir verstehen den großen Mafikâsu vollkommen. Alles geht gegen die Erdbeobachtung. Die Mondleute, die das große Fernrohr haben wollen, haben eine große Abneigung gegen den Stern, der uns am nächsten steht – gegen die große Erde. Wir sollen gezwungen werden, die Erdbeobachtung aufzugeben. Wir sollen uns fürderhin nur noch mit den weiterab befindlichen Sternen – mit dem entfernteren Weltenraume – beschäftigen. Das ist es, worauf alles hinausläuft.«

In der Ebene, die sich unten vor dem Krater weit ausdehnte – da glitzerten jetzt die Goldkäfer – und oben am Himmel glitzerten die goldenen Sterne; die Luft machte die Lichteffekte oft anders.

Der heftige Rasibéff, der immer röter wurde als alle anderen, sagte leise:

»Loso dürfte nicht so ganz unrecht haben.«

….

 

 

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