Tarub – Bagdads berühmte Köchin – Paul Scheerbart
Ein arabischer Kultur-Roman. Im Mittelpunkt steht der junge Dichter Safur, der mit Hilfe von Tarubs Köstlichkeiten immer tiefer in die Genußwelten des Lebens eintaucht. Dies ist allerdings nicht immer hilfreich …
Format: eBook
Tarub – Bagdads berühmte Köchin
ISBN eBook: 9783849657000.
Auszug aus dem Text:
Helles Gelächter scholl durch ganz Bagdad. Der Prinz Ali war aus Ägypten zurückgekehrt. Und er war gekommen hoch zu Roß mit stolzem Gefolge. Doch das Roß, auf dem der Prinz saß, war ein Schimmel gewesen. Und diesen Schimmel hatte der Prinz grün färben lassen. Da mußte natürlich ganz Bagdad hell auflachen. Alis grüner Schimmel war ein Ereignis.
Es hatte sich wieder einmal gezeigt, wie gut es der Prinz verstand, von sich reden zu machen. Kein Mensch wurde klug aus diesem Ali. War er durch sein Selbstbewußtsein wirklich geschmacklos geworden? Oder gab er sich nur so geschmacklos aus Berechnung? Wäre der Schimmel nach alter Sitte mit Henna rot gefärbt gewesen, dann würde Niemand gelacht haben – doch grün? Nein, das ging übern Spaß.
Man konnte sich ja erklären, was sich der Prinz gedacht hatte – er wollte die neue Farbe der Abbassiden zu höheren Ehren bringen. Einst glänzte das Haus Abbas unter der schwarzen Flagge. Diese schwarze Flagge vertauschte man später mit der grünen. Das gefiel nun dem jungen Ali so gut, daß er die neue Farbe seines Hauses überall sehen wollte. Und so mußte denn schließlich auch der Schimmel – grün werden.
Unglaublich!
Unzählige Sterne glänzen aus dem tiefblauen Himmel auf Bagdad hinab; sie spiegeln sich in den lauen Fluten des Tigris, und an den bunten Kacheln der Minarette, der Palast- und Moscheekuppeln werden auch die Glanzlichter der Sternenwelt glitzernd umhergestrahlt. Die Chalifenburg mit ihren prächtigen Türmen, Kiosken und Galerieen hebt sich hoch heraus aus dem Häusergewirr der großen Stadt, aus der ein Nebeldunst – magisch leuchtend – aufsteigt. Und am Tigris entlang leuchten die weißen Mauern der Landhäuser; in deren Gärten schwanken die ruhigen Palmen im Abendwinde …
Aber aus den Straßen und Gassen der herrlichen Stadt schallt helles Gelächter zu den ewigen Sternen empor. Jetzt endlich in der stillen Nacht kann ganz Bagdad lachen nach Herzenslust, denn der Prinz Ali hört das Lachen nicht; der ruht schon wieder in den weiten kühlen Prunkgemächern der Chalifenburg von seinen vielen Reisen aus. Der Chalif Mutadid hat seinen Sohn wohlwollend empfangen, und die Sklaven eilen in den Palästen auf den Zehen umher, um die Ruhe des gefeierten Prinzen nicht zu stören.
Wie Ali am frühen Morgen auf seinem grünen Schimmel durch das große Tor im Westen stolz hineinritt in die festlich geschmückte Stadt, da mußten seine Kammerdiener Goldmünzen unter die Menge streuen. Dadurch entstand ein wüstes Geschrei. Kein Araber war zu stolz. Alle balgten sich um die Goldstücke, sodaß es viele blutige Köpfe gab.
Durch die langen breiten Straßen, die zur Chalifenburg führen, zog der lange Zug des stattlichen Gefolges auf Pferden und Kamelen unter betäubendem Lärm dahin. Das Volk jubelte wie rasend dem freigebigen Prinzen zu. Es wurde beim Herumschwirren der Goldstücke gejohlt und gelacht – als hätte sich der blaue Himmel aufgetan, wie wenn sich die Huris aus dem Paradiese zur Erde niederbeugten.
Jetzt ist es Nacht, und die Araber freuen sich über das blanke Gold. Sie werfen jetzt die Münzen ebenso verschwenderisch wie die Prinzen auf die Straße. Die guten Araber geben das gute Gold den dicken Weinhändlern, guten Freunden und lustig lachenden Mädchen. Dabei fällt ihnen aber der grüne Schimmel öfters wieder ein – und über den freuen sich Alle schließlich noch viel mehr als über das Gold.
Der Prinz Ali ist ein guter Mensch, aber die Bürger Bagdads lachen ihn doch von ganzem Herzen aus. Und wenn er noch viel viel besser wäre, sie würden ihn trotzdem auslachen. In dieser Nacht tragen die reichen Jünglinge Bagdads ihre Säbel an grünen Schärpen, um das Volk an Ali zu erinnern. Das Volk versteht den Scherz und lacht darüber immer wieder von Neuem – immer wieder von Neuem.
Ausgelassene Spottlieder, wüste Zechgesänge, mekkanische und persische Liebesweisentolle wilde Jubelstürme brausen und wogen durch die Straßen und Gassen der herrlichen Chalifenstadt. In allen Weinkneipen, in den Buden, in denen getanzt wird, in den Häusern, in denen reizende Sängerinnen mit feiner Kunst zu singen verstehen – überall wird gepraßt und gezecht.
Eine sehr lustige Nacht!
Abseits in einem kleinen Gäßchen steht vor seiner Haustür ein christlicher Weinhändler mit einem alten Parsenpriester im Gespräch. Sie schütteln sich beide Hände zum Abschied. Doch der Wirt redet noch immer, obgleich der Priester Eile zu haben scheint. Der christliche Wirt sagt:
»Bedenkt nur das Eine! 892 Jahre, man schreibe und sage: achthundertundzweiundneunzig Jahre – die sind nun schon vergangen, seit Christus geboren ward, und seine Lehren sind hier noch immer verachtet. Man läßt wohl uns Christen in Ruh, läßt uns auch unsern Glauben – aber das beweist doch nur, daß sich diese Araber garnicht um religiöse Dinge kümmern, ihnen ist die Religion überhaupt ganz gleichgültig – selbst ihre eigene. In Bagdad gibt es gar keine Religion mehr.«
Der Christ schüttelt traurig den Kopf.
Der Parse versetzt aber hastig:
»Verzeiht! Ihr übertreibt! In nächster Woche hol ich Euch ab. Die Parsen – die sollt Ihr kennenlernen – die haben noch Religion.«
Der Parse entfernt sich schnell, als wenn er wirklich Eile hat.
Währenddem hört man auch hier wieder heisre Zecherstimmen erschallen. Im Keller des Weinhändlers ruft man laut und herrisch nach dem christlichen Wein. Indeß – der Wirt zögert noch; auf der andren Seite der Gasse sieht er zwei bekannte Dichter vorüberwandeln, die grüßt er erst noch – recht freundlich. Dann jedoch verschwindet der Christ; er darf seine Gäste nicht warten lassen.
Die beiden arabischen Dichter haben den Gruß des Christen garnicht erwidert. Sie sind mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß sie den allgemeinen Jubel nicht mehr mitempfinden.
Suleiman, der ältere Dichter, träumte so im Gehen, er wäre der Chalif Harun und neben ihm plauderten indische Märchenerzählerinnen von den Tempeln ihrer Götter am fernen Ganges. Der alte Dichter glaubte zu hören, wie neben ihm die nackten Füße der Mädchen sich weich und gelenkig in den feuchten Sand schmiegten und wie unter den gekrallten kleinen Zehen die Steinchen knirschten. Dann dachte der Alte an die schlanken Tänzerinnen, die er gestern abend unter einem jener rotseidenen Zelte auf dem Karawanenplatze bewundert hatte. Die Tänzerinnen sahen sehr schön und prächtig aus. Er aber – ach! – er hatte sich unter jenem rotseidenen Zelte seines alten geflickten Ehrenkleides geschämt – eine sehr peinliche Erinnerung! Dieses Ehrenkleid war ein Geschenk des Chalifen Motawakkil. Doch der lag längst im Grabe. Suleiman seufzte, nickte mit dem Kopfe so vor sich hin und murmelte was.
Safur, der den Suleiman begleitete, hörte das Murmeln und erriet gleich den Gedankengang des alten Freundes, denn sie gingen an einem seltsamen Hause vorüber. Über dessen Eingangspforte befanden sich kleine Fenster mit eisernen Stäben. Hinter den Stäben saßen Schneider bei hellem Lampenlicht und nähten fleißig. Sie nähten unzählige kostbare Gewänder für die Chalifenburg. Und diese kostbaren Gewänder blieben nicht in der Burg; sie wanderten als Geschenke, als »Ehrenkleider« aus den großen Palästen hinaus in die weite Welt nach allen Himmelsrichtungen bis nach Ägypten und Persien, bis nach Indien und Afrika, ja – bis nach China und Spanien. Der Chalif hatte sehr sehr viel – zu verschenken.
Safur, der jüngere Dichter, wußte das Alles, lächelte und fragte den älteren Dichter listig:
»Nun? Denkst Du an Dein Ehrenkleid?«
Suleiman, unter dessen braunem Gesicht ein gut gepflegter weißer Spitzbart glänzte, blickte traurig auf sein Gewand. Das war einst gute Seide gewesen – ledergelb mit großen lilafarbigen persischen Blumen. Auf dem Rücken des Ehrenkleides sah man noch das große Wappen des Chalifen – schwarze schwungvolle Schriftzüge. Die helleren Farben des Kaftans waren nicht mehr ganz reinlich, an vielen Stellen etwas blank und fettig, und an den Ärmeln und unter den Knieen zeigten sich kleine Löcher und große Flicken.
Suleiman gürtete seinen alten lilafarbigen Seidengurt fester um die Lenden und schaute unter seinem nicht sehr reinen weißen Leinenturban dem jungen Safur lange nachdenklich ins Gesicht.
Safur ging in Beduinentracht. Sein langes, hellblau und braun gestreiftes Gewand, das aus dünner Baumwolle bestand, hing ihm faltig ins Gesicht. Ein alter Lederriemen schnallte das Tuch um Stirn und Hinterkopf zusammen. Die hellblauen und braunen Streifen des feinen Kleides schlotterten lässig mitgezogen in unregelmäßigen Falten um Körper und Beine herum – was sehr reizvoll aussah – was Safur wußte.
Die nächste Gasse ist leider sehr schmutzig, und die Sandalen der Dichter werden naß, ihre braunen Füße desgleichen. Safur flucht, hebt sein Kleid vorsichtig mit den braunen hagren Fingern höher und ärgert sich – über die Pfützen und über manches Andre.
»Jetzt«, ruft er wütend, »macht ein grüner Schimmel ein größeres Aufsehen als die beste Kasside. Gute Verse werden heute schon schlechter bezahlt als rote Pantoffeln, die allerdings in den Pfützen Bagdads sehr wertvoll sind …«
Der gutmütige Suleiman hat seine Not mit dem Ärgerlichen, versteht es aber – zu trösten, sagt so ganz ruhig:
»Sieh, Safur! Der Schmutz der Gasse ist noch nicht das Schlimmste auf dieser schlimmen Welt. Was Besondres haben wir ja nicht vor. Unsre Sandalen werden schon wieder trocken werden. Nebenbei – wundern muß ich mich denn doch, daß Du Dich gleichzeitig über den geringen Preis ärgerst, den man heute für gute Verse zu erhalten pflegt. Warum machst Du nicht ein Lobgedicht auf unsern alten Geizhals Said ibn Selm? Der ist doch für Lobgedichte immer zu haben, würde sich über Safurs Verse sehr freuen und sie sehr gut bezahlen.«
»Das Lobgedicht kannst Du machen«, versetzt ingrimmig der jüngere Dichter.
….