Die Ritter vom Geiste

Die Ritter vom Geiste – Karl Gutzkow

Einer der größten Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts – nicht nur erzählerisch, sondern auch vom Umfang her, die neun Bücher spannen sich über viele, viele Bildschirmseiten.

Die Ritter vom Geiste

Die Ritter vom Geiste.

Format: eBook

Die Ritter vom Geiste.

ISBN eBook: 9783849655709.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

An einem heißen Sommernachmittage saß ein junger Mann, von summenden Käfern umschwärmt, das Haupt auf eine über die Knie ausgebreitete Mappe beugend, vor einer einfachen ländlichen Dorfkirche, um sie zu zeichnen. Die Formen des bescheidenen und doch ehrwürdigen Gebäudes wiesen auf einen ziemlich alten Ursprung hin. Leicht und schlank sprang der spitze Thurm in die blaue Ätherhöhe. Die alten grüngerosteten Glocken hingen in Öffnungen, deren Ränder ein zierlich geschweiftes steinernes Blätterwerk schmückte, willkommener Schlupfwinkel für ein Heer von Spatzen, das den Thurm lärmend umschwirrte. Das Schiff wölbte sich mit hervorspringenden Fensternischen mehr rund als länglich um den Glockenthurm, dessen Portal ein großes, halb in das Mauerwerk eingebrochenes Kreuz zierte. Dieser einfache Bau, umgrenzt von grünen Haselnußhecken und gehütet gleichsam von zwei alten Lindenbäumen vor der Eingangspforte, schnitt sich an dem duftreinen Horizont so gefällig, so lieblich ab, daß man dem jungen, über seiner Arbeit träumenden Künstler nicht verargen konnte, sich daraus für sein Skizzenbuch allein schon eine Erinnerung zu erhalten. Aber der alterthümliche Reiz dieser Scene wurde noch durch die Trümmer eines Gebäudes erhöht, das einst dicht an der Kirche mit ihr fast verbunden mußte gestanden haben. Noch waren einzelne verwitterte Mauern hier und da übrig geblieben und nun auf löbliche Weise zum Umbau des Friedhofs verwendet. Überall, wo eins der alten Trümmer aufhörte, begann in der Umzäunung des stillen Ruheplatzes immer ein einfacher, freilich etwas zerfallener Bretterzaun, bis diesen wieder ein morsches Stück alter Mauer mit noch halb erhaltenen Fenstern ablöste, deren Trümmer sich in das innere lauschige Gezweig von weißen, würzig duftenden Fliederbäumen, die sie überschatteten, verloren. Kirche und Friedhof lagen auf einer mäßigen, grasbewachsenen, mit weißen Sternblümchen wie bestreuten Anhöhe, die eine Fernsicht auf diejenige große und berühmte deutsche Hauptstadt erlaubte, welche der Schauplatz der nachfolgenden Mittheilungen sein wird.

Der junge Maler war nach einfachem Mittagsmahle auf dies bescheidene Dörfchen – es hieß Tempelheide – von der großen lärmenden Stadt hinausgewandert, hatte sich, rings den Hügel musternd, die günstigste Stelle für seinen Plan auserlesen, und zeichnete die Kirche und den Friedhof aus einem Interesse, das nicht blos ein künstlerisches genannt werden konnte. Er wußte nämlich, daß diese Trümmer Reste eines alten Tempelhofs waren. Das große Kreuz über der Kirche, in eigenthümlicher Form, bewies, daß einst die Tempelritter, die hier gewohnt hatten, auch die Gründer und Erbauer dieser Kirche waren. In seinen Jugenderinnerungen selbst an ein altes Templerhaus, die Zierde seiner im Harz gelegenen Vaterstadt, vielfach gemüthlich verwiesen, nahm er um so lebendigeres Interesse an diesen ehrwürdigen historischen Resten, als ihm auch sein erstes Probestück beim Eintritt in die große Genossenschaft der sozusagen losgesprochenen Künstler, Jakob Molay’s Feuertod, so brav gelungen war, daß er schon jetzt zu den sichersten Hoffnungen der neuern Malerkunst gerechnet werden konnte. Dankbarkeit auch gegen den glücklichen Gegenstand seines Bildes, den Märtyrertod der alten französischen Tempelherren, hatte ihn hierher nach dem Dörfchen Tempelheide geführt, wo auch einst Tempelherren gehaust, auch einst Tempelherren jene Kirche und das Profeßhaus gebaut hatten, von dem noch jene malerischen in den Friedhof verlorenen Trümmer hinterblieben waren.

Wie Siegbert Wildungen – so hieß unser junger Maler – auf einem Stein unter einer Brombeerhecke längst Platz genommen hatte und im nothdürftigen Schatten des stachlichten Gebüsches endlich einmal auch seinen breitrandigen Calabreser lüftete, um die blonden lockig fallenden Haare von der erhitzten Stirn zurückzustreichen, bemerkte er plötzlich, daß er nicht allein war. Aus dem gelben Kornfelde, das die Öffnung zwischen dem Hügel und dem Aufgang zu einem nahegelegenen herrschaftlichen Parke ausfüllte, erhob sich, gähnend und wie nach gehaltener Mittagsruhe sich reckend, eine Gestalt, die weder oben dem herrschaftlichen Wohnhause, noch unten dem Dorfe anzugehören schien. Es war, so weit man sie im Liegen beurtheilen konnte, eine lange hagere Figur im leichten Sommerrock wie Siegbert, aber die Pantalons verwaschen, an den Knieen hervorstehend, das Hemd zerknittert, die Halsbinde weggeworfen und die Weste fast zu kurz und wie verschnitten. Die seltsame Gestalt, die sich aus dem Korn, in dem sie geschlafen hatte, herauswand, war jung und wie es schien verwöhnt bequem. Der Mittagsschläfer gähnte mit mehr Behaglichkeit, als er würde empfunden haben, wenn ihn der Bauer, dem das Kornfeld gehören mochte, in der Verwüstung seines Eigenthums betroffen hätte. Wie er den Maler entdeckte, stützte er, wieder lang sich hinwerfend, den Kopf auf den Arm und schickte sich an, in größter Ruhe seinen Nachbar keck zu beobachten. Die rechte Hand steckte er dabei behaglich in die Seitentasche seiner Pantalons; die linke kratzte sich die Ähren aus dem etwas röthlich kurzgeschorenen Haar. Statt den Maler anzureden, pfiff er sich eine Melodie, die nicht zu den gewöhnlichen gehörte und Bekanntschaft mit den Modeopern verrieth. Siegbert Wildungen war der neuesten Opern sicher unkundiger, als jener bequeme und in seinen Blicken fast zudringliche dreiste Gesell.

Während Siegbert in seiner Zeichnung fortfuhr und das Zifferblatt des Thurmes bald den vollen Schlag der fünften Stunde voraus anzeigte, hörte man einen Wagen in der Nähe. Eine herrschaftliche Kutsche fuhr von der Allee, die zur Stadt führte, die Anhöhe herauf und hielt vor dem Eingangsportal des in Siegbert’s Rücken liegenden herrschaftlichen Gartens. Er hatte des geschmacklosen kleinen Schlosses, das dem Besitzer von Tempelheide zu gehören schien, anfangs wenig Acht gehabt. Der Park, der es einschloß, schien ihm von vielem Nadelholze fast zu düster; nur ein sonderbares Etablissement am Rand desselben oberhalb des Kornfeldes hatte ihm ein Lächeln abgelockt. Es war ein großer hölzerner Regenschirm oder ein Riesenpilz, dessen Dach eine unter ihm gedeckte kleine Mittagstafel vor der Sonne schützte. Der Besitzer des Schlosses nennt unstreitig diesen Regenschirm oder Pilz seinen chinesischen Pavillon, hatte er sich gedacht und dabei eingestanden, daß ein Abendimbiß in dieser freien Luft, beim würzigen Hauche der düstern Tannen des Parkes, dem Dufte des weißen Flieders und der Linden von der Kirche her, bei alledem höchst erfreulich und ländlich-anmuthig sein konnte. Sein Nachbar schielte schon lange von Zeit zu Zeit nach dem Pavillon hinauf und dem weißen gedeckten Tische und den Gläsern und Tellern, dem Silberzeuge, den Messern und Gabeln, und sein Schweigen brechend, rief er, auf die dreißig Schritte, die er von der Brombeerhecke etwa entfernt war, in gutem geschultem Deutsch, die satirischen, auf die Kutsche bezüglichen Worte hinüber:

In der alten Carrête da haben sie gewiß schon Ziethen aus dem Busch begraben.

Siegbert Wildungen verstand ganz gut, daß die »Carrête« die eben angefahrene Kutsche sein sollte, blickte aber nicht hin. An ihrem Gepolter schon hörte er, daß sie baufällig und altmodisch sein mußte. Sie aber auf den alten Ziethen »aus dem Busch« zurückzuführen, das war eine Landesanschauung, die ihm, obgleich er demselben Staate angehörte, nicht gleich ganz geläufig war. Er beantwortete die Bemerkung nicht.

Nach einer Pause lachte der junge Rothhaarige wieder hell auf und sagte:

O Je! O Je! Die alten Schindmähren hat schon Methusalem gefahren.

Siegbert Wildungen fühlte sich vom Ton des Sprechers und noch mehr von seiner Absicht, ein Gespräch anzuknüpfen, nicht eben angenehm berührt und antwortete wieder nur durch ein leichtes Aufblicken. Es schien ihm so unwürdig, sich gleichsam auf Geheiß eines solchen Menschen umwenden zu sollen und seine selbstgenügsamen Witze beifällig zu bestätigen. Dennoch regte ihn unwillkürlich die Vorstellung von Pferden, die schon Methusalem gefahren hätte, an, und es half nichts, er mußte nun über seine Mappe hin wenigstens zu dem Gesellen im Kornfelde einmal hinüberlugen. Als dieser mit spähendem Auge das erwachende Interesse des Malers bemerkte, fuhr er, wie dadurch ermuthigt, fort:

Fallen Sie nicht, Excellenz! Immer langsam voran, altes schweinsledernes Porcus Juris! So! Kommen Sie zum Handkuß bei Ew. Gnaden, Phylax und Sultan? Kätzchen darf auch guten Tag sagen? Miau! Miau! Und der schwarze Spitzbub, der Rabe, hui! was der ihm wol ins Ohr geplauscht hat von Galgen und Rad! Ein Compliment von Kühnapfel und Tschech? Nicht wahr, Du alter Küster vom Rabenstein! Jetzt wird wol gefrühstückt? Laßt’s Euch gut schmecken! Prosit die Mahlzeit!

Während dieser sonderbaren, mit scharfem maliziösen Ton vorgetragenen Worte schnarrte die alte Thurmuhr Fünf. Siegbert konnte jetzt nicht umhin, sich völlig umzuwenden und sich die Scene anzusehen, die ihm ebenso barock geschildert worden war.

Die mehrerwähnte Kutsche fuhr eben am Gartenstackete entlang, um in die entfernter liegende Hofthür einzulenken. Im Garten und vor dem Schlosse sah er Niemand mehr.

Schade, daß Sie zu spät kamen, sagte Siegbert’s immer zutraulicher werdende Bekanntschaft.

Wer stieg denn aus? fragte Siegbert nach einer Weile mit einem ruhigen und sanften Tone.

Der, dem das Schloß da gehört, antwortete der Fremde, kennen Sie ihn nicht?

…..

 

 

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