Erzählungen

Erzählungen – Karl Gutzkow

In diesem Band finden sich literarische Werke des Berliner Schriftstellers, u.a. die Erzählungen “Die Kurstauben”, “Wally, die Zweiflerin”, “Der Sadducäer von Amsterdam”, “Die Nihilisten”,  “Die Selbsttaufe”…

Erzählungen

Erzählungen.

Format: eBook

Erzählungen.

ISBN eBook: 9783849655693.

 

 

Auszug aus “Wally, die Zweiflerin”:

 

1

Auf weißem Zelter sprengte im sonnengolddurchwirkten Walde Wally, ein Bild, das die Schönheit Aphroditens übertraf, da sich bei ihm zu jedem klassischen Reize, der nur aus dem cyprischen Meerschaume geflossen sein konnte, noch alle romantischen Zauber gesellten: ja selbst die Draperie der modernsten Zeit fehlte nicht, ein Vorzug, der sich weniger in der Schönheit selbst als in ihrer Atmosphäre kundzugeben pflegt. Welche natürliche und ihr doch so vollkommen gegenwärtige Koketterie auf einem Tiere, von dem sie wahrscheinlich selbst nicht wußte, daß es blind war! Wally gab sich das Ansehen, als wäre sie mit ihrer Situation verschwistert; aber nichts ist so reizend, als wenn durch irgendeine fast gelungene Affektation, durch die ganze Haltung eines innerlich mehr reflektierten wie angebornen Wesens einige kleine Lichtritzen schimmern und für den Mann, welcher sie sehen kann, die versteckten Erleichterungen einer sich einbohrenden Neigung werden. Aber von den zahlreichen Kavalieren, welche Wally umgaben, sahe diese kleinen Lücken der Furcht edler Weiblichkeit niemand. Jene, die Lücken der Furcht, kannte vielleicht der Jockei, der auch wußte, daß die weiße Stute blind war. Aber die übrigen hingen nur wie der Eisenfeilstaub am Magnet, wie die Nachahmung am Genie, wie das Ordinäre am Wunderbaren.

Am Wege schritt, wie es beim Temperamente sich von selbst versteht, im Zweivierteltakte Cäsar, ein Mann, der imstande war, eine solche Gruppe wie die vorbeisprengende im Nu zu übersehen und jede darin waltende Figur so zu isolieren, daß er sie alle verarbeitete und an seiner eigenen Individualität zerrieb. Kennt ihr diese genialen Charaktere, welche durch ihr Schweigen immer mehr ausdrücken, als wenn sie reden, die nur ihr rollendes, siegendes Auge in die Gesellschaft bringen dürfen und jede Persönlichkeit darin absorbieren in eine Huldigung, die ihnen wird ohne ihr Verlangen? Cäsar stand im zweiten Drittel der zwanziger Jahre. Um Nase und Mund schlängelten Furchen, in welche die frühe Saat der Erkenntnis gefallen war, jene Linien, die sich von dem lieblichsten Eindrucke bis zu dämonischer Unheimlichkeit steigern können. Cäsars Bildung war fertig. Was er noch in sich aufnahm, konnte nur dazu dienen, das schon Vorhandene zu befestigen, nicht zu verändern. Cäsar hatte die erste Stufenleiter idealischer Schwärmerei, welche unsre Zeit auf junge Gemüter eindringen läßt, erstiegen. Er hatte einen ganzen Friedhof toter Gedanken, herrlicher Ideen, an die er einst glaubte, hinter sich: er fiel nicht mehr vor sich selbst nieder und ließ seine Vergangenheit die Knie seiner Zukunft umschlingen und sie beten: Heilige Zukunft, glühender Moloch, wann hör’ ich auf, mich mir selbst zu opfern? Cäsar begrub keine Toten mehr: die stillen Ideen lagen so weit von ihm, daß seine Bewegungen sie nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit Begriffsschatten, mit gewesenem Enthusiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; denn wozu ihn seine toten Ideen machten, er war ein starker Charakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Tätigkeit ist dir verschlossen, im Strome der Begebenheiten kann deine wissensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannst nur lächeln, seufzen, spotten und die Frauen, wenn du liebst, unglücklich machen!

Cäsar, wie er einsam wandelte, fühlte, daß er weinen sollte, und lachte, um die Tränen zu vertreiben.

Da flog Wally mit ihren Begleitern an ihm vorüber. Sie schlug mit ihrer Gerte in die Seiten des schönen, aber blinden Gaules (sie wußte es wahrhaftig nicht!) – ein sonderbarer Glanz klang durch die Luft, und zu Cäsars Füßen lagen fünf kostbare Ringe.

Sie mußten an der Reitgerte gesteckt haben.

Wally sah, was der Unbekannte am Wege aufnahm; sie machte Miene anzuhalten; aber als der Fremde mit der Zurückgabe zögerte, blickte sie bös und trieb ihren Schimmel weiter. Die Kavaliere hatten nichts gesehen.

Cäsar aber, da er die Reiterin sogleich aus den Augen verlor, mußte sich auf alles besinnen. Er gefiel sich darin, an eine alte Sage zu glauben, an die Prinzessin im Walde, und sich selbst mit irgendeinem Zauber in Verbindung zu bringen.

Er steckte die Ringe zu sich und hatte sie wieder vergessen, wie er innerhalb der Stadt war.

2

Ein gewisser Regierungspräsident gab einen beinahe ländlichen Ball. Wally und Cäsar sahen sich hier. Cäsar hatte in einem Anfalle guter Laune die fünf Ringe über seine Handschuhe gezogen. Wally frug ihn, wie er darauf käme?

»Weil meine rechte Hand«, antwortete er, »beim Tanzen immer ungeschickt ist. Die Ringe verhindern sie, von dem glatten Rücken der Tänzerinnen abzugleiten.«

Wally ließ ihn stehen: dieser junge Mann mißfiel ihr. Aber sie fühlte, daß sie sich zerstreuen müsse, und tanzte mit Vorliebe. Sie wurde erhitzt, verfolgte Cäsar und sahe, daß er die Ringe wieder fortgenommen hatte.

Sie wollte sie wiederhaben und rief einem ihrer Employés, einem blondhaarigen Referendär, der eine kleine Schrift über das Unzeitgemäße politischer Garantien geschrieben hatte. Sie setzte ihm die Lage der Dinge auseinander.

»Ich bin gewohnt«, sagte sie, »für jeden Monat im Jahre einen andern Anbeter zu haben, und ich nehme niemanden an, der sich nicht durch einen Ring in meine Gunst einkauft. An meinem Finger will ich die Ringe nicht: ich trage sie an meiner Reitgerte und mache mir ein Vergnügen daraus, wenn ich von Juli zu Juli ins Bad reise und armen preßhaften Leuten sie alle zwölf nacheinander in die heißen Sprudelbecher werfe.«

Darauf erklärte sie ihm, wie sie fünf davon verloren hätte, und verlangte, daß sie ihr wieder zuhanden, das heißt zur Reitgerte, kämen.

Der junge Mann, welcher über das Unzeitgemäße politischer Garantien geschrieben haue, versprach sein möglichstes und redete Cäsar an.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter G, Gutzkow-Karl, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.