Die Römerfahrt der Epigonen

Die Römerfahrt der Epigonen – Oskar Meding

Ein historischer Roman über den Frankfurter Fürstentag von 1863. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Die Römerfahrt der Epigonen

Die Römerfahrt der Epigonen.

Format: eBook

Die Römerfahrt der Epigonen.

ISBN eBook: 9783849656522.

 

Auszug aus dem Text:

 

Ein reges Leben herrschte in der alten Reichsstadt Goslar, der einst so glänzenden Residenz Kaiser Heinrichs, dessen hochragendes Schloß in Ruinen daliegt und traurig hinabblickt auf die Stadt am Harz.

Lange waren sie vorüber die Tage des alten Glanzes, und still hatte das Leben in der vergessenen Bergstadt sich von Jahr zu Jahr hingezogen – wie träumend nur hatten sie herübergerauscht die Sagen von den verschwundenen Zeiten aus den dunkeln Wäldern des Harzes her, in denen einst der große kaiserliche Vogelsteller sein Netz spannte, – und die alte Kaiserresidenz war zur kleinen Provinzialstadt des Königreichs Hannover geworden, in welche kaum einmal ein Fremder seinen Fuß setzte, wenn nicht ein Alterthumsforscher den Spuren der großen Vergangenheit nachging.

Dann aber war plötzlich in den neuesten Tagen das alte Goslar ein Sammelpunkt von Fremden aus aller Herren Länder geworden, – aber nicht wegen der Alterthümer kamen sie, sondern wegen der wunderbaren Heiltränke, welche der Schuster Lampe aus den Kräutern des Harzes zu brauen verstand und von deren Wirkungen bei sonst unheilbaren Krankheiten man sich die unglaublichsten Dinge erzählte. Wer von den Aerzten aufgegeben war, der kam nach Goslar zu dem wunderthätigen Schuster und verbreitete dann den Ruf von dessen Tränken weiter. Wohl hatten die zünftigen Aerzte den eigenthümlichen Naturarzt verfolgt und ein Verbot seiner Kuren erwirkt, – aber der König von Hannover hatte seine Tränke höchstpersönlich geprüft und ihre heilsame Wirkung empfunden, und der Facultät zum Trotz dem Schuster Lampe die Erlaubniß gegeben, den Leidenden zu helfen mit seinen waldduftenden Harzkräutern. Der König selbst war mit seinem Hof nach Goslar gekommen und brauchte die Lampe’sche Kur, fremde Fürsten waren ihm gefolgt, – die hannöverschen Minister und hohen Staatsbeamten kamen zu den Vorträgen und Berathungen hinüber, und von da ab füllten sich die Häuser der Bürger von Goslar mehr und mehr mit Fremden, – die alte Harzstadt gewann das Ansehen eines frequenten und eleganten Badeortes und ein Strom von Gold ergoß sich aus allen Ländern über ihre glücklichen Bewohner.

Es war im Juli 1863.

Hoch über der Stadt Goslar liegt das alte Klostergebäude, der Frankenberg, ein alterthümliches Haus in schönem Garten mit prachtvoller Aussicht nach den Bergen und über die Stadt hin. Hier hatte der König Georg von Hannover mit der Königin, dem Kronprinzen und den Prinzessinnen ihre Residenz aufgeschlagen, in ländlicher Einsamkeit lebte die Königliche Familie hier still und ruhig, und wenn keine Besuche aus Hannover kamen, die eine größere Entfaltung königlichen Glanzes veranlaßten, so war der Hofhalt von der äußersten Einfachheit, ganz der ziemlich strengen Diät der Lampe’schen Kur angepaßt.

In seinem großen und geräumigen, aber mit einer ganz bürgerlichen Anspruchslosigkeit meublierten Wohnzimmer im ersten Stockwerk des Frankenberger Klosters saß der König Georg V. in einem Lehnstuhl mit hölzernen Seitenlehnen vor seinem Schreibtisch.

Der König war damals vierundvierzig Jahre alt, – sein edles Gesicht mit dem schönen scharf geschnittenen Profil hätte in seiner vollen blühenden Frische und Gesundheit kaum jenes Alter errathen lassen, – der fehlende Blick des sehenden Auges nahm diesem schönen und sympathischen Gesicht nicht den geistig lebensvollen Ausdruck, wie man dies sonst wohl bei blinden Personen findet, – das lebhafte Mienenspiel, die beredte und anmuthig verbindliche Bewegung der Lippen beim Sprechen erfüllt die Züge des Gesichts mit dem Glanze geistigen Lichtes, und bei der eigenthümlichen Sicherheit, mit welcher der König stets die Augen scharf auf denjenigen richtete, mit dem er sprach, wollten die Personen, welche nicht regelmäßig mit ihm verkehrten, selten an den völligen Verlust seines Augenlichtes glauben.

Der König trug die Uniform der Gardejäger ohne Epauletten mit dem kleinen Kreuz des Guelphenordens, – unter dem unterhalb aufgeknöpften Waffenrock sah man das große blaue Band des Ordens vom Hosenbande. Er rauchte eine Cigarre aus einer langen Holzspitze.

Dem Könige gegenüber saß sein Geheimer Cabinets-Rath Dr. Lex, – ein kleiner unscheinbar bescheidener Mann von fünfzig Jahren, mager und trocken, mit kleinem, faltenreichem, bartlosem Gesicht, das fast immer einen leicht mürrischen Ausdruck zeigte und sich nur bei längerer Unterhaltung mit näheren Bekannten zu einer gemüthlichen Heiterkeit aufhellte.

Der Geheime Cabinets-Rath las dem Könige die aus Hannover eingegangenen Berichte vor.

»Der Minister Windthorst berichtet über die Thätigkeit des großdeutschen Vereins,« sagte der Geheime Cabinets-Rath, indem er einen Bogen entfaltete, – »auch der Ober-Gerichts-Director Witte hat mir einen Privatbrief über denselben Gegenstand geschrieben.«

»Nun, was macht denn dieser vortreffliche Verein?« fragte der König mit leichtem Lächeln, indem er eine lange Rauchwolke aus den gespitzten Lippen hervorblies.

»Er bereitet abermals eine Versammlung mit Resolutionen über die deutschen Angelegenheiten vor,« erwiderte der Geheime Cabinets-Rath.

»Und welche Resolution will man fassen,« fragte der König.

Der Geheime Cabinets-Rath blickte in den Bericht und sprach:

»Der großdeutsche Verein erkennt in dem Vorgehn Dänemarks zur völligen Trennung Schleswigs von Holstein eine Beeinträchtigung der Rechte Deutschlands –«

Der König nickte mit dem Kopfe, – »eine unumstößliche Wahrheit!« sagte er halb für sich.

»– und der großdeutsche Verein,« fuhr der Geheime Cabinets-Rath fort, »erwartet daher, daß alle deutschen Regierungen, insbesondere auch die hannöverische diesem Vorgehen energisch entgegentreten werde.«

»Sehr hübsch,« sagte der König, abermals lächelnd, – »es ist gewiß nichts gegen diese Resolution einzuwenden, – nur sollte sie sich in allererster Linie an die beiden ersten Mächte des Deutschen Bundes, an Preußen und Oesterreich richten, – denn wenn diese einig, wahrhaft einig sind, so ist der deutsche Bund die erste Macht in Europa und an keinem Punkte wird deutsches Recht beschädigt werden können. – Daß ich, wo es die Ehre und das Recht Deutschlands gilt, meine Schuldigkeit thun werde, versteht sich von selbst, – aber was kann Hannover allein thun, – warum gerade Hannover besonders hervorheben? – Möchten doch jene beiden großen Mächte an der Spitze des Bundes ernsthaft handelnd auftreten, so wäre ja Alles gethan, – statt dessen lancirt man von Wien aus Ideen über die Bundesreform in die öffentliche Meinung hinein, und greift damit die Grundlage des Rechts, der Ruhe und des Friedens nicht nur in Deutschland, sondern in Europa an. – Der deutsche Bund,« fuhr er lebhaft fort, »ist nicht reformirbar – sein Fehler liegt nur darin, daß er eine Vereinigung rechtlich gleicher Glieder bildet, unter denen zwei an Macht so gewaltig die übrigen überragen, daß ohne sie nichts geschehen kann und daß es keine Gewalt giebt, welche jene zwingen könnte, sich den Gesetzen des Bundes zu unterwerfen, wenn sie es nicht wollen. Keine Bundesreform kann dies Mißverständniß beseitigen, und darum sollte man nicht an Reformen des Bundes denken, sondern alle Fürsten und Regierungen, die es wahrhaft gut mit Deutschland meinen, sollten unablässig danach streben, die beiden deutschen Großmächte in fester Einigkeit aneinander zu schließen und jedes Mißtrauen und Mißverständniß zu beseitigen. Ich wenigstens halte das für meine höchste Pflicht, der gemäß ich auch gehandelt habe – und wie ich glaube, mit Erfolg gehandelt, – als ich den König von Preußen veranlaßte, nicht allein nach Baden-Baden zu gehen, sondern umgeben von den übrigen Königen in Deutschland dem französischen Kaiser entgegenzutreten. – Glauben Sie mir, lieber Lex,« fuhr er nach einem langen Athemzug fort, – »die Einigkeit zwischen Preußen und Oesterreich ist die Lebensbedingung des Deutschen Bundes – keine der beiden Mächte kann und wird die andere unterwerfen, – und an dem Tage, an welchem jene Einigkeit ernstlich gestört werden sollte, wird man sagen können, finis Germaniae!« –

»Hat der großdeutsche Verein also die müßige Theorie der Bundesreform aufgegeben?« fragte er weiter.

»Doch nicht, Majestät,« sagte der Geheime Cabinets-Rath kopfschüttelnd, – »der Verein will in seiner Resolution auf die Nothwendigkeit der Bundesreform hinweisen, – welche,« fuhr er die Stelle des Berichtes vorlesend fort, »insbesondere auch die Herstellung einer auf die Kriegsverfassung des Bundes gestützten schlagfertigen Militairorganisation der Bundesstreitkräfte in’s Auge fassen soll. Als Grundbedingung dafür bezeichnet der Verein die Zusammenfassung der Streitkräfte der deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einem selbstständig und einheitlich bewegbaren Armeekörper.«

Der König blies das Ende seiner Cigarre aus der Spitze und rief lebhaft:

»Das ist der einzige vernünftige Gedanke in der ganzen Resolution. Die alleinige Möglichkeit für alle kleineren Glieder des Bundes ernstlich und nachhaltig auf die Einigkeit der beiden Großmächte zu wirken, liegt darin, daß sie zunächst unter einander einig sind, namentlich auch militairisch geeinigt, denn so allein können sie ein wirkliches Gewicht in die Wagschale werfen und ihrem Rath Gehör schaffen.«

Man hörte einen Wagen in den stillen Hof des Klosters rollen, – bald darauf ertönten Stimmen und heiteres Lachen im Vorzimmer.

….

 

 

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