Held und Kaiser

Held und Kaiser – Oskar Meding

“Held und Kaiser” ist der letzte Teil des Zyklus “Um Zepter und Krone” und erzählt die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges von der Schlacht um Sedan über den Frankfurter Frieden bis zum Tod Louis Napoleons. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Held und Kaiser

Held und Kaiser.

Format: eBook

Held und Kaiser.

ISBN eBook: 9783849656539.

 

Auszug aus dem Text:

 

Die große Katastrophe von Sedan war vorüber, das kaiserliche Frankreich war niedergeworfen, aber die Hoffnung, welche die deutschen Truppen erfüllt hatte, als sie den gefangenen Kaiser über das Schlachtfeld dahinziehen sahen, diese Hoffnung, welche die Zurückgebliebenen in Deutschland teilten, daß ihnen nun endlich nach so furchtbarem Ringen zweier großen Nationen der Friede wiedergegeben werden würde, – sie hatte sich nicht erfüllt.

Die Regierung der nationalen Verteidigung organisierte überall den Krieg bis aufs Messer. Der Fanatismus des Volks wurde auf das Höchste entzündet, indem man überall wiederholen ließ, daß der König von Preußen nur gegen den Kaiser Napoleon Krieg geführt habe, und daß er nun, nachdem der kaiserliche Thron zusammengestürzt, nicht gegen das französische Volk weiter kämpfen werde, – daß aber, wenn er dies doch tun sollte, wenn er Ländergebiet oder Festungen von Frankreich verlangen möchte, das deutsche Volk sich erheben werde, um über den König und die Generale hin dem zur demokratischen Republik wiedererstandenen Frankreich die Hand zu reichen.

So war das Losungswort, welches man überall ausgab und an welches wohl kaum einer der so plötzlich entstandenen neuen Souveräne Frankreichs glaubte, welches aber in den Massen mit jener dem französischen Volk eigenen, oft so unbegreiflichen Naivität Glauben fand. Man hatte mit kleinlichem Eifer alle Embleme und Chiffern des Kaiserreichs von den öffentlichen Gebäuden entfernt, und jedermann tat in Paris, als ob dies Kaiserreich, das zwanzig Jahre lang so stolz und glänzend dagestanden, dem noch vor so kurzer Zeit so viele Millionen ihr zustimmendes Votum im Plebiszit gegeben hatten, – als ob dies Kaiserreich nie bestanden hätte und nur ein flüchtig vorüberrauschender Traum gewesen sei.

Der König von Preußen war siegreich in Rheims, der alten Krönungsstadt der französischen Könige, eingezogen und seine Armeen näherten sich der Hauptstadt, dem »heiligen« Paris, wie man nach Viktor Hugos Vorgang diese merkwürdige Stadt zu nennen begann, die man früher so oft als das moderne Babel bezeichnet hatte, solange sie die glänzende, fröhliche, lachende und übermütige Residenz Napoleons III. war. Das Spartanertum wurde Mode, wie ja in Paris alles, auch der leidenschaftlichste Aufschwung, bis zu einem gewissen Punkt Modesache ist und sein muß, wenn es überhaupt für einige Zeit Bestand und Bedeutung gewinnen will.

Der Kaiser Napoleon war nach Wilhelmshöhe gekommen, nachdem er von Donchery aus unter preußischer Kavalleriebedeckung in wildem Unwetter, unter zuckenden Blitzen und rollendem Donner die französische Grenze überschritten hatte, dieselbe Grenze, welche er schon dreimal flüchtig hinter sich zurückgelassen. Zum erstenmal als Kind, nach dem Sturz seines großen Oheims, dann nach seiner Begnadigung durch Louis Philipp, als er ins Exil nach Amerika ging, und endlich in der Verkleidung des Maurergesellen Badinguet, als er das Schloß von Ham verließ, in welchem er während langer, einsamer Jahre über seinen Zukunftsplänen gebrütet hatte.

Damals, das letztemal, war er davongezogen unbeachtet und unerkannt, aber mit stolzer Zuversicht im Herzen, erfüllt von dem Glauben an seinen Stern. Dann war er zurückgekommen, um den Thron aufzurichten, von welchem herab er der lauschenden Welt seine Orakel verkündete.

Jetzt zog er in das Ausland, mit allem kaiserlichen Pomp umgeben; seine Piqueurs ritten ihm voran, seine Adjutanten folgten ihm in den glänzenden Equipagen des kaiserlichen Marstalls, die feindlichen Truppen rührten das Spiel und präsentierten die Waffen, wenn er an ihnen vorbeikam, und mit allen kaiserlichen Ehren wurde er an den Bahnhöfen empfangen.

Aber hinter ihm her schallten die Verwünschungen seiner Feinde aus allen Teilen Frankreichs. Seine Freunde schwiegen in dumpfer Bestürzung und viele, die sich am lautesten seine Freunde genannt hatten, stimmten jetzt am eifrigsten in das Verdammungsurteil über ihn ein.

Und in ihm selbst, – in ihm, der früher so fest an seinen Stern und sein Glück glaubte, lebte keine Hoffnung mehr, die Flamme war erloschen, die Kraft gebrochen und nur eine Sehnsucht erfüllte ihn, die Sehnsucht nach Ruhe und Stille, welche ihm die Gefangenschaft in Wihelmshöhe fast wie eine Erlösung erscheinen ließ.

Die Kaiserin Eugenie, welche so kühn und siegesgewiß die Regentschaft übernommen hatte, als Napoleon zu diesem Feldzug voll so unerhörter Niederlagen auszog, war auf dem gastlichen Boden Englands angekommen und hatte ihren Aufenthalt im Marinehotel in Hastings genommen, am Fuß des hochragenden Felsens, zu welchem die Wellen des Meeres heranrollen. Und während der müde Imperator in durstigen Zügen die duftige Waldluft von Wilhelmshöhe einatmete, blickte die Kaiserin hinaus auf die rollenden Wellen, und tausendfältig, wie diese, wogten die Gedanken in ihr auf und nieder, Entwürfe durch Entwürfe verdrängend und zuweilen aufschäumend in der Sturmflut wilder Verzweiflung.

In Hastings hatte sich auch der kaiserliche Prinz zu seiner Mutter gefunden, dies arme Kind, das so ganz betäubt war von den Schlägen, die urplötzlich die Welt zertrümmert hatten, in welcher er geboren und aufgewachsen war und welche ihm so unerschütterlich fest begründet geschienen hatte.

So schienen in dieser kurzen Zeit fast die Spuren und Erinnerungen des Kaiserreichs verweht und vergessen.

Und doch gab es einen Punkt in Frankreich, der noch nicht berührt war von der gewaltigen Wendung des Völkerschicksals. Dieser Punkt war Metz, hinter dessen Wällen sich der Marschall Bazaine mit einer Armee von hunderttausend Mann auserlesener Truppen, mit dieser ganzen prächtigen kaiserlichen Garde befand, welche so oft die Bevölkerung von Paris mit Stolz und Bewunderung erfüllt hatte und welche den fremden Souveränen vorgeführt worden war als ein schimmerndes Bild der französischen Waffenmacht.

Metz, diese alte, noch nie genommene Festung, stand da wie ein hochragender Felsen in dem ringsum flutenden Meer der feindlichen Armee, und jedermann fühlte, daß hier ein großer Teil der Entscheidung über die Zukunft Frankreichs läge.

Auf Metz richteten sich daher die Blicke von allen Seiten her, teils mit Angst und Besorgnis, teils mit Mut und Hoffnung.

Der siegreiche König von Preußen und sein großer, schweigsamer Generalstabschef blickten nach Metz zurück auf ihrem schnellen Vormarsch nach Paris, denn für den endlichen Erfolg des Krieges war es von der höchsten Wichtigkeit, diese jungfräuliche Festung durch den festen Eisengürtel, mit dem der Prinz Friedrich Karl sie einschloß, zur Übergabe zu zwingen.

Nach Metz blickten die regierenden Advokaten in Paris hin, denn sie trauten dem festen und entschlossenen Marschall nicht und Gerüchte drangen von dort her, daß in der eingeschlossenen Festung noch immer die Fahnen des Kaisers wehten, – des Kaisers, den auch der Feind noch immer ausschließlich als die einzige legale Regierung Frankreichs betrachtete.

Nach Metz richteten sich hoffnungsvoll die Blicke der Kaiserin von Hastings aus. Sie kannte den starren, entschlossenen Sinn des Marschalls Bazaine, und wenn irgendeine Transaktion zum Frieden führen konnte, so würde diese einzige organisierte und intakte Armee, die Frankreich noch besaß, der kaiserlichen Regierung gehören.

Und der gefangene Kaiser? – Schwer wäre es zu sagen, was er dachte. Er ging in den Alleen des Parks von Wilhelmshöhe spazieren. Auf dem Tisch in seinem Kabinett lag eine Kriegskarte ausgebreitet. Sein vertrauter Sekretär Pietri studierte alle Zeitungen, welche Nachrichten vom Kriegsschauplatz brachten, und wenn der Kaiser von seinem Spaziergang zurückkehrte, so markierte er mit Nadeln die Bewegungen der Truppen und besprach mit den Generalen seiner Umgebung die strategische Lage des Marschalls Bazaine.

Aber er tat dies alles mit einer so kalten, fast gleichgültigen Ruhe, als ginge ihn das Schicksal des Krieges, der dort geführt wurde und noch immer Tausende und Tausende von Menschenleben verschlang, gar nichts an, als wäre er ein einfacher Privatmann, der lediglich mit der Neugier eines interessanten Studiums die Ereignisse seiner Zeit verfolgte.

So war die Lage am 14. September, etwa zwei Wochen nach der Schlacht von Sedan.

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