Die Saxoborussen

Die Saxoborussen – Oskar Meding

Medings historischer Roman befasst sich mit der Geschichte des berühmten Heidelberger Studentenkorps “Saxoborussen”. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Die Saxoborussen

Die Saxoborussen.

Format: eBook

Die Saxoborussen.

ISBN eBook: 9783849656591.

 

Auszug aus dem Text:

 

Es war ein schöner, heiterer Frühlingstag des Jahres 1849, als der Schnellzug von Gießen her der alten Kaiserstadt Frankfurt am Main entgegenbrauste. Ueberall in Deutschland zuckte noch die Bewegung nach, die ein Teil der öffentlichen Meinung den erwachenden Völkerfrühling nannte, während die aus dem ruhigen Gleichmaß der Tage aufgeschreckten Anhänger der vergangenen Zeit sie mehr und mehr als eine schmachvolle Empörung brandmarkten – weder die eine noch die andre Partei aber ahnte, daß jene Zeit in der Tat das, wenn auch durch unreine Nebelwolken verhüllte und getrübte Morgenrot eines großen nationalen Tages gewesen war, dessen aufsteigende Sonne künftig die Herrlichkeit des neuerstandenen Deutschen Reiches mit ihren Strahlen zu vergolden bestimmt war.

Schärfer und erbitterter als jemals standen sich in jenen Tagen die Parteien gegenüber, und die Regierungen versuchten vergebens neue Formen zu finden, unter denen die neuen Gedanken und die erwachten Hoffnungen sich mit den alten Rechten vereinigen ließen. Die allgemeine politische Erregung machte sich auch auf dem über die Schienengeleise dahineilenden Schnellzug bemerkbar; in allen Waggons hörte man, wenn das Rasseln der Räder und das Schnauben der Lokomotive auf einer Station schwieg, laute und heftige politische Erörterungen über die Wiederherstellung des alten Bundestags und über die von dem König von Preußen eingeschlagene Richtung, die die einen zu liberal, die andern zu reaktionär fanden, und jedes hingeworfene politische Wort entzündete sofort das sprühende Feuer einer allgemeinen Unterhaltung, in der die Gegensätze mit voller Schärfe und Heftigkeit aufeinanderstießen.

Nur in einem Coupé des Zuges schien die ungesellige Politik keinen Eingang gefunden zu haben, hier herrschte eine so tiefe, heitere und freundliche Ruhe, als ob das wilde Jahr 1848 niemals über die Welt dahingezogen wäre. In der einen Ecke dieses Coupés lehnte ein junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren in einem einfachen, eleganten Reisekostüm; ihr jugendfrisches, hübsches und pikantes Gesicht war von dunkelbraunem Haar umrahmt, dunkle Augenbrauen mit langen Wimpern gaben ihren großen, lebhaften Augen einen besonderen Reiz, und das schalkhafte Lächeln ihrer feinen, frischen Lippen schien den Gruß der freundlichen Frühlingssonne, die durch die Scheiben des Coupés hereinleuchtete, lustig und lebensfroh erwidern zu wollen. Aber aus diesen hübschen Augen blickte zugleich eine scharfe Beobachtung und mehr Weltkenntnis, als man bei einer augenscheinlich so jungen Dame hätte vermuten sollen; man sah, daß dieses Lächeln und diese Blicke gewohnt waren, dem Willen zu gehorchen, und daß die junge Dame auf ihrem kurzen Lebenswege schon eine Summe von Erfahrungen gemacht haben müsse, wie sie weder die sichere Ruhe der Familie noch die stille Abgeschlossenheit einer Pension zu bieten vermögen.

In der andern Ecke saß eine ältere Dame von etwa fünfzig Jahren mit welken, faltigen Zügen, die auf vergangene Schönheit schließen ließen; ihre dunkeln Augen blickten bald stechend und listig beobachtend, bald wieder stumpf und gleichgültig umher. Sie trug einen großkarierten Reisemantel, einen Hut mit bunter Feder, eine Menge von Taschen und Täschchen, Schachteln und Kisten umgaben sie und auf ihrer ganzen Erscheinung lag ein Hauch von verwitterter Eleganz. Sie hatte die Augen halb geschlossen und schien durchaus nicht auf die lebhafte Unterhaltung zu achten, die die junge Dame mit einem ihr gegenübersitzenden Herrn führte, der augenscheinlich durch die Schönheit und jugendliche Anmut seiner Reisegefährtin eifrig in Anspruch genommen war.

Dieser junge Mann mochte etwa neunzehn bis zwanzig Jahre alt sein. Er trug einen grauen Reiseanzug von elegantester Einfachheit; seine schlanke, hoch aufgeschossene und geschmeidige Gestalt, sein feines, noch bartloses Gesicht mit den kühn und lebenslustig blitzenden Augen und dem kurzen blonden Haar ließen noch die Spuren der Kindheit erkennen, während doch in seiner Haltung und in all seinen Bewegungen sich jene ruhige Sicherheit zeigte, die aus einer vornehmen Erziehung und der Gewohnheit der guten Gesellschaft hervorgeht. Er hatte sich zu der anmutig an den Polstersitz geschmiegten jungen Dame herübergebeugt und machte sie auf die Schönheiten der bald freundlich heiteren, bald romantisch pittoresken Gegend aufmerksam, durch die der Zug dahinglitt; er schien diese reiche und wechselnde Naturschönheit mit der ganzen Empfänglichkeit der Jugend zu empfinden, aber seine in die Ferne hinausschweifenden Blicke kehrten doch immer schnell wieder zu den Augen seines reizenden Visavis zurück, die ihn durch den Schleier der langen Wimpern bald neckisch fragend, bald lockend und verheißend anschauten.

Der junge Mann hatte die Hand auf den Vorsprung des Coupéfensters gestützt, und häufig, wenn seine schöne Reisegefährtin sich vorbeugte, um, seinen Andeutungen über irgend einen schönen Punkt folgend, in die Ferne hinauszublicken, stützte sie wie zufällig ihre Hand auf die seine; er fühlte einen leisen Druck ihrer zarten Finger, und wenn sie sich dann wieder in ihre Ecke zurücklehnte, traf ihn ein so eigentümlich schalkhafter Blick, daß er sich schon mehrfach schnell vorgebeugt hatte, um mit seinen Lippen die seine Hand zu berühren, aus der ein berauschendes Feuer in seine Adern strömte, die dann aber jedesmal zurückgezogen wurde, wenn auch so langsam, daß seine Lippen dennoch die rosigen Fingerspitzen streiften. Die alte Dame schien, in leichten Schlummer versunken, dies anmutige Spiel, das sich immer häufiger wiederholte, nicht zu bemerken, nur zuweilen schoß aus ihren Augenwinkeln ein schneller Blick hinüber, worauf dann jedesmal ein flüchtiges, zufriedenes Lächeln um ihre dünnen, blutlosen Lippen zuckte.

»Wie schade,« sagte der junge Mann seufzend, »wir sind schon über die letzte Station hinaus, in einer Viertelstunde werden wir Frankfurt erreicht haben. Diese Eisenbahn ist so recht ein Bild des Lebens, der Zufall wirft uns nach seiner Laune mit unsern Reisegenossen zusammen, und wenn wir jemals dem Zufall so recht dankbar sein möchten, dann ist auch schon der Augenblick da, der uns wieder weit abführt von dem Wege, auf dem uns die Blüte eines kurzen Glücks sich öffnete.«

»Ja, wie schade,« sagte das junge Mädchen, indem ihr dunkelglühender Blick sich voll zu dem jungen Manne aufschlug, und schnell, als ob sie auf seine unausgesprochenen Gedanken mehr noch als auf seine Worte antwortete, fügte sie hinzu: »Sie bleiben wohl in Frankfurt, mein Herr – wir gehen heute abend weiter nach Heidelberg.«

»Nach Heidelberg!« rief er freudig überrascht, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm nur langsam zögernd und mit einem leichten Druck entzog, »Sie gehen nach Heidelberg – o, dann ist der Zufall freundlicher, als ich es zu hoffen wagte, auch mein Reiseziel ist Heidelberg, ich –«

»Wie reizend!« rief sie, nun ihrerseits wieder seine Hand fassend, »Sie gehen nach Heidelberg – dann bleibt ja unser Weg gemeinsam. Sie sind Student, nicht wahr, mein Herr? Ja, ja, es muß so sein – welch ein glücklicher, glücklicher Zufall; dann werde ich doch einen Freund in Heidelberg finden, und ich habe dort freundlichen Beistand nötig.«

»Ich bin Student,« sagte der junge Mann mit einem gewissen Stolz, »und Sie, mein Fräulein, Sie wohnen in Heidelberg?«

»Für einige Zeit – ich bin Künstlerin, als erste Liebhaberin beim dortigen Theater engagiert – Sie wissen, mein Herr, es ist so schwer, sich eine Stellung zu machen, wenn uns auch die Natur ein wenig begünstigte und uns ein wenig Talent gab, wir bedürfen der Freunde, und nicht wahr – Sie werden mein Freund sein?«

Sie widerstrebte nicht, als er nun ihre Hand zu feurigem Kuß an seine Lippen zog.

»Gewiß,« rief er, »gewiß, mein Fräulein, ich werde Ihr treuer, Ihr ganz ergebener Freund sein. Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle,« fügte er hinzu, indem er aus einem Etui von Perlmutter eine Visitenkarte nahm und ihr reichte, »verfügen Sie ganz über mich.«

Sie las lächelnd die Karte:

»Karl von Sarkow, Studiosus juris. Mein Name ist Klara Schönfeld,« sagte sie dann; »ich komme vom Stadttheater in Bremen, man hat mich dort nur in kleinen Rollen beschäftigt, Sie wissen die Mißgunst und der Neid sind so groß in der Bühnenwelt, man muß sich mühsam zur Anerkennung durcharbeiten. Da habe ich denn das Engagement in Heidelberg angenommen, wenn das Theater dort auch noch etwas primitiv sein soll, um wenigstens in ersten Rollen mich dem Publikum zu zeigen.

»Mama, höre doch! Mama, höre doch!« rief sie, sich zu der alten Dame herüberbeugend und ihren Arm schüttelnd, »höre doch, wie glücklich sich das trifft, hier Herr von Sarkow, unser Reisegefährte, geht auch nach Heidelberg, um dort zu studieren; wir werden einen Freund haben, der uns beisteht gegen die Intriguen unsrer Kollegen und gegen den bösen Willen der Kritik – o, das ist reizend, ganz reizend!«

Die alte Dame war auffallend schnell aus ihrem Schlummer erwacht; sie grüßte Herrn von Sarkow mit der Würde einer Anstandsdame, die sich in die Rollen der zärtlichen Mütter und der Königinnen teilt, und sagte mit einer etwas heiseren Stimme:

»Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr. O, es ist ein so großes Glück für zwei einzelne schutzlose Damen, einen Beistand und einen Ratgeber zu finden – die Welt ist so schlecht, man glaubt sich gegen Künstlerinnen vom Theater alles erlauben zu dürfen, aber unter dem Schutze eines Kavaliers ist das ganz etwas andres. Wir haben viel Glück, in der Tat viel Glück. Schon dachte ich,« fuhr sie fort, während Herr von Sarkow und Fräulein Klara mit beredten Blicken ihrer Freude Ausdruck gaben, »schon dachte ich mit Sorge daran, was wir allein während der Stunden unsers Aufenthalts in Frankfurt anfangen sollten, der Zug geht erst gegen Abend weiter, und es ist so peinlich für zwei einzelne Damen, in der fremden Stadt die Zeit hinzubringen; nicht wahr, Sie erlauben, daß wir uns an Sie anschließen?«

»Es könnte mir in der Tat nichts Glücklicheres widerfahren,« rief Herr von Sarkow lebhaft; »ich bitte die Damen, sich mir ganz anzuvertrauen und mich zu ihrem Reisemarschall anzunehmen.«

Die Lokomotive pfiff, der Zug rollte langsam in den großen Frankfurter Bahnhof ein und hielt nach einigen Augenblicken vor dem Perron.

Herr von Sarkow besorgte das Gepäck, ließ einen Fiaker kommen und befahl nach dem Hotel de Russie zu fahren.

….

 

 

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