Plewna

Plewna – Oskar Meding

Einer der großen historischen Russlandromane des Autors. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Plewna

Plewna.

Format: eBook

Plewna.

ISBN eBook: 9783849656584.

 

Auszug aus dem Text:

 

An der Kuschitza, südöstlich von Plewna in Bulgarien, einige Meilen von Gorni-Studen entfernt, das später durch das Hauptquartier des Kaisers Alexander weltbekannt werden sollte, liegt das bulgarische Dorf Muschina, ein für die Verhältnisse der dortigen Gegend wohlhabender und ziemlich stark bevölkerter Ort. Am Rande der Wiesen, welche von der Kuschitza bespült werden, ziehen sich in ziemlicher Entfernung nebeneinander liegend die Gehöfte hin, jedes einzelne von einem großen Grasplatz umgeben und mit einer dichten Hecke eingeschlossen. Die Häuser der ärmeren Bewohner sind meist nur aus Weidengeflecht zusammengesetzt und etwas in die Erde eingesenkt, so daß sie großen Körben gleichen und ein wenig an die Niederlassungen der wilden Indianer erinnern. Das Dach dieser Häuser erhebt sich kegelförmig, von Stroh oder von aufgeschichteten oder durcheinander geflochtenen Baumzweigen gebildet, und in diesen äußerst primitiven Häusern wohnen die Familien und ihre Haustiere meist friedlich beieinander. In Muschina befanden sich aber außer diesen ärmlichen Wohnungen auch größere Höfe, welche zwar ebenfalls nach der Landessitte von hohen Hecken eingeschlossen waren, aber geräumigere und festere Wohnhäuser und Stallungen enthielten, ja es gab sogar vier bis fünf steinerne Häuser, welche zwar auch nur mit Stroh gedeckt waren, doch sah man in denselben Fenster mit Glasscheiben, ein großer Luxus, da den ärmeren Bewohnern des Ortes meist nur geöltes Papier dazu diente, um das Licht durch die Fensteröffnungen einfallen zu lassen, welche dann nachts oder bei schlechtem Wetter mit Klappen von Weidengeflecht verschlossen wurden.

Das ganze Dorf, welches den Namen Muschina führte, zerfiel in zwei voneinander völlig getrennte Abteilungen, welche sich nach der christlichen und mohammedanischen Bevölkerung teilten und ungefähr eine kleine Viertelmeile auseinander lagen. Dieser türkische Teil des Dorfes war auch äußerlich von dem christlichen sehr verschieden. Man sah hier durchgängig kleine hölzerne, von Balken und Brettern erbaute Häuser mit hölzernen Dächern und in bunten Farben angemalt, und während in dem christlich-bulgarischen Teil meist ein lebhaftes, lautes Leben auf den Wiesen und Ackern und in den Gärten herrschte, lag der muselmännische Teil in tiefer Stille da; die notwendigen Arbeiten wurden von den Frauen mit den das Gesicht halb verhüllenden Schleiern und von den Kindern schweigend verrichtet, und wenn die Arbeit getan war, so zogen sich die Frauen in das Innere der Häuser zurück, während die Männer rauchend in beschaulicher Ruhe vor den Türen ihrer Häuser saßen, so daß man selten einen lauten Ton hörte, und das Dorf fast für verödet hätte halten können.

Beide Teile des Ortes hatten ihren eigenen Gottesdienst. In der Mitte des türkischen Dorfes lag eine bunt bemalte, mit einem hochragenden Minaret geschmückte Moschee, während inmitten der christlichen Niederlassungen ein breiter, viereckiger Holzbau ohne Turm und Kuppel zur Kirche eingerichtet war, neben welcher sich das kleine, saubere und von einem freundlichen Garten umgebene Haus des griechischen Popen, Vater Julian, befand. Beide Dörfer standen in keinem Verkehr miteinander. Die mißtrauische und feindliche Scheidung, welche zwischen der slawischen und türkischen Bevölkerung seit Jahrhunderten bestand, war durch die Ereignisse des letzten Jahres noch mehr verschärft worden, dennoch aber war es zwischen den Türken und Christen niemals zu ernsten Konflikten gekommen, man lebte friedlich nebeneinander, woran vielleicht die zwischen der christlichen und mohammedanischen Niederlassung liegende Entfernung das Verdienst haben mochte, und selten nur, wenn es sich durchaus nicht vermeiden ließ, notwendige Geschäfte zu erledigen, betrat ein Bewohner des einen Teiles das Gebiet des andern.

Das schönste und reichste Grundstück in dem christlichen Teil von Muschina besaß der alte Theofil Leonew, sein Haus war größer als alle anderen, es enthielt mehrere Wohnräume, hatte Fenster mit großen Scheiben und neben der Tür sogar eine Art von vorspringender Veranda mit hölzernen, buntbemalten Säulen, unter welcher im Sommer Bänke mit Polstersitzen aufgestellt wurden, ein Luxus, der das Erstaunen der ganzen Gegend erregte und den Glauben an den fabelhaften Reichtum Leonews noch mehr bestärkte. Geräumige Stallungen befanden sich neben dem Wohnhause, doch waren dieselben nicht in ihrer ganzen Ausdehnung von dem immerhin zahlreichen Viehstande des Gehöfts eingenommen, und man flüsterte sich leise zu, daß in den Räumlichkeiten, welche für die Futtervorräte und das Vieh nicht benutzt wurden, häufig kostbare Waren niedergelegt werden, welche sich der Steuer und der Zollkontrolle entzögen. Und in der Tat kamen häufig unbekannte Personen, Juden und Zigeuner mit Säcken oder bepackten Handwagen auf Leonews Hof, um dann nach einem Aufenthalt von wenigen Stunden den Ort wieder zu verlassen, ohne, daß man wußte, woher sie gekommen waren und wohin sie gingen. Leonew selbst fuhr dann von Zeit zu Zeit in einem von seinen zwei kräftigen Pferden gezogenen und mit einem leinenen Plan dicht überspannten Wagen fort und kehrte meist erst nach einer Abwesenheit von mehreren Tagen wieder zurück. Die übrige Bevölkerung hätte ihm diesen Schmuggelhandel, für welchen, wie man voraussetzte, sein Haus eine Etappe bildete, nicht verdacht, denn er schädigte durch denselben ja nur die verhaßte türkische Regierung, aber dennoch hielt man sich allgemein in scheuer Abneigung von ihm fern, denn es ruhte ein geheimnisvolles Dunkel über seinem ganzen Leben und Treiben. Man sagte, daß er größeren Grundbesitzern der Umgegend und auch Kaufleuten in den naheliegenden Städten Geld zu hohen Zinsen leihe und unerbittlich in der Eintreibung seiner schnell wachsenden Forderungen sei, so daß, wer einmal Leonews Schuldner geworden, fast immer unrettbar dem Ruin verfiel. Die türkischen Gerichte standen dabei immer auf seiner Seite, und wenn der Kaimakam oder gar der Mutessariff nach Muschina kamen, so wohnten diese türkischen Chefs des Distrikts und des Kreises stets in Leonews Hause.

Niemals wurden seine Räumlichkeiten durchsucht, niemals die Pakete und Waren, die zu ihm kamen, oder das Fuhrwerk, auf dem er dieselben fortführte, angehalten, wohl aber bemerkte man, daß die Beamten bei der Erhebung der Abgaben ganz genau über den Ertrag der Ernte eines jeden Hofes und über den Viehstand unterrichtet waren, und zwar nicht nur in Muschina selbst, sondern auch im weiten Umkreise, so daß der Verdacht immer allgemeiner wurde, Leonew diene den türkischen Behörden als Spion zur Ermittlung der Steuerkräfte der Gegend und gewähre zugleich den vorgesetzten Beamten einen Anteil an dem Gewinn aus seinen Wucher- und Schmuggelgeschäften, wodurch er die Sicherheit für seine Manipulationen und die ihm stets günstigen Richtersprüche erkaufe.

Die Bewohner von Muschina wußten, daß Leonews Vater, welcher denselben Hof, aber in weit ärmlicheren Verhältnissen, besessen, die Tochter eines jüdischen Hausierers geheiratet habe. Zwar war das Mädchen getauft, sie hatte während ihres ganzen vorwurfsfreien Lebens alle Pflichten der orthodoxen Kirche pünktlich erfüllt, aber dennoch haftete an ihrem Sohn die Abneigung, welche die slawische Bevölkerung gegen das jüdische Blut hegt, und auch dieser Umstand trug nicht wenig dazu bei, daß man sich mehr und mehr in scheuem Widerwillen von Leonew zurückzog. Er hatte vor einer Reihe von Jahren von einer seiner Reisen eine Frau mitgebracht, die niemand kannte, und von der man sagte, daß sie die Tochter eines Kaufmanns aus Tirnowa sei. Sie war schön, aber bleich und traurig gewesen, hatte selten das Haus verlassen, man hatte nur gehört, daß Leonow sie rauh, heftig und hart behandelte. Nach wenigen Jahren war sie gestorben und hatte ihrem Manne eine einzige Tochter zurückgelassen; jedenfalls mußte sie Leonew ein namhaftes Heiratsgut zugebracht haben, denn von dem Augenblick seiner Verheiratung mit der Unbekannten hatte sein stets wachsender Reichtum seinen Anfang genommen, und man flüsterte sich zu, daß jene bleiche, traurige Frau, mit welcher kaum jemand während ihres Aufenthaltes in Muschina ein Wort gesprochen hatte, wohl die Geliebte irgendeines vornehmen Herrn gewesen sein möge, der sie dann mit einer reichen Ausstattung an Leonew verheiratet habe.

Theofil Leonew war etwa vier- bis fünfundfünfzig Jahre alt; seine mittelgroße Gestalt war hager und eckig, aber ungemein kräftig und sehnig gebaut; sein leicht ergrauendes Haar war dicht und voll und kürzer geschnitten, als es sonst die Sitte des Landes mit sich brachte. Sein dunkelgebräuntes Gesicht hatte scharf markierte Züge, eine breite Stirn, eine kräftige, weit vorspringende Nase und zurückliegende, kleine, tiefschwarze Augen, deren stechende Blicke selten standhielten, wenn ihm jemand scharf ins Gesicht sah. Sein lang herabhängender Schnurrbart war noch fast ganz schwarz, ebenso seine starken, buschigen Augenbrauen. Er trug den Kopf ein wenig vorgebeugt, und trotz seines Körperbaues war sein Gang leise und schleichend, wie der einer Katze oder eines Fuchses.

Seine einzige Tochter Stjepanida war fünfzehn Jahre alt und von dem ganzen Reiz übergossen, welcher der aufbrechenden Knospe eigentümlich ist, die sich vom Kinde zur Jungfrau erschließt. Sie war hoch und schlank emporgewachsen, und trotz ihrer noch etwas unsicheren schüchternen Haltung zeigte ihr Körper das harmonische Ebenmaß der reinsten Schönheitslinien. Ihr edles Gesicht, auf welchem noch der ganze Schmelz der kindlichen Reinheit und Frische lag, begann sich zu jener sinnlich-kräftigen Schönheit der flämischen Frau zu entwickeln, ihre vollen, schwellenden, roten Lippen schienen sich durstig der Lebensfreude zu öffnen, aber auf ihrer Stirn und in ihren perlmutterglänzenden Augen mit tiefdunklen Sternen lag jene süßduftige, poetische Träumerei, welche den Töchtern des Orients einen so wundersam bestrickenden Reiz verleiht. Während ihre Lippen dem sinnlichen Leben entgegenschwellten, schienen ihre Augen unter dem Schatten der schwarzen Wimpern hervor träumend, fragend und sehnend in die fernen Wolkenfernen zu schauen. Ihr reiches, schwarzes Haar hing in breiten Flechten über den schlanken Nacken herab und umhüllte in zarten Wellenlinien ihre weiße, edle Stirn. Das malerische Kostüm des Landes, das weite, bunt ausgelegte weiße Hemd mit den aufgestreiften Ärmeln, die bunten Schürzenbänder und die glänzenden gestickten Schuhe, welche den zierlichen Fuß einschlossen, das alles trug dazu bei, die eigentümliche Schönheit des Mädchens noch reizvoller zu machen, und diese Tochter des kleinen, unbekannten bulgarischen Dorfes hätte unter den ersten und am meisten bewunderten Schönheiten der großen Welt siegreich ihren Platz behauptet.

Unter den Bauern von Muschina war seit mehreren Jahren der junge Pawjel Fjodorew der lebhafteste und unversöhnlichste Feind Theofil Leonews gewesen. Pawjel Fjodorew besaß nach Leonew den schönsten und reichsten Hof in Muschina; er hatte als einziger Sohn seinen Vater schon im Alter von zwanzig Jahren verloren und dessen Besitz angetreten. Sein Haus war geräumig und wohl eingerichtet; kräftige Pferde und Ochsen standen in seinen Ställen, seine Wiesen dehnten sich weit am Ufer des Flusses aus. Seine Stimme galt im Rat der Gemeinde, denn wenn man ihm auch vielleicht hier und da seinen Besitz beneiden mochte, so gewann er doch durch seine liebenswürdige Freundlichkeit und seine offene Heiterkeit alle Herzen, und wußte nötigenfalls auch mit kühner Entschlossenheit und gebieterischer Überlegenheit seinem Willen Nachdruck zu geben.

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