Die Schriften über den Heiligen Martinus

Die Schriften über den Heiligen Martinus – Sulpicius Severus

Sulpicius Severus war ein kirchlicher Schreiber, geboren von adligen Eltern in Aquitanien um 360; gestorben um 420-25. Die spärlichen Informationen, die wir über sein Leben besitzen, stammen hauptsächlich aus den Schriften seiner Freunde Paulinus von Nola und Gennadius. Er genoss eine ausgezeichnete Ausbildung, studierte Rechtswissenschaften und war als wortgewandter Jurist bekannt. Im Mittelalter sehr populär waren seine “Schriften über den Heiligen Martinus.” Dieses Werk trug viel zu dem großen Ansehen bei, das dieser wundertätige Heilige während dieses gesamten Zeitalters genoss. Das Buch ist eigentlich keine Biographie, sondern ein Katalog von Wundern, die in der ganzen Einfachheit des absoluten Glaubens erzählt werden. Die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, steht in direktem Verhältnis zur Heiligkeit und wird von Severus lediglich als Beweis für die Heiligkeit gewertet, die seiner Überzeugung nach nur durch ein Leben in Abgeschiedenheit von der Welt erreicht werden kann.

Die Schriften über den Heiligen Martinus

Die Schriften über den Heiligen Martinus.

Format: eBook/Taschenbuch

Die Schriften über den Heiligen Martinus.

ISBN eBook: 9783849660871

ISBN Taschenbuch: 9783849667597

 

Auszug aus dem Text:

Leben des heiligen Bekennerbischofs Martinus von Tours (Vita sancti Martini)

Prolog

An Desiderius, meinen geliebten Bruder, Severus.

Liebtrauter Bruder, ich hatte mir allerdings vorgenommen, mein Büchlein über das Leben des hl. Martinus in der ersten Niederschrift zu belassen und innerhalb der vier Wände meines Hauses zu behalten. Bei meinem etwas empfindsamen Gemüte wollte ich dem Urteile der Menschen aus dem Wege gehen, wollte nicht, wie ich es befürchten mußte, durch meine weniger feine Ausdrucksweise das Mißbehagen der Leser wachrufen und mir von allen berechtigten Tadel zuziehen, daß ich mich allzu kühn an einen Stoff gemacht habe, an den sich eigentlich nur gewandte Schriftsteller wagen dürften. Allein ich konnte deiner so oft wiederholten Bitte nicht widerstehen. Welches Opfer würde ich nicht der Liebe zu dir bringen, selbst auf die Gefahr hin, meiner Ehre nahezutreten? Ich liefere dir nun das Büchlein aus in der festen Zuversicht, du werdest keinem Menschen etwas davon verlauten lassen. So hast du es ja feierlich versprochen. Allein ich fürchte, du möchtest dem Buche zur Türe werden, und ist es einmal draußen, so kann man es nicht mehr zurückrufen1 . Kommt es so und solltest du sehen, daß das Buch manche Leser findet, so tu mir den Gefallen und bitte sie, sie möchten mehr auf den Inhalt als auf die Form achten; sie möchten es mit Gleichmut über sich ergehen lassen, wenn etwa ein fehlerhafter Ausdruck an ihr Ohr dringen sollte. Das Reich Gottes besteht ja doch nicht in schön gefeilter Rede2 , sondern im Glauben. Sie sollten auch bedenken, daß schlichte Fischer3 der Welt das Evangelium verkündet haben, nicht geschulte Redner, wenngleich es Gott, wäre es von Nutzen gewesen, auch so hätte fügen können. Ich hielt es eben für unrecht, die Tugenden eines solchen Mannes im verborgenen zu lassen. Deshalb war ich mir, sobald ich mich zum Schreiben entschlossen hatte4 , darüber klar, selbst vor Verstößen gegen die Grammatik dürfe ich nicht zurückschrecken. Ich habe mir ja in dieser Kunst nie besondere Fertigkeit erworben. Was ich mir aber vielleicht durch derlei Studien dereinst notdürftig angeeignet, das habe ich während so langer Zeit aus Mangel an Übung gänzlich verlernt. Damit uns jedoch eine so lästige Rechtfertigung erspart bleibe, soll das Büchlein, wenn du damit einverstanden bist, ohne Namen des Verfassers erscheinen. Um das zu ermöglichen, tilge den Titel an der Spitze. Das Titelblatt soll stumm bleiben, oder doch nur vom Inhalte — das genügt —, nicht aber vom Verfasser reden.

1.

Manche5 , die ganz in Wissenschaft und eitlem Weltruhm aufgingen, vermeinten dadurch, daß sie das Leben berühmter Männer mit ihrer Feder verherrlichten, unvergängliches Andenken für ihren Namen zu erringen. Dieses Bestreben brachte ihnen aber die erwarteten Lorbeeren nicht dauernd, sondern nur für kurze Zeit. Allerdings sorgten sie so, wenn auch nicht bleibend, für ihren Nachruhm und riefen damit auch bei den Lesern durch das Beispiel der großen Männer nicht geringen Wetteifer wach. Indes diese ihre geschäftige Sorge trug nichts ein für das selige Leben in der Ewigkeit. Was nützte ihnen denn auch der Ruhm, den sie mit ihren Schriften ernteten, da er ja mit der Welt vergehen wird? Was hat die Nachwelt davon, wenn sie von den Kämpfen Hektors und den philosophischen Disputationen des Sokrates liest? Ist es doch nicht bloß Torheit, sie nachzuahmen, sondern schon ein Zeichen von Unverstand, ihre entschiedene Bekämpfung zu unterlassen. Sie messen ja das menschliche Leben nur mit dem Maßstab der Gegenwart, setzen ihre Hoffnung auf Trugbilder und stürzen ihre Seele ins Grab. Sie vermeinten sich bloß im Andenken der Menschen verewigen zu müssen, und doch ist es Aufgabe des Menschen, eher ewiges Leben als ewiges Andenken zu erstreben, nicht durch Schriftstellern oder durch Heldenkämpfe oder Philosophenunterredungen, sondern durch ein frommes, heiliges, gottgefälliges Leben. Dieser menschliche Irrtum hat, einmal zu Papier gekommen, mächtig um sich gegriffen, und jetzt gibt es gar viele leidenschaftliche Anhänger der eitlen Philosophie oder dieses törichten Heldentums. Darum glaube ich ein lohnendes Werk6 in Angriff zu nehmen, wenn ich das Leben des gar heiligen Mannes beschreibe, das andern bald zum Vorbild dienen soll. Die Leser sollen dadurch zu weiser Lebensführung, zu himmlischem Kriegsdienst und göttlichem Tugendstreben kräftig angespornt werden. Hierbei rechne ich auch auf meinen eigenen Vorteil7 ; ich erwarte aber nicht vergängliches Andenken bei den Menschen, sondern ewige Belohnung bei Gott. Denn wenn ich gleich selbst kein vorbildliches Leben geführt habe, trug ich doch Sorge, daß ein nachahmenswertes Leben nicht im verborgenen blieb. So will ich damit beginnen, das Leben des hl. Martinus zu erzählen, sein Leben vor seiner Erwählung zum Bischof, wie als Bischof zu beschreiben. Allerdings konnte ich nicht alle Einzelheiten aus seinem Leben in Erfahrung bringen; denn das, wobei er allein Zeuge war, entzieht sich unserer Kenntnis; er suchte ja nie Menschenlob; und, wäre es auf ihn angekommen, er hätte alle seine Wunderwerke verborgen. Indes, ich habe auch von dem, was zu meiner Kenntnis gekommen ist, manches übergangen, da ich glaubte, es sei genug, wenn nur das Wichtigere aufgezeichnet werde. Ich mußte zugleich auch auf die Leser Rücksicht nehmen, damit sie die Stoffülle nicht langweile. An meine Leser richte ich aber die Bitte, sie möchten meiner Erzählung Glauben schenken und davon überzeugt sein, daß ich nur Sicheres und Zuverlässiges niedergeschrieben habe; andernfalls hätte ich es vorgezogen, zu schweigen, statt Unsicheres zu berichten.

2.

Martinus stammte aus Sabaria8 , einer Stadt in Pannonien. Er wuchs in Italien zu Ticinum9 auf. Seine Eltern waren nach ihrer Stellung in der Welt von nicht geringem Rang, aber Heiden. Sein Vater war zuerst gewöhnlicher Soldat, dann Militärtribun. Martinus selbst ergriff in seiner Jugend das Waffenhandwerk und diente in der Gardereiterei10 unter Kaiser Constantius, dann unter Kaiser Julian. Jedoch nicht aus eigenem Antrieb. Denn schon von früh auf sehnte sich der edle Knabe in seiner Kindesunschuld mehr darnach, Gott allein zu dienen. Zehn Jahre alt, flüchtete er sich gegen den Willen der Eltern in die Kirche und verlangte Aufnahme unter die Katechumenen. In ganz wunderbarer Weise war er dem Dienste Gottes ergeben, und als er zwölf Jahre alt war, sehnte er sich nach der Einöde. Er hätte seinen Herzenswunsch auch ausgeführt, hätte es ihm die Zartheit seines Alters nicht unmöglich gemacht. Doch beschäftigte er sich immerfort mit dem Kloster oder mit der Kirche und sann schon im Knabenalter über das nach, was er später in heiligem Eifer zur Ausführung brachte.

Nach einer kaiserlichen Verordnung11 mußten die Söhne der Veteranen zum Kriegsdienst herangezogen werden. Deshalb meldete ihn, da er fünfzehn Jahre alt war, sein Vater an; denn es mißfiel diesem ein so glücklicher Wandel12 . Martinus wurde festgenommen, gefesselt und zum Fahneneid13 gezwungen. Er gab sich zufrieden mit einem Diener14 als Begleitung. Indes gar oft vertauschte er die Rollen, und der Herr bediente seinen Diener; er zog ihm nämlich meist selbst die Schuhe aus und reinigte sie; sie aßen miteinander, wobei Martinus jedoch des öfteren aufwartete.

Etwa drei Jahre lang diente er vor seiner Taufe beim Militär. Er hielt sich frei von den Lastern, in die sich die Soldatenwelt gewöhnlich verstricken läßt. Seine Güte gegen die Kameraden war groß, seine Liebe erstaunenswert, seine Geduld und Demut überstiegen alles Maß. Die Genügsamkeit braucht an ihm nicht gerühmt zu werden; sie war ihm in dem Maße eigen, daß man ihn schon damals eher für einen Mönch denn für einen Soldaten hätte halten können. Um dieser Eigenschaften willen hatte er sich die Herzen aller seiner Kameraden gewonnen, so daß sie ihn mit seltener Hochachtung verehrten. Obwohl er in Christus noch nicht wiedergeboren war, ließ sein edles Wirken doch darauf schließen, daß er vor der Taufe stehe. Er half bei schwerer Arbeit mit, unterstützte Arme, speiste Hungernde, kleidete Nackte, von seinem Kriegersold15 behielt er nur das für sich, was er für den täglichen Unterhalt brauchte. Er machte sich keine Sorge um den kommenden Tag16 , er war ja schon damals nicht taub gegen die Stimme des Evangeliums17 .

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