Dorfgänge

Dorfgänge – Ludwig Anzengruber

Dieser Band enthält Kurzgeschichten wie z.B. “Der gottüberlegene Jakob”, “Das Sündkind”, “Der Schatzgräber”, “Die Heimkehr” u.a. …

Dorfgänge

Dorfgänge.

Format: eBook.

Dorfgänge.

ISBN eBook: 9783849654665

 

Auszug aus “Der gottüberlegene Jakob”

Die Frühmesse war vorüber, die Leute drängten aus der Kirche, verloren sich auf verschiedenen Wegen nach ihren Gehöften, oder verhielten sich wohl auch plaudernd, in Gruppen, auf dem großen Platze. Im Gotteshause blieben nur diejenigen zurück, die ein besonderes Anliegen auf dem Herzen hatten.

In der letzten Kirchenbank saß, in eine Ecke gedrückt, ein gar schmächtiges Bäuerlein; der große Hut, der neben ihm auf dem Sitzbrette lag, sah danach aus, als könne er sich über das ganze Männchen stülpen, daß nichts hervorsähe als die Schuhspitzen. Durch eine Rosette aus farbigen Gläsern, oberhalb eines Seitenaltares, fiel ein Lichtstreif quer in das Schiff der Kirche und machte die Weste des Beters in brennendem Rot aufleuchten; ein paar tiefe Falten durchfuhren sie, wie sie so schlotterig über seiner eingesunkenen Brust herabhing, und von den kugeligen, bleiernen Knöpfen fehlte einer; bleierne mußten’s freilich sein, denn silberne auf einer »Armen-Leut’-Weste« haften nur an Spinnweben.

Jakob Wiesner hieß der Mann im Betstuhle. Er zeigte ein schmales, demütiges Gesichtchen, die Lider und Ränder der kleinen, beweglichen, grauen Augen waren gerötet und sahen wie verschwollen aus. Die Stirn war spitz, und über derselben hing ein dichter Schopf, der einer verkümmerten Locke glich: was sonst an Haaren gedieh, war vom Hinterhaupte nach vorn gebürstet, aber es waren ihrer nicht so viele, um den kahlen Wirbel verdecken zu können. Zwischen den Fingern hielt der Wiesner Jakob einen Rosenkranz, und sooft er mit einem Vaterunser zu Ende kam, wo andere Christen beten: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel«, murmelte er regelmäßig: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern mach mir meine kranke Kuh wieder gesund. Amen!«

Eine kranke Kuh ist eben auch ein Übel.

Vor der Kirche aber inmitten der größten Gruppe, zu der sich Landsleute von nah und fern versammelt hatten, da sprach nur einer: man hörte ihm andächtig zu, ließ sich abfragen, was er wissen wollte, und gab ihm aus Respekt nur kurze Reden, denn es war der reiche Fehringer. Ja, der kann leicht wohlgemut außer der Kirche stehen, der hat keine kranke Kuh daheim, sondern etwa fünfzig gesunde im Stalle, und würd’ ihm auch eine krank, deswegen bemüht er unsern Herrgott gar nicht, sondern schickt zum Kurschmied, und soll sie ihm trotzdem verenden, so schreckt ihn auch der Wasenmeister nicht, wenn er ihm ins Haus kommt!

Ja, der Fehringer ist der Reichste, und dafür gibt er sich auch. Was alle Welt von einem weiß, das bleibt ihm selber doch nicht verborgen, und es steht jedem wohl an, wenn er weiß, wer er ist. Er war aber auch leutselig, der reiche Fehringer. Wenn er seinen Spaß hatte mit jemand, den er gut leiden mochte, so stieß er den mit der lockeren Faust in die Seite und klatschte sich dann mit der flachen Hand auf den eigenen Wanst. »So sag’ ich. Nun lacht!« Da lachte er, und die andern lachten mit.

Das Rosenkranzgebet ist eine fromme Übung, wobei man ein gut Stück Zeit dem lieben Himmel opfert, vorausgesetzt, daß man überhaupt sonst etwas zu verrichten hat, aber über Schwätzen und Abhandeln, Abfragen und Zutragen, Anbieten und Abhandeln kann man sich wohl eben so lange verhalten: so geschah es, daß der Wiesner Jakob seinen Rosenkranz abgebetet hatte und über den Platz daherkam, als der Fehringer just auf sein Wägelchen steigen wollte. Wie der reiche Bauer des Alten ansichtig wurde, blieb er mit einem Fuße auf der Erde, mit dem andern stand er schon auf der Radnabe, um sich auf den Kutschbock zu schwingen.

»Na. Stiegelsteiger«, sagte er, »was ist’s? Werden wir nie handelseins werden? Was macht die braune Lies’l?«

Es war das die einzige Kuh Wiesners.

»Dank’ der Nachfrag’, uns allzusamm’ geht’s gut!«

»Ist recht. Aber die Lies’l mußt mir doch noch einmal verkaufen. Die ist ganz braun und hat einen weißen Stern auf der Stirn, akkurat so hab’ ich eine schwarze daheim, da mit dem weißen Tupfen« – er wies dabei die Stelle an seiner eigenen Stirn, und zwar mit so anschaulicher, dazwischen deutender Gebärde, als respektiere er auch da Hörner zu beiden Seiten –, »die zwei möcht’ ich nebeneinander sehen, überleg’s. Was ich schon einmal ausgesprochen hab’, leg’ ich dir bar auf die Hand, sobald die Kuh in meinem Stall steht. Magst sie heut oder morgen oder ein andermal hinführen, das gilt mir gleich.«

Er schlug an seinen Geldgurt. Der Wiesner Jakob lachte einfältig, wie eben ein Bauer, wenn er nicht ja oder nein sagen will, und wie er noch immer getan, wenn zwischen ihm und Fehringer die Rede auf die bewußte Kuh kam, und das geschah, sooft die beiden zusammentrafen: denn auch der Fehringer, als Bauer, meinte manches nicht oft genug sagen zu können, und geschäh’ es auch mit den nämlichen Worten.

Er stand noch abwartend. »Nun was?« fragte er.

Der Wiesner fuhr sich mit den dürren Fingern unter den Hut, kraute sich seinen Haarschopf und sagte langsam: »Es möcht’ schon wohl einmal sein können!«

»Ist auch recht.« Der Fehringer stieg auf und fuhr davon.

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