Wie ich es sehe

Wie ich es sehe – Peter Altenberg

Eines der bedeutendsten Werke des Wiener Autors, schwüle und schwere, teils feminine Kurzgeschichten aus dem Kaffehaus.

Wie ich es sehe

Wie ich es sehe.

Format: eBook.

Wie ich es sehe.

ISBN eBook: 9783849654672

 

Auszug aus “Seeufer”

Neun und elf

Margueritta stand nahe bei Ihm.

Sie lehnte sich an Ihn.

Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust.

Und doch war sie erst elf Jahre alt.

»Margueritta ist die Menschenfreundin« sagte die Mutter zu dem jungen Manne, »Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.«

»Wieso unglücklich – –?!« sagte das Kind, »ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!«

Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: »O, Rositta ist übertrieben –!« »Wieso?!« fragte die Schwester und erbleichte –. »Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Cither lernen!«

Rositta: »Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.«

Margueritta: »Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ›O, meine Berge, meine Berge – –!‹ Aber übertrieben ist sie doch – – –!«

Die Mutter sagte: »Das ist doch kein Lied: ›O meine Berge – –!?‹«

Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.

Margit sagte: »O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!«

Der junge Mann sagte: »Ja!«

Er dachte: »Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!«

Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.

Margueritta war die rosige Morgenröthe – – man konnte es nicht anders sagen.

Aber die Andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Cither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: »O meine Berge, meine Berge« – –?!

Es wurde Abend.

Er sass zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.

Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schooss und schlief ein – –.

Rosie sass da und blickte auf den See hinaus – – Beide weisse süsse Kinderseelen waren ihm zugeflogen.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter A, Altenberg-Peter, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.