Erzählungen

Erzählungen – Georg Engel

Dieser Band beinhaltet Erzählungen des bekannten “Störtebecker”-Autors, darunter “Der verbotene Rausch”, “Die verbotene Ehe”, “Das verbotene Stück”, “Christin-Dörthes Verlobung” u.a.

Erzählungen

Erzählungen.

Format: eBook

Erzählungen.

ISBN eBook: 9783849655174

 

 

Auszug aus dem Text:

Es war noch dunkel in dem kleinen Katenhause. Die Morgendämmerung stritt sich mit der Nacht. Fahle Schatten liefen über die Mauern wie graue Mäuschen, die aus dem Wesenlosen kommen und ins Wesenlose verschwinden.

Da drehte sich Martin Kriews, der ewig Arbeitslose, das erste Mal auf seinem rot und weiß gewürfelten Strohsack herum. Ein behagliches, erwachendes Grunzen wurde laut. Dann stieß er mit der Faust gemütlich, friedvoll nach dem benachbarten Strohsack herüber.

“Süßing,” gähnte er, “es is all wieder so’n schönen Tag. Die Sonne scheint. Kuck eins, ganz rot” – dabei starrte er in die webenden schwarzen Schatten hinein und hatte das Bewußtsein, daß die Sonne immer näher auf ihn zuschritte, mit einem kupferroten Gesicht, genau so wie die Frau des Gastwirts Krey, jene liebreiche Weiblichkeit, die ihm noch am Abend vorher einen kleinen Kübel des ganz neu gebrannten Kirsch- und Pfefferminzlikörs mit freundlichem Schwung in sein ungeheures Paßglas gegossen hatte.

Und was das “Allernüdlichste” war, an die Bezahlung hatte sie im Drang der Geschäfte wieder vollkommen vergessen.

“Süßing,” erzählte Martin Kriews unbeirrt zu dem bewegungslosen Strohsack herüber. “Sie liebt mir woll, Kreyen seine liebe Gattin. Sie lieben mir alle. Überhaupt, Sophiing, die Menschens auf der Welt sünd doch alle herzensgut. Ich sag’ dich, Sophiing, herzensgut sünd sie alle. Da bün ich gestern zum Beispiel an den Herrn Landrat von Pitak sein Fenster vorübergegangen. Da stand er und machte dich ein ganz bitter-böses Gesicht, weil ihm eine Flasche Rotspon, die er grade zu’s Frühstück trinken wollte, übergegangen war. Na, was war nu großes dabei? En bischen schimmlig geworden war sie. Weiter nix nich. Und was tut nu der hochgeborne edle Mann? Er reicht sie mich einfach zum Fenster heraus und sagt: “Kriews, ich will Sie auch was zukommen lassen. – Nu kuck mal, Sophiing, solche Edelmütigkeit.”

Stille.

An den Wänden liefen unbeirrt die grauen Mäuschen, und der zweite Strohsack verharrte im Schweigen.

Da drehte sich Martin Kriews beruhigt wieder um, biß in einen Zipfel des Bettlakens und murmelte vor sich hin: “Wenn ich bloß wüßt’, wer mich den feinen Hasenbraten in’n Mund geschoben hat? Hat das nu mein Sophiing getan? Oderst Frau Krey? Oderst der hochgeborne Landrat von Pitak, der so edelmütig is? Weiß der Deuwel, die Menschens sünd einmal zu liebe Geschöpfe.”

Und damit begann er wieder in ein merkwürdig melodienreiches Näseln zu verfallen.

Um sechs Uhr früh hatte sich der trübe Novembertag soweit gelichtet, daß die grauen Mäuschen an den Wänden sich nicht mehr sicher fühlten, sondern überallhin entflohen. Gerade zu Häupten von Martin Kriews, da, wo ein ungeheures Spinnennetz an der Decke schwankte, dorthin gerade entschwirrten sie mit leisem Gezirp. In diesem Augenblick klirrte unmerklich der zerbrochene Fensterflügel, der mit Stroh, Lappen und Pappe notdürftig geflickt war. Das kam aber nur daher, weil Wilhelm Pölk, der Bräutigam von Kriews einziger Tochter Helene sich verabschiedete, oder gerade gekommen war.

Genau konnte das der traumselige Vater nicht unterscheiden, es war überhaupt ein Ding, das sich nicht so leicht feststellen ließ.

Da richtete sich Martin Kriews das zweite Mal auf. “Welch ein Glück, Sophiing,” hob er tief atmend an, “wenn zwei sich so lieb haben. Das is doch für en Elternpaar das allerglücklichste und allererhabenste. Mutting, kuck dich bloß das rote Gesicht von Wilhelmen an. Ich sag’ dich, es strahlt nich vor Kälte oder von wegen die Frostbeulens, es glänzt vor Liebe. Mutting, mein Süßing, habe ich nich auch einst so vor deinem Fenster gestanden? Aber die Wahrheit die Ehre. Gegen dich is unsre Tochter Lening ein reines, weißes Talglicht. Gott, Süßing, was warst du doch für eine hoch erhabene Schönheit. Wie hübsch und mollig waren nich alle deine Weiblichkeiten. Und wenn dich andere auch mit deine Hitzpückeln gebrütet haben – ne, ne, Sophiing, ich mein’ ja bloß – siehst du, denn waren die Pückeln für mich gerade was Absonderliches, was eben nich jede hatte. Denn was Besonderes muß der Mensch haben. Und seitdem, Mutting, büst du noch immer schöner geworden.”

Es hätte dem braven Kriews, dem ewig Arbeitslosen, doch einigermaßen auffallen können, daß auf alle diese Huldigungen stets nur ein sehr verdächtiges Räuspern antwortete. Aus dem Nebenstrohsack nämlich hatte sich inzwischen Frau Sophie Kriews herausgeschält, die eben noch von Martin besungen war, wie in Vorzeiten der blinde Sänger der Ilias seiner Königin von Sparta gehuldigt hatte. Und siehe, man mußte beim Anblick der so hoch Gepriesenen zugeben, daß Kriews, der Gatte, ein ungewöhnlich zufriedenes und selbstloses Gemüt besitze. Denn Frau Sophie, die Tagelöhnerfrau, welche bei der ständigen Behinderung ihres Gatten für diesen alle äußeren Geschäfte, wie Kartoffellesen, Strohsammeln, Holzfuhren und Hofarbeit verrichtete, Frau Sophie hatte tatsächlich gar zuviel “Besonderes” an sich. Die “o”förmige Gestaltung ihrer Pedale, nun ja, sie rührte von dem ewigen Bücken beim Kartoffellesen her. Sie war also zu entschuldigen. Warum sie jedoch an der linken Schulter mit einem Auswuchs geschmückt war, das hatte allein der liebe Gott bei ihrer Erschaffung zu verantworten und konnte schließlich von Martin als eine kleine pikante Unregelmäßigkeit angesehen werden. Was indessen seiner Vorurteilslosigkeit das entschiedenste Denkmal setzte, das waren die Teintverhältnisse von Frau Sophie. Denn es muß leider eingestanden werden, daß sie unzählige Hitz- und Frostbeulen auf ihren Wangen beherbergte, die infolge dieser Invasion die revolutionären Farben Frankreichs angenommen hatten, nämlich blau, weiß und rot. Und wahrlich, um dies zu übersehen, dazu gehörte in der Tat der ungeheuer glückliche Idealismus von Martin Kriews, dem ewig Arbeitslosen. – – – – – – – – –

Sie saßen an dem wackligen Birkentisch und tranken das, was Frau Sophie, wieder mit ihrem verdächtigen Räuspern, “Kaffee” genannt hatte. Martin, leicht geschürzt, in wollenen Untergewandungen, Frau Sophie voll gerüstet zur täglichen Arbeit, eine Spitzhacke in der Hand.

Da entspann sich zwischen den Gatten folgendes Abschiedsgespräch:

“Sophiing, du gehst nu?”

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter E, Engel-Georg, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.