Essentielle Schriften, Band 1

Essentielle Schriften, Band 1 – Ephräm der Syrer

Ephräm der Syrer war ein bedeutender christlicher Theologe und Schriftsteller, der als einer der bedeutendsten Hymnographen des östlichen Christentums verehrt wird. Er wurde in Nisibis geboren, diente als Diakon und lebte später in Edessa. Ephräm wird von allen traditionellen Kirchen als Heiliger verehrt, ganz besonders im syrischen Christentum, und gilt auch in der orthodoxen Ostkirche als ehrwürdiger Vater. In der römisch-katholischen Kirche wurde er 1920 zum Doktor der Kirche erklärt. Er schrieb eine Vielzahl von Hymnen, Gedichten und Predigten in Versen sowie Prosa-Exegesen. Es waren Werke der praktischen Theologie zur Erbauung der Kirche in unruhigen Zeiten. Seine Schriften waren so populär, dass christliche Autoren noch Jahrhunderte nach seinem Tod Hunderte von pseudepigraphischen Werken in seinem Namen schrieben. Er wird als der bedeutendste aller Väter der syrischsprachigen Kirchentradition bezeichnet. Dies ist Band eins von zwei seiner wichtigsten Schriften.

Essentielle Schriften, Band 1

Essentielle Schriften, Band 1.

Format: eBook/Taschenbuch

Essentielle Schriften, Band 1

ISBN eBook: 9783849660321

ISBN Taschenbuch: 9783849668204

 

Auszug aus dem Text:

 

Drei Reden über den Glauben

Vorbemerkung

 Die drei Reden über den Glauben stehen in der römischen Ausgabe im III. syrisch-lateinischen Bande, Seite 164-208, unmittelbar nach den Reden gegen die Grübler [Adversus scrutatores]. Wie diese richten sie sich vor allem gegen die Spekulation der Arianer, genauer der Aëtianer und Eunomianer. Beide können denselben Autor haben. Aber während die Echtheit des Zyklus gegen die Grübler durch mehrere Handschriften des sechsten Jahrhunderts [Codd. vat. 111 u. 113, Cod. Mus. Brit. 12 176] gewährleistet wird, nennt nur eine späte Handschrift Cod. vat. 117 [zwölftes Jahrh.], eben die Vorlage der editio princeps, Ephräm als den Verfasser der Trilogie über den Glauben. Daß beide Schriften einander nahe stehen, wird man nicht leugnen können, und wenn der historische Abschnitt der dritten Rede Nr. 15-18, der in die Zeit Ephräms weist, gleichzeitig mit den übrigen Teilen entstanden ist, dann wäre die Urheberschaft Ephräms auch für die Trilogie wohl gesichert, zumal der historische Abschnitt mit den Carmina Nisibena 1 verwandt zu sein scheint. Wir müssen allerdings die Möglichkeit im Auge behalten, daß auch hier wie anderwärts eine spätere Hand disjecta membra poëtae zu einem neuen Gebilde zusammengefügt und uns so vielleicht gerade in dem fraglichen historischen Abschnitte eines der vermißten nisibenischen Lieder erhalten haben könnte.

Bevor ich auf die Frage nach der genaueren Datierung des historischen Passus und damit sehr wahrscheinlich auch der ganzen Trilogie weiter eingehe, will ich die Inhaltsangabe vorausschicken. Ich lasse dabei meinem Vorgänger um so lieber das Wort, als er mit derselben zugleich einen Datierungsversuch verbindet, der die betreffenden Anhaltspunkte herausstellt 2.

„Die erste Rede beginnt mit einem Ausrufe der Verwunderung über die Verwegenheit menschlichen Wahnes, die Geheimnisse Gottes zu erfassen, da der Schöpfer vom menschlichen Geiste, dem schon in den Geschöpfen so vieles unbegreiflich sei, in seinem Wesen und Wirken nie begriffen werden könne. Ephräm weist sowohl die Unmöglichkeit nach, Gottes Wesen zu ergründen, als auch die Vermessenheit, es ergründen zu wollen [1-37]. Im Verlaufe der Rede kommt er auch auf den Glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes zu sprechen und verteidigt den Arianern gegenüber die orthodoxe Lehre, daß er eines Wesens mit dem Vater sei, unterschieden aber als Person. Dies sucht er einigermaßen durch das Gleichnis vom Baume und der Frucht begreiflich zu machen. Beide sind eines, und doch ist der Baum nicht Frucht und die Frucht nicht Baum. Die Frucht wird vom Baume getrennt, der Vater und Sohn sind aber unzertrennlich eins [12. 33-36]. Anstatt der vorwitzigen Grübelei empfiehlt er, Gottes Werke zu bewundern, seine Gaben mit Dank zu genießen, über seine Gebote und ihre rechte Beobachtung ernstlich nachzudenken and den Beispielen der Gerechten, besonders Abrahams, zu folgen [38-39]. Die Erinnerung an die Gebote Gottes dient ihm zur Veranlassung, von Gottes weisester Vorsehung zu sprechen, die für verschiedene Zeiten und Bedürfnisse verschiedene Gebote und Mittel gegen verschiedene Krankheiten gegeben habe. Die jüdischen Gesetze haben, weil nur für eine gewisse Zeit bestimmt, nach Erreichung ihres Zweckes aufgehört, z. B. der Sabbat, die Beschneidung u.s.f.. An ihre Stelle sind die zwei großen Gebote der Liebe gekommen; anstatt des Fleisches soll der Christ die geistige Beschneidung des Herzens üben [40-47]. Weil er Meldung von den jüdischen Gesetzen getan, verbindet er damit eine scharfe Polemik gegen die Verstocktheit der Juden und warnt vor ihrem Pharisäismus; Grübelei und Judentum seien als gleich gefährlich und verderblich zu verwerfen. [48-53]. Die Rede schließt mit einer Ermunterung zum Kampfe gegen den bösen Feind [53-54]. Soviel über den Hauptinhalt der ersten großen Rede.“

„In der zweiten viel kürzeren Rede spricht Ephräm zuerst auf schöne Weise seine demütige Furcht aus, Gott forschend zu nahen, weil er gerade dadurch sich von ihm entfernen würde, und doch treibt ihn Liebe in die Nähe des Geliebten. ,Nahen wir ihm nicht [vorwitzig], um uns nicht zu entfernen; entfernen wir uns nicht, um nicht verloren zu gehen!’ [1]. Nach diesem schönen Eingange geht er wieder auf den Nachweis über, welche Anmaßung im Grübeln des Menschen über Gottes Wesen liege; der Sohn des Staubes soll vor allem sich selbst kennen lernen, aber sich nicht an seinen Schöpfer wagen, den er doch nie ergründen kann [1].Wie Gottes Wesen unbegreiflich ist, ebenso auch die Zeugung des ewigen Sohnes und das Ausgehen des Hl. Geistes. In dieser Rede spricht der hl. Vater also von der allerheiligsten Dreifaltigkeit, während er in der ersten den Arianern gegenüber nur von der Gottheit des Sohnes gesprochen. Die Glaubenswahrheit, daß in der einen Gottheit drei Personen seien, geht nach Ephräms Ausspruch schon aus den drei Namen Vater, Sohn und Geist hervor. Entschieden klar ist die Stelle: ,Wenn du zwar ihre Namen bekennst, die Personen aber leugnest, so bist du nur dem Namen nach ein Anbeter, in der Tat aber ein Ungläubiger’ [2]…. Die Trinität darf weder geleugnet noch kann sie begriffen werden; sie ergründen wollen, ist ebensoviel als sich aufs Meer begeben und Schiffbruch leiden [3-6]. Anstatt über die göttlichen Personen verwegen zu grübeln, soll der Mensch die von ihnen gegebenen Gnaden zu seinem Heile benützen und [wie in der vorigen Rede schon gelehrt ward] die göttlichen Gebote genau kennen lernen und sein Leben danach einrichten [5]. Für das Dogma der Trinität ist diese ganze Rede wichtig.“

„Die dritte Rede endlich ist vor den zwei andern dadurch bedeutend, daß wir aus ihr die besondere Veranlassung dazu und die Zeit der Herausgabe entnehmen können. Ephräm bringt darin eine doppelte Klage vor, nämlich über kirchliche Streitigkeiten und über feindliche Einfälle als Strafe Gottes wegen jener Streitigkeiten. Assemani spricht in der Vorrede zum III. syr.-latein. Bande die Ansicht aus, es seien darunter die arianischen Verfolgungen unter K. Valens zu verstehen. Allerdings müssen unter den kirchlichen Streitigkeiten die durch den Arianismus und speziell durch Aëtius und Eunomius hervorgebrachten Verwirrungen verstanden werden; allein Ephräm spricht von Feinden die von Osten herkamen, vom Abführen der Gefangenen in das Land der Magier oder Feueranbeter und beschämt die Grübler über den Sohn Gottes durch die Bemerkung, daß die Feinde über die Sonne die sie verehren, nicht grübeln. Daraus erhellt meiner Meinung nach, daß Ephräm nicht bloß von den arianischen Verfolgungen, sondern auch von den verschiedenen Einfallen der Perser unter König Sapor II. spreche. Von diesen ist auch in einigen der von Dr. G. Bickell herausgegebenen Carmina Nisibena Ephräms die Rede 3. Wenn das Schisma in Edessa unter König Valens zu verstehen ist, dann schrieb Ephräm diese Reden erst gegen das Ende seines Lebens. Weil aber die feindlichen Einfalle als Strafe der kirchlichen Zerwürfnisse dargestellt werden, so wird auf frühere zurückgewiesen, und die Rede dürfte nicht erst gegen die Jahre 370-373, sondern etwa um die Jahre 359 oder 360 geschrieben sein; im Jahre 359 machte Sapor einen neuen Einfall.

Von den zwei andern Reden unterscheidet sich diese auch dadurch, daß der hl. Verfasser im Kampfe gegen die Grübelei und in der Darstellung der von Gott als Strafe dafür verhängten traurigen Kriegsereignisse [15-18] sich der Waffe der Ironie und Satyre sowohl als der Antithesen bedient.

Die übrigen Hauptpunkte der Rede sind ein glänzendes Lob der Wissenschaft und des Unterrichts [6], wiederholte Nachweisung der Unmöglichkeit, das Wesen Gottes und seines eingeborenen Sohnes zu begreifen, Preis der göttlichen Weisheit in Erschaffung der Welt, Warnungen an die Einfältigen und Gutgesinnten, sich durch die religiösen Streitigkeiten nicht beirren zu lassen. Die verwegenen Grübler über Christus werden durch das Beispiel der Heiden beschämt, die über ihre Gottheiten nicht grübeln [17]. Durch Grübelei würde selbst der Himmel zur Hölle [14]; die Kirche ist des Himmels Abbild, weshalb auch in ihr, wie oben, Einigkeit herrschen soll [14]. Endlich ermahnt er eindringlich dazu, die von Gott verhängten Strafen dankbar als Heilmittel anzunehmen und auf ernste, gründliche Besserung zu denken” [15-18] 4.

Zingerle hat ganz richtig gesehen, daß der historische Abschnitt der dritten Rede unter dem Eindrucke eines Einfalles der Perser und einer Belagerung der Stadt Nisibis entstanden ist. Aber für das Jahr 359, das Zingerle ins Auge faßt, ist zwar ein syrischer Feldzug des Perserkönigs Schapur [Sapor] II., 310-379, bezeugt, nicht aber, wenigstens nicht hinreichend 5, eine Belagerung von Nisibis. Anderseits dürften die Belagerungen von 338 und 346 für die in den drei Reden bekämpften Irrlehren des Aëtius und Eunomius etwas zu früh fallen. Wir werden daher in das Jahr 350 verwiesen. Für dieses Jahr ist eine Belagerung der Stadt Nisibis reichlichst bezeugt 6, und der hl. Ephräm schildert sie uns als Augenzeuge in den Carmina Nisibena [1-4, 11-13].

Bickell hat nach allen zu Gebote stehenden Berichten ein Bild dieser Belagerung zu entwerfen gesucht 7 Danach erschien 350 ein persisches Heer mit zahlreichen Elephanten vor der Stadt. Dieselbe wurde ringsum von einem hohen Damme eingeschlossen und zwischen Damm und Stadtmauer der Fluß Mygdonius geleitet. Dadurch wollten die Perser ein Doppeltes erreichen: der abflußlose Fluß sollte anschwellen und dadurch bemannte Schiffe bis zur Höhe der Stadtmauern emporheben, um so die Besatzung aus der Nähe angreifen zu können; ferner hoffte man, der Anprall der Wogen würde die Mauer an verschiedenen Stellen zu Falle bringen. Das geschah auch an einem Samstag zum Teil, aber auch der Damm der Perser wurde durchbrochen und die Umgebung der Stadt in einen Morast verwandelt, in dem die Soldaten und namentlich die Elephanten, auf welche man so viele Hoffnung gesetzt hatte, nicht oder nur mit großer Mühe vorwärts kommen konnten. Da die Bresche in der Stadtmauer noch in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag wieder ausgebessert worden war und zugleich Nachrichten über feindliche Einfälle in Persien angekommen waren, hoben die Perser am nächsten Tage [einem Sonntag] die Belagerang auf.

Vergleicht man mit dieser Schilderung den historischen Abschnitt der dritten Rede, so entdeckt man hinreichend Berührungspunkte, um konstatieren zu können, daß er mitten in den Nöten dieser Belagerung vom Jahre 350 verfaßt wurde und daß die Reden dazu dienen sollten, die Einwohner zur Umkehr und dadurch zur Rettung vor den Persern zu bringen.

Auch Bickell glaubt, daß diese Belagerung gemeint ist. Er schreibt 8: Sermo 3 de fide nonnunquam ad hanc obsessionem alludit. Commemorat hic tumulos terra exstructos. De іisdem loquitur Julianus, quando ait, Persas montem vicinum fere in urbem injecisse.

Es ist nicht ganz klar, wie Bickell das alludere versteht. Mir scheint der Dichter nicht bloß auf diese Belagerung wie auf etwas Vergangenes anspielen zu wollen, sondern mitten aus der Drangsal heraus zu schreiben. Wäre die Belagerung schon überstanden gewesen, dann hätte er wohl nicht versäumt, die wunderbare Rettung zu besingen.

Daß damals schon in Nisibis jene Form des Arianismus, welche die drei Reden bekämpfen, Verbreitung gefunden hatte, lehrt das gleichzeitige Carmen 3 9. Dasselbe beginnt mit einer Mahnung bezw. einem Tadel gegen das „Forschen” ganz in der Weise unserer Trilogie, wie auch Bickell S. 76 Anm. hervorhebt.

Als Resultat läßt sich wohl sagen: Es ist hohe Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß Ephräm der Dichter dieser drei Reden ist und daß er sie während der Belagerung von Nisibis 350 als Bußpredigten für seine Mitbürger und Leidensgenossen verfaßt hat.

Fußnoten

  1. S. Ephraemi Syri Carmina Nisibena additis prolegomenis et supplemento lexicorum syriacorum primus edidit, vertit, explicavit Dr. Gustavus Bickell, Lipsiae, F. A. Brockhaus, 1866.
  2. Die eingeklammerten Zahlen bezeichnen die Abschnitte meiner Übersetzung und sind von mir beigefügt.
  3. a.a.O. vgl. besonders Carm. 4 -12.
  4. Ausgewählte Schriften des hl. Ephräm von Syrien aus dem Syrischen und Griechischen übersetzt von P. Pius Zingerle, 1. Bd. Kempten 1870, S. 170-173 [Thalhofersche Bibliothek der Kirchenväter]
  5. Bickell a.a.O. S. 18
  6. a.a.O. S. 12 ff.
  7. a.a.O. S. 14 ff.
  8. Bickell a.a.O. S. 14 Anm. 1.
  9. a.a.O. S. 7 ff. bezw. 78 ff.

Erste Rede

1.

 Ich bin erstaunt darüber, nach welcher Höhe unsere Vermessenheit strebt. Nicht darüber bin ich erstaunt, daß sie dieselbe schon erreicht hätte, sondern darüber, daß sie wähnte, sie überhaupt erreichen zu können. Wenn nämlich jemand etwas zu erreichen wähnt, so hat er es noch lange nicht erreicht. Durch das bloße Meinen erreicht man nichts; freilich ist es sehr leicht, es zu meinen. Auch die Grübler meinten, ihr Ziel erreicht zu haben; aber dadurch, daß sie dies meinten, erreichten sie es doch nicht. Denn erhaben über jede Vernunft ist der Schöpfer aller Vernunftwesen. Unerforschlich ist er den Menschen und selbst den Engeln unbegreiflich. Das Geschöpf ist mit seiner Einsicht nicht imstande, über seinen Schöpfer zu sprechen, vermag es ja nicht, einmal zu sagen, wie es selbst gebildet wurde. Begreift es nun seine eigene Entstehung nicht, wie könnte es imstande sein, seinen Schöpfer zu begreifen? Der Verstand vermag nicht, die große Höhe seines Schöpfers zu erreichen, weit unter jener Höhe bleibt die Forschung der Forscher.

2.

Sie mühen sich ab, Analogien für den zu finden, der nur Einem gleich ist. Sie alle gehen in seiner Erkenntnis fehl; nur er allein kennt sich. Er ist nicht gleicher Abkunft mit den Erschaffenen, daß sie ihn wie einen ihresgleichen erforschen könnten. Er ist nicht gleichen Geschlechts mit den [aus Erde] Geformten, daß der Mensch sein Wesen erklären könnte. Selbst mit den Wächtern [d. i. Engeln] 1 ist er nicht verwandt, daß sie ihn wie einen der Ihrigen untersuchen könnten. Er ist nicht ein Genosse der Cherubim; denn diese tragen ihn als ihren Herrn. Er schwebt nicht unter den Seraphim; denn sein Ehrenplatz ist zur Rechten [des Vaters]. Zu den Dienstengeln gehört er nicht; denn sie  dienen ihm wie seinem Vater. Alle Mächte des Himmels erhalten von ihm Befehle, sie können den Vater nicht schauen ohne den gebietenden Erstgeborenen; denn ohne ihn wurden sie bei ihrer Erschaffung auch nicht gebildet.

   …

Dieser Beitrag wurde unter Die Schriften der Kirchenväter veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.