Essentielle Schriften, Band 2

Essentielle Schriften, Band 2 – Fritz Binde

Der 1921 in der Nähe von Basel verstorbene Fritz Binde war Prediger der Gemeinschaftsbewegung und freier Evangelist. In diesem zweiten von zwei Bänden finden sich einige seiner wichtigsten Schriften.

Essentielle Schriften, Band 2

Essentielle Schriften, Band 2.

Format: Paperback, eBook

Essentielle Schriften, Band 2.

ISBN: 9783849665814 (Paperback)
ISBN: 9783849662325  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Schicke dich an, deinem Gott zu begegnen!

Amos 4,12

Das ist ein Aufruf des alttestamentlichen Ziegenhirten von Tekoa und Propheten Amos an das Volk Israel. Ein ganzes Volk wird aufgefordert, sich anzuschicken, seinem Gott zu begegnen. Solch ein Ruf ist noch nicht unmodern geworden. Er gilt heute noch den Völkern sowie den einzelnen, und er gilt auch dir!

Kann ein Volk, kann ein einzelner Mensch sich so weit von seinem Gott entfernen, daß es eines Rückrufes bedarf, um das Geschöpf wieder an seinen Schöpfer zu erinnern? Ja! „Ein Ochse“, sagt Jesaja, „kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn“ (Jes. 1,3); aber der Mensch kann von Gott weglaufen, wie selbstsüchtige, selbstsichere Kinder von ihrem Vater abfallen, der sie auferzogen hat. Aber nie kann ein Kind seinen Vater wirklich vergessen; es weiß, von wem die Rede ist, wenn das Wort „Vater“ erklingt. Und auch nie kann der Mensch seinen Gott ganz vergessen; er weiß, von wem die Rede ist, wenn das Wort erklingt. Aber der Mensch stellt sich, wenn auf Gott die Rede kommt, gern unwissend, als ob er nie etwas mit ihm zu tun gehabt hätte. Entweder spricht er von ihm als von einem abgetanen Schreckgötzen aus der Kinderstube der Menschheit, dessen man sich als Erwachsener schämt, oder er redet von ihm als von einer zukünftigen Entdeckung in der Gelehrtenstube, als von einem Problem, über das sich die Gelehrten noch nicht ganz einig sind und das einen vorläufig noch nichts angeht. Oder er redet von ihm, vom sogenannten „lieben Gott“, wie von einer selbstverständlich-gegenwärtigen Allerweltstatsache, die aber nicht mehr zu bedeuten hat als der zahnlose Großvater oben im Alterssitz, oder wie von einer selbstverständlich-gegenwärtigen Allerweltsmöglichkeit, die in den Dingen drinsitzt wie die Elektrizität oder das Radium. Oder er redet von ihm, als von dem Generalsündenbock, der an allem Unheil in der Welt schuld ist, und dem man in moralischer Entrüstung mit prometheischer (nach Prometheus, dem Titanensohn der griechischen Sage – himmelstürmend). Gebärde dreist die Rebellion ankündigen muß. Oder er redet überhaupt nicht von ihm, weil er sich’s nicht getraut oder auch weil er solches Reden gar nicht der Rede für wert hält. Was ist Gott? –: Lippen- und Achselzucken! Fertig.

Und doch, Menschenkind, gilt’s! „Schicke dich an, deinem Gott zu begegnen!“ Und du weißt ganz genau: Du brauchst zu dieser Begegnung weder erst das Studium einer wissenschaftlichen Bibliothek, noch Fernrohr und Mikroskop, noch brauchst du erst die Stiefel anzuziehen und den Hut aufzusetzen, um ihm zehn Meilen entgegenzulaufen. Denn siehe, ehe Gott in seinem Worte dich auffordert, ihm zu begegnen, hat er sich längst angeschickt, dir zu begegnen. Und davon wollen wir zunächst reden.

Zwar scheint es, Gott gehe am Leben vieler Menschen tatsächlich vorüber. Da ist ein Gottesleugner, gelehrt oder ungelehrt, ganz gleich. Er glaubt, ohne Gott fertig werden zu können. Vielleicht höhnt oder spottet er Gottes frech überlegen. Und siehe, kein Feuer fällt vom Himmel und verzehrt den Lästerer, kein Abgrund tut sich auf, ihn zu verschlingen. Seine Kinder haben rote Wangen, seine Anschläge gelingen, er lebt in Ehren und Besitz. Wo ist Gott? Tatsächlich, es scheint, Gott gehe am Leben ungezählter Menschen vorüber. Aber es scheint nur so. Jawohl, die Menschen lärmen und reden klug, und Gott hört zu und schweigt ganz stille. Das kann nur einer, der Macht hat, abwarten zu können, weil er weiß, daß er das letzte Wort haben wird. – Und das sei gleich gesagt: Gott schweigt still um Jesu willen. Im Hinblick auf den ewigen Bürgen Jesus Christus ist die Welt geschaffen (Joh. 1,1-3; 8,58; 10,30; Röm. 11,36; Kol. 1,16-17; 1. Petr. 1,20), und im Hinblick auf das Sühnopfer Jesu Christi ist die gefallene Welt mit Gott versöhnt, und er gibt Gnade zum Dasein der Menschen, daß sie dieses Dasein benützen möchten, die in Christus vollbrachte Versöhnung doch noch persönlich freiwillig anzunehmen (Joh. 3,16; 2. Kor. 5,19 und 21; Kol. 1,19-20). Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, daß Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf daß wir durch ihn leben möchten (1. Joh. 4,9). Das ist der Schlüssel zu Gottes Langmut und Schweigen. Jawohl, auch die so selbstsicheren Gottes- und Christusleugner werden noch getragen durch die Macht des Wortes und Opfers Christi, das sie so stolz ablehnen! Indes schickt sich Gott selbst an, ihnen zu begegnen, damit das ihnen in Christus geschenkte zeitliche Leben durch freie Entscheidung für Christus fruchtbar werde zum ewigen Leben.

I.

Das erste ist also:

Gott selbst schickt sich an, den Menschen zu begegnen. Sehen wir zu, wie er ihnen zu begegnen sucht.

Gott will dir zunächst begegnen in seinem Wort. Mit seiner Macht und Weisheit will er dir begegnen in der Natur, mit seinem Licht und seiner Liebe will er dir begegnen in seinem Wort, das heißt in der Bibel. Die Menschheit ist von der Höhe einer uranfänglichen Offenbarung Gottes, in der jedermann Kunde von ihm hatte, und von der alle Völker noch eine zertrümmerte, dunkle Erinnerung besitzen, heruntergesunken in die Gottentfremdung und Gottesferne des gefallenen Zustandes, der als Gesetz der Sünde und des Todes mehr und mehr durch alle Menschen hindurchgedrungen ist (Röm. 5,12). In der Bibel allein ist die reine Offenbarung Gottes bewahrt geblieben. Hätten wir nicht die Bibel, so wären wir dem Wuste und der Verzerrung aller heidnischen Gottvorstellungen preisgegeben und tatsächlich rat- und lichtlos in der Welt; denn so poetisch, ja sittlich diese Vorstellungen auch sein mögen, so sind sie doch nur Träumereien über eine verlorengegangene Wahrheit, aber kein erlösendes Wissen mehr von Gott.

Aber siehe, im Worte der Bibel, da will dir mittelbar Gott begegnen, da hast du es zu tun mit dem Worte, das er geredet hat in mancherlei Weise durch die Propheten und zuletzt durch seinen Sohn und die Apostel (Hebr. 1,1; 1. Thess. 2,13). Siehe, deshalb schweigt Gott jetzt, weil er zuletzt geredet durch den Sohn. Nun sollen die Menschen den Sohn und dessen Zeugen hören. Gott tritt schweigend zurück. Wer ihn hören will, höre auf das Wort seiner Zeugen. „Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes,“ sagt Jesus (Joh. 8,47). Also lautet jetzt die Frage: Hat dir Gott jemals begegnen können in seinem Wort? Das heißt, hörtest du jemals wahrhaft Gott, wenn du sein Wort hörtest?

Geschähe dies, wie anders sähe die Welt aus! Statt dessen kennst du die Bibel vielleicht auswendig, aber Gott konnte dir noch nicht ein einziges Mal aus ihr begegnen. – Ich kam einmal in das Haus eines stadtbekannten Wucherers. Über seinem Schreibtisch und neben seinem Geldschrank sah ich den Bibelspruch hängen: „Bis hierher hat Gott geholfen, Gott wird weiter helfen. “ Gewissermaßen unterm Lichte dieses Gotteswortes, ja, unter der Devise dieses Gotteswortes plante und verübte dieser Gauner und Halsabschneider seine himmelschreienden Betrügereien. Wie oft mag sein gewinnerspähendes Auge dies Wort gestreift haben; aber nicht ein einziges Mal konnte Gott diesem Sünder darin begegnen. Ich war damals noch kein Christ, sondern nur Sozialist, und ich kann nicht sagen, wie ekelhaft mir dieser, wie ich meinte, „christliche“ Spitzbube mitsamt seinem „Christentum“ vorkam, aber mir selbst konnte Gott aus jenem Spruch seines Wortes an der Wand auch nicht begegnen. – Ein andermal fand ich einen Betrunkenen im Chausseegraben liegen. Ich beugte mich zu ihm hinab und sagte: „Freund, Sie sind aber auf einem bösen Wege!“ „Ja“, lallte er, „auf dem Wege des Verderbens. “ Und was ich auch weiter sagen und fragen mochte, er ergänzte und beantwortete alles durch Bibelsprüche. Schließlich fand ich, er war ebenso voll Bibelsprüche, wie er voll Schnaps war. Und mit all den Gottesworten lag er trunken im Chausseegraben. – So sind die Wände der Wohnungen vieler Leute übersät mit Bibelsprüchen, und die dort wohnen, liegen welttrunken in tausend Sünden. Nie konnte ihnen Gott begegnen aus den Worten, mit denen sie fromm ihre Wände schmückten. – Und du sitzest hier oder in Kirchen – wer weiß zum wievielten Male – und hörst dich dumm und taub von Predigten und Ansprachen –: hat dir denn ein einziges Mal dein Gott in seinem Worte begegnen können? Man kann das Wort Gottes gewohnheitsmäßig hören und gewerbsmäßig predigen, man kann es auswendig wissen wie das Einmaleins, man kann es sogar ernstlich erforschen oder wissenschaftlich studieren – und doch vermag Gott nicht ein einziges Mal uns in seinem Worte zu begegnen. O, der Mensch ist ein so eitler, selbstgefällig-überlegener Patron! Er ist gepanzert mit pharisäischer Selbstgerechtigkeit oder sogenannter „objektiver Wissenschaftlichkeit“ oder stumpfsinniger Gewohnheit und träger Gleichgültigkeit; er weiß sich Gott vom Leibe zu halten auf eine geradezu erstaunliche Weise. Ja, ich staune heute über meine frühere Unempfindlichkeit dem so manchmal gehörten Worte Gottes gegenüber. Jahrelang wohnte ich einer täglichen Morgenandacht bei, und das Ergebnis war ein immer mehr satanisch gewordener Groll gegen Gott und sein Wort, bis mir endlich – viele Jahre später – Gott erschütternd gegenübertrat und meinen Weg so verzäunte, daß kein Entrinnen mehr möglich war.

Vielleicht ist das heute deine Lage. Dann, bitte, laß deinen Gott dir begegnen aus seinem Worte! Und sobald du seine Stimme hörst, verstocke dein Herz nicht, sondern gib Antwort: Herr, hier bin ich, was willst du, daß ich tun soll? Und dann wird sein Wort mit deiner Seele reden und dich zu Jesus führen können.

Doch nicht nur in seinem Worte, sondern auch in unseren Lebensverhältnissen will uns Gott begegnen. Zunächst durch seine Güte, mit der er unser irdisches Leben gesegnet hat. Daß du überhaupt lebst, daß du kein Krüppel, kein Idiot bist, daß du in einem Lande, wo man von Jesus hören kann und nicht in Zentralafrika geboren bist, daß du noch täglich die Luft zum Atmen, die Kraft zum Arbeiten, die Nahrungsmittel fürs Leben hattest, daß du vielleicht eine gute Erziehung genießen, lernen, streben und irgendwelchen Erfolg finden durftest, daß du ein braves Weib und blühende Kinder, Besitz aller Art, ja vielleicht sogar Überfluß dein nennen kannst, das alles und zahlloses mehr sind unverdiente Segnungen der Güte Gottes, von der Gottes Wort sagt: Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet? (Röm. 2,4). Denn siehe, mit all dieser Güte sucht dir dein Gott zu begegnen, daß du doch auf ihn aufmerksam und ihm dankbar untertan werden möchtest.

Aber gib acht, wie fremd das Geschöpf seinem Schöpfer geworden ist. Siehe, der sich so weise dünkende Mensch weiß nicht einmal, daß Gottes Güte ihn zur Buße leiten will. Vielmehr verachtet er den Reichtum der Güte, Geduld und Langmut Gottes mit störrigem Herzen, nimmt alle Segnungen als etwas Selbstverständliches, natürlich Gewordenes oder von ihm selbst Errungenes selbstzufrieden und doch immer unzufrieden, weil er nicht noch viel mehr hat, hin und denkt gar nicht daran, daß er einem Gott dafür zu danken hat. Kann die Notzeit des ichsicheren Menschen bezeichnender zum Ausdruck kommen? „Wenn ich nichts zu essen habe“, antwortete mir solch ein Ignorant, „Gott gibt mir gewiß nichts!“ Als ob er sich etwas zu essen verschaffen könnte, ohne daß ihm Gott zuvor Verstand, Gesundheit und Gelegenheit zur Arbeit gegeben hätte! Oder hast du dir deine Verstandeskräfte und ihre Entfaltung gegeben? Oder gibst du dir die täglichen Lebens- und Leibeskräfte? Nicht wahr, angesichts solcher Fragen ist es so bequem, von „Natur“, „Entwicklung“, „Verhältnissen“, „Glück“, „Schicksal“ zu reden; denn das sind lauter Worte, die den Menschen nicht persönlich verpflichten und denen er deshalb auch keinen Dank schuldet. Ja, gestehe es nur, das Gute deines Lebens dem Walten eines persönlichen Gottes zuzuschreiben und dich durch seine Güte zur Buße, das heißt zu einer Begegnung mit ihm hinleiten zu lassen, ach, das ist so unbequem, so verpflichtend, so lästig, so widerlich, so unerträglich für dein selbstsicheres Ich. Viel lieber spricht man als ein Tor in seinem Herzen: Es ist kein Gott! oder falls man an ihn glaubt, sucht man ihn abzuspeisen mit religiösen Opfern und Gebräuchen, wie ein „Wilder“ seinen Götzen abspeist, nur daß man dem lebendigen Gott nicht lebendig zu begegnen braucht; denn diese Begegnung würde einem das stolze Ichleben kosten. – Mache es nicht so! Übersieh einmal mit geöffneten Augen all das Gute, das dir dein Schöpfer in dein Leben hineingelegt hat, und laß ihn heute deiner Seele begegnen!

Dieser Beitrag wurde unter Religionen der Welt veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.