Pilgerreise zur seligen Ewigkeit

Pilgerreise zur seligen Ewigkeit – John Bunyan

“Die Pilgerreise zur seligen Ewigkeit” ist eine christliche Allegorie aus dem Jahr 1678 und gilt als eines der bedeutendsten theologischen Werke in der Literatur und als Vorläufer des erzählerischen Aspekts christlichen Medien. Der unwiderstehliche Reiz des Buches, das die Vorstellungskraft des Lesers mit der Handlung und der Szenerie eines Märchens beglückt, das seinen Einfallsreichtum anregt, indem es ihn dazu bringt, eine Vielzahl kurioser Analogien zu entdecken, das seine Gefühle für die Menschen interessiert, die verwundbarer sind als er selbst und mit Versuchungen von innen und außen kämpfen, das ihm jeden Augenblick ein Lächeln entlockt durch manchmal wunderliche und doch einfache Annehmlichkeite, und das dennoch in seinem Geist ein Gefühl der Ehrfurcht vor Gott und des Mitgefühls für den Menschen hinterläßt, wird bei jedem Leser seine Wirkung entfalten. Der vorliegende Text folgt der 1859 herausgegebenen Edition der Wuppertaler Traktatgesellschaft, wurde aber in den wichtigsten Worten und Begriffen soweit überarbeitet, dass diese der aktuell gültigen Rechtschreibung entsprechen. Darüber hinaus bietet das Buch über 500 erklärende Fußnoten.

Pilgerreise zur seligen Ewigkeit

Pilgerreise zur seligen Ewigkeit.

Format: Paperback, eBook

Pilgerreise zur seligen Ewigkeit.

ISBN: 9783849665821 (Paperback)
ISBN: 9783849662332 (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Erster Teil: Der Pilger.

Erstes Kapitel. Pilgers Angst, Flucht und Wegweiser.

Als ich durch die Wüste dieser Welt wanderte, kam ich an eine Stelle, wo eine Höhle[1] war. Hier legte ich mich nieder, um zu schlafen, und als ich schlief, hatte ich einen Traum. Mir träumte, und siehe ich sah einen Mann dastehen, der war gekleidet in schmutzige Lumpen, das Gesicht hatte er von seinem Hause weggewandt, ein Buch in der Hand und eine große Last auf dem Rücken.[2] Ich gab Acht und sah, dass er das Buch aufmachte und darin las. Und als er las, fing er an zu weinen und zu zittern, und da er sich nicht länger halten konnte, brach er in den Angstschrei aus: „Was soll ich tun?“[3]

In solchem Zustande ging er nach Hause und suchte die Angst seines Herzens, so lange wie er konnte, vor Weib und Kindern zu verbergen; da aber seine Unruhe zunahm, war es ihm nicht möglich, lange zu schweigen: deswegen schüttete er zuletzt sein Herz vor ihnen aus und sprach: O, liebe Frau und liebe Kinder, ich muss euch sagen, es ist vorbei mit nur, denn es liegt mir eine schwere Last auf, und überdem habe ich in gewisse Erfahrung gebracht, dass die Stadt[4], worin wir wohnen, durch Feuer vom Himmel verzehrt werden wird; bei dieser furchtbaren Zerstörung sollen wir aber Alle, ich, du liebe Frau und ihr meine süßen Kindlein, jämmerlich umkommen[5], es sei denn, dass wir einen Weg ausfindig machten, auf dem wir dem Verderben entrinnen könnten, aber ich weiß keinen.

Durch diese Äußerungen wurden die Seinigen in schmerzliche Bestürzung versetzt, aber nicht darum, weil sie glaubten, dass das, was er ihnen gesagt, wahr sei, sondern weil sie meinten, dass er verwirrt im Kopfe geworden. Sie hofften indessen, dass der Schlaf seine Sinne wieder in Ruhe bringen werde, und suchten ihn daher, indem gerade die Nacht kam, in aller Eile zu Bette zu bringen. allem die Nacht war nicht minder beunruhigend für ihn wie der Tag, und so brachte er sie, statt mit Schlafen, nur mit Seufzen und Weinen hin. Als die Seinigen ihn anderen morgens fragten, wie es ihm gehe? sagte er: es wird nur schlimmer und schlimmer! Auch fing er wieder an zu ihnen zu reden, wie Tags vorher; aber er predigte tauben Ohren. Nun nahmen sie sich vor, seine Seelenangst durch ein barsches und finsteres Benehmen gegen ihn zu vertreiben, und so kam es denn, dass sie ihn bald zum Gespött machten, bald ausschalten und bald sich gar nicht um ihn bekümmerten. Daher zog er sich in sein Kämmerlein zurück, wo er voll Mitleid für die Seinigen betete und sein eigenes Elend, beklagte; zuweilen ging er auch einsam hinaus ins Feld, und las oder betete: auf diese Weise brachte er einige Tage seine Zeit zu. Als ich ihn so eines Tages im Felde umhergehen und seiner Gewohnheit nach in seinem Buche lesen sah, bemerkte ich, dass er sehr bekümmert ward, dabei rief er oft wie früher aus: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“

Hierauf sah ich, wie er bald auf diesen, bald auf jenen Weg hinblickte, als hätte er davonlaufen wollen, indessen blieb er dennoch stehen, denn (ich merkte) er war ungewiss, welchen Weg er wählen sollte. Endlich sah ich einen Mann, namens Evangelist, auf Ihn zukommen, der fragte ihn: „Warum schreiest du so?“ Er antwortete: Ach, lieber Herr! aus dem Buche, was ich hier habe, sehe ich, dass ich verurteilt bin zu sterben, danach aber in das Gericht zu kommen; indessen finde ich, dass ich weder zu dem einen willig, noch zu dem anderen geschickt bin.[6] Da sagte Evangelist: Wie? du bist nicht willig zu sterben, da doch das Leben mit so viel Übel und Plagen verbunden ist? Ja, antwortete der Mann, ich fürchte aber, dass die Last, die ich auf dem Rücken habe, mich noch tiefer hinabdrücken werde, als in das Grab, dass ich in die Hölle hinunterfalle.[7] Bin ich, nun nicht geschickt ins Gefängnis zu gehen, so bin ich auch nicht geschickt ins Gericht zu treten und danach die Strafe auszustehen. Das sind die Gedanken, die machen, dass ich so ängstlich rufen muss. Ist es so mit dir, sagte Evangelist, wie kommt es dann, dass du noch stille stehest? Ach, erwiderte er, weil ich nicht weiß, wo ich hingehen soll. Da zeigte Evangelist, wie geschrieben steht in dem Buche: „Entrinnet dem zukünftigen Zorn.“[8] Als der Mann diese Worte gelesen hatte, sah er betrübt Evangelist an und fragte: Wo soll ich denn hin fliehen? Hierauf sagte Evangelist, indem er mit seinem Finger über ein weites, weites Feld hinzeigte, siehst du dort die kleine enge Pforte?[9] Nein, antwortete der Mann. Da sagte der Andere: Siehst du denn da nicht ein scheinendes Licht?[10] Ja, sprach der Mann, ich glaube wohl. Nun, fuhr Evangelist fort: so behalte dieses Licht im Auge und gehe gerade darauf zu, so wirst du die enge Pforte sehen, und wenn du an dieselbe anklopfest, so wird man dir weiter sagen, was du tun sollst.

Nun sah ich in meinem Traume, dass der Mann sogleich anfing zu laufen. Als er aber nahe an seiner Türe vorbeikam, riefen seine Frau und Kinder ihm nach: „Kehre doch um!“ Allein der Mann hielt sich die Ohren zu und lief vorwärts, indem er ausrief: Leben! Leben! ewiges Leben! Er sah nicht hinter sich, sondern eilte gerade fort durch das Feld hin.[11] Ebenso kamen die Nachbaren heraus, ihn zu sehen,[12] und als sie ihn so laufen sahen, verspotteten ihn Einige, andere aber drohten ihm, und wieder andere riefen ihm nach, er möge doch umkehren. Zwei von ihnen nahmen sich vor, ihn mit Gewalt zurückzuholen. Der eine hieß Störrig, der andere Willig. Indessen hatte der Mann einen ziemlichen Vorsprung vor ihnen gewonnen, nichtsdestoweniger beharrten sie dabei, ihm nachzusetzen und holten ihn auch wirklich bald ein. Da fragte sie der Mann, liebe Nachbarn, was wollt ihr? Sie antworteten: Wir wollen dich bewegen, mit uns umzukehren. Er aber sagte: das kann auf keinen Fall geschehen; ihr wohnt in der Stadt Verderben, in der auch ich geboren ward. Ich weiß aber gewiss, dass wer darin stirbt, früher oder später tiefer hinabsinkt, als das Grab, in einen Ort, der mit Feuer und Schwefel brennt: drum macht weiter keine Umstände, liebe Nachbarn, und gehet mit mir.

Störrig. Was sagst du da? Mit dir gehen, und unsere Freunde und Vergnügungen drangehen?

Ja, sagte, Christ (denn das war der Name des Mannes), weil all jene Dinge nicht wert sind der Herrlichkeit, die ich suche.[13] Wollt ihr nun mit mir gehen und ich, dann werdet ihr sie gleicherweise erlangen. denn wo ich hingehe, ist kein Mangel, sondern volle Genüge.[14] Kommet, und ihr werdet finden, dass ich recht habe.

Störrig. Was für Dinge sind es denn, die du suchst und die du zu finden, die ganze Welt verlässt?

Christ. Ich suche ein unvergängliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbe, das behalten wird im Himmel, auf dass es zur bestimmten Zeit gegeben werde denen, die danach trachten mit allem Fleiß. Hier sehet, wenn ihr wollt, wie das in meinem Buche steht.[15]

Störrig. Pah! weg mit deinem Buche! Willst du umkehren mit uns oder nicht?

Christ. Nein, ich nicht, denn ich habe die Hand einmal an den Pflug gelegt.[16]

Störrig. So komm denn, Nachbar Willig, und lass uns ohne ihn wieder nach Hause gehen: es gibt eine Art verschrobener Köpfe, die, wenn sie einmal einen tollen Gedanken gefasst haben, sich weiser dünken, als sieben vernünftige Menschen, welche sagen können, warum sie etwas tun.

Willig. Lass doch das schimpfen! Wenn das wahr ist, was der gute Christ sagt, dann sind die Dinge, nach denen er trachtet, besser als die unsrigen. Ich bin Willens mit meinem Nachbar zu gehen.

Störrig. Wie! noch ein Narr mehr? Lass dir doch raten von mir und kehre wieder mit mir um. Wer weiß, wohin dich solch ein hirnkranker Mensch noch führen wird? Komm zurück! Komm zurück und sei klug!

Christ. Komm mit mir, Nachbar Willig, denn all die Dinge, von denen ich vorhin sprach, sind dort zu bekommen und noch viel herrlichere dazu. Glaubst du mir nicht-, so lies einmal in diesem Buche, und wisse, dass die Wahrheit von allem was darin steht, bekräftigt ist mit dem Blute Dessen, der es gemacht hat.[17]

Willig. Wohlan, Nachbar Störrig, ich komme zu einem Entschlusse, ich will mit diesem guten Manne gehen und es wagen mit ihm. Aber, lieber Reisegefährte, weist du auch den Weg zu dem Orte, nach dem wir verlangen?!

Christ. Ein Mann, namens Evangelist hat mich belehrt, dass ich auf eine kleine Pforte zueilen solle, die vor uns liegt. Dort werden wir weitere Anweisung über den Weg bekommen.

Willig. Wohlan, komm lieber Nachbar. Und so gingen denn beide miteinander fort.

Störrig. Ich aber will wieder nach Hause gehen, denn ich mag mit solchen verrückten Schwärmern nichts zu tun haben.

Nun sah ich in meinem Traume, dass, während Störrig umgekehrt war, Christ und Willig über die Ebene dahingingen. Dabei hatten sie folgendes Gespräch miteinander:

Christ. Nun, Nachbar Willig, wie steht’s mit dir? Ich bin froh, dass du dich hast bewegen lassen mit mir zu gehen. Hätte Störrig nur die Macht und Schrecken der Dinge, die noch unsichtbar sind, wie ich gefühlt, so würde er uns nicht so leichtfertig den Rücken gewandt haben.

Willig. Nachbar Christ, wir sind nun hier allein, drum sage mir weiter, was es denn eigentlich für Dinge sind, die wir suchen und wie wir derselben teilhaftig werden?

Christ. Es sind göttliche Dinge; die kann man aber besser im. Herzen erfahren, als mit der Zunge aussprechen; doch weil du ein so großes Verlangen hast, sie kennen zu lernen, so will ich dir etwas von ihnen aus meinem Buche vorlesen.

Willig. Glaubst du denn auch, dass die Worte in deinem Buche gewiss wahr seien?

Christ. Ja, wahrlich, denn es ist gemacht von Dem, der nicht lügen kann.[18]

Willig. Gut; aber was für Dinge sind es denn, die du göttlich nennst?

Christ. Es ist ein Königreich, das kein Ende nimmt, in dem wir immerdar wohnen sollen, und das ewige Leben, welches uns zum Erbe gegeben wird.[19]

Willig. Gut, und was sonst noch?

 

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