Jüdische Altertümer, Band 1

Jüdische Altertümer, Band 1 – Flavis Josephus

Eines der Hauptwerke des Flavius Josephus sind seine zwanzig Bände der “Jüdischen Altertümer”, die im letzten Jahr der Herrschaft des Kaisers Flavius Domitian, etwa 93 oder 94 n. Chr., fertiggestellt wurden. Indem er die jüdische Geschichte, das Gesetz und die Sitten darlegt, nimmt er Anteil an vielen philosophischen Debatten , die zu dieser Zeit in Rom geführt wurden. Wiederum bietet er eine Apologie für die Antike und die universelle Bedeutung des jüdischen Volkes. Josephus behauptet, er schreibe diese Geschichte, weil er “sah, dass andere die Wahrheit in ihren Schriften verdrehten”. Zu einigen seiner Quellen sagt er, dass er aus den hebräischen Schriften schöpfte und diese auslegte, und dass er Augenzeuge der Kriege zwischen den Juden und den Römern war. Flavius skizziert die jüdische Geschichte, beginnend mit der Schöpfung, wie sie durch die jüdische historische Tradition überliefert wurde. Abraham lehrte die Ägypter die Wissenschaft, die ihrerseits die Griechen unterrichteten. Moses gründete eine senatorische Priesteraristokratie, die sich wie die römische der Monarchie widersetzte. Die großen Gestalten des Tanach werden als ideale Philosophen-Führer dargestellt. In einem autobiografischen Anhang verteidigt er sein Verhalten am Ende des Krieges, als er mit den römischen Truppen zusammenarbeitete. Der Text folgt der Übersetzung von Heinrich Clementz, die Paragraphenzählung des Benedikt Niese wurde eingearbeitet. Dies ist Band eins von zwei.

Jüdische Altertümer, Band 1

Jüdische Altertümer, Band 1.

Format: Paperback, eBook

Jüdische Altertümer, Band 1.

ISBN: 9783849665838 (Paperback)
ISBN: 9783849662349 (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Erstes Kapitel.

Die Einrichtung der Welt und die Anordnung der Elemente.

(1.) 27 Im Anfange erschuf Gott Himmel und Erde. Da diese aber noch dem Anblicke entzogen und in tiefer Finsternis verborgen war, während der Geist über ihr schwebte, befahl Gott, dass das Licht werde. 28 Nach dessen Erschaffung betrachtete Gott die ganze Masse und schied das Licht von der Finsternis. Und die Finsternis nannte er Nacht, das Licht aber Tag, Morgen den Beginn des Lichtes, und Abend den Beginn der Ruhe. 29 Und dieses war der erste Tag. Moyses aber nannte ihn einen Tag. Den Grund hierfür könnte ich schon jetzt angeben. Weil ich jedoch versprochen habe, die Gründe aller Dinge in einem besonderen Werke zu erörtern, werde ich es bis dahin verschieben. 30 Sodann setzte Gott über das Ganze am zweiten Tage den Himmel, weil er ihn von dem Übrigen getrennt für sich angebracht wissen wollte. Und er umgab ihn mit Kristall und machte ihn feucht und wasserreich, damit Regen entstehe zur Befruchtung des Bodens. 31 Am dritten Tage erschuf er das Land und umgab es von allen Seiten mit Meer. An demselben Tage sind Pflanzen und Samen der Erde entsprossen. Am vierten Tage erleuchtete er den Himmel mit Sonne, Mond und anderen Sternen; allen wies er Bewegung und Bahn an, wodurch Zeit- und Witterungsverhältnisse entstanden. 32 Am fünften Tage entsandte er die Fische und Vögel, jene in die Tiefe, diese durch die Lüfte. Zugleich paarte er sie, damit sie sich fortpflanzten, und ihr Geschlecht wachse und sich vermehre. Am sechsten Tage aber erschuf Gott die Vierfüssler, männliche und weibliche, und an diesem bildete er auch den Menschen. 33 So ist nach Moyses die Welt mit allem, was auf ihr ist, in diesen sechs Tagen erschaffen worden. Am siebenten Tage aber habe Gott geruht und keine Arbeit verrichtet. Daher enthalten auch wir uns an diesem Tage der Arbeit und nennen ihn Sabbat, was in hebräischer Sprache „Ruhe“ bedeutet.

(2.) 34 Bevor nun Moyses nach dem siebenten Tage in der Schilderung fortfährt, beschreibt er die Erschaffung des Menschen wie folgt. Gott bildete den Menschen, indem er Staub von der Erde nahm und diesem Geist und Seele einhauchte. Und dieser Mensch hiess Adam, das heisst in hebräischer Sprache „rot“, weil er aus roter weicher Erde gemacht ist, die die jungfräuliche und wahre Erde darstellt. 35 Gott führte alsdann dem Adam die einzelnen Tiergeschlechter zu und zeigte ihm Männchen und Weibchen; und Adam gab ihnen Namen, die sie heute noch haben. Da Gott aber sah, dass Adam der Gesellschaft und Gemeinschaft eines Weibes entbehrte (denn es war noch keines da) und sich über der anderen Lebewesen Gebaren verwunderte, nahm er ihm im Schlafe eine Rippe und bildete daraus ein Weib. 36 Und als er sie ihm zuführte, erkannte Adam, dass sie aus ihm gemacht sei. Ein Weib heisst in hebräischer Sprache Issa; sie aber wurde Eva genannt, das heisst „Mutter aller Lebendigen.“

(3.) 37 Er erzählt dann weiter, Gott habe gegen Osten einen Garten gepflanzt, prangend in mancherlei Gewächsen. Unter diesen sei ein Baum des Lebens gewesen, und ein anderer der Erkenntnis des Guten und Bösen. 38 In diesen Garten habe Gott den Adam mit seinem Weibe geführt und ihnen aufgetragen, die Gewächse zu pflegen. Bewässert aber wird dieser Garten von einem einzigen Flusse, der die ganze Landschaft umfliesst und sich in vier Arme teilt. Von diesen fliesst der Phison (das heisst „Menge“) nach Indien und ins Meer; von den Griechen wird er Ganges genannt. 39 Der Euphrat und der Tigris münden ins Rote Meer; ersterer heisst Phora (Zerstreuung oder Blume), letzterer Diglath (scharf und eng). Der Geon endlich fliesst durch Ägypten und heisst: „von Osten her uns zuströmend“; die Griechen nennen ihn Nil.

(4.) 40 Gott gestattete also dem Adam und seinem Weibe, von den übrigen Gewächsen zu kosten, von dem Baume der Erkenntnis dagegen verbot er ihnen zu essen, indem er ihnen drohte, falls sie ihn berührten, werde es ihr Verderben sein. 41 Da aber zu jener Zeit alle Tiere sich der Sprache bedienten, überredete die Schlange, die mit Adam und seinem Weibe vertraulich verkehrte und sie um ihr Glück beneidete, das sie im Gehorsam gegen Gott genossen, 42 das Weib, dass es von dem Baume der Erkenntnis koste, wohl wissend, dass die beiden in ihr Unglück stürzten, sobald sie vom Pfade des Gehorsams abwichen. Sie stellte ihr nämlich vor, an diesem Baume hänge die Unterscheidung des Guten und Bösen, und wenn sie diese erlangt hätten, würden sie ein glückseliges Leben wie Gott geniessen. 43 Und so verführte sie das Weib, Gottes Gebot zu missachten. Als Eva nun von dem Baume gekostet und sich an der Speise ergötzt hatte, beredete sie auch den Adam, davon zu essen. 44 Da aber erkannten sie, dass sie nackt seien, und voll Scham suchten sie nach Bekleidung, denn jener Baum machte sie scharfsehend und klug. Sie verhüllten sich daher mit Feigenblättern und bedeckten ihre Scham, und sie kamen sich glücklicher vor, weil sie das gefunden, was sie früher entbehrt hatten.

45 Da nun Gott in den Garten kam, verbarg sich Adam im Bewusstsein seiner Sünde, weil er doch früher vertrauten Umgang mit ihm gepflogen hatte. Gott aber forschte verwundert nach der Ursache, weshalb er sich früher an seinem Umgange erfreut habe, nun aber denselben fliehe und fürchte. 46 Und da Adam im Bewusstsein der begangenen Übertretung nichts antwortete, sprach Gott: „Ich hatte über euch beschlossen, dass ihr ein glückliches, sorgenfreies Leben führen solltet, durch kein Leid beirrt und im Genusse alles dessen, was euch durch meine Fürsorge zu Nutz und Frommen gereicht hätte, ohne jede Mühe und harte Arbeit, und dass schnelles Alter euch nicht beschieden sein, vielmehr euer Dasein sich lange hinziehen sollte. 47 Nun aber hast du mein Gebot verachtet und meinen Willen übertreten, und kein Zeichen der Tugend ist es, dass du schweigst, sondern des bösen Gewissens.“ 48 Da versuchte Adam seinen Fehltritt zu entschuldigen und bat Gott, ihm nicht zu zürnen. Sein Weib trage die Schuld und sie habe ihn zur Sünde verleitet. Das Weib seinerseits klagte die Schlange an. 49 Da strafte Gott den Adam, weil er dem Rate des Weibes gefolgt sei, indem er ihm kundthat, die Erde werde ihnen fürder nicht mehr von selbst Frucht hervorbringen, sondern trotz mühevoller Arbeit werde sie ihnen nur einiges gewähren, anderes dagegen versagen. Die Eva aber strafte er mit Geburtsschmerzen‚ weil sie den Adam mit in das ihr von der Schlange bereitete Verderben verwickelt habe. 50 Dann nahm er der Schlange die Sprache, erzürnt über ihr boshaftes Verhalten gegen Adam, und ihrer Zunge gab er Gift, erklärte sie für den Feind des Menschengeschlechtes und verhiess ihr, dass ihr Kopf zerschlagen werden solle, teils weil in ihm der Menschen Verderben beruhe, teils weil sie so am leichtesten getötet werden könne. Endlich beraubte er sie der Füsse und hiess sie sich im Staube der Erde fortwälzen. 51 Nachdem Gott diese Strafen verhängt hatte, verwies er Adam und Eva an einen anderen Ort.

Zweites Kapitel.

Von der Nachkommenschaft Adams und den zehn Geschlechtern von ihm bis zur Sintflut.

(1.) 52 Adam und Eva erzeugten zwei Söhne, von denen der ältere Kaïs, das ist „Besitzung“ hiess, der jüngere aber Abel, das ist „Trauer.“ Auch Töchter wurden ihnen geboren. 53 Die Brüder nun hatten verschiedene Neigungen. Abel, der jüngere, pflegte die Gerechtigkeit, und da er Gott bei all seinem Thun gegenwärtig glaubte, lebte er tugendhaft als Hirt. Kaïs aber, in hohem Grade gottlos und nur auf Gewinn bedacht, pflügte zuerst die Erde und tötete seinen Bruder aus folgender Veranlassung. 54 Da sie beide Gott opfern wollten, brachte Kaïs von den Früchten des Feldes und der Bäume dar, Abel aber Milch und Erstgeburt der Herde. An diesem Opfer der freigebigen Natur nun hatte Gott mehr Gefallen als an dem, was der habgierige Mensch mit seiner Kraft hervorgebracht. 55 Kaïs aber ergrimmte über diese Bevorzugung seines Bruders, tötete Abel und verbarg seinen Leichnam in dem Wahne, die That werde so geheim bleiben. Doch Gott erkannte den Frevel, kam zu Kaïs und forschte, wo sein Bruder sei, den er nun schon tagelang nicht gesehen, obgleich er doch früher immer mit ihm verkehrt habe. 56 Kaïs aber, tückischen Gemütes und ausser stande, Gott zu antworten, behauptete, auch er sei in Ängsten über den Verbleib seines Bruders. Als nun Gott beharrlich in ihn drang, entgegnete er trotzig, er sei nicht der Hüter und Wächter seines Bruders, und dessen Angelegenheiten kümmerten ihn nicht. 57 Da beschuldigte Gott ihn offen des an Abel verübten Totschlages und sprach: „Ich wundere mich, dass du nicht wissen willst, was deinem Bruder zugestossen ist, da du ihn doch selbst getötet hast.“ 58 Durch ein Opfer des Kaïs und sein Flehen um Verzeihung wurde nun Gott zwar bewogen, ihm die Strafe für den Totschlag zu erlassen, aber er verfluchte ihn und verkündete ihm, dass er seine Nachkommen bis ins siebente Glied züchtigen wolle. Dann vertrieb er ihn samt seinem Weibe aus dem Lande. 59 Da aber Kaïs die Befürchtung aussprach, er möchte beim Umherirren auf der Erde eine Beute wilder Tiere werden, hiess ihn Gott nichts dergleichen besorgen, denn es werde ihm kein Übel von wilden Tieren zustossen, und er werde furchtlos auf Erden wandern können. Jedoch drückte Gott ihm ein Zeichen auf, an dem er erkannt werden könnte, und hiess ihn dann sich aus seinen Blicken wenden.

(2.) 60 Kaïs aber durchzog mit seinem Weibe viele Länder und kam endlich nach Naïda, wo er zu wohnen beschloss und Kinder erzeugte. Übrigens liess er sich seine Strafe keineswegs zur Warnung dienen, sondern steigerte seine Bosheit mehr und mehr. Denn er ging jeder Art von Lüsten nach, wenn er sie auch nur durch Benachteiligung seiner Gefährten erreichen konnte. 61 Sein Vermögen vermehrte er durch Raub und Gewaltthätigkeit, verleitete seine Genossen zu Schwelgerei und Räuberei und unterrichtete sie in allen Schlechtigkeiten. Die bisherige Einfachheit der Lebensweise veränderte er durch Erfindung von Mass und Gewicht und verkehrte die Unschuld und Arglosigkeit des Wandels, sowie den Adel des Geistes in Verschlagenheit und Pfiffigkeit. 62 Er war der erste, der der Feldmark Grenzen setzte, eine Stadt erbaute, sie mit Mauern befestigte und die Hausgenossen zwang, zusammen zu wohnen. Diese Stadt nannte er nach Anoch, seinem ältesten Sohne, Anocha. 63 Anoch hatte einen Sohn Jared, und von diesem stammte Manuel, dessen Sohn Mathusala war. Der letztere zeugte den Lamech, der von zwei Weibern, der Sella und Ada, siebenundsiebzig Söhne hatte. Von diesen errichtete Jobel, der Sohn der Ada, Zelte und betrieb Viehzucht. 64 Sein Bruder Jubal übte die Musik und erfand das Psalter- und Harfenspiel. Thobel aber, ein Sohn des anderen Weibes, der an Körperkraft alle überragte, verlegte sich auf die Kriegskunst und verschaffte sich dadurch das, was körperlicher Lust dienen konnte. Auch erfand er die Schmiedekunst. 65 Lamech hatte auch eine Tochter, mit Namen Noëma. Da er übrigens Sehergabe besass, konnte es ihm nicht entgehen, dass auch er dem Strafurteile aus dem Brudermorde des Kaïs unterworfen sei, woraus er auch seinen Weibern gegenüber kein Hehl machte. 66 Des Kaïs Nachkommenschaft aber wurde noch bei Lebzeiten Adams überaus frevelhaft; in der Schlechtigkeit folgte der eine dem anderen, und so wurde das Geschlecht immer verderbter. Zu Krieg und Räubereien waren sie über die Massen geneigt, und war auch vielleicht einer zu Mordthaten weniger fähig, so that er sich sicher um so mehr in sinnloser Verkehrtheit, Übermut und Ungerechtigkeit hervor.

(3.) 67 Nach Abels Ermordung und Kaïs’ Flucht hatte nun Adam (um auf diesen zurückzukommen) den sehnlichen Wunsch, weitere Nachkommen zu erhalten, obgleich er schon zweihundertunddreissig Jahre alt war. Er lebte dann noch siebenhundert Jahre. 68 Da es aber zu weit führen würde, von allen Söhnen Adams zu reden, so werde ich nur von Seth und seinen Nachkommen erzählen. Seth zeichnete sich, als er zu den Jahren der Unterscheidung gekommen war, durch tugendhaftes Streben aus, und wie er selbst ein vortrefflicher Mann war, hinterliess er auch ebensolche Söhne. 69 Sie alle lebten einträchtigen Gemütes und glücklich in einem und demselben Lande, ohne dass sie während ihres ganzen Lebens ein Unheil traf. 70 Sie erfanden die Sternkunde, und damit ihre Erfindungen nicht verloren gingen und vernichtet würden, ehe sie zu allgemeiner Kenntnis gelangten (denn Adam hatte den Untergang aller Dinge teils durch Feuer, teils durch heftige Überschwemmungen vorhergesagt), so errichteten sie zwei Säulen, die eine aus Ziegeln, die andere aus Stein, und schrieben das von ihnen Erfundene auf beiden ein, 71 damit, wenn die Säule aus Ziegeln durch Wasserflut vernichtet werden sollte, die steinerne wenigstens noch erhalten bleibe und den Menschen ihre astronomischen Inschriften und zugleich auch die Thatsache kundthun könne, dass ausser ihr auch eine Ziegelsäule errichtet worden sei. Die steinerne Säule steht übrigens noch heute in Syrien.

 

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