Essentielle Werke des Hl. Ambrosius von Mailand, Band 2
Ambrosius von Mailand war römischer Politiker, als er zum Bischof von Mailand gewählt wurde. Er ist nicht nur einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike der Westkirche, sondern seit 1295 auch den Ehrentitel Kirchenvater. In diesem Band sind die folgenden seiner Werke enthalten: Über die Buße, Über die Wittwen, Über die Jungfrauen, Über die Jungfräulichkeit.
Format: eBook/Taschenbuch
Essentielle Werke des Hl. Ambrosius von Mailand, Band 2
ISBN eBook: 9783849659653
ISBN Taschenbuch: 9783849668488
Auszug aus dem Text:
Cap. 1
Wenn das letzte und höchste Ziel aller Tugend dahin geht, dem geistigen Nutzen des Nebenmenschen in möglichster Ausdehnung zu dienen, so darf man als eine der schönsten Tugenden das milde Maßhalten bezeichnen, welches nicht einmal diejenigen verletzen will, die seiner Verurtheilung unterliegen, während es dieselben gleichzeitig gerade durch die Verurtheilung wieder der Lossprechung würdig zu machen strebt. Diese Milde ist es einzig, welcher die Kirche, die der Herr in seinem Blute gestiftet hat, ihre Ausbreitung verdankt. Sie ahmt den himmlischen Wohlthäter nach; indem sie auf die Rettung Aller bedacht ist, verfolgt sie jenes heilbringende Ziel mit einer Milde, daß die Herzen nicht zurückweichen, die Geister nicht erschrecken können.
In der That muß ja auch derjenige, welcher die Fehler menschlicher Schwäche bessern will, diese Schwäche selbst ertragen; er muß sie gewissermaßen auf seine Schultern legen, nicht aber verdrießlich abwerfen. Lesen wir doch auch, daß jener Hirt des Evangeliums das verirrte, müde Schaf heimgetragen, aber nicht abgeworfen habe. Darum sagt auch Salomon: „Sei nicht allzu gerecht“, denn weises Maßhalten muß die Gerechtigkeit sänftigen. Wie möchte sich sonst Jemand dir zur Heilung anvertrauen, wenn du ihm Widerwillen entgegenbringst, wenn er glauben muß, daß er seinem Arzte nicht Mitleid, sondern Verachtung einflößt?
Deßhalb hat der Herr Jesus Mitleid mit uns getragen, um uns nicht abzuschrecken, sondern zu sich zu rufen. Er kam voll Sanftmuth und Demuth, und so sprach er: „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Der Herr Jesus erquickt die Mühseligen, er weis’t sie nicht zurück; darum hat er denn auch solche Jünger sich erwählt, die im richtigen Verständnisse seines göttlichen Willens das Volk Gottes sammeln, aber nicht zurückstoßen. Es erhellt somit, daß diejenigen nicht als Christi Jünger gelten können, welche der Meinung sind, daß man harten und stolzen Grundsätzen statt milder und demüthiger folgen müsse. Sie verweigern ja Anderen die Barmherzigkeit des Herrn, während sie selbst sie suchen: so sind die Lehrer der Novatianer, welche sich als „die Reinen“ bezeichnen.
Kann es denn ein stolzeres Treiben geben, da doch die Schrift sagt: „Niemand ist rein von Schuld, nicht einmal das Kind von einem einzigen Tage;“ während David ausruft: „Von meiner Missethat reinige mich!“ Sind denn diese Menschen etwa heiliger als David, aus dessen Geschlecht der Herr im Geheimniß der Menschwerdung hat wollen geboren werden? dessen Tochter jenes himmlische auserwählte Gefäß ist, das im jungfräulichen Schooße den Heiland der Welt empfangen hat? Gibt es denn etwas Härteres, als Buße aufzulegen, ohne Nachlaß zu gewähren? Nimmt man denn nicht den Antrieb zur Buße hinweg, wenn man immerfort die Verzeihung versagt? Kann doch füglich keiner Buße thun, der nicht auf Verzeihung hofft!
Cap. 2
Diese Irrlehrer bestreiten, daß diejenigen zur kirchlichen Gemeinschaft wieder dürfen zugelassen werden, welche durch Verleugnung ihres Glaubens gefallen sind. Wenn sie lediglich das Verbrechen des Sacrilegiums ausnähmen und ihm die Verzeihung versagten, so wäre das zwar hart und würde auch durch göttliche Aussprüche als durchaus falsch verworfen: es stimmte aber doch wenigstens mit ihren eigenen sonstigen Behauptungen überein. Der Herr, welcher alle Sünden vergeben hat, nahm kein Verbrechen aus. Da Jene aber nach Art der Stoiker annehmen, daß alle Sünden hinsichtlich ihrer Schwere als unter sich gleich zu betrachten seien, und daß also Jemand, der einen Haushahn, ebenso wie derjenige, welcher seinen Vater erdrosselt, für immer von den heiligen Geheimnissen fern zu halten sei: wie greifen sie jetzt ein einziges Verbrechen heraus, während sie doch selbst nicht leugnen können, daß es geradezu unerträglich sein würde, wenn die Strafe einiger Weniger — der Abgefallenen nämlich — auf Viele sich ausdehnte?
Sie sagen freilich, daß sie dem Herrn eine ganz besondere Verehrung entgegenbringen, wenn sie ihm ausschließlich die Macht, Sünden zu vergeben, vorbehalten. In Wirklichkeit kann aber Niemand Gott größere Schmach anthun, als derjenige, welcher Gottes Aufträge einschränken und das von ihm übertragene Amt wirkungslos machen möchte. Wenn der Herr Jesus selbst gesagt hat: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten;“ wer ehrt ihn dann mehr: derjenige, welcher seinen Weisungen Folge leistet, oder derjenige, welcher sich denselben widersetzt?
Die Kirche übt nach beiden Seiten den rechten Gehorsam, sowohl wenn sie bindet, als wenn sie löset. Der Irrthum dagegen zeigt sich in dem einen Falle hart, in dem anderen ungehorsam: er will binden, was er nicht lösen mag; er will nicht lösen, was er gebunden hat, und so richtet er sich durch seinen eigenen Urtheilsspruch. Der Herr wollte, daß das Recht zu lösen und zu binden neben einander bestehe, und darum hat er beides unter der gleichen Voraussetzung der Gegenseitigkeit verliehen. Wer darnach nicht das Recht hat, zu lösen, der hat auch nicht das Recht, zu binden. So erstickt denn die Lehre jener Irrlehrer sich in sich selbst: da sie sich das Recht zu lösen absprechen, so müssen sie sich auch das Recht zu binden versagen. Oder wie kann das Eine ihnen gestattet, das Andere verwehrt sein? Es ist doch unzweifelhaft sicher, daß denjenigen, welchen Beides übertragen wurde, entweder beides oder keines zusteht. So ist es: der Kirche steht beides, dem Irrthum steht keines zu, weil das Recht einzig den Priestern verliehen wurde. Die Kirche nimmt darnach mit Recht beides für sich in Anspruch, weil sie wahre Priester hat: der Irrthum, der keine Priester Gottes hat, kann Nichts beanspruchen. Gerade dadurch, daß er keine von beiden Vollmachten beansprucht, bekennt er aber von sich selbst, daß er, eben weil er keine Priester hat, auch nicht berechtigt ist, ein priesterliches Amt für sich zu beanspruchen. So tritt uns in schamloser Verstocktheit ein recht schämiges Bekenntniß entgegen.
Dabei ist noch besonders zu beachten, daß derjenige, welcher den heiligen Geist empfing, auch die Vollmacht erhielt, Sünden zu vergeben und zu behalten. So sprach der Herr: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Wer also die Lösegewalt nicht besitzt, der hat auch den heiligen Geist nicht. Das Amt des Priesters ist eine Gabe des heiligen Geistes, und dessen Recht besteht gerade im Nachlassen oder Behalten der Sünden: wie können nun diejenigen die Gabe des heiligen Geistes beanspruchen, die dem Rechte und der Macht desselben mißtrauen?
Kann es denn nun anmaßendere Menschen geben? Obwohl der Geist Gottes geneigter zum Erbarmen als zum Strafen ist, wollen sie doch das nicht, was er nach seinem eigenen Worte will, während sie das, was er nicht will, thun. Und doch ist es Sache der Gerechtigkeit, zu strafen, während der Barmherzigkeit Verzeihen geziemt. Immerhin also, Novatian, wäre es erträglicher, wenn du statt der Binde- die Lösegewalt dir beilegtest: einmal würde die Anmaßung und in Folge dessen das Vergehen geringer sein, zum Anderen wäre zu beachten, daß du eben durch Mitleiden mit der Niederlage des Sünders dich zur Gewährung der Verzeihung hättest bestimmen lassen.
Cap. 3
Die Novatianer sagen nun, daß sie, mit Ausschluß freilich der schwereren Verbrechen, den leichteren Verzeihung gewähren. In diesem Punkte kann aber Novatian, der bekanntlich annahm, daß Niemand zur Bußübung zuzulassen sei, nicht als Urheber des Irrthums gelten, antworte ich ihnen. Er ging von der Betrachtung aus, daß er da nicht binden dürfe, wo er nicht lösen könne, um es zu vermeiden, daß Jemand eben wegen der Zulassung zur Buße auch die Lossprechung von ihm zu erlangen hoffe. Darin also verurtheilt ihr eueren Vater durch euere eigene Meinung, nach welcher ein Unterschied der Sünden derart zulässig erscheint, daß ihr die einen nachlassen zu dürfen glaubt, während ihr die anderen keines Heilmittels fähig erachtet. Gott aber, der seine Erbarmung Allen erweiset, und der den Priestern die Macht, Sünden nachzulassen, ohne jede Einschränkung gegeben hat, — Gott macht keinen derartigen Unterschied bei den Sünden. Wer freilich die Sünden anhäuft, der muß auch die Buße mehren, und größere Vergehen werden auch durch reichere Ströme der Bußthränen abgewaschen. So findet weder Novatian Bestätigung, der Allen die Verzeihung verschließt; noch findet ihr, die ihr seine Nachfolger und Verurtheiler zugleich seid, Zustimmung: denn ihr vermindert den Bußeifer, wo er müßte vermehrt werden, da Christi Barmherzigkeit es so geordnet hat, daß schwerere Sünden auch härter gebüßt werden.
Was ist das aber doch für eine Verkehrtheit, daß ihr für euch dasjenige herausnehmt, was vergeben, und daß ihr Gott das belasset, was nicht vergeben werden kann? Das heißt ja, für sich die Gegenstände des Erbarmens vorwegnehmen und Gott die Rolle des strengen Bestrafers überlassen. Und wie verhält es sich denn mit jenem Worte der Schrift: „Gott ist wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner, wie geschrieben steht: Auf daß du gerecht befunden werdest in deinen Worten und den Sieg erhaltest, wenn du gerichtet wirst?“ Damit wir selbst wohl erkennen, daß Gott mehr zum Erbarmen neigt, als er an der Strenge festhält, hat er gesagt: „Barmherzigkeit will ich lieber als Brandopfer.“7 Wie kann denn nun euer Opfer Gott wohlgefällig sein, da ihr seine Barmherzigkeit leugnet; während er doch selbst sagt, daß er nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung wolle?
Der Apostel erklärt uns das: „Gott sandte seinen Sohn in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde und zwar wegen der Sünde, und so verurtheilte er die Sünde im Fleische, damit die Rechtfertigung des Gesetzes in uns erfüllt würde.“ Er sagt nicht: „in der Aehnlichkeit des Fleisches“, weil Christus die Wirklichkeit, nicht bloß die Aehnlichkeit des menschlichen Fleisches angenommen hat; er sagt auch nicht, „in der Aehnlichkeit der Sünde“, weil der Herr nie eine Sünde begangen hat, sondern zur Sünde für uns geworden ist. Nein, er kam „in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde“, d. h. er nahm die Aehnlichkeit des sündigen Fleisches an: die „Aehnlichkeit“ aber, weil geschrieben steht: „Es ist ein Mensch, und wer wird ihn erkennen?“9 Er war Mensch im Fleische nach Menschenart, so daß er erkannt wurde. Aber er war an Kraft weit über den Menschen hinaus, so daß er nicht erkannt wurde. So hat er also hier unser Fleisch angenommen, aber die Sünden dieses Fleisches hat er nicht angenommen.
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