Fromont junior und Risler senior

Fromont junior und Risler senior – Alphonse Daudet.

Ein Pariser Sittenbild und einer der erfolgreichsten Romane Daudets.

Fromont junior und Risler senior

Fromont junior und Risler senior

Format: eBook

Fromont junior und Risler senior.

ISBN:  9783849652890

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

»Madame Chèbe!«

»Nun, lieber Freund?«

»Ich bin so glücklich!«

Es war wenigstens das zwanzigste Mal an diesem Tage, daß der wackere Risler versicherte, glücklich zu sein, und er that es immer mit demselben Ausdruck stiller Rührung, derselben schleppenden, dumpfen, von innerer Bewegung erstickten Stimme, die, um der Gefahr eines plötzlichen Aufschluchzens zu entgehen, nicht laut zu werden wagt.

Risler hätte aber für nichts in der Welt in diesem Augenblicke weinen mögen. Wie unpassend für einen Bräutigam, sich inmitten des Hochzeitsmahles der Rührung hinzugeben! – und doch war er nahe daran. – Sein Glück drohte ihn zu ersticken, schnürte ihm die Kehle zusammen und machte ihm das Sprechen unmöglich. Das einzige, was er thun konnte, war, von Zeit zu Zeit mit bebenden Lippen vor sich hinzumurmeln: »Ich bin so glücklich … so glücklich!«

Er hatte wirklich alle Ursache dazu!

Seit diesem Morgen fühlte sich der gute Mann wie von einem jener herrlichen Träume umfangen, aus denen man plötzlich mit geblendeten Augen zu erwachen fürchtet; der seinige schien jedoch kein Ende haben zu sollen, denn früh um fünf Uhr hatte er begonnen, und jetzt, um zehn Uhr abends – Punkt zehn, nach Véfours großer Uhr – dauerte er noch immer fort.

Wie viel hatte Risler an diesem Tage erlebt, und wie deutlich standen ihm die geringsten Einzelheiten vor Augen.

Er sah sich selbst im Morgengrauen voll Freude und Ungeduld in seinem Junggesellenzimmer auf und nieder gehen. Nun war er rasiert, hatte den Frack angezogen und zwei Paar weiße Handschuhe in die Tasche gesteckt. Dann kommen die Hochzeitskutschen, und in der ersten, die da unten hält – der mit dem Schimmelgespann, den weißen Zügeln und gelben Damastpolstern – zeigt sich wie eine Wolke der Anzug der Braut. Darauf der Zug in die Kirche – immer zwei und zwei – allen voran die kleine, weiße Wolke, die leicht und schimmernd dahinschwebt … dann Orgelklang, der Thürhüter, die Rede des Pfarrers, das Kerzenlicht, das auf glänzenden Schmuck und helle Frühlingsgewänder fällt… das Gedränge in der Sakristei, wo die kleine Wolke zwischen den sie Umringenden und Umarmenden verschwindet, während der Bräutigam dem gesamten Großhandel von Paris, der ihm zu Ehren erschienen ist, die Hände schüttelt … endlich die brausenden Schlußaccorde der Orgel, die um so feierlicher wirken, da das weit geöffnete Portal, dem gleichzeitig Gäste und Klänge entströmen, die ganze Straße an dem Familienfeste teilnehmen läßt … auch die Bemerkungen der Zuschauer fallen ihm wieder ein; besonders die einer Silberglätterin in großer Lüsterschürze, welche in die lauten Worte ausbricht: »Der Bräutigam ist gerade keine Schönheit, aber die Braut ist ein verwünscht hübsches Geschöpfchen.« Dergleichen muß einen Bräutigam stolz machen.

Und dann das Frühstück in einem mit Draperieen und Blumen geschmückten Arbeitssaale der Fabrik … die Spazierfahrt in das Bois de Boulogne – ein Zugeständnis für die Schwiegermutter, Madame Chèbe, die als Pariser Kleinbürgerin ohne Fahrt um den See und Besuch des Wasserfalls ihre Tochter nicht für richtig verheiratet gehalten hätte. – Endlich die Rückfahrt zum Diner, während auf dem Boulevard die Laternen angezündet wurden und die Vorübergehenden sich nach der Hochzeit umsahen, dieser rechten, echten, festlichen Hochzeit, die mit lustig trabenden Mietpferden an Véfours Freitreppe vorfährt.

So weit war er in seinem Traum gekommen.

Und nun blickt der wackere Risler, halb betäubt von Müdigkeit und Wohlbehagen, über die große, achtzig Gedecke enthaltende Tafel hin, die oben und unten in Hufeisenform endigt und von lächelnden, vertrauten Gesichtern umgeben ist, in deren Augen er den Abglanz seines eignen Glückes zu sehen glaubt. – Die Mahlzeit ist beinahe zu Ende; eine Flut von Einzelgesprächen wogt um den Tisch. Hier zeigen sich einander zugewendete Profile, dort schwarze Frackärmel hinter einem Korbe voll Asklepias, oder ein lächelndes Kindergesicht über einer Schale mit Fruchteis, und das ganze schön aufgestellte Dessert schmückt die Tafel mit Heiterkeit, Licht und Farbe…..

 

 

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