Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief

Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief – Johannes Chrysostomos

Die Thessalonicher-Briefe beinhalten auch den Ersten Brief an die Thessalonicher, der der erste von allen Paulusbriefen war. Er wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von Korinth aus geschrieben, wo sich Paulus “lange Zeit” aufhielt, und zwar etwa gegen Ende des Jahres 52 n. Chr. Der Anlass für die Abfassung des Briefes war die Rückkehr des Timotheus aus Mazedonien mit Nachrichten aus Thessalonich über den Zustand der dortigen Gemeinde. Während der Bericht des Timotheus im Großen und Ganzen ermutigend war, zeigte er auch, dass sich verschiedene Irrtümer und Missverständnisse in Bezug auf den Tenor der Lehre des Paulus eingeschlichen hatten. Er wendet sich in diesem Brief an die Thessalonicher, um diese Irrtümer zu berichtigen, und vor allem, um sie zur Reinheit des Lebens zu ermahnen und sie daran zu erinnern, dass ihre Heiligung das große Ziel ist, das Gott von ihnen erwartet. Fälschlicherweise wird oft behauptet, dass dieser Brief von Athen aus geschrieben wurde. Der zweite Brief an die Thessalonicher wurde wahrscheinlich auch von Korinth aus geschrieben, und zwar nur einige Monate nach dem ersten.

Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief

Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief.

Format: eBook/Taschenbuch

Homilien über den ersten und zweiten Thessalonicher-Brief

ISBN eBook: 9783849660192

ISBN Taschenbuch: 9783849668075

 

Auszug aus dem Text:

 

Erste Homilie.

1.

 Kap. I.

1. Paulus und Silvanus und Timotheus an die Kirche der Thessalonicher in Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus. 2. Gnade euch und Friede! Dank sagen wir Gott immerdar für euch Alle, euer gedenkend bei unsern Gebeten 3. sonder Unterlaß, eingedenk des Werkes eures Glaubens und der Mühe und der Liebe und der Ausdauer in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus, vor Gott und unserm Vater.

Aus welchem Grunde hat wohl St. Paulus, als er an die Epheser schrieb und den Timotheus bei sich hatte, dessen Namen nicht neben dem seinigen genannt, obwohl jener dieser Gemeinde bekannt und von ihr hoch geachtet war, („denn,“ sagt er, „ihr wisset, daß er bewährt ist; wie ein Sohn seinem Vater, so hat er mir gedient.“1 Und  an einem andern Orte: „Ich habe keinen so Gleichgesinnten und so aufrichtig für euch Besorgten, wie er es ist.“)2 während er in diesem Briefe den Namen des Jüngers ausdrücklich erwähnt? Ich glaube, der Grund liegt darin, daß der Apostel bei Abfassung dieses Briefes im Sinne hatte, den Timotheus mit dem Briefe an sie abzusenden, und es somit doch wohl unpassend gewesen wäre, wenn in dem Briefe selbst der Überbringer desselben als Mitabsender bezeichnet gewesen wäre. Daß Timotheus den Brief überbringen sollte, läßt sich schließen aus den Worten: „Ich gedenke, diesen nächstens zu euch zu schicken.“3

Als aber der Apostel diesen Brief schrieb, da lag kein solcher Grund vor, sondern Timotheus war zurückgekehrt, und so konnte er recht wohl als Mitabsender des Briefes auftreten. Es heißt nämlich: „Da aber Timotheus von euch zu uns zurückgekommen ist.“4

Warum aber setzt der Apostel den Namen des Timotheus dem des Silvanus nach, obwohl er dem ersteren ungemein viel Gutes nachrühmt und ihn Allen vorzieht? Vielleicht darum, weil Dieser in seiner großen Demuth es selbst gewünscht und darum gebeten hat. Dazu mochte Timotheus um so eher veranlaßt sein, als er ja bemerkte, daß der Apostel selbst einfach seinen Namen ohne Beisatz neben den seines Jüngers setzte. Es heißt nur:

„Paulus und Silvanus und Timotheus an die Kirche zu Thessalonike.“ Paulus legt sich hier gar keinen Titel bei, er nennt sich nicht Apostel, nicht Diener oder sonst Etwas. Seinen hohen Rang gibt der Apostel hier, glaube ich, darum nicht an, weil die Thessalonicher erst seit kurzer Zeit gläubig geworden waren und  ihn noch nicht näher kennen gelernt hatten; übrigens hatte man mit der Verkündung des Evangeliums bei ihnen eben erst begonnen.

 

2.

 

An die Kirche zu Thessalonike.

Ganz gut gewählter Ausdruck. Denn darin, daß der Apostel zu den doch wohl noch verhältnißmäßig wenigen und noch nicht so recht innig verbundenen Gläubigen zu Thessalonich sagt, sie bildeten schon eine wohlorganisierte Kirche und Gemeinde, wirkt er ermuthigend und ermunternd auf sie ein.

Denn wenn er an eine Gemeinde schreibt, die schon lange Zeit gegründet, zahlreich und wohlorganisiert ist, da hat er keinen Grund, durch Hervorhebung des Titels „Kirche“ aufmunternd zu wirken, und er läßt daher denselben weg. Weil aber der Titel „Kirche“ das innige Zusammenhalten vieler Gläubigen bezeichnet und den Begriff einer fest geeinten und wohlorganisierten Gemeinde erweckt, darum verleiht der Apostel (anerkennend und aufmunternd zugleich) den Gläubigen von Thessalonike jetzt schon den Titel „Kirche und Gemeinde.“

In Gott dem Vater und dem Herrn Jesu Christo der Gemeinde zu Thessalonike, welche in Gott ist.

Beachtet hier fürs Erste, daß der Ausdruck „Gott“ gebraucht ist vom Vater und vom Sohne. Ferner sagt er: „Die Gemeinde, so da in Gott ist;“ gab es ja doch noch viele andere Genossenschaften und Gemeinden, jüdische und heidnische. Wenn man aber von einer Gemeinde sagen kann, sie sei „in Gott“, so ist das eine erhabene und ganz unvergleichliche Würde. Gebe Gott, daß man auch von unserer Gemeinde Dasselbe sagen könne! Ich muß aber fürchten, daß diese eine solche Bezeichnung noch  nicht verdiene. Denn wer noch ein Knecht der Sünde ist, von dem kann man nicht sagen, er sei „in Gott“.

Gnade euch und Friede! Wir danken Gott allezeit für euch Alle und gedenken euer in unsern Gebeten.

Habt ihr beachtet, daß der Brief gleich mit einer Belobung beginnt? Denn wenn der Apostel ihretwegen Gott Dank sagt, so gibt er zu verstehen, daß sie große Fortschritte gemacht haben, und das ist der Grund, weßhalb er sie einerseits lobt, andrerseits aber Gott, als dem Urheber alles Guten, dafür Dank sagt. Zugleich aber lehrt er sie, demüthig zu sein, indem er sie hinweist darauf, daß Alles ein Werk der göttlichen Gnade sei. Daß er wegen der Gläubigen Gott „danke“, erwähnt der Apostel, um ihnen wegen ihres löblichen Verhaltens seine Anerkennung auszudrücken; daß er für sie „bete“, theilt er ihnen mit, um sie seiner Liebe zu versichern. Hierauf erwähnt er, wie an vielen andern Stellen, daß er nicht bloß im Gebete, sondern auch außerdem ihrer gedenke, indem er sagt:

Ohne Unterlaß eingedenk euer und des Werkes eures Glaubens und der Mühen der Liebe und der Ausdauer in der Hoffnung unsers Herrn Jesu Christi vor unserm Gott und Vater.

Was will der Apostel sagen mit den Worten: „Ohne Unterlaß eingedenk“ ? Entweder: „Wir sind eingedenk vor unserm Gott und Vater,“ oder: „Wir sind eingedenk der Liebesmühe, die ihr vor unserm Gott und Vater beweiset.“

Der Apostel sagt aber nicht einfach: „Ohne Unterlaß eingedenk,“ sondern er sagt: „Eingedenk euer.“ Und damit Niemand meine, er habe dieses „euer“ ohne besondere Bedeutung hinzugesetzt, fügt er bei: „Vor unserm  Gott und Vater.“ Der Apostel hat Dieß gethan, weil kein Mensch sie wegen ihrer guten Werke lobte, Niemand sie dafür belohnte, und es ist, als ob der Apostel ihnen mit jenen Worten zurufen wollte: „Verzaget nicht! Was ihr thut und leidet, thut und leidet ihr vor Gott!“

Was ist der Sinn der Worte: „Des Werkes eures Glaubens?“

Eure Standhaftigkeit hat Nichts erschüttern können. Das ist „das Werk des Glaubens“. Glaubst du, so erdulde Alles; duldest du nicht, so glaubst du nicht. Oder ist der verheißene Lohn nicht groß genug, daß der Gläubige seinetwegen nicht gerne tausendfachen Tod erleiden sollte? Das Himmelreich, Unsterblichkeit und ewiges Leben ist der Kampfpreis. Wer also glaubt, der wird Alles erdulden. In den Werken zeigt sich demnach der Glaube. Darum hat der Apostel nicht einfach gesagt: „Ich gedenke eures Glaubens,“ sondern: „Ich gedenke der Werke eures Glaubens,“ indem er sagen wollte: „Ihr habt den Glauben auch durch eure Werke bekundet, durch eure standhafte Ausdauer, durch euren freudigen Eifer.

 

3.

 

Und der Opfer 5 der Liebe.

Was für Opfer kostet es denn, überhaupt nur in der alltäglichsten Bedeutung des Wortes zu lieben? Keine. Wahrhaft und im vollsten Sinne des Wortes zu lieben aber, das kostet allerdings große Opfer. Oder sage mir: Wenn tausenderlei Dinge uns von der Liebe abziehen wollen, wir aber allen diesen Versuchungen widerstehen, kostet das keine Opfer? Was haben nicht die alten Christen erdulden müssen, um von ihrer Liebe nicht zu  lassen! Sind die Feinde des Evangeliums nicht eingedrungen in das Haus Dessen, der den heiligen Paulus gastlich aufgenommen,6 und als sie diesen nicht fanden, haben sie da nicht den Jason hingeschleppt vor die Obrigkeit? Sag’ an, fordert das keine Opfer, wenn die Saat, die kaum gewurzelt ist, schon solche Stürme, solche Versuchungen zu bestehen hat? „Und sie forderten Bürgschaft von ihm“, heißt es, „und nachdem er diese gestellt, entließ man den Paulus.“7 War das eine Kleinigkeit? Hat er sich damit nicht selbst für Paulus der Lebensgefahr ausgesetzt?

Wenn also z. B. einzelne Christen sich in Ketten und Bande schlagen ließen, so nennt der Apostel dieses einen Beweis von „mühevoller, opferwilliger Liebe.“

Es ist hier auch zu beachten, daß Paulus zuerst von ihren Tugenden spricht und dann erst von sich selbst, damit er auch den Schein vermeide, als sei er zur Ruhmredigkeit geneigt, oder als ob er sie liebe ohne Grund.

Und der Ausdauer.

Jene Verfolgung dauerte nämlich nicht eine bestimmte Zeit lang, sondern immerfort, und sie war nicht bloß gegen den Lehrer Paulus gerichtet, sondern auch gegen seine Schüler. Und wenn man nun schon jene wunderthätigen, dabei aber sonst so achtunggebietenden Männer so sehr verfolgte, wie wird man verfahren sein gegen Hausgenossen und Mitbürger, welche vom nationalen Glauben abfielen? Und daß die Gläubigen in der That Schlimmes zu befahren hatten, gibt der Apostel durch die Äußerung zu erkennen: „Ihr seid Nachfolger der Gemeinden Gottes in Judäa geworden.“8

 In der Hoffnung unsers Herrn Jesus Christus vor unserm Gott und Vater.

Eine herrliche Bemerkung! Denn alle die vorher bezeichneten Leistungen und Tugenden haben ihre Wurzel im Glauben und in der Hoffnung, und sind nicht nur ein Beweis von Starkmuth, sondern in viel höherem Grade ein Beweis von gläubiger Erwartung des verheißenen Lohnes. Deßhalb hat Gott zugelassen, daß bei Zeiten Verfolgungen über die Christen hereinbrachen, damit man nicht behaupten könne, das Christenthum habe ohne Schwierigkeit dadurch, daß es den Menschen schmeichelte, Bestand gewonnen, sondern auf daß der Eifer der Christen sich bewähre und es Allen offenbar werde, es sei nicht die Macht menschlicher Überredungskunst, sondern die Kraft Gottes gewesen, welche die christlichen Bekenner stärkte, sogar tausendfachem Tode entgegen zu gehen. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn nicht das Evangelium schnell tiefgewurzelt gewesen und unerschütterlich fest gestanden wäre.

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