Homilien über die Bildsäulen

Homilien über die Bildsäulen – Johannes Chrysostomos

Der früheste nennenswerte Anlaß, der die Redekraft und große Autorität des Johannes Chrysostom zeigte, war die Fastenzeit des Jahres 387, als er seine “Homilien über die Bildsäulen” hielt. Das Volk von Antiochia hatte, angestachelt durch die Erhebung neuer Steuern, die Statuen des Kaisers Theodosius gestürzt. In der darauf folgenden Panik und Angst vor Bestrafung hielt Chrysostomos eine Reihe von zwanzig oder einundzwanzig (die neunzehnte ist wahrscheinlich nicht authentisch) Predigten, voller Kraft, tröstend, ermahnend, beruhigend, bis Flavian, der Bischof, in Konstantinopel die kaiserliche Begnadigung erwirkte.

Homilien über die Bildsäulen

Homilien über die Bildsäulen.

Format: eBook/Taschenbuch

Homilien über die Bildsäulen

ISBN eBook: 9783849659943

ISBN Taschenbuch: 9783849668303

 

Auszug aus dem Text:

 

Erste Homilie.

Inhalt.

 Erste Homilie, von Chrysostomus gehalten zu Antiochia, als er noch Priester war, in der alten Kirche über den Text des Apostels: „Genieße ein wenig Wein um deines Magens und deiner häufigen Krankheiten willen.”1

Streng genommen gehört diese Homilie nicht zu den folgenden zwanzig „über die Säulen,” weil sie fünf Tage vor dem in der Einleitung geschilderten Ereignisse gehalten worden; jedoch sachlich bildet sie Thür und Thor zu allen folgenden und wurde deßhalb seit den ältesten Zeilen ihnen vorangestellt. — Der Inhalt selbst ist nun folgender: Angabe der Hauptpunkte in der Lektion (I. Tim. 5, 22 — 6, 16) und Auswahl des Textes (ebend. 5, 23). Dessen scheinbare Unwichtigkeit. Beweis seiner Bedeutsamkeit aus den Zweifeln und Bedenken, zu denen er Anlaß gegeben. Exkurs über die Liebe des heiligen Paulus zum heiligen Timotheus als eine Folge von der Tugend des letztern. Widerlegung derer, welche den Text zur Beschönigung der Trunksucht mißbrauchen, wie auch derer, welche um des Mißbrauchs willen den Weingenuß überhaupt für verwerflich halten. Zusammenfassung obigerBedenken ist das Thema: warum Gott zulasse, daß seinen Heiligen so viele Trübsale widerfahren? Zur Antwort die Aufzählung von acht Ursachen jener Zulassung; sodann die weitere Begründung und Entwickelung dieser Ursachen aus der heiligen Schrift. Nachträgliche Hinzufügung von noch drei Ursachen. Anwendung und Aufforderung an die Gemeinde, in den Leiden jeder Art getrost zu sein und Gott in allen Stücken zu danken, dagegen die Lästerer des göttlichen Namens in der Stadt durch Wort und That zu bestrafen.

1.

Habt ihr die apostolische Stimme, die Posaune vom Himmel, die geistliche Lyra gehört? Denn wie eine Posaune mit furchtbarem und kriegerischem Schalle, schlägt sie die Feinde zu Boden und richtet den gesunkenen Muth der Ihrigen auf, erfüllet die Achtsamen mit starker Zuversicht und macht sie dem Teufel unüberwindlich; und indem sie hinwieder gleich einer Lyra die Seele reichlich anregt und ergötzt, stillt sie das Leid der unordentlichen Gedanken und bringt uns nebst dem Vergnügen reichen Gewinn. Habt ihr also vernommen, über wie viele und gewichtige Dinge Paulus heute zu Timotheus redet? Denn über die Händeauflegung schreibt er an ihn mit den Worten: „Die Hände lege Niemanden voreilig auf und mache dich nicht fremder Sünden theilhaftig” 2 und stellt ihm die unerträgliche Gefahr solchen Vergehens dadurch vor Augen, daß er zeigt, wie für die von den Einen verübten Ungerechtigkeiten Andere die Strafe ausstehen werden in Gemeinschaft mit Jenen, weil sie durch die Händeauflegung der Bosheit die Gewalt verleihen. Dann sagt er weiter: „Genieße ein wenig Wein um deines Magens und deiner häufigen Krankheiten willen.” 3 Auch von der Unterthänigkeit der Knechte und dem Wahnsinne der Geizigen und dem Übermuthe der Reichen und von vielem Andern hat er heute zu uns geredet. Da es nun unmöglich ist, Alles durchzugehen, so sagt, was wir von dem Angeführten vornehmen sollen, um darüber zu eurer Liebe zu sprechen! Denn wie auf einer Wiese sehe ich in dem verlesenen Abschnitte viele und mannigfaltige Blumen, sowohl viel Rosengebüsch als auch viele Veilchen und nicht weniger Lilien; aber auch überall und reichlich ist die mannigfache Frucht des Geistes ausgestreut, und des Wohlgeruches ist viel; oder aber besser gesagt: Nicht nur eine Wiese, sondern auch ein Garten ist die Lesung der göttlichen Schriften. Denn diese Blumen haben nicht einen bloßen Wohlgeruch nur, sondern auch eine Frucht, welche die Seele zu nähren vermag. Was wollt ihr, daß wir euch heute von dem Angegebenen vorführen? Wollt ihr, daß wir Dasjenige, was von Allem das Geringste zu sein scheint, und was Jeder ohne weiters versteht, gegenwärtig behandeln? Mir ist das recht, und euch sagt es zu, wie ich wohl weiß. Was ist nun das Unerheblichste von Allem? Was Anderes, als was auch der Geringste für leicht verständlich erachtet und ohne Mühe nachspricht? Was ist nun das? „Genieße ein wenig Wein um deines Magens und deiner häufigen Krankheiten willen.”

Wohlan denn, so laßt uns die ganze Unterredung auf diesen Spruch verwenden! Wir thun aber das nicht aus Ehrgeiz und nicht in der Absicht, um zu beweisen, was wir im Reden vermögen (denn was wir sagen, ist nicht das Unsere, sondern was die Gnade uns eingibt), sondern um die leichtsinnigen Zuhörer aufzuwecken und zu überzeugen, wie groß der Schatz der Schrift, und wie es nicht gerathen noch gefahrlos ist, darüber hinwegzulaufen. Denn wenn es sich zeigt, daß dieser schlichte und leichtverständliche Spruch, der den Meisten nichts Nothwendiges zu enthalten scheint, uns Gelegenheit zu großer Bereicherung bietet und eine Quelle der höchsten Weisheit wird: so werden diejenigen (Aussprüche der Schrift), welche die ihnen inwohnende Fülle von selber offenbaren, um soviel mehr die Achtsamen mit unzähligen Schätzen erfüllen. Laßt uns also auch über die scheinbar unwichtigen Stellen der Schrift nicht hinwegeilen; denn auch diese stammen aus der Gnade des Geistes. Des Geistes Gnade aber ist nie klein und gering, sondern groß und wunderbar und des reichen Spenders würdig. Hören wir also nicht nur so nebenbei darauf, weil ja auch die Bearbeiter der Erze, wenn sie diese in den Schmelzofen werfen. nicht nur die Klumpen Goldes aufheben, sondern auch die kleinen Stücklein mit Emsigkeit sammeln. Da nun auch wir Gold kochen, das wir aus dem apostolischen Bergwerk entnehmen, aber es nicht in einen Schmelzofen werfen, sondern in das Verständniß eurer Seele hineinlegen, und nicht eine (irdische) Flamme entzünden, sondern das Feuer des Geistes anfachen: so laßt uns mit großer Sorgfalt auch die kleinen Körnchen sammeln. Denn obschon der Spruch kurz ist, so hat er doch eine gewaltige Kraft. Es besteht ja auch der den Perlen eigene Werth nicht in der Masse des Stoffes, sondern im Wesen ihrer Schönheit. So verhält es sich auch mit der Lesung der göttlichen Schriften. Denn die Unterweisung der Welt macht sich zwar oft mit eitlen Possen zu schaffen und schickt die Zuhörer mit reichlichem Wortschwall übergossen, und ohne sie mit irgend etwas Gutem, sei es groß oder klein, befruchtet zu haben, mit leeren Händen von dannen; aber die Gnade des Geistes nicht also; sondern ganz im Gegentheil bietet sie durch geringe Worte Allen, die darauf Acht haben, Weisheit, und oft reicht es hin, nur einen Spruch von hier mitzunehmen, um daran eine Zehrung für das ganze Leben zu haben.

2.

Da nun der Reichthum so groß ist, so wollen wir uns selber ermuntern und das, was gesagt wird, wachen Geistes aufnehmen. Denn ich bin gesonnen, mit der Predigt zu einer beträchtlichen Tiefe hinabzusteigen. Vielen nämlich schien diese Ermahnung (des Apostels) sich so nebenhin zu schleppen und etwas Überflüssiges zu sein; und sie sagen nun so: „Konnte denn Timotheus nicht von selber einsehen, was ihm zweckdienlich wäre? Warum wartete er, es von seinem Lehrer zu erfahren? Ferner, warum gab ihm der Lehrer nicht bloß einen Rath, sondern legte ihn auch in Schriften nieder und grub ihn wie auf einer ehernen Säule in dem Briefe an ihn ein? Und warum erröthete er nicht, über dergleichen dem Schüler in einem öffentlichen Briefe zu schreiben? — Damit du nun lernest, wie jene Ermahnung nicht nur nicht sich nebenher schleppt, sondern nothwendig und höchst heilsam war, und wie es nicht Pauli Werk, sondern das der Gnade des Geistes ist, daß sie nicht bloß ausgesprochen, sondern auch schriftlich verfaßt und allen künftigen Geschlechtern durch diesen Brief überliefert wurde: so will ich mich sofort daran machen, Dieses zu zeigen. Denn außer den angeführten Bedenken haben Manche noch einen andern, nicht geringern Zweifel, indem sie bei sich fragen, warum es Gott zuließ, daß ein Mann, der so große Zuversicht hatte, dessen Gebeine und Überreste Teufel austrieben, in ein solches Siechthum verfiel. Denn nicht einmal war er krank, sondern immer und ununterbrochen und an auf einander folgenden und fortdauernden Anfällen, die ihm auch nicht im Geringsten aufzuathmen vergönnten. Woraus erhellt das? Aus Pauli Worten selbst. Denn er sagt nicht: „deiner Krankheit wegen,” sondern: „deiner Krankheiten wegen,” und nicht bloß „Krankheiten,” sondern „deiner häufigen Krankheiten wegen” sagt er, um ihre anhaltende Wiederkehr zu bezeichnen. Das mögen Alle hören, welche, einem langen Siechthume hingegeben, darüber mißmuthig und verzagt werden. Aber nicht das allein, daß er, obwohl ein Heiliger, krankte und so anhaltend krankte, ist es, was Bedenken erregt, sondern daß ihm überdieß die gemeinsamen Angelegenheiten der ganzen Welt anvertraut waren. Denn wäre er Einer von Jenen gewesen, die auf den Gipfeln der Berge als Einsiedler lebten und ihre Zelle in der Wüste aufschlugen und ein geschäftloses Leben 4führten, so wäre die Frage nicht so bedenklich. Daß aber ein Mann, der mitten in die Welt geworfen, dessen Händen die Sorge für so viele Kirchen anvertraut war, und der mit solchem Eifer und Fleiß seine Wirksamkeit über ganze Städte und Völker, ja über den ganzen Erdkreis ausdehnte, der Noth der Krankheit preisgegeben worden: dieß ist es vornehmlich, was den Unachtsamen vor Allem zu beunruhigen vermag; denn Timotheus hätte, wenn auch nicht seinetwegen, doch um der Andern willen gesund sein sollen. Er war ein höchst ausgezeichneter Feldherr. In Krieg war er verwickelt, heißt es, nicht nur mit den Ungläubigen, sondern auch mit den bösen Geistern und mit dem Teufel selber. Mit großem Ungestüm brachen die sämmtlichen Feinde herein, zerstörten das Heereslager und machten Gefangene. Dieser konnte viele Tausende zur Wahrheit zurückführen, und lag krank! Und wenn auch, heißt es, von diesem Siechthum den Dingen kein anderer Schaden erwuchs, so war Dieses allein doch schon hinreichend, die Gläubigen verdrossener und leichtsinniger zu machen. Denn wenn Krieger, die ihren Führer an das Bett gefesselt sehen, verdrossener und zum Kampfe saumseliger werden: wie viel natürlicher war es, daß auch den Gläubigen, die ihren Lehrer, der so viele Zeichen gethan, unaufhörlich kränkeln und körperlich leiden sahen, damals etwas Menschliches widerfuhr? Aber nicht das allein finden die Zweifler bedenklich; denn warum hat ferner weder er sich selber, noch sein Lehrer den so schwerkranken geheilt? Weckten sie ja sogar Verstorbene auf, trieben Teufel aus und bestanden ohne Mühe den Tod; aber einen einzigen siechen Leib richteten sie nicht auf; ja sie, welche im Leben und nach dem Tode an fremden Leibern eine solche Macht an den Tag legten, stellten sogar nicht einmal einen geschwächten Magen wieder her! Und was mehr ist, Paulus schämt sich nicht und erröthet nicht, nach so vielen und gewaltigen Zeichen, die er oft durch ein bloßes Wort gethan hatte, dem Timotheus zu schreiben, daß er zum Genusse des Weines als einem Heilmittel seine Zuflucht nehme. Nicht als ob das Weintrinken schimpflich wäre — das sei ferne; denn das ist eine Satzung der Ketzer, 5sondern daß er es nicht für eine Schmach hielt, ohne Hilfe jenes Mittels nicht ein einziges krankes Glied herstellen zu können! Ja soweit war er entfernt, sich dessen zu schämen, daß er es sogar der ganzen Nachwelt zur Kenntniß kommen ließ. Seht ihr, bis zu welcher Tiefe wir mit dem Texte hinabgekommen sind? — Wie das, was unbedeutend erscheint, strotzet von zahllosen Fragen? Wohlan, bringen wir nun auch die Lösung. Denn darum sind wir in eine so beträchtliche Tiefe gestiegen, um, nachdem wir euer Nachdenken erregt, euren Sinn sicher zu machen und zu befestigen.

 …

Dieser Beitrag wurde unter Die Schriften der Kirchenväter veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.