Im Herzen Asiens, Band 1

Im Herzen Asiens, Band 1 – Sven Hedin

Mitten im Herzen Asiens, wo Großbritannien, Russland und China ihre Finger nach einem möglichen Zusammentreffen ausstreckten, liegt der geheimnisvolle Landstrich, der in den meisten Geographiebüchern nur auf einer halben Seite erwähnt wird . Es ist eine Region, für die sich die Menschen wenig interessiert haben. Der Norden und der Süden der Welt sind eifrig erforscht worden; den Pol und die Sahara hat man sozusagen vor unsere Türen gelegt. Aber im Laufe der Jahrhunderte gab es nur wenige Versuche, in den Kern des geheimnisvollen Ostens vorzudringen. Schon der Name Hotan, Pamir, Mus-tagh-ata hat etwas, das die Phantasie kitzelt, und viele werden beim Aufschlagen von Dr. Sven Hedins Buch eine Art mystischen Schauer verspüren. Dr. Hedin besitzt viel Humor, aber sein Buch ist sehr ernst zu nehmen. Er hat Tausende Kilometer durchquert, wo kein Europäer jemals zuvor einen Fuß hingesetzt hatte; seine Abenteuer und Erfahrungen waren an sich schon außergewöhnlich, und seine Entdeckungen von weitreichender Bedeutung; aber vielleicht liegt der Charme des Buches tatsächlich in der Kunst des Autors, seine Geschichte einfach und ungekünstelt zu erzählen und das menschliche Interesse von der ersten bis zur letzten Seite lebendig zu halten. Es gibt kaum ein faszinierenderes oder spannenderes Reisebuch . Die Beschreibungen der verschiedenen Versuche, den Mus – tagh – ata zu erklimmen, die wunderbaren Auswirkungen der Landschaft auf die geistigen und körperlichen Empfindungen des Reisenden lassen die Nerven beim bloßen Lesen kribbeln . Mit der Karawane, dem Kamel, dem Yak oder zu Fuß hat Dr. Sven Hedin über 9000 Kilometer zurückgelegt, davon über 3000 Kilometer unentdecktes Gelände. Insgesamt, einschließlich der Reisen mit der Bahn oder Fahrzeugen, legte er über 21000 Kilomter während dieser vier anstrengenden Jahren zwischen 1893 – 97 zurück. Seine wissenschaftliche Arbeit war unermüdlich. Frierend zwischen Gletschern, von der Hitze versengt in trockenen Ebenen, von Kopfschmerzen geplagt in der dünnen Atmosphäre der Berggipfel, fast verdörrt vor Durst in den Wüsten, hat der unerschrockene Forscher dennoch nie versäumt, seine Beobachtungen aufzuzeichnen. Zwischen dem Bagrash-köll im Norden und dem Koko-shili-Gebirge in Tibet hat er ein riesiges Stück Neuland erforscht und eine Menge unschätzbaren Materials gesammelt.

Im Herzen Asiens, Band 1

Im Herzen Asiens, Band 1.

Format: Paperback, eBook

Im Herzen Asiens, Band 1.

ISBN: 9783849664961 (Paperback)
ISBN: 9783849663094  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Einleitung.

 

Am Johannistage des Jahres 1899, als der nordische Sommer in seiner größten Schönheit prangte, brach ich zum vierten Male von Stockholm nach dem Herzen von Asien auf, zu neuen Forschungen und Abenteuern im fernen Osten. Die Schiffe im Hafen waren reich mit Flaggen geschmückt, sie feierten das Johannisfest. Nur meine Eltern, Geschwister und nächsten Freunde standen am Ufer, als der Dampfer „Uleåborg“ langsam den Stockholmer Strom hinabglitt. Welche Schicksale und Entbehrungen ich auch während der folgenden drei Wanderjahre zu erdulden gehabt, ich habe keinen schwereren Tag erlebt als diesen ersten; denn eine weit größere Entschlossenheit als nachher täglich erforderlich ist, gehört dazu, sich von der Umgebung loszureißen, mit der man von Kindheit an durch die heiligsten Bande des Lebens verknüpft ist.

Auf dieser Reise führte ich viel schwereres Gepäck mit als auf meinen früheren; es wog nicht weniger als 1130 Kilogramm und war in 23 Kisten verteilt, von denen die meisten eigens so angefertigt waren, daß sie von einem Pferde bequem paarweise transportiert werden konnten. Meine Ausrüstung war auch jetzt sehr vollständig. Damit der Leser einen Begriff davon hat, wie man für eine Asienreise ausgerüstet sein muß, will ich hier die wichtigsten Gegenstände aufzählen.

Um mit den astronomischen Instrumenten zu beginnen, so benutzte ich diesmal einen Universalreisetheodoliten und drei Chronometer. Diese Instrumente sind unter allen Umständen die empfindlichsten und erfordern die liebevollste Sorgfalt. Sie nahmen auf der Reise nicht den geringsten Schaden und kamen unversehrt wieder heim.

An topographischen Instrumenten war ich versehen mit: Nivellierfernrohr mit Meßstangen und anderem Zubehör, Nivellierspiegel, Bandmaßen, Kompassen, Diopterkompaß mit Prisma zur Ablesung der Winkel, Meßtisch mit Stativ und Diopter.

Ich nahm auch zwei Strommesser mit, vorzügliche Apparate, die bei unzähligen Gelegenheiten gebraucht wurden und sich auch beim Rudern für Distanzmessungen erfolgreich verwenden ließen.

 

Die meteorologische Ausrüstung bestand aus einem Hypsometer mit 5 Kochthermometern, einem Aspirationspsychrometer, ein paar Aktinometern, einem Anemometer, einem Regenmesser und einer großen Anzahl gewöhnlicher Thermometer, Quellenthermometer, Maximum- und Minimumthermometer, Thermometer zur Untersuchung der Bodentemperatur usw. Das Kgl. Nautisch-Meteorologische Institut in Stockholm hatte mir einen Tiefseethermometer überlassen. Einen Barographen und einen Thermographen mit vierzehntägigem Gang hatte ich eigens herstellen lassen. Diese selbstregistrierenden Apparate waren mir zur Kontrolle von unschätzbarem Nutzen und arbeiteten vortrefflich. Ein großer Vorteil war, daß ihre Glasgehäuse so dicht schlossen, daß weder Sandstürme, noch atmosphärischer Staub ihren Gang im geringsten beeinflußten.

Drei Aräometer ließen nichts zu wünschen übrig, als daß die Skalen den sehr salzigen Seen Tibets hätten besser angepaßt sein müssen.

Nicht weniger als 58 Brillen hatte ich bestellt. Sehr wenige von ihnen kamen wieder ganz nach Hause. Besonders die Schneebrillen, grau und blau in verschiedenen Nuancen und mit ungeschliffenen Gläsern, fanden bei meinen Karawanenleuten und anderen Eingeborenen reißenden Absatz.

Dieselben Waffen, die mich 1893–97 begleitet hatten, leisteten mir auch jetzt Dienste. Ich hatte sie als Geschenk von dem Direktor der Waffenfabrik zu Husqvarna erhalten, der jetzt so gütig war, mich mit vier weiteren schwedischen Offiziersrevolvern und einer Menge kleinerer Revolver, die hauptsächlich zu Geschenken an die Eingeborenen bestimmt waren, sowie mit reichhaltiger Munition auszurüsten. Da die vier Kosaken, die mir Seine Majestät der Zar auf die Reise mitgab, mit den neuen russischen Magazingewehren versehen waren, besaßen wir ein ziemlich starkes Arsenal, 10 Gewehre und wenigstens 20 Revolver.

Daneben wurden natürlich unzählige Sachen mitgenommen, die ich hier nicht aufzählen kann. Ein paar verdienen jedoch besonders erwähnt zu werden: ein zusammenlegbares Bett, das mir im Sommer die behaglichste Ruhe verschaffte; im Winter und in Tibet schlief ich auf der Erde. Mit großer Zufriedenheit denke ich auch an „James’ Patent Folding Boat“ zurück (Abb. 1). Es bestand aus zwei Hälften, die beim Gebrauche zusammengesetzt wurden und eine sehr leichte Last für ein Pferd ausmachten; sogar ein Mann allein konnte es tragen. Sein Zubehör bestand aus zwei Rudern mit Klammern, Mast und Segel und zwei Rettungsbojen. Dieses kleine Fahrzeug war nicht nur von großem Nutzen, sondern bereitete mir auch eine sehr angenehme Abwechslung in der Einförmigkeit des Karawanenlebens. Dank ihm konnte ich in den tibetischen Seen Lotungen vornehmen, was vorher nie geschehen war; auch während der Flußreise leistete es mir große Dienste. Es erweiterte mein Arbeitsfeld und trug mich über Seen, die ich sonst nur vom Ufer aus hätte ansehen können. Einmal setzte dieses leichte, flinke Fahrzeug die ganze Karawane über einen tibetischen Fluß, dessen Umgehung uns großen Zeitverlust verursacht hätte.

Die photographische Ausrüstung erwies sich in jeder Hinsicht als vortrefflich. Dieselbe Watson-Camera, die fast ein Jahr im Flugsande der Wüste Takla-makan begraben gelegen, begleitete mich auch jetzt. Außerdem hatte ich eine kleine Veraskopcamera, ein ganz vorzügliches Instrument, einen Kodak Junior und einen Daylightkodak von Eastman. Es spielte keine Rolle, daß letzterer meinen Erwartungen nicht entsprach, da die drei anderen während der ganzen Reise vortrefflich funktionierten. Die Linsen waren die vorzüglichsten, die zu haben waren; als Glasplatten, die die schwerste Nummer meines Gepäcks ausmachten, benutzte ich Edwards „Antihalo“. Mit allem, was zum Entwickeln, Fixieren und Kopieren gehört, war ich ebenfalls ausgestattet und den größten Teil der aufgenommenen Platten (etwa 2500) entwickelte ich im Laufe der Reise selbst. Nur 700 Platten waren bei der Heimkehr noch nicht entwickelt. Sie wurden immer in verlöteten Blechkasten verwahrt. Allerdings kostete das Entwickeln der Bilder Zeit, aber ich fand, daß die Arbeit in hohem Grade an Interesse gewann, denn es versteht sich von selbst, daß es ein angenehmes Gefühl der Sicherheit gibt, wenn man weiß, daß die Platten gelingen und die Apparate dicht sind. Übrigens muß sich die Expositionszeit nach den Lichtverhältnissen richten, die in Ostturkestan und in Tibet sehr verschiedenartig sind. Da ich eine so vollständige photographische Ausrüstung hatte, kam ich selten dazu, Zeichnungen zu machen, und hatte auch selten Zeit dazu; meist sind ja auch Photographien infolge ihrer absoluten Treue wertvoller.

Hier sei auch erwähnt, daß eine Menge Kleinigkeiten, wie Messer, Dolche, Ketten, Uhren, Kompasse, Spieldosen usw. mitgenommen wurden, die zu Geschenken an die Eingeborenen bestimmt waren. Ein Eskilstuna-Messer erster Güte wird im innersten Asien weit höher geschätzt als ein viel wertvolleres Geldgeschenk. In vielen Fällen sind derartige Kleinigkeiten besser als Scheidemünze und selbstverständlich billiger.

Papier zum Kartenzeichnen, Tage- und Notizbücher, Schreibmaterial, Tintenpulver und dergleichen hatten ebenfalls ein achtunggebietendes Gewicht, aber ich bedurfte dieser Sachen für eine Karte von 1149 Blättern und für ein Tagebuch von 4500 Seiten!

Zur Verwahrung und Beförderung der empfindlicheren Sachen hatte ich sechs Koffer von Korbgeflecht mit wasserdichtem Futteral bestellt. Sie waren leicht und sehr stark und nahmen keinen Schaden, während Holz- oder Eisenkisten gründlich beschädigt wurden. Ferner wurde mir eine dauerhafte Kiste mit 300 Glasröhren für naturgeschichtliche Präparate geliefert.

Die Proviantfrage wurde außerordentlich befriedigend gelöst. Alle Waren (acht Kisten) hielten sich vorzüglich; besonders delikat waren die Schildkröten-, Kaiser- und Ochsenschwanzsuppe, die, fertig in Dosen, nur gewärmt zu werden brauchten. Um eine Schaf- oder Antilopenfleischsuppe schmackhaft und kräftig zu machen, war Liebigs Fleischextrakt unschätzbar und sehr praktisch, da er sich leicht mitnehmen ließ.

Alles war für eine Reise von zwei Jahren berechnet und reichte daher nicht aus. Aber bis in die Lop-nor-Gegend stand ich von Zeit zu Zeit mit Europa in Verbindung und konnte somit im Sommer 1901 Verstärkung erhalten, nicht nur an photographischem Material und Konserven, sondern auch für meine Kasse.

Meine Bibliothek war nicht groß; sie bestand aus: Bibel, Gesangbuch und einem Büchlein mit dem Titel „Parole für den Tag“, das ein Band zwischen mir und den Meinen in der Heimat bildete, ferner aus Supans „Grundzüge der physischen Erdkunde“, Geikies „The great Ice Age“ und Hanns „Handbuch der Klimatologie“, Kerns „Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien“, Rhys Davids „Buddhism“, ein paar wissenschaftlichen Nachschlagebüchern, sowie aus Odhners schwedischer Geschichte und ein paar Werken schwedischer Dichtkunst. Alle Karten, welche Reisende über das innerste Asien veröffentlicht hatten, wurden in einer besonderen Mappe verwahrt. Ich konnte demnach ihre Routen sorgfältig vermeiden und Gegenden aufsuchen, wo ich der erste war.

Ein so bedeutendes Gepäck 5300 Kilometer weit auf der Eisenbahn als Passagiergut mitzunehmen, hätte natürlich große Kosten verursacht. Mich aber kostete es nicht eine Kopeke. Seine Majestät der Zar hatte meinem Reiseplane großes Interesse entgegengebracht und mir für Rußland freie Reise und für mein Gepäck Fracht- und Zollfreiheit bewilligt.

In Petersburg genoß ich vom 26.–30. Juni 1899 wieder die Gastfreundschaft unseres Gesandten Reuterskiöld. Wie leid tat es mir, als ich eine Woche später von seinem plötzlichen Hinscheiden hörte! Unserem neuen Gesandten in Rußland, dem Grafen Aug. Gyldenstolpe, bin ich für die große Bereitwilligkeit, mit der er sich sowohl damals als auch während der drei folgenden Jahre meiner Interessen liebevoll angenommen hat, größten Dank schuldig. Er hatte die Güte, es so einzurichten, daß ich, außer der freigebigen Unterstützung, die ich von meinem Freunde Emanuel Nobel erhalten hatte, auch das ganze Reisegeld auf bequeme Weise in Taschkent erheben konnte. In Petersburg hatte ich auch die Freude, täglich mit meinem alten Wohltäter und Freunde, dem berühmten Polarforscher Professor Freiherrn A. von Nordenskiöld zusammenzutreffen. Zu tiefer Trauer für alle, die ihn liebten und bewunderten, und zu unersetzlichem Verluste für die Wissenschaft und unser Vaterland wurde auch er während der Zeit, in der ich fern von der Heimat weilte, dahingerafft.

Ich werde den Leser nicht mit einer Beschreibung der Fahrt durch Rußland und Westasien ermüden. Dem Plane dieses Buches gemäß muß ich an bekannten Orten vorübereilen und den Leser so schnell wie möglich nach dem eigentlichen Schauplatze neuer Erfahrungen und geographischer Entdeckungen führen. Während der letzten Zeit, bevor ich Stockholm verließ, hatte ich angestrengt gearbeitet, und es war daher eine wahre Erholung, sich in dem bequemen Abteil ausstrecken zu können, ungestört durch Korrekturen, Telephon und Zeitungen und Tausende von Bagatellen, die in einem zivilisierten Staate unsere Zeit und unsere Gedanken in Anspruch nehmen. Es war schön, Träumen und Plänen freien Lauf lassen zu können und zu fühlen, daß man sich mit jeder Minute dem Ziele näherte.

Die Fahrt ging über Moskau, Woronesch und Rostow am majestätischen Don und weiter nach Wladikawkas, denselben Weg, den ich bei meiner ersten Reise 1885 zurückgelegt hatte. Von da führte der Weg über das langweilige Petrowsk und über die weite Fläche des Kaspischen Meeres nach Krasnowodsk, einem der trübseligsten Orte, die man sich denken kann.

Kriegsminister General Kuropatkin hatte die große Freundlichkeit gehabt, telegraphisch in Krasnowodsk Befehl zu erteilen, daß mir zur Reise nach Andischan ein ganzer Eisenbahnwagen zur Verfügung gestellt werde. In diesen wurde all mein Gepäck verstaut, und ich selbst hatte es so bequem wie in einem Hotel. Da mein Wagen der letzte im Zuge war, konnte ich von seiner hinteren Plattform aus den Blick über die öde Landschaft schweifen lassen. Ich hatte die Schlüssel zum Wagen und war von den übrigen Leuten im Zuge vollkommen isoliert. Daher konnte ich bei der drückenden Hitze so leicht gekleidet als nur denkbar umhergehen und mich ab und zu im Toilettezimmer an einer Dusche erfrischen.

Am 7. Juli verließen wir nachmittags 5 Uhr die Küste des Kaspischen Meeres, rollten in den asiatischen Kontinent und verloren uns in der öden Steppe. Um Mitternacht fiel die Temperatur, die mittags in Krasnowodsk 37 Grad im Schatten betragen hatte, auf 28 Grad, und die Lebensgeister, die in der Hitze eingeschlummert waren, wachten wieder auf. Am Nachmittag des 8. Juli erreichten wir Aschabad, wo ich Oberst Svinhufvud traf, den ich von meiner vorigen Reise her kannte und der hier Bahnhofsinspektor war.

Dieser Beitrag wurde unter H, Hedin, Sven, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.