Jüdischer Krieg

Jüdischer Krieg – Flavis Josephus

Das Werk, aufgeteilt in sieben Bücher, beginnt mit einer Zusammenfassung der jüdischen Geschichte von der Einnahme Jerusalems durch den Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes im Jahr 168 v. Chr. bis zu den ersten Phasen des Ersten Jüdisch-Römischen Krieges (Buch I und II). Die nächsten fünf Bücher schildern die Entwicklung des Krieges unter den römischen Generälen Vespasian und Titus bis zum Tod des letzten Sikariers. Das Buch wurde um 75 n. Chr. geschrieben, ursprünglich in Josephus’ “Heimatsprache” – entweder Aramäisch oder Hebräisch -, obwohl diese Version nicht überlebt hat. Kritiker haben dieses Buch als den “vielleicht einflussreichsten nichtbiblischen Text der westlichen Geschichte” bezeichnet.” Der Text dieser Edition folgt der 1901 erschienenen und von Philipp Kohout übersetzten Ausgabe.

Jüdischer Krieg

Jüdischer Krieg.

Format: Paperback, eBook

Jüdischer Krieg.

ISBN: 9783849665883 (Paperback)
ISBN: 9783849662394 (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

I. Buch. Entferntere Vorgeschichte.

Von den Machabäerkämpfen bis zum Tode des Herodes.

Vorwort des Verfassers.

 

1 (1.) Da der zwischen den Juden und Römern ausgefochtene Krieg, welcher nicht bloß unter den Kriegen der Jetztzeit, sondern, fast möchte ich sagen, auch unter allen blutigen Zusammenstößen einzelner kleinerer Staaten oder ganzer Nationen, von denen uns überhaupt die Geschichte Kunde gibt, der gewaltigste ist, von dem einen Theile der Geschichtschreiber nur zu einem Gegenstande der Schönrednerei gemacht wird, weil sie ja keine Augenzeugen jener Ereignisse waren, sondern bloß vom Hörensagen die erstbesten und widerspruchsvollsten Geschichten zusammentragen, 2 während die Augenzeugen theils aus Schmeichelei gegen die Römer, theils aus Hass gegen die Juden der Wahrheit geradezu absichtlich ins Angesicht schlagen, so dass ihre Schriften hier nur einseitigen Tadel, dort wieder die reinste Lobhudelei, nirgends aber das enthalten, was man zuverlässige Geschichte nennt, 3 so habe ich, Josephus, des Matthias Sohn, ein gebürtiger Hebräer aus Jerusalem und priesterlicher Abstammung, nachdem ich persönlich beim Beginn des Krieges den Römern gegenüber gestanden, dem späteren Verlaufe aber wenigstens als Zuschauer wider Willen nahegestanden bin, mir vorgenommen, den Bewohnern des römischen Reiches in griechischer Ueberarbeitung dasselbe Geschichtswerk zu bieten, das ich früher für die Barbaren im oberen Asien in meiner Muttersprache abgefasst und herausgegeben habe.

4 (2.) Zu jener Zeit, wo die erwähnte überaus gewaltige Bewegung eintrat, war im römischen Reiche gar manches faul, und da nun gerade mitten in jenen wirren Verhältnissen das neuerungssüchtige Element unter den Juden, das über die besten Streitkräfte und Geldquellen verfügte, sein Haupt erhob, so kam es soweit, dass in dem ungeheuren Durcheinander die einen sogar ihre Augen auf den Besitz des Orientes richten konnten, die anderen dagegen mit dem Gedanken an seinen Verlust sich vertraut machen mussten. 5 Denn einerseits erwarteten es sich die Juden, dass unsere gesammte Stammverwandtschaft jenseits des Euphrat sich wie ein Mann mit ihnen erheben würde, indes die Römer von ihren gallischen Nachbarn in Athem gehalten wurden, und auch die Masse der eigentlichen Keltenvölker in Gährung kam, bis endlich die Verwirrung nach dem Tode Neros eine allgemeine wurde, und die günstige Gelegenheit viele verleitete, ihre Hand sogar nach der Kaiserkrone auszustrecken, während das Militär schon wegen der Hoffnung auf Beutegewinn sich nach Umwälzungen sehnte. 6 Ich hielt es nun für unstatthaft, einfach davon abzusehen, wie die geschichtliche Wahrheit bei so hochbedeutsamen Begebenheiten, sozusagen, auf die Fremde angewiesen wäre, und dass, obschon selbst die Parther und Babylonier, die entlegensten Araberstämme, wie auch unsere Stammgenossen drüber dem Euphrat und die Bewohner von Adiabene dank meiner Sorgfalt über die Entstehung dieses Krieges, über die entsetzlichen Leiden, unter denen er seinen Fortgang genommen und endlich über seinen Ausgang genau unterrichtet sind, einzig die Griechen und von den Römern jene, die am Feldzug nicht theilgenommen haben, über diese Ereignisse in Unkenntnis bleiben sollten, indem sie ja doch nur entweder Schmeicheleien oder Dichtungen zu lesen bekommen.

7 (3.) Trotzdem wagt man es, diesen letzteren Schriften den Titel eines Geschichtswerkes zu geben, wenngleich man mit ihnen, weit entfernt davon, ein gesundes Ergebnis der Geschichte zu erzielen, nach meiner Meinung wenigstens, sogar auch das eigentliche Ziel, das man im Auge hat, gänzlich verfehlt: Man beabsichtigt nämlich auf der einen Seite die Römer als recht groß hinzustellen, während man andererseits die Juden immer recht tief herabdrückt und verkleinert: 8 mir ist es aber einfach unerfindlich, wie denn die Sieger über kleine Feinde selbst noch groß erscheinen können. Auch findet bei diesen Leuten weder die lange Dauer des Krieges noch auch die große Stärke des mühsam operierenden römischen Heeres noch selbst die Größe seiner Feldherren eine billige Berücksichtigung, welch’ letztere ungeachtet ihrer vielen und harten Mühen bei der Belagerung Jerusalems, wie ich glaube, ruhmlos dastehen müssen, wenn man ihnen dergestalt ihre Heldenthaten verkümmern will.

9 (4.) Nicht beabsichtige ich jedoch umgekehrt im feindlichen Wettstreit mit jenen, die Roms Waffenthaten allzusehr erheben, dafür die Thaten meiner Stammesbrüder zu übertreiben, sondern ich will ganz einfach die Thatsachen auf beiden Seiten genau durchmustern, ohne indes meiner eigenen Empfindung jene Erwägungen zu versagen, die sich naturgemäß an jene Ereignisse knüpfen, und ohne meinen innersten Gefühlen den Ausdruck des Schmerzes über des Vaterlandes Unglücksschläge zu verweigern. 10 Denn, dass der eigene Bürgerkrieg es zugrunde gerichtet hat, und dass von den Tyrannen der Juden selbst die Faust des Römers und seine Brandfackel mit aller Gewalt gegen den heiligen Tempel herangezerrt worden ist, dafür gibt kein geringerer, als der ihn zerstört hat, der Cäsar Titus selbst, Zeugnis, da er während des ganzen Krieges für das von den Aufrührern niedergehaltene Volk inniges Mitleid zeigte, ja zu öfterenmalen die Einnahme der Stadt aus freien Stücken hinausschob und die Belagerung in die Länge zog, nur damit die Schuldigen anderen Sinnes würden. 11 Sollte indes jemand an den Ueberschwenglichkeiten der Anklagen, die wir gegen die Schreckenshäupter und ihre Banden erheben, oder an dem Uebermaß des Jammers über die Unglücksfälle meines Landes eine allzu peinliche und kleinliche Kritik üben wollen, so möge er wenigstens aus Rücksicht auf meine seelische Erschütterung über die strengen Anforderungen der Geschichtschreibung gütigst hinwegsehen. War es ja doch gerade unserer Vaterstadt bestimmt, dass sie von allen unter der römischen Herrschaft lebenden Städten zum höchsten Gipfel des Wohlstandes emporklimmen sollte, um wiederum in den tiefsten Abgrund des Elendes hinabzustürzen. 12 Selbst alles Unheil, das seit dem Bestande der Welt die Menschen betroffen hat, scheint mir hinter dem der Juden noch zurückzubleiben, die überdies auch nicht einmal den Trost haben, einem Fremden dafür die Schuld aufbürden zu können – kein Wunder, dass es mir unmöglich war, meinen Jammer ganz zu bemeistern! Wollte aber jemand schon durchaus mit meinen Klagen allzu streng ins Gericht gehen, so möge er nur ruhig die erzählten Thatsachen der Geschichte, die Ausbrüche des Schmerzes aber dem Schreiber aufs Conto setzen.

13 Ich könnte indes selber mit Fug und Recht den griechischen Geschichtschreibern Vorwürfe machen, weil sie mit den folgenschweren Ereignissen, die sich doch vor ihren eigenen Augen abgespielt haben, und denen gegenüber sich die Kriege der alten Zeiten nur sehr klein ausnehmen, nichts anderes zu thun wissen, als den Kritiker zu spielen und auf ihre strebsamen Bearbeiter zu schmähen, hinter denen sie, mögen sie dieselben auch an schriftstellerischer Gewandtheit übertreffen, doch wenigstens an wissenschaftlicher Begeisterung zurückstehen müssen. Dafür greifen diese Kritiker in ihren eigenen Beschreibungen gar auf die Geschichte der Assyrer und Meder zurück, als wäre dieselbe nicht schon trefflich genug von den alten Geschichtschreibern behandelt worden, obschon sie ebenso weit von ihrer markigen Schreibweise, wie von ihrem gesunden Urtheile entfernt sind. 14 Denn die Geschichte der eigenen Zeit zunächst suchte damals jeder zu schildern, wobei sowohl die persönliche Theilnahme an den Ereignissen die Mit- theilung lebendig gestaltete, als auch die Fälschung durch die Scheu vor so vielen Zeugen ausgeschlossen war. 15 Wenn es nun allerdings ganz gewiss Lob und Anerkennung verdient, dass man einen früher noch nicht geschichtlich behandelten Stoff dem Gedächtnis überliefert und die Thaten der Zeitgenossen für die Nachkommen darstellt, so ist andererseits der noch kein Forscher, welcher einfach Plan und Eintheilung eines Anderen umstellt, sondern, wer sowohl Neues bringt, wie auch seine Geschichte in origineller Darstellung zu verkörpern weiß. 16 So biete nun auch ich mit großen Unkosten und Mühen Griechen und Römern eine geschichtliche Erinnerung an die erwähnten großen Waffenthaten, obschon ich ganz anderer Nationalität bin, während die gebürtigen Griechen, wo es Gewinn und Rechtshändel gilt, gleich das Maul recht weit aufreißen und eine geläufige Zunge entwickeln, wo es sich aber um die Geschichtschreibung handelt, bei der man nur die Wahrheit sagen und mit vieler Mühe die Thatsachen zusammensuchen muss, die Mundsperre haben und es den weniger Begabten und schlecht Unterrichteten überlassen, die Thaten der Heerführer zu schildern. Je weniger sich nun aber die Griechen um Geschichte und Wahrheit kümmern, desto höher soll beides dafür bei uns in Ehren stehen!

17 (6.) Eine Darstellung der ganzen alten Geschichte der Juden mit den näheren Angaben, woher sie eigentlich stammten, und wie sie aus Aegypten hinausgekommen, was für einen ungeheuren Weg sie auf ihren Irrfahrten zurückgelegt, was für ein Gebiet sie dann bleibend besetzt, und auf welche Art sie daraus wieder verbannt worden sind, eine solche Darstellung hielt ich jetzt für unzeitgemäß und auch sonst für überflüssig, nachdem schon viele Juden vor mir die Geschichte unserer Vorfahren mit aller Genauigkeit zusammengestellt, und selbst einige Griechen mit ihren diesbezüglichen Uebertragungen in ihre heimatlichen Laute so ziemlich das Richtige getroffen haben. 18 Ich gedenke vielmehr dort, wo jene griechischen Schriftsteller und unsere prophetischen Männer den Faden der Geschichte fallen gelassen haben, mit meiner Arbeit wieder anzusetzen, und zwar in der Weise, dass ich darin jene Periode, wo die kriegerischen Ereignisse vor meinem eigenen Auge vorübergezogen sind, ausführlicher und mit aller mir möglichen Exactheit behandeln will, während ich das, was sich kurz vor meiner Zeit ereignet hat, nur im Auszuge flüchtig berühren werde.

19 (7.) Ich werde nämlich berichten, wie Antiochus, genannt Epiphanes, sich Jerusalems mit Gewalt bemächtigt und es drei Jahre und sechs Monate besetzt gehalten, dann aber von den Söhnen des Asamonäus zum Lande hinausgejagt worden, wie darauf die Nachkommen derselben wegen der Herrschaft unter sich selbst in Streit gerathen sind und die Römer unter Pompejus in ihre eigenen Händel förmlich hereingezerrt haben, und wie es endlich dem Herodes, dem Sohne des Antipater, gelungen ist, mit Beiziehung des römischen Feldherrn Sosius ihre Dynastie zum Sturze zu bringen; 20 vom Aufruhr ferner, den das Volk nach dem Tode des Herodes unter der Regierung des Kaisers Augustus und der Verwaltung des Provinzial-Statthalters Quintilius Varus erregte, und wie im zwölften Jahre der Regierung des Nero der jüdische Krieg zum Ausbruch kam, von den Ereignissen, die sich an Cestius knüpfen, und den furchtbaren Verheerungen, welche die Juden bei ihren ersten kriegerischen Ausfällen weit und breit anrichteten, wie auch von ihren Befestigungsarbeiten, die sie an den Städten im Umkreise des ganzes Landes vorgenommen.

 

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