Kleine Frauen, Band 3: Kleine Männer (Deutsche Neuübersetzung) – Louisa May Alcott
Keine unserer Leserinnen und keiner unserer Leser dürfte weder die beiden ersten Bände der “Kleinen Frauen”, noch die warmherzige, kluge, aber manchmal auch grässliche Jo vergessen haben. Sie hat unsere Zuneigung gewonnen, und Miss Alcott hat gut daran getan, sie zum Hauptakteur des dritten Teils zu machen. “Kleine Frauen” ist tatsächlich fast perfekt geschrieben, und der große Erfolg, den das Buch erreicht hat, ist nicht nur ein Triumph guter Literatur über schlechte, sondern auch ein Beweis dafür, dass es Bücher gibt, in denen kleine Leser noch ihre Ideale und Gefährten finden können. Der zweite Teil dieses großartigen Werkes endete mit Meg, die sich ihren Pflichten als Mutter einer Familie widmete, Amy, die Laurie geheiratet hat, und Jo, die mit Professor Bär glücklich ist, aber immer noch überlegt, wie sie der Welt von Nützen sein könnte. “Kleine Männer” bringt uns zurück in die Leben all dieser jungen Frauen und führt uns außerdem ein in die Schule von Plumfield, wo mittlerweile etwas ein Dutzend von “Jos Jungs” wohnen. Der Leser nimmt teil an den lustigen Erfahrungen aber auch den täglichen Sorgen dieser Jungs, die bald von ein paar Mädchen unterstützt werden, die Jo ebenfalls aufgenommen hat … Wer die ersten beiden Bände “verschlungen” hat, wird kaum an diesem dritten Band vorbeikommen und wissen wollen, welche Wendungen das Glück der Kinder der Familie March genommen hat.
Format: Taschenbuch/eBook.
Kleine Frauen, Band 3: Kleine Männer (Deutsche Neuübersetzung).
ISBN Taschenbuch: 9783849668891
ISBN eBook: 9783849658885
Auszug aus dem Text:
“Bitte, Sir, ist das Plumfield?”, fragte ein zerlumpter Junge den Mann, der das große Tor öffnete, vor dem der Bus ihn abgesetzt hatte.
“Ja, wer hat dich geschickt?”
“Mr. Laurence. Ich habe einen Brief für die Dame des Hauses.”
“Na gut, geh zum Haus und gib ihn ihr; sie wird sich um dich kümmern, kleiner Kerl.”
Der Mann sprach freundlich mit ihm, und der Junge, den diese Worte sehr aufmunterten, ging weiter. Durch den milden Frühlingsregen, der auf sprießendes Gras und knospende Bäume fiel, sah Nat ein großes, quadratisches Haus, ein gastfreundlich aussehendes Gebäude, mit einer altmodischen Veranda, breiten Stufen und Licht, das aus vielen Fenstern schien. Weder Vorhänge noch Fensterläden verbargen den fröhlichen Schimmer; und als er einen Moment innehielt, bevor er läutete, sah Nat viele kleine Schatten an den Wänden tanzen, hörte das angenehme Summen junger Stimmen und meinte, es sei kaum möglich, dass das Licht, die Wärme und die Heimeligkeit im Inneren für einen obdachlosen “kleinen Kerl” wie ihn bestimmt sein könnten.
“Ich hoffe, die Dame des Hauses wird mich empfangen”, dachte er bei sich und betätigte schüchtern den großen Klopfer aus Bronze, der wie ein lustiger Greifenkopf aussah.
Eine Dienerin mit rosigem Gesicht öffnete die Tür und lächelte, als sie den Brief nahm, den er ihr schweigend entgegenhielt. Sie schien es gewohnt zu sein, fremde Jungen zu empfangen, denn sie zeigte auf eine Stelle in der Vorhalle und sagte mit dem Kopf nickend:
“Setz dich da hin, da kannst du auf die Matte tropfen, während ich das hier zu Missis bringe.”
Nat hatte keine Probleme, sich zu beschäftigen, während er wartete; er starrte neugierig auf seine Umgebung, genoss das, was er sah, freute sich aber auch, dies unbeobachtet in der dämmrigen Nische bei der Tür tun zu können.
Im Haus schien es von Jungen, die sich in der verregneten Dämmerung die Zeit mit allerlei Vergnügungen vertrieben, nur so zu wimmeln. Überall waren Knaben, “oben und unten und im Zimmer der Dame”, denn die verschiedenen offenen Türen zeigten fröhliche Gruppen aus großen, kleinen und mittelgroßen Jungs bei allen möglichen abendlichen Zeitvertreiben, um nicht zu sagen überschwänglichen Spielen. Zwei große Zimmer auf der rechten Seite waren offensichtlich Schulräume, in denen Schreibtische, Karten, Tafeln und Bücher verstreut waren. Ein offenes Feuer brannte auf der Feuerstelle, und mehrere faulenzende Burschen lagen davor auf dem Rücken und diskutierten so angeregt über einen neuen Cricketplatz, dass ihre Stiefel durch die Luft wirbelten. Ein großer Junge übte in einer Ecke auf der Flöte, gänzlich ungestört von dem Lärm um ihn herum. Zwei oder drei andere hüpften über die Tische, hielten inne, um Luft zu holen, und lachten über die skurrilen Skizzen eines kleinen Witzbolds, der den ganzen Hausstand auf einer Tafel karikierte.
Im Raum zu seiner Linken war ein langer, mit Abendbrot gedeckter Tisch zu sehen, auf dem große Krüge mit frischer Milch, ganze Haufen von Vollkorn- und Weißbrot und Stapel dieser glänzenden Lebkuchen, die Jungs so sehr lieben, dargeboten wurden. Der Geruch von Toast lag in der Luft, ebenso ein Hauch von gebackenen Äpfeln – sehr verlockend für ein empfindsames Näschen und einen hungrigen kleinen Magen.
Die Vorhalle war jedoch die Attraktion schlechthin, denn im oberen Hausflur wurde gerade ausgelassen Fangen gespielt. Auf einem Treppenabsatz wurde mit Murmeln gespielt, auf einem anderen Dame, während auf der Treppe ein Junge las, ein Mädchen seiner Puppe ein Wiegenlied vorsang, zwei Welpen und ein Kätzchen miteinander spielten und eine nicht enden wollende Schar kleiner Jungs das Geländer herunterrutschte, sehr zum Schaden ihrer Kleidung und höchst gefährlich für ihre Gliedmaßen.
Nat war so begeistert von diesem aufregenden Rutschen, dass er sich immer weiter aus seiner Ecke herauswagte; und als ein sehr lebhafter Junge so schnell herunterrutschte, dass er sich nicht mehr halten konnte, sondern so heftig vom Geländer fiel, dass jeder Kopf dabei gebrochen wäre, außer einem, der durch elf Jahre ständiges Anstoßen fast so hart wie eine Kanonenkugel geworden war, vergaß sich Nat und rannte, in der Erwartung, ihn halbtot vorzufinden, auf den Gestürzten zu. Der Junge blinzelte jedoch nur kurz, lag dann ruhig da und schaute mit einem überraschten “Hallo” zu dem neuen Gesicht auf.
“Hallo!”, erwiderte Nat, da er nicht wusste, was er außerdem sagen sollte, und diese Form der Antwort für kurz und angemessen hielt.
“Bist du ein Neuer?”, fragte der am Boden liegende Junge, ohne sich zu rühren.
“Das weiß ich noch nicht.”
“Wie ist dein Name?”
“Nat Blake.”
“Ich heiße Tommy Bangs; komm doch mit hoch und mach bei uns mit!” Mit diesen Worte stand Tommy auf, als würde er sich plötzlich an die Gebote der Gastfreundschaft erinnern.
“Lieber nicht, denn ich weiß ja nicht, ob ich bleiben darf”, erwiderte Nat, der deutlich spürte, dass der Wunsch zu bleiben jeden Moment stärker wurde.
“Hey, Demi, hier ist ein Neuer. Komm und stell dich vor”, sagte der aufgeweckte Thomas und nahm mit unverminderter Freude seine körperliche Betätigung wieder auf.
Auf seinen Ruf hin schaute der Junge, der auf der Treppe las, mit großen, braunen Augen auf, klemmte nach einer kurzen Pause, in der er ein wenig schüchtern wirkte, das Buch unter seinen Arm und kam langsam herunter, um den Neuankömmling zu begrüßen, der in dem angenehmen Gesicht dieses schlanken Jungen mit den sanften Augen etwas sehr Anziehendes fand.
“Hast du Tante Jo schon getroffen”, fragte er, als ob es sich dabei um eine wichtige Zeremonie handeln würde.
“Ich habe noch niemanden außer euch Jungs gesehen; ich warte noch”, antwortete Nat.
“Hat Onkel Laurie dich geschickt?”, fuhr Demi höflich, aber ernst, fort.
“Nein, Mr. Laurence.”
“Das ist Onkel Laurie; und er schickt immer nette Jungs.”
Nat wirkte erfreut nach dieser Bemerkung und lächelte auf eine Weise, die seinem dünnen Gesicht sehr gut stand. Da er nicht wusste, was er als nächstes sagen sollte, standen beide in freundschaftlichem Schweigen da und starrten einander an, bis das kleine Mädchen mit ihrer Puppe im Arm auftauchte. Sie sah Demi sehr ähnlich, war aber nicht so groß, und hatte ein runderes, rosigeres Gesicht und blaue Augen.
“Das ist meine Schwester Daisy”, verkündete Demi, als ob sie ein sehr seltenes und kostbares Geschöpf wäre.
Die Kinder nickten einander zu, und im Gesicht des kleinen Mädchens entstanden Grübchen, als sie freundlich sagte:
“Ich hoffe, du bleibst. Wir haben so viel Spaß hier; nicht wahr, Demi?”
“Natürlich; deswegen hat Tante Jo ja Plumfield.”
“Dies scheint in der Tat ein sehr schöner Ort zu sein”, bemerkte Nat, der meinte, diesen liebenswerten Kindern antworten zu müssen.
“Es ist der schönste Ort der Welt, nicht wahr, Demi?”, sagte Daisy, die ihren Bruder offensichtlich als Fachmann in allen Fragen betrachtete .
“Nein; ich denke, dass Grönland, wo es Eisberge und Robben gibt, noch interessanter ist. Aber ich bin gerne in Plumfield, und es ist wirklich ein sehr schöner Ort”, antwortete Demi, der gerade ein Buch über Grönland gelesen hatte. Er wollte Nat gerade die Bilder zeigen und erklären, als der Diener zurückkam und mit einem Nicken zur Stubentür sagte:
“In Ordnung, es ist so weit.”
“Da bin ich froh; komm mit zu Tante Jo.” Daisy nahm ihn mit einer behütenden Geste bei der Hand, was Nat sofort ein Gefühl von Zuhause gab.
Demi nahm sich wieder seinem geliebten Buch an, während seine Schwester den Neuankömmling in ein Hinterzimmer führte, wo ein stämmiger Herr mit zwei kleinen Jungs auf dem Sofa herumtollte und eine schlanke Dame gerade den Brief beendete, den sie anscheinend zum zweiten Mal gelesen hatte.
“Hier ist er, Tantchen!”, rief Daisy.
“Das ist also mein neuer Junge? Ich freue mich, dich zu sehen, mein Lieber, und hoffe, dass du hier glücklich wirst”, sagte die Dame, zog ihn zu sich und strich ihm mit sanfter Hand und mütterlichem Blick die Haare aus der Stirn, was sie bei Nat gleich sehr beliebt machte.
Sie war nicht wirklich gutaussehend, aber sie hatte ein fröhliches Gesicht, das gewisse kindliche Verhaltensweisen und Ausdrücke nicht vergessen zu haben schien, ebenso wenig wie ihre Stimme und ihr Benehmen; und diese Dinge, die schwer zu beschreiben, aber sehr deutlich zu sehen und zu fühlen waren, machten sie zu einem angenehmen, liebenswerten Menschen, mit dem man leicht zurechtkam und der im Allgemeinen “lustig” war, wie Jungs sagen würden. Sie sah das kleine Zittern auf Nats Lippen, als sie sein Haar glättete, und ihre scharfen Augen wurden sanfter; aber sie zog die verwahrlost wirkende Gestalt nur näher zu sich heran und sagte lachend:
“Ich bin Mutter Bär, dieser Herr da ist Vater Bär, und das sind die beiden kleinen Bärchen – Kommt her, Jungs, und begrüßt Nat.
Die drei Ringer gehorchten sofort, und auch der stämmige Mann, auf dessen Schultern jeweils ein pummeliges Kind saß, kam her, um den neuen Jungen zu begrüßen. Rob und Teddy grinsten ihn nur an, aber Mr. Bär schüttelte ihm die Hände, zeigte auf einen niedrigen Stuhl in der Nähe des Feuers und sagte mit herzlicher Stimme:
“Dort ist ein Platz für dich, mein Sohn; setz dich hin und trockne sofort deine nassen Füße.”
…..