Kreuz und Schwert

Kreuz und Schwert – Oskar Meding

Der vierte Band aus dem Zyklus “Um Szepter und Krone” behandelt den Deutsch-Französischen Krieg um 1870 bis zur Schlacht von Sedan. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Kreuz und Schwert

Kreuz und Schwert.

Format: eBook

Kreuz und Schwert.

ISBN eBook: 9783849656553.

 

Auszug aus dem Text:

 

Die sinkende Sonne eines Spätsommertages des Jahres 1869 sendete ihre schrägen Strahlen über die einfache und gleichmäßige, aber üppig frische Landschaft, welche in der Nähe von Düsseldorf den breit und ruhig dahinfließenden Rheinstrom einfaßt. Dieser stolze deutsche Strom, in dessen Wellen die Sage rauscht, der bis in die Tiefen seiner grünen Fluten hinein belebt ist von den sinnigen Mären vergangener Heldenzeiten, der die Lebensader bildet der waffen- und sangesfreudigen Geschichte Deutschlands, – der gleicht hier im flachen Lande nicht mehr jenem wunderbaren, die Seele mit geheimnisvoller Poesie anmutenden Bilde, das er weiter hinauf bietet, wo er sich Bahn bricht durch starre Felsen – an den verfallenen Burgen vorbei, – das Rauschen seiner Wasser vermischend mit den sinnbetörenden Liedern der Loreley und dem mitternächtigen Schmerzensseufzer des grausamen Bischofs Hatto. Dort oben ist er der Jüngling voll Kampfesmut, voll tiefer Liebesglut, wie der goldene Wein, den die Sonne an seinen Ufern reift – hier ist er zum klaren, ruhigen Mann geworden, der in gesättigter Kraft nach überwundenen Lebenskämpfen den Segen einer fruchtbaren Tätigkeit um sich verbreitet.

Nicht Felsen und Burgen rahmen ihn hier ein – breite, grüne Wiesen und reiche Fruchtfelder dehnen sich weithin an seinen Ufern aus, hohe Gruppen uralter Riesenbäume ragen in einiger Entfernung daraus hervor, und zwischen den Schatten ihrer Wipfel schimmern die Dächer der großen Schlösser und der dazu gehörigen Wirtschaftsgebäude, der reichen Besitztümer des landsässigen Adels, der hier seit Jahrhunderten auf seinen Erbsitzen lebt und noch immer mehr oder weniger von dem Unabhängigkeits- und Selbständigkeitsgefühl der alten Reichsritterschaft erfüllt ist. In der Nähe der Ufer ziehen sich die mächtigen Deiche hin, welche, bis nach Holland herab, den Lauf des gewaltigen Stromes regeln und die von ihm befruchteten Felder vor der vernichtenden Gewalt seiner übermächtig anschwellenden Hochwasser schützen.

Auf dem Wege, welcher neben den Deichen her durch die Wiesen und Fruchtfelder führte, ritten zwei junge Offiziere in der grünen Husarenuniform. Beide mochten höchstens zwanzig bis einundzwanzig Jahre alt sein – trotz dieses gleichen Alters und der gleichen Uniform aber war ihre ganze Erscheinung von auffallender Verschiedenheit.

Der eine saß bequem auf seinem schönen Grauschimmel, seine Gestalt zeigte trotz seiner Jugend eine gewisse Anlage zu Fülle und Korpulenz, sein frisches Gesicht strahlte von einer sorglosen Heiterkeit, sein Mund mit den vollen, roten Lippen schien wie von innerer fröhlicher Laune bewegt zu lächeln, und die großen hellblauen Augen blickten so glücklich und vergnügt über die Wiesen, die Felder und die Bäume hin, als schienen sie zu fragen, ob es wohl etwas Schöneres und Besseres geben könnte, als diese reiche, blühende Landschaft am Ufer des königlichen Stromes. Seine grüne Mütze mit dem roten, weiß eingefaßten Streif saß etwas gebogen auf seinem Kopf und ließ das blonde, gelockte Haar hervordringen, das so lang gehalten war, als es die dienstliche Vorschrift nur irgend erlaubte.

Dieser junge Offizier, von dessen Antlitz das Morgenlicht eines sorgenfreien, glücklichen Lebens widerstrahlte, war Graf Xaver von Spangendorf, der Sohn und Majoratserbe eines der reichsten und vornehmsten Grundbesitzer der Gegend. Seine Familie saß seit unvordenklichen Zeiten auf dem von waldähnlichem Parke umgebenen Schlosse Rensenheim, dessen weitausgedehnte Nebengebäude bereits hinter einer bis hart an den Weg vorspringenden Schonung sichtbar wurden, während das Herrenhaus selbst noch hinter den hochragenden Baumwipfeln des Parkes sich verbarg.

Neben ihm ritt sein Freund und Regimentskamerad, der Leutnant von Rothenstein, der Abkömmling einer alten schlesischen Familie, der mit dem jungen Spangendorf fast gleichzeitig in das sonst beinahe ausschließlich aus den Söhnen des rheinischen Grundadels gebildete Offizierkorps des Regiments eingetreten war.

Obgleich die Züge seines länglichen, bleichen Gesichts noch die ganze Weichheit der Jugend besaßen, lag doch in demselben ein gewisser Ausdruck von sinnender, wehmütiger Trauer, gemischt mit einer fast starren und verschlossenen, eigenmütigen Willenskraft, – der feine, scharf gezeichnete Mund mit dem eben hervorkeimenden schwarzen Bart auf der Oberlippe schien sich nur selten zu heiterem Lächeln öffnen zu können; aus den tief dunklen Augen blickte es hervor wie verborgenes Feuer, wie geheimnisvoll zurückgezogenes inneres Leben, und die feinen Flügel der schlanken griechischen Nase öffneten sich zuweilen weit, als suche eine innere Glut in scharfem Atemzuge einen Ausgang.

Der Leutnant von Rothenstein saß in eleganter, fester und sicherer Haltung auf seinem schwarzen Pferde, seine Uniform schloß sich eng um die schlanke und magere Gestalt, ernst blickte er über den Kopf seines Pferdes auf die Straße hin, die sich immer mehr vom Rheinstrom ab zu den Hofgebäuden von Rensenheim hinwendete.

»Es ist wahrhaftig ein guter Gedanke gewesen,« rief der junge Graf Spangendorf, indem er seine kleine zierliche Reitpeitsche mit dem großen silbernen Knopf durch die Luft pfeifen ließ, was sein Pferd zu einem kurzen, unruhigen Satze veranlaßte, – »ein guter Gedanke, aus der heißen, staubigen Stadt herauszureiten nach dem schönen, kühlen Rensenheim – vor morgen Mittag haben wir nicht nötig zurück zu sein, wir können uns herrlich ausruhen und stärken in dem schattigen Park und in den dunkeln kühlen Zimmern – um dann wieder«, fügte er tief aufseufzend hinzu, »auf dem sonnenglühenden Exerzierplatz diese Tölpel von Rekruten das Reiten zu lehren.«

»Ja«, sagte der Leutnant von Rothenstein, – »es ist eine wohltätige Erholung – und für dich ist es ein ganz besonderes Glück, daß deine Heimat so nahe bei der Garnison liegt und dir Gelegenheit gibt, auch den kleinsten Urlaub so schön zu benützen – ich muß dir noch ganz besonders dankbar sein, daß du mich so freundlich in deine Familie eingeführt –«

»Du weißt,« rief der Graf Spangendorf, ungeduldig mit der Hand winkend, »welche Freude du mir und allen den Meinigen machst, wenn du zu uns hinauskommst – also laß uns keine Höflichkeitsredensarten machen –«

Er brach einen Augenblick ab und sah mit leuchtenden Blicken nach den hohen Bäumen des Parkes hinüber, zwischen denen jetzt ein breites, lang ausgedehntes Schieferdach und zwei nicht hohe, ebenfalls mit Schiefer gedeckte Kuppeltürme erschienen.

»Siehst du, alter Freund,« sagte er dann, mit seiner Reitpeitsche nach dem im Sonnenschein glänzenden Dach hindeutend, – »siehst du – wenn ich so mein altes väterliches Haus und die alten Bäume und das alles wiedersehe, was mich so von Jugend auf umgeben hat, dann wird es mir jedesmal leicht und frei, so wohl ums Herz, als ob ich ein liebes Menschengesicht erblicke, – es ist, als ob diese Erde mich anziehe, als ob ich auf ihr fester stände und sanfter ruhte als anderswo, – als ob die Luft hier sich leichter und freier atmete, als ob diese Sonne heller schiene! – Das ist recht kindisch,« – sagte er dann lächelnd, fast verlegen, »du wirst das töricht finden, du, der du schon ein großes Stück von der Welt gesehen hast, – und es ist auch beinahe lächerlich, dies Hangen an der Scholle – dies Heimweh, – da ich doch eigentlich noch nie von der Heimat wirklich entfernt war, – selbst als ich ein Jahr in Bonn studierte, war ich in jeden Ferien zu Hause – und jetzt bin ich ja wieder so nahe bei den Meinigen –«

»Ich finde dein Gefühl wahrlich nicht töricht,« fiel Herr von Rothenstein ein, indem er seine Blicke mit träumerischem Ausdruck auf dem immer mehr hervortretenden Schieferdach ruhen ließ, »ich kann dasselbe vollständig würdigen, – empfinde ich doch selbst Ähnliches, nur,« – sagte er seufzend, – »was bei dir Freude und Glück über den Besitz einer Heimat ist, in welcher dein Leben wurzelt, das ist bei mir tiefe, schmerzliche, ungestillte Sehnsucht.«

Mit einem Blick voll herzlicher Teilnahme sah der Graf Spangendorf seinen Freund an.

»Du hast doch«, sagte er ein wenig zögernd, »deine Heimat in Schlesien – du hast dort ein altes Familiengut, – es muß schön sein, nach dem, was du mir davon erzählt hast, – ein Schloß – Forsten mit großer Jagd, – die uns hier fehlt –«

»O ja, – ich habe das alles,« erwiderte Herr von Rothenstein, – »und es ist schön – es ist ein reicher Besitz und vortrefflich verwaltet von meinem Vormund, der mir jetzt schon vor meiner Großjährigkeit den Ertrag meines Vermögens zur freien Disposition überläßt, – aber«, rief er mit halb schmerzvoll wehmütigem, halb bitterem Ton, – »ist das eine Heimat – eine Heimat, wie du sie hast, wie sie dich grüßt mit tausend lieben Erinnerungen! – Meine Eltern starben«, fuhr er finster fort, »als ich noch keine zwei Jahre alt war, ehe noch mein Blick die Kraft hatte, ihr Bild in meine Seele zu tragen und dort zu bewahren zu heiliger Erinnerung, – mein Vormund, ein alter, unverheirateter Vetter meines Vaters, – ein braver, ein ehrenwerter Mann, dem ich stets Dank schulde, sorgte auf das Vortrefflichste für meine Erziehung, – ich wurde einem Professor in Pension gegeben, ich lebte in dessen Familie, man war freundlich gegen mich, man erzog mich mit Sorgfalt, – fast verzog man mich, – aber ich war der Fremde unter diesen Menschen, die sich einander angehörten durch die Bande der Familie, – eine Mauer von Eis umgab mich, durch die ich mich nicht herausarbeiten konnte, – ich war allein, immer allein! Und wenn ich dann zuweilen auf mein väterliches Gut kam mit meinem Vormund, – dann begrüßten mich die Beamten und Eingesessenen mit Ehrerbietung als ihren künftigen Herrn, – aber es fehlte das lebendige Liebesband, das mich mit der Heimat verknüpfte. Diese Gärten, diese Wälder, diese Wiesen waren mir fremd, – keine Erinnerung an kindliche Spiele, an Verwandte und Freunde trat mir entgegen. Die Zimmer des alten Schlosses waren erfüllt von dumpfem, schwülem Modergeruch, der die leicht empfänglichen kindlichen Sinne schaurig berührte, – waren sie doch eben erst kurz vor unserer Ankunft geöffnet, – man zeigte mir zwei große Bilder in breiten Goldrahmen, von denen man die verhüllende Florbedeckung abgenommen, und sagte mir, daß das mein Vater und meine Mutter sei; – ich sah eine schöne, sanftblickende Dame im weißen Seidengewand mit dunkeln Augen, – einen kräftigen hohen Mann in der ritterschaftlichen Uniform, aber ich suchte vergebens für diese Bilder einen Platz in meiner Erinnerung, – diese Augen, die da so vornehm ruhig aus den schimmernden Rahmen auf mich herabsahen, hatten niemals im Leben den warmen Strahl der Liebe auf mich gesendet, – trauriger als je kehrte ich zurück in die Familie meines Erziehers mit dem bitteren Gefühl im Herzen, daß das Haus meiner Vorfahren mir fremd sei, wie die Bilder meiner Eltern! – Darum habe ich auch meine heimatliche Provinz verlassen und bin in unser Regiment eingetreten, um all jenen schmerzlichen Eindrücken zu entfliehen.«

Die Pferde gingen im langsamen Schritt vorwärts, – das sonst verschlossen zurückhaltende Gesicht des jungen Offiziers zuckte und zitterte in lebhafter Bewegung, – es war, als ob ein tief im Innern verborgenes leidenschaftliches Gefühl in plötzlicher Aufwallung einen Ausdruck gefunden.

Die so gutmütigen heiteren Augen des jungen Grafen von Spangendorf ruhten halb erstaunt, halb voll tiefen Mitleids auf seinem Freunde, – er öffnete einige Male den Mund, als wolle er sprechen, ein Wort der Teilnahme und des Trostes sagen, – aber er fand nicht das Wort, das seine Teilnahme so ausgedrückt hätte, wie er sie fühlte, – und schweigend blickte er vor sich nieder, während der Leutnant von Rothenstein mit mächtiger Anstrengung die Lippen aufeinander preßte, um seiner tiefen Erregung Herr zu werden.

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